Ich gebe es zu: mein Verhältnis zu den BAD BRAINS ist ein zwiespältiges. Einerseits sind ihre Platten bis „I Against I“, sowie eingeschränkt auch „Quickness“, über alle Kritik erhaben, absolute Klassiker des (Post-)Hardcore-Genres, andererseits machte sich die Band, die zum Urgestein der Washington D.C.-Szene zählt, über die Jahre nicht nur Freunde, was einerseits an der gerade von Frontmann H.R. offen verkündeten Rastafari-Lehre liegt (die nicht immer frei ist von Diskriminierung von Schwulen und Frauen), andererseits an den nach „Quickness“ aufgenommenen Platten, die eher belangloser Mainstream waren. Dieser Tage erschien nun für alle Nachzügler erstmals eine Zusammenstellung mit den zweifellos besten Songs der BAD BRAINS, zum anderen war die Band im Frühsommer im Studio und spielte ein neues Album ein, das im Herbst erstmals wieder unter dem Namen BAD BRAINS erscheinen wird – und nicht als SOUL BRAINS, wie man die letzten Jahre firmierte. Ich sprach mit Bassist Darryl Jenifer, 41, via Telefon – ich im Ox-Büro, er im heimischen Woodstock, NY.
Was hat es mit dieser „Banned In D.C. - BAD BRAINS Greatest Riffs“-CD auf sich? Habt ihr als Band mit der Zusammenstellung was zu tun gehabt?
Ja klar, das war unsere Idee, das war allein unser Ding. Wir haben sie zusammengestellt, uns um alles gekümmert. Meine Idee für diese Zusammenstellung war, dass man unsere gesamte musikalische Bandbreite auf einer CD hören kann. Ich hatte nicht die Kids im Kopf, die uns vielleicht noch nicht kennen, ich dachte mir einfach, dass bei einer Band, die es seit über zwanzig Jahren gibt, so ein Release nicht schlecht ist. Wenn andere Bands so eine Zusammenstellung haben, warum nicht auch wir, haha. Und weil wir ja nie irgendwelche Hits hatten, heißt sie eben ‚Greatest Riffs‘.
Und was hat es damit auf sich, dass diese CD unter dem Namen BAD BRAINS erscheint, während ihr als Band die letzten Jahre als SOUL BRAINS aufgetreten seid?
Also erstmal hat das keinen rechtlichen Hintergrund. Wir alle wissen, dass H.R. sehr exzentrisch ist, und schon früher hatten wir in Rasta-Kreisen den Spitznamen SOUL BRAINS weg, und irgendwann meinte H.R. dann, das sei auch kein schlechter Name, und dass wir uns des ‚BAD‘ entledigen sollten. Kann sein, dass er damals rumerzählt hat, das habe was mit rechtlichen Problemen zu tun gehabt, aber das war nie der Fall. Wir haben alle Rechte an unserem Namen.
Letztes Jahr ist dieses Buch über die Hardcore-Szene von Washington D.C. erschienen, in dem ihr aber nicht immer so gut wegkommt.
Ehrlich gesagt habe ich das Buch selbst noch nicht gelesen, aber ich kenne ‚American Hardcore‘ von Steven Blush, in dem es zwar nicht speziell um D.C. geht, aber auch. In dem wird viel Negatives über uns erzählt, aber was soll ich machen ...
In D.C. wohnst du gar nicht mehr, sondern in Woodstock. Wie lebt es sich so in Woodstock? Bei dem Namen denkt ja jeder sofort an nackte Hippies im Schlamm.
Woodstock war ja schon lange vor diesem Festival eine bekannte Künstlerkolonie – und das Festival damals fand sogar einige Kilometer weiter statt. Die Stadt liegt nur zwei Stunden nördlich von New York, und schon seit langem haben dort Künstler, Musiker, Maler, Dichter aus New York Ferienhäuser und Ateliers, kommen dann im heißen Sommer aus der Stadt hierher, um zu arbeiten. Diesen Charakter hat die Stadt auch heute noch, wobei sie schon gewachsen ist und heute einen recht vorstädtischen Eindruck macht. Und klar, hier gibt’s auch Hippies, aber das sind eher diese New Age-Typen, die nach Hippie aussehen, aber eine Menge Geld haben.
Wie ist denn heute deine Verbindung zu der Szene, in der ihr euch mit den BAD BRAINS damals bewegt habt?
