SLEAFORD MODS

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No fuckin’ yoga wankers

Das Duo aus Nottingham, bestehend aus Sänger Jason Williamson und Multi-Instrumentalist Andrew Fearn, erfreut seit spätestens 2014 eine wachsende Zahl von Menschen, die ihre Vorstellungen davon, was Punk ist und sein darf, nicht an den Maßstäben des Jahres 1977 ausrichten. Obwohl Jason schon seit 2007 unter dem Namen SLEAFORD MODS aktiv ist, kam der nötige Schub erst 2012 durch den Einstieg von Andrew. Mit den Alben „Austerity Dogs“ (2013), „Divide And Exit“ (2014) und „Key Markets“ (2015), alle auf dem Harbinger Sound-Label ihres Freundes Steve Underwood erschienen, setzte der Siegeszug des seltsamen Duos ein, dessen Musik live vom Laptop kommt, wozu Jason seine Texte singt und rappt. Mit „English Tapas“ ist just das neue Album erschienen, auf dem altehrwürdigen Londoner Indielabel Rough Trade. Fast parallel dazu hatte Christine Franz’ Banddoku „Bunch of Kunst“-Premiere. Ich sprach mit Jason über Film und Platte.

Jason, du bist in Berlin, gestern war dort die „Bunch of Kunst“-Premiere. Wie findest du den Film?

Ich habe ihn gestern nicht gesehen, aber davor bei anderer Gelegenheit. Ich blieb gestern im Hotel. Ich musste mal früh ins Bett. Hast du ihn schon gesehen, hat er dir gefallen?

Ja! Es war eine gute Einstimmung auf das Interview und half dabei, eure Band besser zu verstehen.

Das freut mich zu hören.

Wie empfandest du die Dreharbeiten? Wenn im Alltag und auf Tour ständig jemand mit einer Kamera dabei ist, kann das auch ganz schön nerven.

Nein, das war schon okay. Nur ein paar mal mussten wir uns dafür wirklich Zeit nehmen, meistens waren die einfach irgendwo im Hintergrund. Ich wollte die Doku ja auch, und wenn jemand meint, dass deine Band wichtig genug ist für so was, ist es doch eine Ehre, dabei mitzumachen. Und so versuchte ich, so viel zu helfen wie möglich.

Wie fühlt es sich an, wenn das eigene künstlerische Schaffen so analysiert und reflektiert wird?

Auch das sehe ich als Ehre an. Ich fühle mich bis heute nicht wie jemand, der halbwegs Einfluss auf andere hat. Ehrlich gesagt vermeide ich es, darüber nachzudenken, das ist eine ziemlich seltsame Vorstellung. Im Grunde ist das, was mit uns passiert ist, aber natürlich etwas Positives, wie für jeden, der kreativ tätig ist, der seine Spuren hinterlassen will. Es glückt nicht jedem.

Hast du aus dem Film etwas über euch erfahren, das dir vorher nicht bewusst war?

Ja, dass ich früher ein echt schrecklicher, nicht besonders netter Mensch war. Ich wirke wie jemand, der ein Problem hat, gestört, unglücklich. Wie ich rede, wenn ich interviewt werde, da hat man den Eindruck, dass ich damals nicht mit mir zufrieden war, meiner Situation, meiner Umgebung. Das hat mich aufgewühlt. Ich merkte das besonders an meinem Umgang mit meiner Frau, wie ich mit ihr rede, wie ich auf meine Kinder reagiere. Das wirkte fast, als sei ich da gar nicht präsent. Es war stellenweise echt verstörend, den Film zu sehen. Es war gut und schrecklich zugleich, auf keinen Fall langweilig, auch wenn alles total unglamourös ist und eigentlich nichts passiert. Der Film ist wie unsere Band-Realität. Glamourös ist es bei uns nur, wenn wir mal wieder total drauf sind, wenn wir in diese geistlose, oberflächliche Welt gesaugt werden. Der Film bringt gut rüber, wie unser „Job“ in Wirklichkeit aussieht. Das zu sehen, ist unangenehm.

Was macht das mit einem, wenn man sich in so einem Film sieht und sich selbst, wie du sagst, als „horrible person“ wahrnimmt?

