ADAM ANGST

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Endzeitstimmung?

Egal ob Punk oder nicht, ADAM ANGST haben etwas zu sagen. Auf ihrem zweiten Album „Neintology“ müssen die Professoren des Debüts sich mit Besuchern aus dem All herumschlagen, Social Media wird wieder zum Problem und Depressionen spielen auch eine Rolle. Alles verpackt in größere Geschichten, die sich mit Problemen beschäftigen, die Felix Schönfuss lieber gelöst haben würde als darüber zu singen. Doch danach sieht es im Moment ja leider überhaupt nicht aus. Warum es ADAM ANGST egal ist, in welche Schublade sie schlussendlich gepackt werden, was es mit „Neintology“ auf sich hat und ob sie in Endzeitstimmung sind, erklären Felix und Gitarrist Roman Hartmann im Interview.

Ihr scheint euch auf „Neintology“ musikalisch breiter aufgestellt zu haben. Gibt es dafür bestimme Gründe?

Felix:
Es war definitiv unsere Absicht. Dabei haben wir sogar den Mut aufgebracht, uns an eine Ballade heranzuwagen. Ich muss auch sagen, dass es eigentlich schon die ganze Zeit meine Intention war, dass ADAM ANGST musikalisch so vielfältig sind, dass man uns nicht zwingend in einer bestimmen Szene verorten kann. So haben wir die Freiheit, alles zu machen, was wir wollen. Das bedeutet dann vielleicht für den Hörer auch, dass es manchmal wehtut. Für mich ist es musikalisch aber viel interessanter, wenn eine Band sich vielseitig zeigt und stellenweise mutig genug ist, etwas auszuprobieren.

Roman: Ich denke, dass es bei einer interessanten Platte dazugehört, einfach mal ein paar Dinge auszuprobieren. Es wird wohl niemanden geben, der ernsthaft im Studio sitzt und sagt, dass er noch einen Song mit Punk-Kredibilität oder unbedingt eine Ballade für sein Album braucht. So was ist einfach nicht authentisch und wird sicher nach hinten losgehen.

Felix: Ich denke auch, dass viele Menschen von der neuen Platte überrascht sein werden. Vielleicht finden sie sie gar ätzend. Der rote Faden im Soundbild, der sich noch durch unser Debüt zog, ist einer Offenheit gewichen, die uns davor bewahrt, in konkrete Schubladen gesteckt zu werden.

Dann reden wir doch am besten mal darüber, wie es für euch ist, einen Konsens zu finden. Denn anders als noch beim ersten Album, das Felix allein schrieb, habt ihr dieses Mal als Band an den Songs gearbeitet. Wie kam es zu dieser Herangehensweise?

Felix:
Am Schreibprozess hat sich das dieses Mal als Einziges geändert, dass die komplette Band nicht vor vollendete Tatsachen gestellt wurde und meine Ideen nur noch umsetzen musste. Die unterschiedlichsten Mitglieder brachten Demos mit, über die dann gesprochen wurde. War die Songidee gut, haben wir uns noch mal zusammengesetzt und mit der ganzen Band daran gefeilt. Es ist aber nicht so, dass wir uns in irgendeinem Haus eingeschlossen haben und da zusammen Songs geschrieben haben. Das würde allein schon aus dem Grund nicht funktionieren, weil wir untereinander einfach zu unterschiedlich sind, was unsere musikalische Auffassung betrifft. Bei 80 Prozent der Songs stammt dieses Mal die Grundidee von mir. Schlussendlich haben wir dann aber zusammen am Endprodukt gefeilt. Die Gitarren wurden abgeändert und Joe, unser Schlagzeuger, hat dieses Mal auch sein eigenes Süppchen gekocht. Zwei Songs stammen von unserem Gitarristen David, der übrigens bei FJØRT auch Bass spielt. Die Texte habe alle ich geschrieben.

Deine Texte beschreiben auch auf „Neintology“ zum Großteil den Umgang oder das Verhalten von Menschen mit aktuellen Geschehnissen. Wie zeitlos sind eure Songs eurer Meinung nach?

Felix:
Auf der einen Seite versuchen wir, Songs zu machen, die gerade heute passieren. Zum Beispiel ist bei „Splitter von Granaten“ auf der alten Platte ja konkret eine Jahreszahl verwendet worden. Oder auch die Nennung bestimmter Politiker im Song „Immer noch“, wo es in einer Textzeile um den deutschen Innenminister geht. Zu der Zeit, als wir die Platte geschrieben haben, war das noch Thomas de Maizière und nicht Seehofer. Wir hatten eigentlich schon alles aufgenommen und ich musste diese eine konkrete Zeile auf die Schnelle noch mal ändern. Es gibt auf unseren Platten immer kleine Punkte, an denen du das Zeitgeschehen erkennen kannst. Dieses Mal habe ich beim Texten aber darauf geachtet, eher ein paar größere Geschichten zu erfinden. Trotzdem sind diese Geschichten immer noch auf das hier und jetzt übertragbar. Selbst wenn in „Immer noch“ das UFO in Haan bei Wuppertal landet, könnte man daran erkennen, wie wir Menschen uns in diesem Fall benehmen würden. Wie stehen wir Menschen zum Thema Flucht oder Fremdenhass? Es war spannend, diese Geschichten auf eine andere Ebene zu bringen.