Wie du weißt, hat sich viel von der Musik damals in den kommerziellen Mainstream weiterentwickelt. Die Szene von damals hat sich ganz schön verwaschen. Meine einzige Verbindung besteht heute darin, dass ich als Produzent Bands helfe, die aus der Szene kommen und einen bestimmten Stil verfolgen, denn ich weiß ja sehr wohl, wie sich eine Hardcore-Band anhören sollte. Der echte Spirit, den Hardcore damals hatte, ist meiner Meinung nach kommerzialisiert worden und existiert heute beinahe nicht mehr.
Wie aktiv sind die BAD BRAINS denn derzeit?
Wir sind alle noch am Leben, wir spielen von Zeit zu Zeit Konzerte und vor allem haben wir gerade ein neues Album aufgenommen, das wir zusammen mit Adam von den BEASTIE BOYS produziert haben. Musikalisch ist das neue Album genau das, wofür wir bekannt sind: es ist kaum Metal dabei, ist straighter Hardcore oder aber straighter Reggae. Die Hardcore-Songs sind dabei so, wie man uns kennt, nur mit dem Unterschied, dass H.R. nicht mehr schreit – das macht er nicht mehr. Ich schätze mal ganz realistisch, dass das unsere letzte gemeinsame Platte sein wird, zumindest die letzte, die sich auf unsere gemeinsamen Wurzeln als BAD BRAINS bezieht. Was Konzerte anbelangt, so könnten wir zwar touren, aber haben dazu keine große Lust mehr und beschränken uns auf kurze Touren, eine Woche, zehn Tage, so was halt. Die klassische Rockmaschinerie mit wochenlangen Touren brauchen wir nicht mehr, das reizt uns nicht mehr. Und wir sind auch nicht so drauf, dass wir auf Teufel komm raus Konzerte suchen, sondern abwarten, was man uns so anbietet.
Verblüffenderweise sind die BAD BRAINS bis heute eine der wenigen rein schwarzen Punk/Hardcore-Bands geblieben. Hast du dafür eigentlich eine Erklärung?
Also vor uns gab es schon eine schwarze Punkband aus Philadelphia namens PURE HELL. Das waren Freunde von uns, aber soweit ich mich erinnere, waren die eher große SEX PISTOLS-Fans. Wir dagegen hatten eine Verknüpfung von RAMONES mit dem MAHAVISHNU ORCHESTRA im Sinn. Wir liebten Hardcore, wir mochten die RAMONES, die DEAD BOYS, das ganze Gefühl, dass diese Musik verbreitete. Andererseits waren wir aber auch Kids, die früh angefangen hatten, ein Instrument zu spielen und sich für die technische Seite der Musik interessierten. Wir waren mit der Fähigkeit gesegnet, verschiedene Sounds kombinieren zu können, und aus der Begeisterung für die Musik – allein als Musiker – fingen wir an, uns für Hardcore zu begeistern, das hatte nichts mit Politik zu tun.
Und wie erklärst du dir, dass heute kaum Afro-Amerikaner in der Punk- und Hardcore-Szene zu finden sind?
Das hat, denke ich, eben schon was mit der Herkunft dieses Begriffs zu tun: Es sind ‚African Americans‘, Amerikaner afrikanischer Herkunft, aus einem Kontinent, dessen Kultur auf Rhythmus basiert. Oder um es kurz zu machen: Schwarze tanzen gern. Klar gibt es auch welche, die die Musik nur fühlen wollen, die absolute Mehrheit aber will den Groove. Im Hardcore ist der Beat einfach zu manisch, zu freaky, um dazu wirklich einen Zugang zu finden. Und wenn, dann fanden und finden Schwarze eher Punk gut, weil Pogo noch was von einem Tanz hat, während Slamdance bei 200 Beats pro Minute nicht wirklich ein Tanz ist. Ich denke, das hat was mit den Genen zu tun, mit der Kultur, in der man aufwächst. Ich will auch nicht behaupten, jeder Schwarze habe den Rhythmus im Blut, aber es ist einfach eine Tatsache, dass die meisten Schwarzen gerne tanzen. Nur deshalb gibt es Motown. Und die Ursprünge der schwarzen Musik liegen ganz klar in der Sklavenzeit, als die einzige Gelegenheit, sich frei zu fühlen, das Tanzen war. Und dann hast du aber Typen wie mich, die nicht viel vom Tanzen halten, aber dafür lieber den Verstärker auf zehn drehen, wie einst Jimi Hendrix. Hendrix war damals einer der ersten Schwarzen, die so wilde Musik machten, die nicht Tanz-basiert war.
