Sie waren der Hype des Jahres 2014: Das aus Jason Williamson (Stimme) und Andrew Robert Lindsay Fearn (Computer) bestehende Duo aus Nottingham. Zu minimalistischer Musik aus dem Laptop trägt Jason in derbem Slang seine Texte vor, halb Spoken Word-Performance, halb gerapt. Zu Punk für Hip Hop, zu sehr Rap für „echten“ Punk, irgendwo zwischen den Stühlen und gerade deshalb interessant. Obwohl das Duo schon seit 2007 aktiv ist, drehte erst 2014 das Feuilleton hierzulande durch, das übliche „next big thing“-Geschwafel des Herdentrieb-Kulturjournalismus setzte ein. Die meisten Artikel über die Band enthielten weniger Information als Interpretation, und erst die im April anstehende Tour sowie das Ende Mai erscheinende neu Album werden erweisen, ob die Begeisterung mehr war als ein Strohfeuer. Ich sprach mit Jason, der für das Interview seine kleine Tochter „zwischenparken“ musste.
Wie hältst du es mit Schimpfworten im Umgang mit deiner Tochter?
Ich fluche nicht vor ihr, zumindest versuche ich es. Und ich muss manchmal in ihrer Gegenwart meine Texte proben. Außerdem hört sie auch viel meine Musik. Sie ist drei.
Gibt es da Diskussionen mit der Mutter oder den Großeltern?
Haha, nein. Außerdem ist unsere Musik ja recht konstruktiv, die ist ja nicht voller Hass oder so. Wir finden, die Verwendung von Schimpfworten ist etwas positives. Die Texte waren nie ein Grund für Diskussionen
Ihr seid recht freizügig in der Verwendung von „swear words“ in euren Texten. Haben Briten in dieser Hinsicht einen unverkrampfteren Umgang? In den USA ist ein öffentlich gesprochenes „Fuck“ schon Anlass für einen mittleren Skandal.
Man hat mir gesagt, das Wort „cunt“ – Fotze – werde in den USA als sehr anstößig angesehen, gerade auch von feministischer Seite, während es in England eine beinahe schon liebevolle Bezeichnung unter Kumpels ist. Wir sind definitiv keine frauenfeindliche Band, mir wäre es nicht recht, würden wir entsprechend wahrgenommen. In England ist das anders, da kann man in Sachen Schimpfworte eigentlich alles bringen. Das ist wirklich von der jeweiligen Kultur abhängig.
Letztes Jahr wart ihr in Deutschland, aber auch in England, das „next big thing“. Wie habt ihr das wahrgenommen?
Da wurde ein Traum Realität. Jeder, der in einer Band ist, will genau das. Du machst Musik, weil es für dich wichtig ist, und dann ist Erfolg immer willkommen. Es war aber auch surreal, und es gibt ja verschiedene Ebenen von Erfolg. Ich fühle mich nicht so, als ob wir eine der wichtigsten Bands in England sind. Mein Leben hat sich kaum verändert. Ich bin immer noch der gleiche Mensch, mache immer noch das Gleiche wie vorher. Es passiert jetzt schon mal, dass einen jemand auf der Straße erkennt, aber abgesehen davon hat sich nichts verändert. Es kommt mir nicht so vor, dass wir plötzlich eine wichtige Band sind, aber gleichzeitig sind wir das wohl. Eine seltsame Situation. Insgesamt ist das alles cool, denn genau darauf haben wir ja hingearbeitet. Wir sind beide über vierzig, keiner von uns hätte je damit gerechnet, dass wir mit unserer Musik noch jemals Erfolg in so einem Ausmaß haben würden.
Vom Marketingaspekt her sprechen sicher mehr Gründe gegen eure Band als für euch.
Haha, das stimmt. Wir haben ja wirklich kein besonders attraktives Image. Aber um das Image geht es ja nicht. Ich bin die meiste Zeit zuhause, kümmere mich um meine Familie. Und ich hatte schon immer die Neigung, gerne mal auszugehen und mich zu besaufen. Daran hat sich nichts geändert, außer dass man jetzt anders wahrgenommen wird, dass man anerkannt wird. Plötzlich machen sich andere ein Bild von dir. Man nimmt dich ernst – vorher war das nie der Fall.
Verändert sich das Verhältnis zu den eigenen Texten, wenn einem bewusst wird, dass das nicht mehr nur ein paar Handvoll Menschen sind, die diese hören, sondern Tausende, live und auf YouTube?
Nein, überhaupt nicht! Die Texte auf dem neuen Album sind genau wie immer. Ich mache mir keine Gedanken, wie das Publikum die Texte wahrnimmt.
In englischsprachigen Ländern verstehen die Leute eure Texte, in Deutschland etwa dürfte das in geringerem Ausmaß der Fall sein. Ist es wichtig, dass man eure Texte wirklich versteht?
