Eine ganze Weile war es still um Hollands Melodic-Punk-Helden ANTILLECTUAL. Drei Jahre nach dem letzten Album „Perspectives & Objectives“ haben sie nun aber mit „Engage!“ ein neues Album am Start und seit zwei Jahren hat sich nach diversen Besetzungswechseln an Bass und Schlagzeug auch das Personal-Karussell beruhigt. Mit den zwölf neuen Songs beweisen die Jungs aus Nijmegen an der holländisch-deutschen Grenze, dass ihre Stärke die Kombination von Melodie und Köpfchen ist. Wir haben Sänger Willem Heijmans zwischen zwei Konzerten am Telefon erwischt.
Willem, beim ersten Hören dachte ich, das Album würde auch super zu Fat Wreck passen.
Das nehme ich mal als Kompliment. Fat Wreck ist für mich das beste und konstanteste Label für den Sound, den wir machen. Sie haben in mehr als 25 Jahren so viele großartige Alben veröffentlicht. Epitaph haben in den Neunzigern auch eine Menge für Punkrock getan, aber sie haben in den letzten zehn Jahren eine andere Richtung eingeschlagen. Sie machen inzwischen eine Menge unterschiedlicher Sachen. Fat Wreck sind ihrem ursprünglichen Sound immer treu geblieben.
Euer neues Album heißt „Engage!“ Lass uns doch mal in deine Jugend zurückschauen. Wann hast du denn angefangen, dich für Politik zu interessieren?
Ich habe mich schon ziemlich früh für Politik interessiert, als ich vielleicht zehn oder elf Jahre alt war. Da war ich noch in der Grundschule. Und das hat sich dann durch meine gesamte Highschool-Zeit gezogen. Ich war aber nie im traditionellen Sinn politisch aktiv. Ich war nie Mitglied in einer Partei oder einer Organisation. Ich interessiere mich einfach dafür, was in der Welt um mich herum passiert. Politiker haben einen großen Einfluss auf die Welt. Und wenn du verstehst, was sie machen, verstehst du die Welt auch besser.
Haben in deiner Schulzeit schon Punkbands dein Interesse für Politik befeuert?
Es hat angefangen mit Bands wie THE OFFSPRING oder GREEN DAY. Das sind natürlich keine politischen Bands, aber sie haben mir gezeigt, dass es eine alternative Herangehensweise ans Leben gibt. Und dann kamen schnell Bands wie PENNYWISE oder BAD RELIGION, und da fing es mit den politischen Texten an. Dann habe ich PROPAGANDHI für mich entdeckt und war sofort begeistert von ihren Texten. Es hat mich total fasziniert, dass ich meine beiden Leidenschaften, Musik und Politik, in einer Band vereinen konnte.
War das der Impuls für dich, selbst eine politische Punkband zu gründen?
Als wir mit ANTILLECTUAL angefangen haben, wollten wir nicht explizit eine politische Punkband sein. Aber als wir die ersten Songs und Texte geschrieben habe, war es logisch. Politik war mir schon immer wichtiger als Partys oder Mädchen. Ich mag auch Musik, die nicht politisch ist, und nicht jeder Song ist gut, nur weil er politisch ist. Natürlich haben wir uns damals von Bands wie PROPAGANDHI oder BAD RELIGION inspirieren lassen. Bands, die wichtigere Sachen zu erzählen haben, als von der letzten Party oder dem aktuellen Beziehungsstatus.
Wie denkst du über die Punkrock-Szene in Deutschland? Hier gibt es wahrscheinlich viel mehr Bands als in den Niederlanden ...
Auf jeden Fall. Die meisten Konzerte, die wir spielen, sind in Deutschland, denn die Punkrock-Szene dort ist sehr lebendig. In Holland oder auch vielen anderen Ländern ist Punkrock eine Musik, die man ausschließlich hört, wenn man 15 oder 16 Jahre alt ist. Wenn die Leute bei uns älter werden, hören sie „ernstere“ Musik. Und in Deutschland ist es weit verbreitet, Punkrock auch später noch zu hören. Also bis zum Tod. Und das mag ich wirklich an Deutschland. Ich spiele auch gerne in Holland, aber dort kommen eigentlich immer nur unsere Freunde zu den Konzerten und keine Unbekannten, die schon ihr ganzes Leben lang Punkrock hören.
In Deutschland gibt es also mehr Punkrock-Opas als in Holland?
Im Publikum auf jeden Fall. Die Leute dort halten Punkrock lange Zeit die Treue. Und wenn sie die Musik mögen, kommen sie auch zu Konzerten. In Holland ist es sehr schwer, die Leute aus dem Haus zu locken. Und deshalb genießen wir die sehr gesunde Konzertszene in Deutschland. In jeder kleineren Stadt gibt es einen Jugendclub und im Sommer finden überall „Umsonst & Draußen“-Festivals statt. Das ist für viele Menschen eine gute Möglichkeit, sich unbekannte Bands anzuschauen. Das gibt es bei uns in Holland in der Form nicht.
