ACHT EIMER HÜHNERHERZEN

Foto© by Bruno Jubin

Ein musikalischer Zusammenschluss liebenswerter Bekloppter

Es war 2018, als mir eine CD zum Besprechen ins Haus flatterte, die ich schwerlich verstand. Nach dem fünften Lied musste ich das sogar genervt abstellen. Die Tonalität mit den erdigen Instrumenten des Berliner Trios ACHT EIMER HÜHNERHERZEN war zwar richtig gut, aber mir war das Ganze doch irgendwie zu schwer zugänglich. Musik für Punkrock-Kids? Als ich aber einen etwa sechzigjährigen Mann mit einem T-Shirt der Band im Wild at Heart stehen sah, kam ich doch wieder ins Grübeln. Nun ist das dritte Album der Band mit dem schlichten, aber wirksamen Titel „Musik“ erschienen und ich besprach mit Gitarristin/Sängerin Vega, Bassist Jacho alias Herr Bottrop und Drummer Bene Diktator meine Defizite und das neue Album beziehungsweise den Erfolg der Band.

Mein Erstkontakt mit eurem selbstbetitelten Debüt war mehr als holprig. Ich verstand die Kunst dahinter nicht richtig und dachte an „Weil ich ein Mädchen bin“ von LUCILECTRIC... War das völlig abwegig?

Vega: Ja, du kannst mit unserer Musik verbinden, was du willst!
Jacho: Ich denke beim Anhören unserer Platten manchmal ein bisschen an KLEENEX, LILLIPUT, HANS-A-PLAST und die Schlagergöttin Alexandra. Meistens denke ich aber an gar nichts. Ich hab mal mit Lucy van Org, der Sängerin von LUCILECTRIC, auf der TERRORGRUPPE-Platte „Keiner Hilft euch“ zusammengearbeitet, bei dem Song „Heimatfront“ – das Ergebnis war ziemlich klasse. Sie kann richtig gut singen und texten. Auch Punk und Offbeat-Punk.

Mein größter Fehler war wohl auch, dass ich die VIOLENT FEMMES völlig verpasst habe.
Jacho: Das ist in der Tat ein großer Fauxpas im Rock- und Punk-Kritiker-Universum. Aber versuch’s auch mal mit JONATHAN RICHMAN AND THE MODERN LOVERS oder mit der Band X.
Bene: Ja, in der Tat betrüblich für dich. Andererseits sind die VIOLENT FEMMES auch nur eine von vielen Referenzen und in keinem Fall ein Schlüssel zu dem, was wir machen.
Vega: Also ich habe ja auch vieles verpasst ... und manchmal denke ich, dass es genau dieses Verpassen ist, was vieles in unserer Musik ausmacht. Also gar nicht schlimm!
Jacho: Vega hat da eine ganz andere Vergangenheit und Musiksozialisation.
Bene: Na ja, so anders jetzt auch nicht, oder? Ich glaube, Vega und ich haben zum Teil sehr ähnliche Jugenderfahrungen.
Vega: Ich dachte, es geht bei dieser Frage darum, ob man die VIOLENT FEMMES gehört haben muss oder nicht ...?