Gut, dass du das fragst. Ich fühlte mich herausgefordert, meine Selbstwahrnehmung zu hinterfragen. Es führte mir vor Augen, wie ich war, als ich mich damals nicht gut fühlte. Heute jedoch bin ich ein glücklicher Mensch, ich bin mit mir etwas ins Reine gekommen. Ich bin jetzt im Einklang mit meinem Job, den SLEAFORD MODS. Ich bin nicht mehr so leichtsinnig, nicht mehr so impulsiv, nicht mehr so selbstzerstörerisch. Jeder von uns muss sich auch verändern können, solche Momente kennt jeder in seinem Leben. Ich musste erst 46 werden, um an diesen Punkt zu kommen und ein paar Dinge zu klären. Der Film erwischte mich zu einem Zeitpunkt, als mein altes Ich fast am Ende war und ich am Beginn eines neuen Lebensabschnitts stand. Christine hat auch insofern einen guten Job gemacht mit dem Film, als sie mich genau zum richtigen Zeitpunkt erwischt hat. Und sie hat es geschafft, unsere Energie einzufangen.

Starke Emotionen sind das Geheimnis von guter Kunst. Wenn du in der Vergangenheit nicht glücklich warst und deine Gefühle sich in den SLEAFORD MODS äußerten ... wo steht die Band heute mit einem glücklicheren Jason?

Stimmt, ohne mein damaliges Gefühlsleben wären wir nicht, wo wir heute sind. Ich habe das Beste aus meiner Situation gemacht. Lange Zeit hatte ich gar nichts, machte irgendwelche Scheißjobs. Warum hätte ich damals mein Leben ändern sollen, aufhören zu trinken, keine Drogen mehr nehmen? Das war ja das Einzige, was mich am Laufen hielt. All diese Substanzen halfen mir in der Falle, in der ich saß, und in der ich mich nicht wohlfühlte und mich immer weiter selbst zerstörte. Versteh mich nicht falsch, ich will jetzt nicht klingen wie ein Wichser, der jetzt herumerzählt „Oh, ich habe das Licht gesehen!“, wie einer dieser verfickten Yoga-Wichser ... aber der Film hat mir eben ein paar Dinge vor Augen geführt. Etwa, dass die SLEAFORD MODS und Andrew das Beste sind, was ich habe.

Klingt fast, als ob der Film für dich was von einer Therapie hat. Die wenigsten von uns haben die Chance, außer durch den Besuch bei einem Therapeuten, so intensiv über ihr Leben zu reflektieren.

In gewisser Weise war das so. Ich habe aber auch verstanden, jenseits von meinen persönlichen Problemen, dass wir sehr hart gearbeitet haben. Unsere ganze Situation war immer sehr unglamourös, auch bei den großen Gigs, bei Glastonbury. Ich finde es gut, den Menschen zu zeigen, wie unspektakulär die Realität ist.

Ich mag die Szene, wo ihr zuerst in einem alten VW Polo auf Tour geht – und dann plötzlich im Nightliner.

Haha, ja, das ist eine ziemlich lustige Szene. Das ist vor dem Haus von Steve von Harbinger Sound, der wohnt in so einer alten städtischen Wohnanlage. Das ist wie Comedy, als dort plötzlich dieser riesige Bus auftaucht. Szenen wie diese sorgen dafür, dass wir nicht cool wirken, und das gefällt mir. Sowieso wirken wir im ganzen Film nie „cool“. Viele Bands legen aber ja sehr viel Wert darauf, genau so wahrgenommen zu werden, also als cool. Alles in allem haben wir uns für den Film wirklich „nackt“ gemacht, und das Ergebnis hat mich echt geschockt.

Nicht nur Band-Dokus lassen sich gut „steuern“, denn die Porträtierten müssen ja zulassen, was da mit ihnen gemacht wird, und im Ergebnis kann man dafür sorgen, gut dazustehen. Vermittelt „Bunch of Kunst“ ein realistisches Bild von euch?

Auf der persönlichen, häuslichen Ebene ja, und auch was uns als Gruppe betrifft. Ehrlich gesagt hasse ich diese Band-Dokus, in denen diese als total glamourös inszeniert werden. Ich habe diese Typen alle schon im richtigen Leben getroffen und miterlebt, und an denen ist nichts glamourös! Sich so anders darstellen zu lassen, das kann man nicht bringen, man hat eine Verantwortung! Andererseits liegt die Verantwortung oft auch nicht bei jenen, um die es geht – und man weiß ja, dass mit Fotos oft „gespielt“ wird. Die Betroffenen können dann oft nichts mehr machen. Auch in dieser Hinsicht ist der Film ein Anti-Statement. Bis der fertig war, wusste ich nicht mal, was Christine da eigentlich macht, und als er dann fertig war, dachte ich: Fuck, die hat echt brillant gearbeitet!