Hm, ich weiß nicht so recht. Ich denke, man bekommt auf jeden Fall die Einstellung mit, um die es geht. Die gefällt den Leuten, da muss man nicht die Texte kennen. Einige Leute haben mir schon gesagt, dass sie zwar die Texte nicht verstehen, aber trotzdem kapieren, worum es geht. Ich vermute, sie meinen die Energie und wie die Songs abgehen. Ich sehen die Sprache nicht als Barriere an, aber es gibt schon Situationen, die seltsam sind, etwa wenn ich versuche, mit den Leuten zu kommunizieren und deren Sprache nicht verstehe.
Seht ihr euch denn in einer bestimmten musikalischen Tradition? In Großbritannien gibt es ja, im Gegensatz zu Deutschland, eine alte Tradition des Musizierens und Singens in Pubs.
Ja, und ich mag Folk Music, in ihrer ganz authentischen Form. Was wir machen, ist ja auch irgendwie Folk Music. Musik aus den Fünfzigern, Sechzigern, Gesang und dazu akustische Gitarre, das ist mein Ding. Aber ich selbst könnte das nicht, und so bin ich bei dem gelandet, was ich heute mache. Die Verbindung besteht auf jeden Fall.
Ihr werdet immer wieder mit Punk in Verbindung gebracht, wobei ich diese Verbindung eher in Sachen Attitüde und Direktheit sehe, weniger musikalisch. Habt ihr einen Punk-Background?
Ich weiß nicht, aber ich glaube schon, dass auch Punk in unserer Musik steckt. Mein Hintergrund ist es allerdings nicht, ich wurde mehr von Hip Hop beeinflusst. Allerdings klangen meine Songs immer schon eher wie Punk-Songs als wie Hip Hop-Nummern. Als mir das klar wurde, habe ich damit natürlich „gespielt“. Und okay, ich habe natürlich auch immer schon Punk-Musik gehört, gerade als Kid. Beides zusammengenommen hat nun zu diesem Ergebnis geführt. Andrew legt bei seiner Musik sehr wenig Wert auf Poliertheit, und das trägt auch zu diesem Eindruck bei. Wir achten schon sehr genau darauf, wie wir wirken.
Von eurem Booker bis zu den Labels, auf denen ihr veröffentlicht, gibt es eine klare Punk-Connection – von Hip Hop sehe ich da nichts. Auch eure „Kundschaft“ kommt eher aus dem „Gitarren-Underground“ als aus der Rap-Szene. Nimmt die euch überhaupt wahr?
Nein. In dieser Szene werden wir nicht wahrgenommen, auch in England nicht. Ich habe fast keinen Kontakt zu Leuten aus dieser Szene, aber die, die es mitbekommen, mögen, was wir machen. Ich finde, wenn man Hip Hop mag, muss man uns auch mögen, denn da steckt schon viel Hip Hop drin. Hip Hop ist in England aber auch nicht wirklich groß, der wurde fast komplett von Grime abgelöst. Die Kids auf der Straße hören heute Grime, nicht Hip Hop. Hip Hop ist für die wahrscheinlich „dad’s music“, haha.
Für Ende Mai ist euer neues Album angekündigt. Alles schon im Kasten?
Ja, aufgenommen ist es, aber wir haben noch keinen Titel und kein Cover. Textlich geht es wieder um meine Beobachtungen von Menschen und Situationen, um meine Erlebnisse. Es ist inhaltlich nicht anders als bisher, allerdings etwas gereifter, würde ich sagen. Wir sind das Album eher von der Song-Seite her angegangen, planvoller, nicht nach dem Schrotflinten-Prinzip. Wut und Frustration sind jetzt mehr ins Ganze eingebettet. Es ist ein echt gutes Album geworden. Wer uns bisher schon mochte, dem wird es gefallen.
Wie gehst du ans Texte schreiben heran? Morgens wird der Fernseher eingeschaltet, irgendwas läuft, man fühlt sich inspiriert und schreibt drauf los?
Nein, die kommen einfach so aus mir heraus, oder auch nicht. Aktuell habe ich seit fünf, sechs Wochen nichts mehr geschrieben, ich war einfach nicht inspiriert. Irgendwann kommt die Inspiration wieder zurück, so ist das immer bei mir, und dann schreibe ich wieder kleine Textideen auf. Mal ist es nur ein Wort, das ich als Ausgangspunkt nehme, oder ein Satz, aber so was wie eine „normale“ Schreibsituation gibt es nicht. Ich nehme meine Ideen mit dem Smartphone auf und sammle sie. Meine Texte sind fix, ich improvisiere in der Regel nicht auf der Bühne.
Wie genau habt ihr beide eure Rollen abgesteckt?
