Seit ihrer Gründung Mitte der Achtziger im kalifornischen Oakland haben sich NEUROSIS mit ihren in den letzten zehn Jahren entstandenen Platten längst vom Status einer normalen Band verabschiedet und sind zu einer Art Gesamtkunstwerk geworden, bei dem sowohl die Labelarbeit mit Neurot als auch die Nebenprojekte der Bandmitglieder immer einem bestimmten ästhetischen Anspruch unterworfen sind, der sich letztendlich auf eine Sache zurückführen lässt: NEUROSIS.
Die Band mag inzwischen mehr oder weniger ein Hobby für alle Beteiligten geworden sein, die mit gewöhnlichen Jobs ihren Lebensunterhalt finanzieren, ihrer Band hat das dafür eine künstlerische und wirtschaftliche Unabhängigkeit gesichert, die nur dem Ziel dient, genau die Musik machen zu können, die man machen will, ohne den Zwängen des Musikbiz unterworfen zu sein, was auch die immer rarer werdenden Live-Auftritte der Band betrifft.
Wenn man die Band dann allerdings mal live zu Gesicht bekommt, wie 2007 auf dem Roadburn Festival im holländischen Tillburg, hat man das Gefühl, einer echten Naturgewalt gegenüberzustehen, quasi einer musikalischen Tsunamiwelle, die sich zu schwindelerregenden Höhen auftürmt, bevor sie zusammenbricht und selbst noch beim anschließenden Zurückweichen eine unglaublich zerstörerische Energie besitzt.
Der 2010 erschienene Mitschnitt „Live At Roadburn 2007“ ist deshalb nur ein schwacher Widerhall der tatsächlichen Kräfte, die NEUROSIS auf einer Bühne freizusetzen in der Lage sind, stellte im Vergleich zu „Official Bootleg.01.Lyon.France.11.02.99“ und „Live In Stockholm“ allerdings qualitativ einen echten Quantensprung dar.
Auf ihren Studioplatten klingen NEUROSIS nach wie vor wesentlich besser. Seit dem letzten, „Given To The Rising“, gingen schon wieder fünf Jahre ins Land, zuvor waren es nach „The Eye Of Every Storm“ nur drei.
Es gibt Leute, die angesichts des neuen Werks behaupten, NEUROSIS wären langweilig und berechenbar geworden und man könne sie problemlos beim Abwasch nebenher hören, so wie ein neues ROLLING STONES-Album.
Da fragt man sich, wie solche Leute generell ihren Medienkonsum gestalten ... Richtiger wäre wohl die Feststellung, dass NEUROSIS über ihre letzten drei Platten zu ihrem ganz eigenen, souveränen Sound gefunden haben, der stilistische Zuordnungen wie Hardcore, Punk, Doom, Industrial, Ambient oder Metal inzwischen obsolet macht.
Dafür stehen NEUROSIS mittlerweile mit mehr als nur einem Bein knietief im Prog, konzipieren ihre Songs vor allem als kunstvolle, abstrakte Wellenbewegungen zwischen brutal-bedrohlich und leise-melodiös, die geprägt sind von einer beeindruckenden Freisetzung von Energie, die tatsächlich auch in den heimischen vier Wänden bei entsprechender Lautstärke funktioniert.
Wenn die behauptete kathartische Wirkung bestimmten Medienkonsums zutrifft, sollte man NEUROSIS auf Rezept in der Apotheke abgeben, denn die heilsame reinigende Abfuhr pathogener Affekte durch die majestätischen, rituellen Klänge von „Honor Found In Decay“ könnte möglicherweise helfen, den Arschloch-Anteil auf dieser Erde maßgeblich zu reduzieren.
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