Du hast nie eine frische Jeans angezogen oder dich noch mal gekämmt, als sie mit der Kamera in der Nähe war?

Nein, nie! Ich kam da gar nicht drauf. Seltsam, oder? Man hat doch eigentlich ein Ego. Anfangs war ich mir bewusst, dass da gefilmt wird, doch irgendwann vergaß ich es. Hätte ich in die Kamera geblickt, das hätte alles zerstört, das hätte die SLEAFORD MODS zerstört!

Du hast zwei Kinder. Kannst du dir vorstellen, den deiner Tochter zu zeigen, in zehn Jahren oder so? „Schau mal, so war Papa früher“?

Das Schöne ist: mein Sohn und meine Tochter sind ganz anders als ich, und meine Frau auch. Ich bin stolz darauf, etwas geschaffen zu haben, das sie sehen können, das positiv ist und das etwas anderes vermittelt als einen Typen, der zu Hause sitzt, sich einen Bierbauch antrinkt, den ganzen Tag nur an allen rummeckert und sie wie Scheiße behandelt. Stattdessen bin ich aktiv, tue was Intelligentes, mache etwas Positives. Und selbst wenn meine Kinder die Musik als peinlich empfinden sollten, so werden sie doch verstehen können, dass ihr Vater etwas getan hat, an das er glaubt. Und dafür gibt es sogar Beweise, in Form all unserer Platten, von Magazinen mit unseren Interviews. Ich sammle die alle! Könnte ja sein, dass sich irgendwann mal wer in meiner Familie dafür interessiert – und eines Tages kommen meine Kinder ja in das Alter, in dem sie anfangen werden zu verstehen. Derzeit ist es noch so, dass meine Tochter denkt, jeder Papa singe, jeder Daddy habe so einen Job – wundervoll!

Dein Vater kommt im Film auch zu Wort.

Es ist mein Stiefvater, ich war zehn, als meine Mutter ihn heiratete. Der findet super, was ich mache. Und er flucht die ganze Zeit, haha. Er ist wirklich ein ganz typischer Kleinstadt-Engländer. Das meine ich keinesfalls negativ, aber Menschen wie ihn findest du in jeder traditionellen Kleinstadt. Er ist ein netter Kerl, und, wenn er will, sogar intelligent. Christine fragt ihn in dem Film, ob er gedacht hätte, dass aus mir mal was werde, und er sagt: „He was fuckin’ useless!“ Und man sieht sein Gesicht, wie er sich erinnert an all die Male, als ich mich wie ein Fuck-off aufgeführt habe. Brillant, wie Christine das gefilmt hat!

Und ob du es geschafft hast! Du fährst in der Welt umher und fluchst auf einer Bühne herum.

Ja, großartig, das ist ein gutes Leben. Gleichzeitig darf man aber auch nicht zu sehr darüber nachdenken. Es kann aber auch manchmal ganz schön hart, deprimierend und mühsam sein. Doch so ein Leben hat ja auch seine Vorteile, auch finanzieller Art, und zumindest fühle ich mich wegen denen heute nicht mehr schuldig und kann meinen Job viel mehr genießen. Zudem scheinen wir als Band noch stärker und nicht schwächer geworden zu sein. Und unser neues Album zeigt das. Es ist wahrscheinlich besser als das davor, ich bin sehr glücklich darüber.

Ist das Album denn aus deiner Sicht textlich anders? Die Songs des letzten Albums hatte ja noch der „alte Jason“ geschrieben, und diese Wut, diese Übellaunigkeit, scheint dir ja zu einem guten Teil abhandengekommen zu sein. Kann man als glücklicher Mensch überhaupt noch Texte schreiben, wie sie bisher an den SLEAFORD MODS geschätzt wurden?