Gab es mal einen Punkt, wo ihr euch als Schwarze rechtfertigen musstet, weshalb ihr Hardcore spielt? Ich meine, bis heute haben es weiße Hip-Hopper nicht gerade leicht, unter schwarzen Fans anerkannt zu werden.
Als wir damals anfingen, Hardcore zu spielen, waren wir innerhalb der schwarzen Community schon Typen, die als irgendwie ‚anders‘ angesehen wurden – allerdings in positiver Hinsicht. Wir wurden als Beweis angesehen, dass Schwarze auch andere Sachen machen können, als die, die man von ihnen erwartet. Von mir wurde damals erwartet, dass ich GoGo spiele, ein Musikstil, der aus Washington D.C. kommt. Aber wir hatten das Glück, dass wir in unserem Denken frei waren von Denkweisen à la ‚Dieses und jenes dürfen wir aber nicht‘. Wir haben uns in unserem schwarzen Ghetto hingestellt und Punkrock gespielt, und wurden dafür ausgelacht, aber mit Rassismus wurden wir nie konfrontiert. Mich haben die Jungs in meinem Viertel schon früh Elvis genannt, weil ich Lederhosen trug. Ich war der Einzige, der das machte, und es war okay. Und wenn sie gutes Gras wollten, kamen sie alle zu mir, da hieß es ‚If you want the good weed, go to Darryl, ‘cos he knows the white boys’. Und die weißen Jungs hatten einfach das richtig gute Gras. Ich muss sagen, ich hatte einfach Glück, dass ich mich so frei entfalten konnte. Auch heute ist das noch so. Ich bin heute ein begeisterter Golfer – mit Dreadlocks bis zur Hüfte und mit einem großen Bart ...
Und so tauchst du auf dem Golfplatz auf? Oh-oh.
Genau! Golf ist meine Leidenschaft, ich spiele fast jeden Tag, und ich muss sagen, ich erlebe dort mehr Rassismus, als mir es je als Musiker widerfahren ist. Dabei empfinde es nicht so, dass ich als Schwarzer einen ‚weißen‘ Sport betreibe. Nur mal so ein Beispiel: Ich habe gerade abgeschlagen, laufe zum nächsten Green und komme an einer Gruppe weißer Spieler vorbei, und als ich noch in Hörweite war, sagte einer von denen nur: ‚I thought they play basketball‘. Verstehst du, was ich meine? Aber egal, ich bin froh, dass ich mein Leben sowohl in der Schwarzen wie in der Weißen Community lebe.
Die BAD BRAINS waren immer auch eine Band, die klare religiöse Statements abgab – in einer Szene, die grundsätzlich gegen Religion war.
Da muss ich dich korrigieren: Die BAD BRAINS waren nie eine religiöse Band. Religiös bedeutet, dass du an einem Gemeindeleben teilnimmst, Geld spendest, betest, eine Kirche hast, die du regelmäßig besuchst und so weiter. Das hat alles was mit Religion zu tun. Wir dagegen waren und sind eine spirituelle Band, wir glauben an das, was man nicht sehen kann. Und diese Spiritualität basiert bei uns auf Rastafari, und das ist ein Glaube, keine Religion, da muss man sehr genau auf die feinen Unterschiede der Begriffe achten. Uns erlaubte der Rastafari-Glaube, Christus als Person zu sehen, im Gegensatz zu den christlichen Religionen, die Christus als Weißen darstellen. Rastafari ermöglichte es uns, unseren Glauben aus der Sicht eines Schwarzen, eines Äthiopiers zu erkennen – im Gegensatz zur sonstigen Sicht aus der Position eines Römers. Und so trugen wir auch kein Kreuz, sondern den Davidsstern, als Zeichen, dass wir uns als die Israeliten aus der christlichen Bibel ansahen, aber eben nicht als Christen. Wir sind eben Rastafaris, ein eigener Glaube, eine eigene Art zu leben, und wie du vielleicht weißt sind auch nicht alle Rastafaris gleich, da gibt es auch wieder verschiedene Denkrichtungen, etwa die von Haile Selassie, die Zwölf Stämme Israels, und so weiter.
Wie stehst du heute zu diesem Glauben?
Für mein Verständnis wurde ich schon dadurch, dass ich als Schwarzer geboren wurde, zum Rastafari. Meine Wurzeln liegen in Äthiopien, und ich werde immer als Rastafari erkannt werden. Es ist also nicht die Frage, ob du Mitglied von irgendwas bist oder nicht, sondern du bist das einfach, da denke ich nicht drüber nach, das ist einfach so.
Foto: Dorothy Low
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