100 KILO HERZ

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Arschlöcher gibt es überall

Nachdem sich 100 KILO HERZ mit einem Outcall konfrontiert sahen, wurden Konsequenzen gezogen. Das ist nun schon eine Weile her und jetzt steht mit „Zurück nach Hause“ ein neues Album an. Wie die Band weiter an sich arbeitet, besprechen wir mit Sänger Rodi und Gitarrist Marco.

In eurer Band gab es ja vor einiger Zeit eine Situation, die euch dazu bewegt hat, noch mal genauer auf das Thema Awareness zu schauen. Ich will eure Situation jetzt nicht mit dem vergleichen, was gerade rund um RAMMSTEIN passiert, aber habt ihr durch eure Erfahrungen jetzt einen anderen Blick darauf oder schaut ihr da genauer hin?

Rodi: Also ich finde an der Situation das einzig Positive gerade, dass da jetzt wirklich viel und eine große mediale Aufmerksamkeit darauf liegt, und ansonsten sind es natürlich Sachen, mit denen wir uns auch letztes Jahr schon auseinandergesetzt haben. Ich beschränke es mal auf mich, aber ich vermute, bei den anderen ist es auch so. Aber worüber ich mir erst mal bewusst werden musste, ist, was für eine Position ich da auf der Bühne habe. Das war mir schon so ein bisschen bewusst, denn wenn man da mit ein bisschen Augenmerk drauf geht, sind da Privilegien, die man als Band im Vergleich zu Menschen im Publikum hat. Das fängt damit an, dass wir im Backstage sind und wir dort alles kostenlos bekommen, wir bekommen Schlafplätze gestellt und müssen wahrscheinlich nicht im Zelt schlafen und so weiter. Es geht dann aber noch weiter und darüber hinaus. Das waren Prozesse, diese Schere zu erkennen. Zwischen „Wie nehme ich mich selber wahr“, nämlich als der Typ, mit dem ich jeden Tag zu tun habe, der seine Fehler hat, und es drei Tage nacheinander nicht schafft, den Abwasch zu machen. Das ist aber das, was die Leute, die vor der Bühne stehen, ja gar nicht sehen. Die kennen einen aus den sechzig, siebzig Minuten, die man auf der Bühne steht, und haben ein verzerrtes Bild von einem, und das ist viel größer als das, was man von sich selber hat. Das geht, glaube ich, vielen Menschen so, die anfangen, Musik zu machen. Dann bekommt es eine gewisse Größe. Wenn wir jetzt gerade über den aktuellen Fall reden, wo natürlich eine Band wie RAMMSTEIN das schon vor Jahren oder Jahrzehnten erkannt haben müssen, in was für einer Machtposition sie sich befinden. Diese auszunutzen, ist einfach wahnsinnig ekelhaft. Dadurch, dass es so eine massiv große Band ist, ist es noch ein bisschen schwieriger da Parallelen zu dem zu ziehen, was wir gelernt haben. Das sind Sachen, die ihnen klar sein müssten, es sich aber bewusst für einen Weg entschieden wurde, diese Macht auszunutzen.

Ihr wart ja auch vor kurzem noch mal bei so einem Coaching. Das Thema ist für euch also auch noch nicht abgeschlossen und beschäftigt euch weiter.
Marco: Es hilft ständig und immer, sich im Spiegel gezeigt zu bekommen, und deswegen waren wir auch noch bei diesem Termin. Wir suchen ständig diese kritischen Gespräche, weil man immer wieder in gewisse Muster fällt und ausblendet, dass man einfach Privilegien hat, da man auf der Bühne steht und Musik macht. Das wird von allen als selbstverständlich hingenommen. Und sich immer und immer wieder aufs Neue zu hinterfragen. Dass es jetzt eine Kampagne gibt wie dieses MusicMeToo, ist lange überfällig und da muss jetzt endlich auch ein Umdenken stattfinden. Mir geht es dann noch krasser als Rodi, weil er sich mit dem Thema immer schon ein bisschen mehr auseinandergesetzt hat. Für mich war das wie so eine Erweckung oder so ein Moment, wo ich dachte: Okay, mir war das nie so bewusst. Weil ich immer dachte, alles sei cool. Und gerade wir in unserer linken Bubble, für uns war das sowieso nie ein Thema, und dann kriegst du da selbst einen vor die Nase geboxt und landest auf den Boden der Realität. Es ist lange überfällig und notwendig, dass darüber geredet wird. Insofern ist es ein andauernder Prozess, der wahrscheinlich nie aufhören wird.

Was ich erschreckend fand, war, dass in den letzten Jahren auch Bands in den Fokus gerückt sind, von denen ich eigentlich immer dachte, die stehen auf der guten Seite. Wie das, was du gerade mit der linken Bubble benannt hast. Wie kann das eigentlich sein, dass gerade diese Szene, die sich das so auf die Fahne schreibt, dann ein so massives Problem hat. Wart ihr auch so davon überrascht? Oder sind das Strukturen, die ihr auch bei euch erkannt habt?
Rodi: Es ist so, dass es auch in der linken Bubble mehr Menschen, mehr Betroffene gibt, die sich einfach trauen, sich zu äußern. Das wird in anderen Bereichen noch gar nicht als Problem wahrgenommen. Wie man ja auch an diversen Victim-Blaming-Kommentaren sieht. Gerade bei dem großen Thema „Das war schon immer so und es wurde schon immer so gemacht“. Andererseits ist es natürlich auch so, dass mittlerweile viele Leute in der Szene versuchen, daran zu arbeiten, dass es nicht mehr so männerdominiert ist. Die Menschen wachsen mit dem Bild auf, dass sind die Typen auf der Bühne und die werden abgefeiert von Typen und teilweise auch von Frauen oder Nicht-Männern. Jetzt ändert sich gerade bisschen was. Wir sind alle gefühlt damit aufgewachsen, dass die BEATLES und die RED HOT CHILI PEPPERS für ihre krassen Groupie-Geschichten abgefeiert wurden. Auch ein Punkt, weswegen viele Leute sich früher nicht getraut haben, was zu äußern, ist eben dieses Bild nach außen. Das sind ja Leute, die wichtige Dinge machen und die auch gute Dinge machen, die sich an anderen Stellen klar positionieren und die für gesellschaftliche Kampagnen werben und ganz, ganz viel Gutes machen. Man hat sich teilweise darauf verlassen, ist meine Vermutung, dass die Betroffenen sich nicht trauen, was zu sagen, eben vor dem Hintergrund, dass erst mal die Leute sagen: „Nee, das traue ich denen nicht zu“ und andererseits dieses „Ja, aber der macht ja so viel Gutes, was passiert, wenn ich das jetzt kaputt mache?“ Dadurch baut sich das natürlich auf. Wenn man so diverse Sachen verfolgt, ist es immer wieder ein Problem, auch in viel kleineren Rahmen. Es gibt halt überall Arschlöcher. Man ist nicht davor gefeit, auf Arschlöcher zu treffen, bloß weil man sich in einer vermeintlich woken Szene bewegt.