Als die Nachricht die Runde machte, dass A WILHELM SCREAM im Oktober 2013, sechs Jahre nach dem letzten Album, mit „Partycrasher“ ihr fünftes Album veröffentlichen würden, nahm ich das noch mit gewissem Misstrauen zur Kenntnis. Weit weniger überraschend waren dann die im Internet gestreamten Vorab-Leckerbissen, die absolut keinen Zweifel daran ließen, dass A WILHELM SCREAM trotz veränderter Lebenssituation immer noch A WILHELM SCREAM sind. Gerade deshalb war ich umso erfreuter, als sich Sänger Nuno an einem Sonntagnachmittag nach leichter, väterlichen Pflichten geschuldeter Verspätung über Skype zum Smalltalk einfand – das Babyphon stets in Hörweite.
Du hast gerade deinen Sohn ins Bett gebracht – hast du zufälligerweise den Film „The Other F Word“ gesehen über Punkrock-Väter wie Fat Mike oder Jim Lindberg?
Ja, habe ich. Meine Erfahrung ist, dass das Ganze nicht ganz einfach ist, ich habe gestern erst mit meiner Verlobten darüber geredet. Wenn die Dinge gut laufen, könnte es schlicht nicht besser sein, aber wenn nicht, dann ist es das Schlimmste auf der Welt. Alleine könnte ich das natürlich nicht schaffen – Familie und Band –, glücklicherweise habe ich genügend Leute hier, die mithelfen, Freunde und Familie.
Ihr seid mittlerweile seit knapp 15 Jahren eine Band, wie siehst du die Entwicklung? Als ihr angefangen habt, waren die Voraussetzungen noch ganz andere ...
Es ist schwerer geworden, einfach drauflos zu touren und so viele Shows zu spielen. Aufgrund unseres Alters und da wir schon länger dabei sind, glaube ich, dass ich einfach eine Pause gebraucht habe. Wir waren noch nie eine wirklich angesagte Band, von daher mussten wir immer richtig viel touren, um die Sache am Leben zu halten. Ich hatte ja schon Angst, dass die Leute das Interesse an uns verlieren würden, als wir aufhörten, das ganze Jahr über zu touren. Ich liebe Musik, die Leute und Freibier jede Nacht, aber jetzt, mit dem Baby, steht die Familie an erster Stelle. Wie dem auch sei, wir werden bald wieder ein bisschen mehr touren, also werde ich bestimmt ein bisschen Heimweh bekommen.
Ihr bestreitet aber auch nicht euren Lebensunterhalt mit der Musik, oder?
Nein, die meisten von uns haben Jobs. Nick baut Schlagzeuge, er hat gerade Whale City Percussion gegründet. Ich arbeite in einem Restaurant – wie die meisten Punkrock-Musiker. Da bist du einfach flexibler und kannst auch mal drei Wochen frei bekommen, wenn du touren musst. Die Band war nie auf Geld ausgerichtet, wäre das der Fall, hätten wir uns schon vor Jahren auflösen müssen. Wir haben so viel Geld in die Band gesteckt und erst in den letzten paar Jahren haben wir ein bisschen Geld damit verdienen können, sicherlich weniger, als wenn wir zu Hause gearbeitet hätten, aber immerhin. Dafür haben wir die Möglichkeit, die Welt zu bereisen, ohne dafür zu bezahlen, das ist ja auch etwas.
Letztens habe ich Jeremy Bolm von TOUCHÉ AMORÉ interviewt, der sich ziemlich kritisch über kommerzielle Veranstaltungen wie die Warped Tour geäußert hat. Was hältst du davon?