Interessant ist ja die Herkunftszeit eurer musikalischen Referenzen, zum Beispiel HANS-A-PLAST oder die schon erwähnten VIOLENT FEMMES, das ist ja alles Anfang/Mitte Achtziger. Jacho, da hörtest und spieltest du aber doch auch härteres Zeug, oder? HOSTAGES OF AYATOLLAH zum Beispiel, deine Band in den Achtzigern. Wie entstand die Idee, 2017 nun als Trio eher erdige Akustiktöne anzuschlagen?
Jacho: Punk ist keine musikalische Schublade, sondern eine Kunstrichtung und Lebenshaltung. Vielleicht war diese Erkenntnis ja Anfang/Mitte der Achtziger weiter verbreitet als heutzutage. Die Members der HOSTAGES OF AYATOLLAH hörten damals VIOLENT FEMMES und BLACK FLAG, Andreas Dorau und DEAD KENNEDYS, THE CURE und POISON IDEA, und da war auch nie ein Widerspruch dabei. Aber unsere Musik ist ja nicht bloß ein Mix aus diesen Frühachtziger-Genres, Vega hat noch ganz andere Einflüsse ...
Vega: Ich besitze eigentlich keine musikalischen Leitbilder. Natürlich beeinflusst das Hören von Musik, die mir gefällt, immer auch die, die ich mache. Es kann sogar vorkommen, dass ich eine Melodie im Kopf scheinbar improvisiere, aber eben dann merke, dass es diese schon seit 150 Jahren gibt. Und so kann es auch passieren, dass sich Nuancen von meinetwegen Franz Schubert, G. Gundermann, J. S. Bach oder FUCKIN’ FACES in unseren Liedern wiederfinden. Gerade höre ich ANGESCHISSEN und BURNOUT OSTWEST in Kombination mit Bachs Cellosuiten. Wo das hinführt, kann ich nicht wissen.
Bene: Meine Vorlieben haben sich schon immer auch über Musik jenseits des Punk/Hardcore-Kosmos erstreckt. Wenn Text und/oder Musik mich ansprechen, sind mir Genre und Jahrzehnt ziemlich egal.

Jacho, du führst aber ja im Prinzip deine alte Richtlinie fort, soll heißen, höchstens indirekt politisch zu agieren.
Jacho: Das verstehe ich jetzt nicht.

Vega: Ich auch nicht. Ich finde den Herrn Bottrop sehr politisch, im Denken, Handeln, Leben und Streiten!
Jacho: Politik, das ist alles. Nicht bloß ein Songtext. Das ist der Laden, in dem wir spielen. Das ist das Festival, welches wir unterstützen. Das sind die Bands, mit denen wir auftreten. Die Benefiz-Aktionen, an denen wir uns beteiligen. Unsere Tage. Unsere Freunde. Unsere Stadtviertel. Die Zeiten. Alles.

Wenn sich eine Band dem „neuen Genre“ des „Wandergitarren-Hardcore“ verschreibt, blitzt der Schalk im Nacken auf. Inwieweit müsst ihr euch beim Einspielen der Songs konzentrieren? Überwiegt da nicht manchmal der Flachs, dass es schwierig wird ernst zu bleiben?
Bene: Beim Einspielen überhaupt nicht. Laute Musik auf anfälligen Akustikinstrumenten, die ja auch zum allergrößten Teil live eingespielt wird, das erfordert sogar sehr viel Konzentration. Der Flachs kommt eher bei unseren Konzerten zum Vorschein.
Vega: Na ja, bei den Proben lachen wir sehr viel, vielleicht ist das Flachs. Aber bei den Konzerten erst, nachdem ich meine Aufgeregtheit teilüberwunden habe, das ist dann aber nicht Flachs, sondern pure Freude am Musizieren! Ich würde das auch nicht Flachs nennen, das Wort gefällt mir nicht und greift nicht das, was unseren Ernst oder Unernst ausmacht. Wir machen Nylonpunk und erfinden gerne. Das kann lustig, schräg, dadaistisch, lang- oder kurzweilig oder furchtbar traurig sein.
Jacho: Auf der neuen Platte ist ein entsetzlich trauriges Lied. Eigentlich sogar zwei.
Vega: Ja, das tut mir leid.
Bene: Ist schon beinahe orchestral geworden teilweise.

Noch mal kurz zurück zu den Anfängen. Wie habt ihr zusammengefunden?
Vega: Nach einer Konzertparty im Trixter hat mich Jacho mit politischen Statements beworfen. Wir verabredeten uns daraufhin zu wöchentlichen Sitzstreiks in öffentlichen Grünanlagen.
Jacho: Wir haben mit aufopferungsvoller Emsigkeit die Prokrastination proklamiert. Wir starteten als ein zielloses Gitarren-Duo ohne Sinn und Klangkörper und ohne Auftritte. Dann hat Vega den Bene Diktator gefragt.
Bene: Beim Tischtennisspielen.
Jacho: Da hatten wir dann einen tollen Drummer, einen Proberaum und zwölf laute Lieder. Ich bin zum Akustik-Bass übergewechselt. Wir sind plötzlich so was wie eine echte Band geworden.
Bene: Es war fast so, als wären wir richtige Musiker ...