Roman: An solchen Texten fand ich immer interessant, dass ich mich in die Personen hineinversetzen konnte. Bei „Immer noch“ war das dann die Rolle des interstellaren Packs. Man kann in seine Fantasiewelt abdriften und die Geschichten am Ende noch weiterspinnen. Dabei würde ich dann sogar sagen, dass es schwerer ist, Texte zu schreiben, die nicht super konkret auf eine Sache bezogen sind. Johnny Cash hat das zum Beispiel sehr gut hingekriegt. Bei ihm konnte ich mich immer in die Charaktere in seinen Songs hineinversetzten und mir ihre Geschichten weiterdenken.

Auf der anderen Seite wäre es doch aber auch schön, wenn ihr einen Song nicht mehr spielen müsstet, weil sich das Problem, um das sich der Song dreht, erledigt hat.

Roman:
Ich wäre begeistert, wenn wir die ganzen Anti-Nazi-Songs nicht mehr spielen müssen, weil es keine Nazis mehr gibt.

Felix: Dieses Glück hatten wir bis jetzt noch nicht. Das Gegenteil ist ja leider noch der Fall. Es dreht sich eher alles weiter zum Negativen.

Ihr habt euch als Band ganz klar positioniert. Auf euren Konzerten spielt ihr meist vor Gleichgesinnten. Gab es dennoch mal eine Situation, in der ihr euch als Band mit Andersdenkenden auseinandersetzen musstet? Nicht anonym im Internet, sondern von Angesicht zu Angesicht?

Felix:
Ja, die gab es. Zum Beispiel auf dem Olgas-Rock Festival in Oberhausen. Da war ein junger Mann mit einem Onkelz-Shirt. Tatsächlich stellte er sich als Fan von uns heraus. Da haben wir gemerkt, dass wir nicht nur eine Band sind, die im linken Spektrum Fans hat, sondern offenbar auch Menschen anspricht, die orientierungslos sind. Wir finden die Onkelz scheiße, über die vielen Gründe dafür brauchen wir nicht zu sprechen. Es ist gut, wenn wir mit unseren Ideen, die ja wirklich offen vorgetragen werden, viele Leute erreichen können. Richtige Nazis haben sich uns bis jetzt noch nicht in den Weg gestellt. Diese Menschen kann man auch nicht wirklich von linken Ideen überzeugen.

Roman: Moderne Nazis kleiden sich ja meist so, dass man sie auf den ersten Blick nicht als das ausmachen kann, was sie sind. Auf größeren Festivals besteht immer die Chance, mal außerhalb der eigenen linken Blase Leute anzusprechen und ihnen eine andere Perspektive zu geben. Das ganze FREI.WILD-Gesocks sind zum Teil auch Leute, die nicht wissen, welchen Hintergrund diese Band hat. In Münster bei einem Konzert von uns mit den DONOTS kam zum Beispiel ein junges Mädchen zu uns an den Merchstand, die sowohl einen „Kein Bock auf Nazis“- als auch einen FREI.WILD-Aufnäher an ihrer Kutte hatte. Da müssen wir als Band dafür sorgen, dass solche Leute einfach Bescheid wissen.

Felix: Ansagen gegen Nazis dürfen einem nicht peinlich sein. Nicht mal, wenn du vor vermeintlich Gleichgesinnten spielst. Du triffst immer auf Menschen, die noch orientierungslos sind und vielleicht einfach noch nicht Bescheid wissen. Aber außer dass die AfD in Koblenz mal versucht hat, auf Grund unseres damaligen Opener-Songs „Wenn ich eins hasse, dann die AfD“ eines unserer Konzerte zu verbieten, gab es bis jetzt kaum konkrete Konfrontationen.

„Neintology“ scheint auf Scientology angespielt zu sein. Ist eure Sekte der Zufluchtsort für diese naiven Ahnungs- und Orientierungslosen? Schließlich scheint Religion ja leider wieder immer mehr an Bedeutung zu gewinnen.

Roman:
Wir sehen Neintology eher als Gemeinschaft, denn als Sekte.

Wer darf denn bei Neintology mitmachen?