Ich mache die Texte, Andrew die Musik. Und dann bringen wir beides zusammen und machen Songs daraus. Jeder macht Vorschläge und so geht die Arbeit voran. Andrew weiß, was ich musikalisch mag, er hat seinen Stil entwickelt, so läuft das. Das Zweier-Line-up funktioniert gut, hinter den Kulissen haben wir noch Helfer, etwa wenn wir mal eine Bass-Gitarre oder einen Mischer brauchen. Andrew ist nicht immer in der Nähe, da nehme ich auch mal mit jemand anderem was auf. Wir haben ein Team von zwei, drei Leuten, die uns kennen, die unseren Sound verstehen.
Wie weit hat euch diese Band bislang gebracht, also rein geographisch betrachtet?
Im Dezember haben wir erstmals in den USA gespielt, in Brooklyn, New York. 600 Leute waren da, das war echt gut. Wir wollen da wieder hin, haben aber noch keine konkreten Pläne. Wir wollen da nichts überstürzen, es gibt Interesse, aber das muss man gut vorbereiten. Nach Australien wollen wir auch bald mal, da sind wir dran. Und ansonsten haben wir bislang in Deutschland gespielt, in Frankreich, der Schweiz, Schweden, Italien, Belgien, Spanien. Auf diese Länder wollen wir uns konzentrieren, da haben wir, von England abgesehen, das größte Publikum. Gerade in Deutschland läuft es gut. Vor dieser Band war ich noch nie auf Tour, das erste Mal ist gerade ein Jahr her. Ich bin in der Hinsicht echt ein Anfänger, habe vorher auch nie Platten veröffentlicht. Das ist alles noch neu für mich.
Und wie hast du die vierzig Jahre vor dieses Band verbracht?
Ich habe gearbeitet. Wie jeder andere normale Mensch auch, fünf, sechs Tage die Woche. Ich habe schon alles gemacht, war Koch, habe in Klamottenläden gearbeitet, als Wachmann, in Lagerhäusern, in Fabriken ... Immer zum Mindestlohn als ungelernte Arbeitskraft.
Hat diese Erfahrung deine Art zu schreiben geprägt?
Auf jeden Fall. Man macht da jede Menge Erfahrungen mit anderen Menschen. Besonders inspiriert hat mich die Hoffnungslosigkeit bei diesen Jobs. Du arbeitest da und es ist kein Ende in Sicht. Nur Langeweile, die irgendwann als Teil des Lebens akzeptiert wird. Je älter ich wurde, desto mehr wurde mir klar, dass das alles ist, was man erwarten kann. Und je mehr mir das klar wurde, desto mehr verarbeitete ich das in der Musik. Die SLEAFORD MODS sind dafür ein perfektes Transportmittel.
Man kann eure Texte als Kommentar zu gesellschaftlichen Fragen ansehen. Sind sie auch politisch?
In dem Moment, wo man sich konkret zu den Ungerechtigkeiten des Lebens äußert, werden gesellschaftliche Beobachtungen automatisch zu politischen Texten – auch ohne in einen entsprechenden Jargon zu verfallen oder Zahlen und Fakten zu nennen. Ein Text wirkt umso stärker, je realistischer und ernster er formuliert ist. Das hat eine ganze andere Wirkung als nur zu brüllen „Kill all coppers!“, so was ist dumm. Wenn man sich über das Thema hingegen konstruktiv äußert, ist so ein Song viel gefährlicher.
Ihr habt beide recht spezielle Bühnen-Moves.
Ach, wir bewegen uns einfach so, wie es sich gut anfühlt. Eigentlich war das als totale Anti-Performance gedacht, doch dann wurde daraus doch eine Performance. Ich wollte nie eine Art von Illusion aufführen, irgendwie posieren, oder etwas tun, das nicht für mich selbst steht. Mir macht es einfach Spaß, auf der Bühne hin und her zu rennen. Ich war früher viel auf Raves und habe gerne getanzt.
Du schneidest auch gerne Grimassen.
Das kommt einfach, wenn ich auf der Bühne stehe. Das passiert, wenn ich mich in die Performance reinsteigere, dann macht mein Gesicht, was es will.
Ihr seid „nackt“ auf der Bühne, habt nichts, hinter dem ihr euch verstecken könnt: keine Gitarre, kein Bass, kein Schlagzeug.
Das war nie wirklich geplant, das ist einfach passiert. Wenn man sich das als Konzept ausgedacht hätte, hätte das nie funktioniert, aber irgendwie klappt das. Ich habe früher schon in Bands gesungen, zumindest wusste ich also, was ich mit meiner Stimme hinbekommen kann. Und von meiner Stimme hängt es ab, die macht sicher 95% aus – oder 99%. Das hat sich alles zufällig ergeben – und überraschenderweise funktioniert es.
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