In dem Promobrief zur ersten Scheibe stand beim Thema „Live“ noch lediglich ein Fragezeichen. Nun hast du ja mit Destiny eine Konzertagentur im Rücken – und dennoch, hättet ihr gedacht, dass das so schnell so erfolgreich wird?
Bene: Hm, also ich stehe mindestlohnmäßig nächtelang herum und verkaufe Bier an betrunkene Leute. Ist das Erfolg? Ich weiß es nicht.
Jacho: Also wenn dein zweites Album genau auf dem Peak einer neuartigen und unvorhergesehenen Pandemie erscheint, wenn deine Tour zum Album um sechs Monate verschoben wird. Dann noch einmal ums sechs Monate. Dann um zwölf Monate. Wenn du dein drittes Album gerade so mit knapper Not am Tropf einer Kulturförderung hängend produzieren kannst ... dann ... dann bist du alles Mögliche, aber bestimmt nicht erfolgreich.

Eure nächste Tour ist jetzt für April gebucht. Das ist gut, aber im Hinterkopf ist auch immer noch dieses Virus – oder seid ihr inzwischen Berufsoptimisten?
Bene: Menschen machen mir derzeit eher Sorgen als Viren.
Vega: Ich versuche, nicht an die nächste Tour zu denken. Möchte mich nicht darauf freuen und dann wieder völlig frustriert sein.
Jacho: Wir sind doppelgeimpft, geboostert, ultrahochhomogenisiert, kaltgepresst und tiefergelegt. Uns kann nichts mehr passieren.
Vega: Es ist unglaublich: Du, Jacho, bist sowohl der erste, der laut sagt, dass etwas nicht stattfinden wird, als auch der erste, der laut sagt, dass uns nichts passieren kann. Absolute Power! Danke dafür!
Jacho: Na ja. Da sage ich mal besser‚ uns kann fast nichts mehr passieren.

Früher machte eine Band eine LP, verdiente richtig Kohle damit, ging dann noch dazu auf eine gut bezahlte Tour mit massig T-Shirt-Verkäufen und so weiter. Seid ihr in dem Sinne heute angesichts der pandemischen Situation froh, dass ihr beruflich wohl ja alle ein zweites Standbein habt und die Band als schönes Hobby versteht, oder wollt ihr doch mehr?
Bene: Kann ich leider nicht sagen, weil meine weiteren Standbeine genauso angesägt wurden wie die Live-Musik. Als bloßes Hobby sehe ich das aber nie.
Vega: Schon wieder so ein unschönes Wort. Punkrock ist doch kein Hobby ...
Jacho: ... sondern eine unverhandelbare Grundhaltung. Wir wissen zumindest immer ganz genau, was wir nicht wollen. Aber was wollen wir eigentlich?
Vega: Also ich nach wie vor Orgien, Stress und Streit und mehr Gemeinheit! Und auch gerne weniger Lohnarbeit.
Jacho: Eigentlich will ja niemand gerne freiwillig arbeiten oder so was.

Jedenfalls ist die tonale Entwicklung von Jacho Bottrop eigentlich folgerichtig. H.O.A., dann TERRORGRUPPE, BOTTROPS und nun diese Art der Musik. Ironie und Protest im charmanten Gewand, kann man das so festhalten?
Jacho: Also „Charme“ und „Gewand“ waren ja nie so wirklich das Markenzeichen der TERRORGRUPPE – mehr so „brachial“ und „nackt“. Ironie und Protest schon eher. Aber die Hühnerherzen sind da mehr ...
Bene: ... ein musikalischer Zusammenschluss liebenswerter Bekloppter.
Vega: Jacho, du willst sicher, dass ich jetzt irgendwas mit Dada sage. Aber ich finde, „Ironie und Protest im charmanten Gewand“ trifft es eigentlich ganz gut!