Felix:
Alle! Alle, die glauben, dass die ganze Neuzeit und die gesellschaftliche Entwicklung einen irreführen und orientierungslos machen, dürfen zu Neintology kommen, um den roten Faden in ihrem Leben wieder zu bekommen. Uns ist jedenfalls aufgefallen, dass wir Menschen uns immer nach Struktur sehnen oder gar einer Führungspersönlichkeit, die uns zum Teil Ideen vorgibt. Egal, welche Erkenntnisse wir durch dieses Verhalten erlangt haben, wir verfallen doch immer irgendwie in dieses Schema. Eigentlich wäre das doch ein Konstrukt, das die Menschheit mal irgendwann, irgendwie überwinden muss. Den Masterplan haben wir jetzt gerade nicht am Start, aber es muss doch irgendwie ein soziales Gefüge geben, das ohne Geld funktioniert, das aufgebaut ist auf Motivation und Nächstenliebe. Es gibt tatsächlich Leute, die sagen, dass erst alles komplett kaputt sein muss, damit sich etwas verändert. Wir müssten nach deren Idee ganz von vorne anfangen. Beim Wiederaufbau würden sich jedoch wieder dieselben Strukturen entwickeln, die es vorher schon gab. Derlei Ideen schwirrten nun schon eine Weile in meinem Kopf herum; dieses Streben nach Struktur und die Ergebenheit gegenüber irgendwelchen Heilsbringern, die eigentlich schon immer mehr Unglück als Heil gebracht haben. Das Plattenkonzept orientiert sich in diesem Fall daran.

In Songs wie „Alexa“ sprecht ihr den Umgang mit modernen Hilfsmitteln an, die eine große Menge unserer persönlichen Daten sammeln und erst mal irgendwo speichern. Woher rührt eurer Meinung diese Naivität? Wieso versuchen so viele Menschen zum Beispiel auf Instagram individuell zu wirken und sind dabei so oberflächlich, während sehr viele Menschen immer empfänglicher werden für Parteien wie zum Beispiel in Deutschland die AfD?

Felix:
Im Internet sind viele Menschen doch eigentlich nur auf der Jagd nach Applaus. Und es ist doch auch eigentlich viel einfacher, ein beliebiges Foto aufzunehmen, das kurz mal eben zu bearbeiten, als sich durch eine konkrete politische Meinung angreifbar zu machen. Die Spielregeln auf diesen Plattformen sind darauf ausgelegt, dass wir mit unseren Präsentationen uns selber ein gutes Gefühl geben wollen. Sich mit gesellschaftlichen, psychologischen und gar philosophischen Fragen auseinanderzusetzen, passiert bei vielen bestimmt unter der Social-Media-Oberfläche. Von denen werden sich bestimmt auch ein paar Leute die Frage stellen, wie eine bessere und gerechtere Zukunft aussieht. Leider funktioniert das Konzept Instagram nicht so, dass es wirklich Platz für Diskussionen bietet. Wie würde man einen politischen Influencer anders nennen? Er wäre schlichtweg ein Politiker.

Ein weiteres Thema auf „Neintology“ ist Depression. Sind Depressionen zum Teil auch das Ergebnis negativer gesellschaftlicher Entwicklung?

Felix:
Depressionen sind meiner Meinung nach eine noch weitgehend unerforschte Erkrankung, die von Außenstehenden zu wenig ernst genommen wird. Es reicht nicht, einfach zu sagen, dass schon irgendwie alles irgendwann mal besser wird. Wenn jemand die Symptome einer Depression zeigt, muss das absolut ernst genommen werden. Leider nehmen das zu viele Menschen einfach auf die leichte Schulter. Dabei gibt es traurigerweise genug Beispiele dafür, was passieren kann, wenn Depressionen eben nicht ernst genommen werden. Es lag uns am Herzen, die ganze Sache auf der Platte zu thematisieren.

Roman: Viele Menschen, die an Depressionen leiden, müssen ihre Ängste unterdrücken, um nicht gesellschaftlich ausgeschlossen zu werden oder gar ihren Job zu verlieren. Das ist eigentlich ein inakzeptabler Zustand.

Die Folgen des Klimawandels werden sichtbar, unsere Gesellschaft scheint immer weiter nach rechts zu rücken und Atommächte liefern sich verbale Schlagabtausche. Würdet ihr sagen, dass im Moment eine gewisse Endzeitstimmung herrscht?

Felix:
Ich denke sogar, dass ein paar Menschen sich nach diesem Ende verzehren. Das fängt an bei Filmen, die sich um dieses Thema drehen, und geht dann soweit, dass man sich dabei ertappt, dass der Gedanke ans Ende doch irgendwie charmant wirkt: Dann ist die ganze Scheiße halt einfach zu Ende! Gerade weil im Moment so viel Negatives passiert und ich zumindest das Gefühl habe, dass mir deshalb bald der Kopf platzt. Wir zerstören unsere Erde, und ich denke nicht, dass die Menschheit mit ihrem Verhalten noch mal die Kurve kriegen wird.