Nein. Aber es gibt dennoch Momente der Wut, und in denen schreibe ich runter, was mir in den Sinn kommt. Und so gibt es diese Wut in den Texten auch jetzt noch, aber die Wut bleibt in meinen Worten. Und wenn man die Texte liest, sind die Emotionen wieder da. Aber die alten Texte? So was kann ich nicht mehr. Ich hatte auch ein, zwei Monate meine Zweifel, wo das jetzt alles hinführen soll, das war im Januar 2016. Wir nahmen die ersten Demos auf, und das war nicht gerade großartig. Den April 2016 verbrachte ich dann komplett im Pub mit Texteschreiben. Ich trank keinen Alkohol, ich setzte mich nur mit viel Kaffee an einen Tisch und schrieb jeden Tag vier, fünf Stunden lang. Von dreißig Ideen fanden wir vier okay, da wurden Songs daraus. Wir merkten, dass das Improvisieren wie in den alten Tagen, wie wir es bei „Divide And Exit“ und in gewissem Umfang auch bei „Key Markets“ gehandhabt hatten, nicht mehr funktioniert. Ich brauchte jetzt die Songs von Andrew, um damit zu arbeiten. Und ich glaube, wegen dieser Arbeitsweise ist „English Tapas“ besser geworden als die Platten davor, ich habe einfach mehr an den Songs gearbeitet. Im Mai fingen wir dann mit den Aufnahmesessions an und eins kam zum anderen.

Eure, deine Texte sind nicht einfach zu verstehen – und das meine ich auf den Inhalt bezogen.

Ja, das zieht sich bei uns ja durch alle Platten durch. Man kann aber manchmal ja auch etwas vereinfachen, bei Songs wie „Messy anywhere“ oder „I feel so wrong“ etwa, das sind eher Popsongs. Popmusik hat ja traditionell Texte, die so allgemein gehalten sind, dass sie für jeden irgendwas bedeuten können. In diese Richtung gehen die beiden genannten Songs, deren „Formel“ ist etwas zugänglicher. Aber dann gibt es eben auch wieder meine Schimpftiraden, und da kann ich verstehen, dass du sagst, du hättet Schwierigkeiten, da was zu verstehen. Aber was soll ich da auch vereinfachen? Und unser Publikum hat das ja bislang nie gestört. Unsere erste Beliebtheit erfuhren wir in Belgien, Frankreich und Deutschland, da hatten wir die ersten Auftritte, noch bevor in Großbritannien jemand Notiz von uns nahm. Dass die Texte nicht eindeutig und verständlich sind, hat unserer wachsenden Beliebtheit also nicht geschadet, wobei wir aber wohl nie richtig groß werden, denke ich.

Versteht jemand aus deiner Heimatregion besser, was du da sagst und singst, weil er Redewendungen und Dialektausdrücke kennt?

Ja, die Leute verstehen mich schon. Aber die Menschen überraschen mich immer wieder, und gerade jene, von denen du denkst, dass sie sowieso nicht kapieren, was du da sagst, checken es. Gerade die Menschen in England sind mit diesem zynischen Unterton vertraut, dieser Negativität. Oft reagieren die Menschen aber stärker auf die Energie unseres Auftritts, auf die Gefühle, die wir rüberbringen, und weniger auf die Texte.

Die Art deines Vortrags wirkt sehr ehrlich, ich denke, auch darauf reagieren die Menschen positiv.

Ja, und in meinen Texten ist auch nicht das geringste bisschen Aufgesetztheit zu finden. Die sind keine „fake news“, um es mal so auszudrücken, die sind echt, kreativ und intelligent. Und kunstvoll, denn ich spiele gerne mit Worten, ich schmücke aus, ich übertreibe, damit alles zusammenpasst. Und die Texte sind auch Comedy, und Comedy funktioniert über Übertreibung.

Siehst du dich in einer bestimmten künstlerischen Tradition? Es gab ja immer schon Menschen aus der Arbeiterklasse, die sich in Liedern über ihre Situation ausgelassen haben.

Definitiv. Worte sind schließlich alles, was wir haben. Überhaupt, was ist Geld denn? Davon kann man sich nur bestimmte Dinge kaufen. Und dann bleibt ja nur noch sich auszudrücken, Worte. Mit denen sperrt man sich aber ja nicht ein, sondern man will sich befreien, und das macht die Musik mit mir. Mit den SLEAFORD MODS fühle ich mich freier, das ist die ganze Idee. Es ist eine Utopie.

Man könnte bestimmte Aspekte eurer Band mit dem Schaffen von Billy Childish vergleichen.