Der Text zum neuen Song „Straße der Gewalt“ ist wirklich optimal. „Es ist so gut, wenn du schweigst und mir nicht die Welt von oben zeigst“. Gehen euch auch die Meinungsmacher auf allen Kanälen auf den Zeiger?
Vega: Mir gehen Meinungen an sich auf den Zeiger.

Jacho: Vor allem die Meinungen, die versuchen, wissenschaftliche Tatsachen zu diskutieren. Es ist relativ schwachsinnig, darüber zu debattieren, ob es nun gut oder schlecht ist, dass sich die Erde als Kugel und nicht als Scheibe im Weltall dreht.
Bene: Auf jeden Fall. Bezogen auf den Songtext ist das aber nur eine von vielen Interpretationsmöglichkeiten.
Vega: Stimmt. Kann man ja auch noch mal nachlesen.
Jacho: Auf dem Lyric-Sheet. Am besten sofort die ganze Platte bestellen!

Vega, hast du dich eigentlich verkleidet im „Straße der Gewalt“-Video, oder ist das dein Einkaufslook im Sommer? Ich meine Sandalen, bunter Rock und IRON MAIDEN-Shirt, wie geil ist das denn ...
Vega: Ja, so kann ich aussehen. Ich kleide mich stets in Abhängigkeit zu meiner Tagesstimmung. Das liegt an meinen Entscheidungsschwierigkeiten.
Jacho: Wir haben wegen der Ankleide-Entscheidungsschwierigkeiten schon beinah ganze Konzerttermine verpasst.
Bene: Was ist ein Einkaufslook? Habe ich schon wieder einen Trend verschlafen?

Claudia Roth, einstige Managerin von TON STEINE SCHERBEN, ist die neue Kulturstaatsministerin. Gibt das nun Auftrieb im bundesdeutschen „Punk-Betrieb“ oder lässt euch das kalt?
Bene: Wenn man bedenkt, dass die Scherben sich gut drei Jahre nach Antritt ihres Managementpostens hochverschuldet aufgelöst haben, bin ich mir da nicht sicher. „Bundesdeutscher Punk-Betrieb“ wäre aber ein super Bandname, merci.
Jacho: Ob der großartige Rio Reiser heutzutage auch noch so ein großer Held wäre, wenn er denn noch leben täte?
Vega: Wie meinst du das, Jacho?
Jacho: Helden sterben jung. Aus alten Helden werden griesgrämige Menschenfeinde, Zyniker oder Realpolitiker. Alle lieben Che Guevara, niemand liebt die Castro-Brüder. Und wer kann noch den gealterten Morrissey ertragen? Oder Roger Waters?
Bene: Morrissey war aber auch schon immer schwer zu ertragen ... als Medientyp mit vermutlich stark narzisstischen Störungen meine ich. Nichts gegen THE SMITHS.

Jetzt aber zum Abschluss noch mal zur neuen Scheibe. Gilt wieder das gute alte Prinzip der „musikalischen Steigerung“ zu Debüt und Folgealbum oder wart ihr von Beginn an gut und müsst eigentlich ohnehin niemanden mehr etwas beweisen?
Jacho: Wir haben’s geschafft, innerhalb von vier Jahren über vierzig Lieder zu veröffentlichen, aber „beweisen“ ...
Bene: Beweisen wollen wir sowieso niemandem was. Wir tun, was wir tun, und das klingt dann, wie es klingt.
Vega: Ganz genau! Und natürlich klingt das neue Album anders, weil es ja auch das dritte ist und als solches per se eine Steigerung darstellt. Wir haben uns dieses Mal mehr Zeit im Tonstudio genommen und uns therapeutische Unterstützung geholt.
Jacho: Und einen Steuerberater, der bei den Anträgen für Kulturtopf-Musikförderung geholfen hat.
Bene: Und unsere Instrumente haben wir sogar auch vorher gestimmt dieses Mal, haha.