Ich war vierzehn oder fünfzehn und Bowie-Fan. Ich steckte eine LP in eine Plastiktüte und ging damit zum Friseur und verlangte einen Haarschnitt wie Bowie, was leider in der Umsetzung nicht so ganz glückte und mich nicht gerade zufriedener machte.
Ich glaube, das Ganze war mir so peinlich, dass ich danach nie wieder einen solchen Anfall von Popstarverehrung erlitt. "Let's Dance" von 1983 mit dem Hit "China girl" war damals das erste Bowie-Album, das ich mitbekam, und auch wenn ich damals schon meine ersten Punkplatten besaß und begann, Popmusik zu verachten, ahnte ich damals schon, ohne die frühen Bowie-Connections zu Punk zu kennen, dass der Typ irgendwie cooler war als die sonstigen Popstars.
Und jetzt, zwanzig Jahre später, bin ich immer noch Fan, auch wenn ich damit in einer Umgebung von Leuten, die Bowie nie verziehen haben, was er ihrer Meinung nach mit seiner Produzententätigkeit Iggy Pop angetan hat, immer noch schief angeschaut werde.
Und Drogen hin und plastische Chirurgie her, Bowie sieht verdammt noch mal mit seinen 56 Jahren verdammt gut aus, ist ein charmanter, smarter Gesprächspartner (den Eindruck vermittelte er zumindest in der per Satellit in alle Welt übertragenen Club-Show zum Release des neuen Albums), und mit "Reality" hat er ein Album vorgelegt (sein 26.), das meiner Meinung nach sein bestes und vor allem härtestes in den letzten 20 Jahren ist, was vielleicht auch an der aufgefrischten Zusammenarbeit mit Producer Tony Visconti liegt.
Ganz groß: "New killer star", die erste Single und der Opener des Albums, ein Song, der so auch auf dem Christane F.-Soundtrack von 1982 hätte enthalten sein können. "Pablo Picasso" folgt direkt darauf, ein Cover des von Jonathan Richman geschriebenen MODERN LOVERS-Songs, neben der George Harrison-Komposition "Try some, buy some" die zweite Reverenzerweisung auf diesem Album.
Weitere Highlights, die schon nach dem ersten Hören hängenbleiben, sind "Looking for water" sowie das abschließende "Bring me the disco king", und so vermittelt "Reality" sowie die alles andere als schlappe Show, die Bowie bei der oben erwähnten Veranstaltung hinlegte, den Eindruck, dass dieses Album zwar durchaus ein Spätwerk ist, aber auch, dass der Mann noch lange nicht durch ist und im heutigen Popgeschäft selbst in Zeiten billigsten "Superstar"-Trashs manchmal, aber auch nur manchmal, auch richtige Musik noch eine Chance hat.
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