BAD BREEDING sind die Antwort der britischen Punk-Szene auf SLEAFORD MODS. Wütende Klassenkämpfer, die der Regierung so ziemlich alles an den Kopf werfen, was ihnen in die Finger kommt. Angefangen hat alles in Stevenage, einer Trabantenstadt nördlich von London, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Boden gestampft wurde, um 60.000 Menschen aus der zerbombten Hauptstadt eine neue Heimat zu geben. Heute sind Städte wie Stevenage Zentren für Probleme, die in den Thatcher-Jahren explodiert sind. Drogen, Alkohol, Arbeitslosigkeit. Jede Menge Inspiration für „Human Capital“, das vierte Album der britischen Hardcore-Punks. Sänger Chris Dodd erklärt uns, warum es diesmal auch leisere Töne gibt.
Human Capital“ wirkt auf mich wie eine Abrechnung mit der Welt, in der wir leben. Turbo-Kapitalismus, Umweltzerstörung, soziale Ungerechtigkeit ...
Ja, wir sind sehr laut und ziemlich sauer. Viele dieser Probleme, mit denen wir kämpfen, sind ja nicht neu, sondern haben sich im Laufe der letzten Jahrhunderte verschlimmert. Diese Themen wurden natürlich schon von vielen Punkbands aufgegriffen, deshalb wollte wir als Band nicht damit anfangen, bloß die alten Parolen wiederzukäuen. Wir wollten es nicht mit dem gleichen nihilistischen Ansatz angehen und die Probleme einfach nur benennen. Unser Ziel war es, die Missstände nicht nur anzusprechen, sondern auch einen Ausweg aus dem Schlamassel zu finden. Es steckt also vor allem im Sound auf „Human Capital“ große Wut, in den Texten gibt es aber auch Ansätze der Hoffnung. Ein großer Teil beschäftigt sich mit Antworten der Arbeiterschicht auf die drängenden Fragen unserer Zeit.
Ein zentrales Mittel ist für euch Solidarität.
In England haben wir seit Margaret Thatcher eine Ära durchlebt, in der der gesellschaftliche Zusammenhalt permanent attackiert wurde. In den USA war es unter Ronald Reagan nicht anders. In den letzten fünfzig Jahren gab es einen ideologischen Krieg, um die Taue in den lokalen Communities zu kappen und die Verbindungen nachhaltig zu zerstören. Angetrieben durch eine Politik, die sich vor allem mit Identität und Herkunft der Menschen beschäftigt und dadurch Hass und Zwietracht sät. Dabei verstecken sich viele Antworten auf die drängenden Probleme von heute im Haus nebenan, bei den Menschen in unserem direkten Lebensumfeld. Nur gemeinsam können wir Lösungen finden und diese umsetzen.
Zu jedem Album veröffentlicht ihr auch einen Essay, der die Ideen der Texte noch einmal vertieft. Verfasst diesmal von Jake Farrell. Wer ist das?
Jake ist ein alter Schulfreund von mir, mit dem ich aufgewachsen bin. Während ich mit BAD BREEDING meine erste Band gestartet habe, hat Jake geschrieben. Ich habe eine Weile mit ihm in China zusammengewohnt, dort haben wir beide Englischunterricht gegeben. Seitdem sind wir in Kontakt geblieben und so haben wir ihn jetzt als Autor an Bord geholt. Wir haben die Band schon immer als Vehikel betrachtet, um unsere Ideen zu transportieren und im Zuge dessen Menschen aus unserem Umfeld in unsere Kunst zu integrieren. Bei unserem letzten Album „Exiled“ haben wir damit angefangen, unseren Fans tiefergehende Erklärungen an die Hand zu geben. Denn in Zwei-Minuten-Songs kann man nur sehr begrenzt Inhalt unterbringen. Mit diesem Essay wollen wir auch Impulse zur Diskussion geben, zu den Themen, die wir in unseren Songtexten anstoßen. Wenn du dir die Platte kaufst, bekommst du den Text von Jake auf dem Beiblatt mitgeliefert. Für die Fans, die sich das Album digital holen, veröffentlichen wir den Essay auf unserer Website.
„Joyride“ ist mein Lieblingssong auf dem Album. Auch weil er nicht so brutal klingt wie der bisherige Sound von BAD BREEDING. Wie kam es dazu?
Das ist der letzte Track, den wir für „Human Capital“ geschrieben haben. Wir hatten noch ein Thema, das wir unbedingt auf dem Album unterbringen wollten, und brauchten noch die Musik dazu. Es geht um Arbeiterstädte wie Stevenage und was die neoliberale Politik mit ihnen macht. Wir hätten natürlich einfach wieder einen Song mit dem üblichen Hardcore-Punk-Sound machen können, aber die Message wird dadurch eher zur Nebensache. Wenn man das gleiche Muster immer wieder verwendet, stumpft die Botschaft irgendwann ab. Deshalb ist „Joyride“ viel melodischer als alle anderen Stücke von BAD BREEDING. Auch was die Produktion betrifft, haben wir den Song sehr einfach gestaltet. Keine Overdubs, keine zusätzlichen Spuren. „Joyride“ klingt fast wie ein Live-Track. Damit wollten wir den Hörern den direktesten Zugang bieten, den man haben kann.