Gerade in den letzten Jahren ist es bei Punkbands in Deutschland immer beliebter geworden, auf Deutsch zu singen. Gibt es einen vergleichbaren Trend in Holland auch?
Überhaupt nicht. Deutschpunk ist wirklich groß geworden und hat schon fast eine eigene Szene gebildet. In Holland gibt es nur ganz wenige Bands, die in ihrer Muttersprache singen. Und wenn, dann sind es meistens nur ein oder zwei Songs. Ich kenne gar keine Band, die nur auf Holländisch singt. Deutschpunk ist also einzigartig. Oder vielleicht ist es auch einzigartig, dass in Holland niemand in seiner Muttersprache singt. Ich kenne sogar einige Punkbands aus Frankreich, die auf Französisch singen. Es ist also vielleicht ein holländisches Problem, dass wir denken, unsere Sprache ist hässlich. Vielleicht denken die Bands auch, es lohnt sich nicht, für die paar Holländer, denn sonst versteht sie ja keiner.
Die erste Single von eurem neuen Album heißt „Racist rash“. Das heißt frei übersetzt „rassistischer Hautausschlag“. Welcher Gedanke steckt dahinter?
Wir haben diesen Song vor einem Jahr geschrieben. Und leider ist dieses Thema immer noch jeden Tag aktuell. In Österreich haben sich die Menschen nur ganz knapp gegen einen extrem rechtsgerichteten Präsidentschaftskandidaten entschieden. In Holland gibt es die bekannte TV-Moderatorin Sylvana Simons, die eine Polit-Laufbahn in der Migrantenpartei „Denk“ starten will, und sie muss gerade einen regelrechten Hass-Tsunami wegstecken, nur weil sie schwarze Haut hat und das Thema Rassismus auf die Tagesordnung bringen möchte. Und es ist nicht nur ein Problem in Europa: Schau dir nur mal die Polizeigewalt in den USA gegen Schwarze an. Es ist verrückt, wie viel Rassismus in unseren Gesellschaften steckt.
Den Song „Europe, this is your final countdown“ singst du zusammen mit Thomas Barnett von STRIKE ANYWHERE. Ist das eine Bankrotterklärung für die EU?
In dem Song geht es um die Flüchtlingskrise, aber auch um die finanzielle Situation. Ich schätze es sehr, dass verschiedene Länder zusammenarbeiten und Solidarität ist ein sehr wichtiges Thema. Der Zusammenhalt sollte nicht an den Grenzen Europas aufhören, sondern alle Menschen weltweit betreffen. Die europäische Gemeinschaft könnte eigentlich ein erster Schritt für weltweite Solidarität sein, aber die EU ist momentan nur auf wirtschaftliche Belange und Wohlstand ausgerichtet. Für mich ist dieses Europa also nicht die beste Gemeinschaft, die wir haben könnten.
Warum habt ihr die Plattenfirma gewechselt? Die letzten beiden Alben sind bei Destiny Records in Berlin herausgekommen.
Destiny macht dieses Jahr nicht besonders viel. Dann kam der Kontakt mit Redfield Records zustande und sie machten auf uns den Eindruck eines modernen, aktiven Labels. Sie sind nicht besonders bekannt für Punkrock, bringen aber auch Punkrock heraus. Durch ihre Arbeitseinstellung und ihren Enthusiasmus kam es uns fast natürlich vor, bei ihnen zu unterschreiben. Mit den Leuten von Destiny sind wir aber immer noch gut befreundet und stehen in Kontakt. Da gibt es keine Unstimmigkeiten.
Zum neuen Album gibt es auch ein „Antillectu-Ale“, also ein bandeigenes Bier.
Ein paar Freunde von uns sind Brauer. Und sie haben uns gefragt, ob sie speziell für unsere Release-Show ein Bier brauen dürfen. Und natürlich waren wir sofort dabei, denn das ist eine großartige Idee. Sie haben dann bestes holländisches Bio-Bier mit Club-Mate und Ingwer kombiniert. Das gab es nur bei unserem Release-Konzert am 31. Juli in Arnheim. Wir hatten eine Menge Anfragen von Leuten, die nicht kommen konnten, ob wir ihnen eine Flasche schicken könnten. Aber das war leider nicht möglich, es wurden nur 300 Flaschen abgefüllt.
Eine letzte Frage noch, Willem, was habt ihr als Holländer, deren Team sich nicht qualifizieren konnte, während der Fußball-EM gemacht?
Haha! Um ehrlich zu sein, ich bin kein Fußballfan. Wir haben einfach Musik gemacht, oder andere Dinge, die wichtiger sind als Fußball. Das ist eine sehr gesunde Alternative. Wir hatten auf jeden Fall ein paar Tage frei. Das war schön.
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