Hm, ja, vermutlich. Aber der nutzt ja eine Bildsprache und Ausdrucksform, die eher retrospektiv, rückblickend ist, diese Referenzen an die Zeit des Ersten Weltkriegs und die Kultur jener Zeit. Ob der Vergleich demnach so gut passt? Klar, seine Musik ist super, also das, was ich kenne. Ich will ihm jetzt nicht zu nahe treten, aber diese Künstler in London, wie soll ich sagen ...? Die haben immer so eine Art, alte Kulturstile wiederzukäuen. FAT WHITE FAMILY etwa, oder die LIBERTINES, oder in gewissem Maße SUEDE, und so weiter. Und ich finde, genau das tun wir nicht. Wir sind wie eine alte Ziegelwand, mit Rissen und Brüchen, in der sich kein Kunststil spiegelt.

Ist, was ihr macht, politisch? Wenn man sich anschaut, wie viel Wut auch aus der kleinstädtischen Arbeiterklasse sich etwa im Brexit-Votum niederschlug, kann ich euer Tun nicht losgelöst von so einem Gefühl des Abgehängtwordenseins sehen.

Ja, diesen politischen Kontext gibt es, und dem kann man sich auch gar nicht entziehen. Alles wird ja heute von der Politik definiert, die ist heute immer extrem nah an den Menschen dran, hat sie in ihren Krallen, unterdrückt sie. Und die Mittelklasse ist an ihre Jobs gekettet, keiner hat mehr Luft zum Atmen. Die Politik bestimmt unser tägliches Leben, kommt uns sehr nahe, und entsprechend schlägt sich das auch konstant in den Texten nieder.

Im Film werden einige eurer englischen Fans interviewt, und deren Wut hat mich überrascht, genauso wie deren Aussagen, wie sehr sie euch als ihre Stimme ansehen. Da fiel mir der starke Kontrast zu eurem deutschen Publikum auf, in dem ich so wütende, ausgegrenzte Menschen nicht erkennen kann.

Ich weiß, was du meinst, und für mich ist die Wut dieser Leute normal. Die sind ein Zeichen dafür, in welch schlechtem Zustand dieses Land ist, man spürt das einfach. Der Film stellt eine ganze Reihe verschiedener Sichtweisen dar, und das gefällt mir.

Mit dem neuen Album seid ihr zu Rough Trade gewechselt, einem – mittlerweile wieder – legendären Indielabel mit einem entsprechenden Ruf und weltweiten Kontakten. Ein großer Schritt für euch?

Ja. Das ist die nächste Phase für uns. Und wir machen jetzt einfach genauso weiter wie bisher. Die SLEAFORD MODS haben offensichtlich verschiedene Leben. Es gab ein Leben vor Andrew, und es gibt jetzt ein neues Leben, weil wir uns auf ein Plattenlabel eingelassen haben. Aber wir haben nie an Vitalität und Kraft eingebüßt. Es geht immer weiter, schauen wir mal, was jetzt so kommt.

Und dabei bleibt das Set-up wie bisher? Musik vom Computer, du singst?

Im Moment ja, und als Life-Act wachsen wir ja noch. Aber wir verändern uns ja auch mit jeder Tour etwas. An der Originalformel werden wir aber festhalten, so kennen uns die Menschen, so wollen sie uns sehen. Es gibt ja auch keinen Grund, an dieser Formel was zu ändern.

Wie verhält es sich denn mit all den Schimpfwörtern? In den nicht englischsprachigen Ländern interessiert das ja keinen, aber in England oder den USA ist das ein Thema und ein „Fuck“ reicht aus, um kein Radio-Airplay zu bekommen. Wurdest du gebeten, dich aus diesem Grund auch beim einen oder anderen Song etwas zurückzuhalten?

Stimmt, in England müssen wir das wegen des Radios im Blick behalten, während das in Deutschland keinen interessiert. Was die USA betrifft, so mache ich mir wegen der Auftritte da schon Gedanken, denn wir benutzen Wörter, die dort als frauenverachtend und sehr beleidigend aufgefasst werden. Ich hoffe, die Leute kommen trotzdem und machen sich selbst ein Bild.

Bist du bereit, in dieser Hinsicht Kompromisse zu machen, oder musstest du welche machen?

