Im Gegensatz zum Pop-Punk, der sich zur Zeit auch bei jungen Hörern größter Beliebtheit erfreut, scheint bei den härteren und schnelleren Spielarten – Punkrock, Melodycore, Skatepunk, you name it –, die Gefolgschaft momentan mit seinen Protagonisten zu altern. Wenn sich Bands und Fans so treu verbunden sind, führt das in der Regel zu soliden Ergebnissen – zu Neuerungen und Experimenten eher weniger. A WILHELM SCREAM umgehen die Kreativfalle auf „Lose Your Delusion“, zwar mit kleinen Stolpersteinen, aber in erster Linie mit mitreißender Qualität, denn laut Gitarrist Trevor Reilly haben ihre Fans nicht weniger als das Beste verdient.
Ihr seid eine gottverdammte Punkrock-Band und verplempert zwei Minuten zu Beginn eurer neuen Platte mit einem sehr zurückgenommenen Instrumental. Seid ihr komplett verrückt geworden?
Am liebsten wäre es mir, wenn dieses Interview erst nach der Veröffentlichung des Albums erscheint, denn ich kann es kaum erwarten, die Reaktionen der Leute zu erleben, wenn sie das Album zum ersten Mal hören. Tatsächlich war das Intro eine Sache, über die wir viel diskutiert haben. Es gab auch die Idee, aus dem Instrumental-Part einen eigenen Track zu machen, damit er geskippt werden kann, wie beim Vorspann einer Netflix-Serie. Dann aber habe ich das Album meinem guten Freund Chris Cresswell von THE FLATLINERS geschickt. Er berichtete mir, dass er die Platte eigentlich nebenbei hatte laufen lassen wollen. Als die Gitarre, die im Intro zu hören ist, aber zur zweiten Runde einsetzte und eben nicht der zu erwartende Punk-Track losgaloppierte, dachte er: Okay, ich muss mich wohl doch mal hinsetzen und das Ding in Ruhe hören. Als Chris mir das erzählt hat, war das eine große Beruhigung für mich, denn ich war zuvor doch ziemlich nervös gewesen, weil ich nicht wusste, wie die Leute reagieren würden.
Tatsächlich ein großartiger Start, weil er mit den Erwartungen spielt und so für Aufmerksamkeit sorgt. Außerdem scheint darin eine sensible Seite durch, die man so bei euch noch nicht gehört hat.
Das ist die Wirkung, auf die ich gehofft hatte. Ich denke, dass die Leute, die uns kennen, von uns erwarten, dass wir von Null auf Hundert eine Salve nach der anderen abfeuern und da weitermachen, wo wir mit der letzten Platte aufgehört haben. Dadurch, dass wir nun etwas Spannung aufbauen, hören einige das Album vielleicht aufmerksamer und bis zum Schluss durch – heutzutage ja eher eine Seltenheit. Als man noch Kassetten gehört hat, vielleicht erinnern sich noch einige, da hatte man ja überhaupt keine andere Wahl.
Ich höre da den Wunsch nach Entschleunigung. Welche Botschaft liegt euch mit dem neuen Album noch am Herzen?
Wertschätze das, was du hast. Verschenke deine Blumen an die Menschen, die du liebst, denn sie verdienen es. Bestimmte Selbstschutzmechanismen, auch wenn sie dir vielleicht gar nicht bewusst sind, halten dich davon ab, dich auszudrücken und denen, denen du nahestehst, deine Wertschätzung zu vermitteln.
Klingt nach einer astreinen Punkrock-Message: Lebe im Moment und lass dich durch nichts von deinem Weg abbringen?
Genau. Es gibt so viele toxische Ablenkungen, mehr als jemals zuvor, dass man sich immer wieder den Kopf freiblasen muss, um festzustellen, was wirklich zählt und wichtig ist. Investiere deine Energie in Dinge, die dich und dein Leben besser machen, und jage nicht irgendwelchen Hirngespinsten hinterher. Auch wenn vielleicht nicht immer alles perfekt ist, so kann man doch Glück empfinden.
Macht ihr euch viele Gedanken über die Trademarks des A WILHELM SCREAM-Sounds, wenn ihr an neuen Songs arbeitet?
Wenn ich, Brian J. Robinson oder Jason Milbank unsere Ideen entwickeln, denken wir immer zuerst daran, dass wir die Songs live spielen werden, und achten darauf, dass sie auch für uns selbst aufregend sind. Wir laden uns die Teller gerne so voll wie möglich, mit allem, was Spaß macht und uns herausfordert. Viele andere Sachen, die unseren Sound definieren, entstehen hingegen ganz von selbst, wie zum Beispiel die Harmonien beim Gesang. Selbst wenn wir Songs von anderen Musikern hören, singen wir immer mit und suchen nach den Harmonien. Es wäre eigenartig, wenn wir so etwas weglassen würden, denn es gehört einfach zu unseren Wurzeln. Aber letztendlich steht immer die Herausforderung ganz oben auf unserer Checkliste. Unter dem Motto: Haben wir etwas Interessantes oder Neues ausprobiert? Ist das etwas, das die Fans auf Konzerten mitsingen werden?
Die Veröffentlichung eures letzten Albums „Partycrasher“ ist gut neun Jahre her, eine sehr lange Zeit im Musikbusiness. Da ist mir der Titel eures 2007er Albums „Career Suicide“ eingefallen.
Das lief genauso wie bei jeder Platte, die wir veröffentlichen. Wenn sie raus ist, touren wir so viel und so lange wie möglich, um sie zu supporten. Das war bei „Partycrasher“ nicht anders. Was im Anschluss allerdings für etwas Unsicherheit gesorgt hat, war die Phase, als Mike Supina, unser früherer Leadgitarrist, aus der Band ausgestiegen ist. Das ist etwa drei Jahre her. Er machte einige Veränderungen in seinem Leben durch und fragte sich, was für ihn wichtig ist, und stellte aus diesem Grund das ganze Rock’n’Roll-Ding in Frage. Das ging eine ganze Weile, in der wir zwar produktiv waren, aber eben nicht wussten, ob er noch Teil der Band ist. Schließlich haben auch wir Übrigen begonnen, vieles zu hinterfragen und neu zu sortieren, was uns davon abhielt, den nötigen, selbstbewussten Schritt nach vorne zu machen. Dieses Mindset funktioniert bei uns aber nicht. Wenn wir ein Album in Angriff nehmen, muss es für uns die wichtigste Sache auf der Welt sein. Denke ich zum Beispiel, es könnte sich ein schwacher Song eingeschlichen haben, kann ich nicht mehr ruhig schlafen. Wir sind absolute Perfektionisten. Außerdem sind wir nie eine Band gewesen, die aufwändig kommerziell vermarktet werden musste. Als A WILHELM SCREAM stützen wir uns eher auf unsere treue Fanbase. Ein weiterer Grund dafür, dass jede neue Platte von vorne bis hinten der Killer sein muss. Ich meine, warum sollten wir uns sonst überhaupt die ganze Mühe machen?
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