Es wird immer Leute geben, die versuchen, Profit aus etwas zu schlagen, auch aus dieser Szene. Unsere Situation erlaubt es uns aber, dass wir uns aussuchen können, wann wir wo für wen spielen, auch weil wir immer schon stur genug waren, auch einmal nein zu sagen, sei es wegen bestimmter Sponsoren, oder einfach weil die Veranstalter einer Tour ihre Bands schlecht behandeln. Trotzdem spielst du manchmal auch ein Festival, ohne zu wissen, dass der Hauptsponsor irgendein beschissener Großkonzern ist. Wenn du in einer Band bist, solltest du dir darüber bewusst sein, wer dabei die Fäden zieht. Meistens hast du dann die Wahl, manchmal aber auch nicht, aber wenn, dann solltest du die richtige Entscheidung treffen. Niemand will derjenige sein, der sich ausverkauft.
Einer eurer neuen Songs heißt „Wild turkey“, wie ich jetzt weiß, ist das eine Whiskeymarke. Bekommt ihr Geld dafür?
Nein, haha. Das ist eine Art Insidergag meiner Verlobten. Wir waren in der Bar von Freunden und sie wollte uns eine Runde ausgeben, also sagte ich, dass ich einen Jameson Whiskey nehmen würde. Als sie zurück kam, nahm ich einen Schluck und hatte sofort das Gefühl, dass ich kotzen müsste, weil er geschmeckt hat wie der schlimmste Whiskey meines Lebens. Ich sagte also zu ihr: „Das ist Wild Turkey, das ist kein Jameson“, und sie sagte: „Nein, das ist Jameson“. Wie dem auch sei, irgendwie ging das dann so hin und her, über Jahre. Ich habe den Song geschrieben, als ich Heimweh hatte und sie vermisste. Wenn mir die Leute von Wild Turkey dafür jedoch eine Kiste Whiskey schicken wollen, ich würde sie auf Craigslist oder eBay verkaufen.
Der Begriff „the bottle“ kommt in den Texten auf der neuen Platte relativ häufig vor – habt ihr ein Alkoholproblem?
Es ist irgendwie Teil dessen, was wir tun. Ich kann mich an keine Show erinnern, bei der nicht Unmengen von alkoholischen Getränken bereit standen. Du lebst in Deutschland, du kennst das doch selbst, bei euch darf man ja noch viel früher trinken, nicht erst mit 21, es ist einfach Teil der Kultur. Ich glaube ernsthaft, dass 95% der Leute da draußen ein Problem mit dem Trinken haben. Niemand geht einfach weg und trinkt ein, zwei Bier. Du trinkst Bier, weil es dich besoffen macht. Manche kommen damit besser klar als andere. Aber es ist nun mal gesellschaftsfähig zu trinken. Ich komme aus einer portugiesischen Familie, bei uns gehörte es einfach dazu, zum Essen ein Glas Wein zu trinken. Obwohl ich quasi straight edge war, bis ich zwanzig wurde. Jetzt kann es tatsächlich passieren, dass ich mal zu tief ins Glas schaue, besonders auf Tour, wo es mir dann vier oder fünf Tage richtig beschissen geht. Aber ich schlage mich lieber mit solchen Problemen herum als mit einer Kokainsucht oder irgendetwas viel Gefährlicherem und vor allem Teurerem.
Warum heißt eure neue Platte dann ausgerechnet „Partycrasher“?
Der Titel ist eigentlich der Name eines Songs, der es nicht auf das Album geschafft hat. Wir werden ihn möglicherweise trotzdem als B-Seite oder Bonustrack veröffentlichen. Der Song handelt davon, dass man auf irgendwelchen fremden Partys abhängt, weil man das eben so tut ... Den Song habe ich nicht geschrieben, das war Trevor, ich glaube da müsstest du ihn noch einmal fragen. Meine Interpretation ist, dass es einfach um jemanden geht, der sich auf einer Party nicht wohl fühlt, als würde er dort nicht hingehören. Selbst für mich ist es manchmal schwer zu verstehen, was Trevor in seinen Texten meint, also tun mir alle anderen umso mehr leid.
Mir kam bei dem Titel „Partycrasher“ zuerst in den Sinn, dass ihr aus einer Generation stammt, deren Sound heutzutage fast antiquiert ist und jetzt seid ihr wieder Teil der Party.