Nein, eigentlich nicht. Wir schreiben aber in letzter Zeit weniger Songs mit Schimpfwörtern, und „English Tapas“ ist dafür das aktuelle Beispiel. Es macht mir nichts aus, solche Lieder zu schreiben, und was immer funktioniert, ist okay für mich. Es geht mir ja darum, dass etwas funktioniert, und ich denke nicht in Kategorien von Beschränkungen, was geht und was nicht. Der einzige Kompromiss, den ich je gemacht habe, ist, dass ich aufgehört habe zu trinken. Und Andrews Kompromiss besteht darin, dass er jetzt mal etwas früher aufstehen muss. Wir haben uns nicht verändert, sondern alles genau so gemacht, wie das heute in der Musik laufen soll: erst alles aus eigener Kraft stemmen, dann mit einem integren Label arbeiten. Warner, Sony, EMI, das würde nicht funktionieren, aber Rough Trade funktioniert.

Was den Alkohol betrifft, hast du den ganz aufgegeben oder nur das exzessive Saufen?

Komplett. Aber nicht unbedingt für immer, ich muss es nur hinbekommen, zu lernen mit Alkohol umzugehen, nicht einfach nur zu trinken, um besoffen zu sein. Zudem war es ja nicht nur Alkohol, sondern auch andere Drogen, wobei Alkohol immer der Zugang zu den anderen Sachen war. Und das über viele Jahre. Es war also nicht die Tatsache, dass ich wahrscheinlich ein Alkoholiker war, als vielmehr die ganzen anderen Sachen. Und so ging ich zu einer Therapeutin, redete über mich, um ein paar Dinge über mich herauszufinden, und um in der Lage zu sein, mit all dem aufzuhören. All das zusammen hat mir dann geholfen. Wie auch mich mit Iggy Pop zu unterhalten, und der sagte mir, er trinke nur zum Essen – das ist ein guter Umgang mit Alkohol. Früher oder später werde ich also mal ein Glas Rotwein zum Essen trinken. Jetzt mache ich aber erst mal eine Pause, nach 25 Jahren braucht man Körper eine Auszeit. Und ich habe eine Frau und Kinder, ich muss es etwas ruhiger angehen lassen.

Dazu fällt mir der Lou Reed-Song „The power of positive drinking“ ein.

Hahaha, den muss ich mir mal anhören.

Verrate mir doch bitte, was „English Tapas“ sind.

Das stand auf einem Schild in einem Pub, und ich sehe den Titel in dem Kontext, dass die Engländer die Tendenz haben, Schönes aus anderen Kulturen zu übernehmen und zu bastardisieren. Wir fanden deshalb, „English Tapas“ sei ein perfekter Albumtitel, weil er so viel über England im aktuellen Zustand aussagt: ignorant, billig und scheiße.

Was hältst du von der ganzen Brexit-Sache?

Das sind schlechte Nachrichten, am Brexit ist nichts gut. Und jenseits der Frage von In oder Out ist allein schon die Unruhe, die durch die Debatte ausgelöst wurde, schrecklich: Sie hat die Menschen auseinandergebracht, hat rassistische und faschistische Denkmuster befördert. Die Ideen von Grenzen, von britischer, von englischer Identität sind sehr präsent, es wird wieder über das British Empire geredet, und all das ist nicht gut.

Du hast die Welt gesehen, andere Landsleute sind noch nie aus dem Land rausgekommen. Ist das die Trennlinie zwischen In und Out?

In gewisser Weise ja, dann aber auch nicht. Die Abstimmung basierte nicht auf fundiertem Wissen, sondern auf Mythen und auf Hass. Da sich gerade Menschen, die eher unten auf der sozialen Leiter stehen, von der neoliberalen Politik alleingelassen fühlten, war das Out deren Art sich bemerkbar zu machen. Aber was haben die dafür bekommen? Etwas weitaus Schlechteres, nämlich einen noch stärker konzentrierten Neoliberalismus. Es wird schrecklich werden, und die, die für Out gestimmt haben, werden noch mehr verlieren. Trotzdem kann ich die Out-Voter nicht verstehen, nur das Ausmaß ihrer Entfremdung. Und man muss das ganze Bild sehen: Wenn du glaubst, dass dir jemand von den Konservativen in Westminster die Wahrheit erzählt, musst du ein verdammter Idiot sein.

 

FUN-FACTS

Der Name SLEAFORD MODS ist angelehnt an das subkulturelle Phänomen der Mods, dessen Revival in den Siebzigern Williamsons Teenagerjahre prägte. Das namensgebende Sleaford ist nicht weit von Williamsons Heimatort Grantham entfernt und wurde allein wegen des „cooleren“ Klangs gewählt.