Werden BAD BREEDING so auch in der Zukunft klingen?
Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Dieses Album klingt vielleicht ein bisschen softer, aber es trägt auch Elemente in sich, bei denen wir uns auf die Suche nach den Anfängen unserer brutalen Klänge gemacht haben. Uns interessiert es überhaupt nicht, einen typischen Sound zu erreichen, für den uns die Leute lieben. Dieselben Songs immer wieder zu schreiben, ist für uns kein Thema. Es kann also sein, dass wir weiter in diese Richtung gehen, es kann aber auch ganz anders werden. Das entscheidet sich erst, wenn wir mit dem Songwriting beginnen. Typisch für uns ist, dass wir so viele Optionen wie möglich austesten wollen.
Auf dem Vorgängeralbum „Exiled“ hat man deutlich die Inspiration durch britische Anarchopunk-Pioniere wie CRASS oder FLUX OF PINK INDIANS gehört. Gab es diesmal neue Einflüsse?
Auch „Human Capital“ ist von diesen Bands beeinflusst, würde ich sagen. Vielleicht eher von den melodischeren Songs. Während die Platte entstand, haben wir ständig DR. FEELGOOD gehört, aber ich weiß nicht, ob man das jetzt heraushören kann. Ich habe außerdem viel Musik von SPIKE IN VAIN und BORN AGAINST gehört. Ich denke, bei den frühen Platten einer Band sind deren Einflüsse ziemlich gut erkennbar, aber je länger sie zusammenspielt und je mehr Zeit sie zusammen verbringt, desto mehr entwickelt eine Band auch ihre eigene Stimme. Dadurch verschwinden die musikalischen Einflüsse immer mehr. Ich finde es ziemlich schwer, auf „Human Capital“ irgendwelche prägenden Elemente zu identifizieren. Was uns allerdings bei diesem Album sehr inspiriert hat, ist die Idee der Anarcho-Szene, die Musik nur als Teil eines weitergehenden Konzepts zu sehen, als Möglichkeit, um seine Ansichten zu verbreiten. Du kannst Songs schreiben, du kannst aber auch Pamphlete schreiben oder Menschen zusammenbringen, die den Widerstand organisieren.
Eure Botschaft und eure Agenda ähneln dem Konzept von SLEAFORD MODS, die natürlich einen ganz anderen Sound haben. Gibt es da eine Verbindung?
SLEAFORD MODS sind eine großartige Band, ich mag sie wirklich sehr. Sehr intelligent, aber auch sehr lustig. Wir haben schon auf Festivals mit ihnen gespielt, aber eine persönliche Verbindung gibt es nicht. Wir sprechen ganz bestimmt die gleichen Themen an wie sie, aber sie tun es eher auf einem satirischen Weg.
Lass uns über ein paar Songs sprechen. Um was geht es in „Red flag rising“?
Da geht es um die Macht der Gemeinschaft. Was man in der Arbeiterschaft alles auf die Beine stellen kann, wenn man zusammenhält. Das konnte man vor allem während der Pandemie sehr deutlich erkennen. Weil die Regierung absolut unwillig und in ihrer Ideologie gefangen war, waren diese Herren nicht in der Lage, auf die Bedürfnisse der Bevölkerung einzugehen. Der Songtitel ist eine Hommage an ACORN, ein Mieterbund, der vor allem in Großbritannien immer mehr wächst. Ein Zusammenschluss von Menschen, der diejenigen unterstützt, die Schwierigkeiten haben, ihre Miete zu bezahlen.
Wir haben schon über die Musik von „Joyride“ gesprochen. Worum geht es im Text?
Es ist eine Ode an Stevenage. Es ist ein sehr aufmunternder Song, der sich mit den Dingen beschäftigt, mit denen wir in unserem Alltag konfrontiert werden. Fast alle unsere Erfahrungen haben wir in unserer Heimatstadt gesammelt. Es gibt jede Menge Städte in England, die wie Stevenage sind. Die Situation hier ist also nur eine Art Metapher auf die weitergehenden Probleme und Lösungsansätze in unserem Land.
Das Artwork von „Human Capital“ mag ich sehr. Es sieht sehr handgemacht und puristisch aus, wie in den Achtzigern.
Wir arbeiten schon seit Jahren mit Nicky Rat zusammen. Ein guter Freund von uns, der einen sehr speziellen Stil hat. Er liebt wie wir diesen Collagen-Look von Bands wie CRASS oder wie auf den Platten von Spiderleg Records aus den Eighties. Aber Nicky versucht nicht nur, die Vorbilder zu kopieren, sondern er wirft auch einen Blick nach vorne und kombiniert so Vergangenheit und Zukunft.
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