Wir waren musikalisch schon immer Sonderlinge. Wir haben nie versucht, uns bei irgendwem anzubiedern. Ich kann mich noch an einen gewissen Sänger erinnern, der sagte, dass er niemals mit einer Akustikgitarre auf der Bühne auf einem Barhocker Balladen singen würde, und natürlich war es genau dieser Typ, der später mit genau dieser Mucke Unmengen an Geld gescheffelt hat. Klar ist es doof, dass A WILHELM SCREAM nie 150.000 Platten verkauft haben und nicht im Radio laufen, aber das passiert entweder mit dem Sound, den wir machen, oder es passiert gar nicht. Wir machen keine Musik, um Platten zu verkaufen, wir machen Musik, weil wir lieben, was wir tun, und uns nichts Besseres zu tun einfällt. Wir haben das Glück, dass es immer noch genügend Leute gibt, die uns mögen, und es uns so möglich ist zu touren. Und wir spielen echt große Shows für eine Band, deren Sound eigentlich ausgestorben ist, wie du sagst. Das sagt doch viel über Punkrock aus. Wir respektieren uns selbst und wir respektieren unsere Fans, und wenn das bedeutet, dass wir nie das große Los ziehen, dann ist das für mich okay, ich gebe da einen Scheiß drauf. Wenn andere Bands beliebt sind, weil sie Banjos, Hosenträger und Schnurrbärte haben – gut für sie, aber das ist nichts für uns.
Das war im Grunde auch das, was mich beim ersten Hören der neuen Platte so umgehauen hat: dass es einfach klingt, als hättet ihr keine Pause gemacht. Ein nahtloser Übergang, und das nach sechs Jahren.
So sollte es auch sein. Es hat jahrelang für uns funktioniert, also: never change a winning team. Vielleicht sollte ich ein Seitenprojekt machen, mit Balladen. Mein eigentliches Seitenprojekt ist aber, wie ich auf der Couch sitze, kiffe und mit meinem Sohn Banjo spiele.
Stimmt, in Massachusetts ist Gras ja mittlerweile auch legal. Das habe ich in der Talkshow „Real Time with Bill Maher“ gesehen.
Bill Maher ist ein lustiger Typ. Für meinen Geschmack ist er manchmal schon fast zu liberal, aber wenn du dir anschaust, was für Gestalten bei „Fox News“ herumhüpfen, also auf der anderen Seite des Spektrums, dann ist das schon okay. Da braucht man solche Leute als Gegenpol, auch wenn ich da lieber eine gewisse Balance sehen würde. „Fox News“ ist furchtbar, ich wünschte mir, es gäbe ein Gesetz, das Fox verbieten würde, sich „News“ zu nennen, stattdessen müsste es „Fox – Republican Television“ heißen, denn es sind keine Nachrichten, es ist nur Propaganda.
Wie hast du den Shutdown erlebt, die Blockade der US-Verwaltung durch die Haushaltsverhandlungen?
Die meisten Leute haben sich gefragt, was da verdammt noch mal los ist. Ich meine, wenn wir für zwei Wochen aufhören würden, unsere Steuern zu bezahlen, dann bekämen wir eine Strafe aufgebrummt und würden von den Steuerbehörden verhört. Diese Leute in Washington aber werden weiterhin dafür bezahlt, dass sie nichts tun, während Parkwächter in Nationalparks in unbezahlten Urlaub geschickt werden, die eigentlich einen wichtigen Job machen. Vor allem machen sie ihn auch tatsächlich, nicht wie die Politiker in Washington. Warum ist es da nicht so wie bei jedem anderen Job? Wenn du nicht arbeitest oder nicht arbeiten willst: Verpiss dich! Du bist gefeuert. Und den ganzen Kram, den diese Motherfucker in Washington haben, sollten wir einfach verkaufen und damit die Leute bezahlen, die wir wirklich brauchen. Im Endeffekt ist es echt nur ein schlechter Witz. Schau dir die Republikaner an, ein Haufen trotziger Kleinkinder! Ich habe ein elf Monate altes Baby, das ist kein großer Unterschied ...
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