Jason Williamson wurde der Schule verwiesen, nachdem er dabei erwischt worden war, wie er versuchte einem Freund auf dem Jungenklo ein Ohrloch zu stechen, während gleichzeitig ein Weitspuckwettbewerb stattfand.

„I used to be in bands, fuckin hated it“ lautet die Kurzbeschreibung auf der offiziellen Bandcamp-Seite. Williamson spielt damit auf seine fruchtlosen Versuche an, als Gitarrist und Singer/Songwriter in der englischen Britpop-Szene Fuß zu fassen.

Der Erfolg kam spät: Williamson und Fearn waren schon über vierzig, als 2014 endlich der Durchbruch kam und die erste Tour gespielt wurde.

Cunt, das von Williamson oft und gern benutzte Wort, ist in England ein fast liebevoller Ausdruck beim Scherzen unter Freunden.

„The corgi“ ist ein energisches Plädoyer für den Genozid an der titelgebenden Hunderasse.

„sprechgesang“ wird auf der englischen Wikipedia-Seite zur Band als Stilrichtung von Williamsons Gesang genannt. „Sprechgesang ist dem Sprechen angenäherter Gesang oder dem Gesang angenähertes Sprechen.“ (Wikipedia)

 

Timeline

2007

Von einer Gründung kann man bei den SLEAFORD MODS kaum sprechen. Jason Williamson und Simon Parfrement sitzen nicht lange bei ihrer ersten Session zusammen, als Williamson über einen Black/Death-Metal-Loop seinen Frust herausschreit. Ein richtungsweisender Moment für das damals noch THAT’S SHIT, TRY HARDER genannte Projekt. Bald darauf benennt man sich um und bringt das selbstbetitelte Debüt heraus.

2008

Zuvor bereits digital veröffentlicht, erscheint „The Mekon“ nun, wie schon das Debüt, bei A52 Sounds.

2009

Jason Williamson trifft zum ersten Mal auf die Musik Andrew Fearns, als dieser ein DJ-Set im Chameleon in Nottingham bestreitet.

2012

Das Album „Wank“ steht für einen musikalischen Umbruch. Simon Parfrement legt die Produktion der Musik in die Hände Andrew Fearns, der auf diesem Album das erste Mal in Erscheinung tritt. Parfrement arbeitet fortan aus dem Hintergrund, Fearn steht von nun an, auf Bitten Williamsons, der bis dato alleine auftrat, mit auf der Bühne.

2014

Mit „Divide And Exit“ kommt der Durchbruch und die erste große Tour durch Europa, auch erste Auftritte vor kleinem Publikum in den USA werden absolviert.

2015

Für den Dokumentarfilm „Sleaford Mods – Invisible Britain“ wird die Band auf ihrer Tour durch England begleitet.

2017

Am 3. März erscheint nach zehnjährigem Bestehen mit „English Tapas“ das neue Studioalbum auf Rough Trade Records.

 

Diskografie

„s/t“ (CD, A52 Sounds, 2007) • „The Mekon“ (A52 Sounds, 2007/2008) • „The Originator“ (CD, A52 Sounds, 2009) • „S.P.E.C.T.R.E.“ (CD, Deadly Beefburger, 2011) • „Wank“ (CD, Deadly Beefburger, 2012) • „Austerity Dogs“ (CD/LP, Harbinger Sound, 2013) • „Jobseeker“ (7“, (K-RAA-K), 2013) • „Mr. Jolly Fucker“ (7“, Fourth Dimension, 2013) • „Bambi“ (7“, X-Mist, 2013)

„Divide And Exit“ (CD/LP, Harbinger Sound, 2014) • „Retweeted“ (CD/LP/Comp, Salon Alter Hammer, 2014) • „Fizzy“ (12“/EP, A Records, 2014) • „Chubbed Up – The Singles Collection“ (CD/LP/Comp, Ipecac, 2014) • „Tiswas“ (12“/EP, Invada, 2014) • „Talk Bollocks“ (7“, Salon Alter Hammer/In A Car, 2015) • „Ibiza“ feat. THE PRODIGY (7“, Take Me To The Hospital, 2015)

„Key Markets“ (CD/LP, Harbinger Sound, 2015) • „TCR“ (12“/CD, Rough Trade, 2016) • „Live At SO36“ (12“, Harbinger Sound, 2016) • „English Tapas“ (CD/LP, Rough Trade, 2017)