COLISEUM

Anxiety’s Kiss

Es bricht mir beinahe das Herz, wenn ich an einem Winterabend – ok, es war Montag – mit vielleicht 20, 30 Gleichgesinnten in einem leeren Club in Essen stehe, um eine der meiner Meinung nach besten Hardcore-Bands der Gegenwart zu sehen.

Tröstlich: es ist der letzte Tag der Tour mit DOOMRIDERS, die bereits abgereist sind, andernorts lief es besser, aber dennoch: wo sind all die Hardcore-Begeisterten? Seit 2003 schon ist die Louisville, Kentucky-Band um Sänger und Gitarrist Ryan Patterson schon aktiv, das titellose Debüt kam 2004 auf Level Plane.

Es folgten die Alben „No Salvation“ (2007, Relapse), „House With A Curse“ (2010, Temporary Residence) und „Sister Faith“ (2013, Temporary Residence/Holy Roar) sowie nun „Anxiety’s Kiss“, mit dem die Band erneut das Label gewechselt hat, Deathwish ist die neue Heimat.

In gewisser Weise ist das paradox, denn so sehr COLISEUM im Herzen eine Hardcore-Band sind, so sehr man Deathwish mit brutalem, metallischem Hardcore gleichsetzt, so wenig entspricht „Anxiety’s Kiss“ diesen Vorurteilen.

Im Interview bekennt sich Ryan, in kreativer Hinsicht der unbestrittene Kopf der Formation, zu KILLING JOKE als wichtiger Inspiration, und in der Tat scheinen deren Mitt-Achtziger-Alben „Night Time“ und „Brighter Than A Thousand Suns“ immer wieder durch.

„Comedown“ etwa könnte beinahe ein Coversong sein. Aber keine Angst, hier wird nicht plötzlich Goth-Bombastrock gespielt, vielmehr ist es diese manische, klaustrophobische Intensität, die KILLING JOKE bei diesen Platten noch aus ihrer Frühphase mitgenommen hatten, die zusammen mit atmosphärischen Sounds eingeflossen sind.

Live übrigens trat dieser Einfluss in den Hintergrund, da waren COLISEUM so straight und hardcorig wie immer. Die neuen Einflüsse werden auf dem Album gekoppelt mit dem COLISEUM-Trademark-Sound, der mich wiederum an Vic Bondi (ARTICLES OF FAITH) und seine Bands erinnert, gerade gesanglich.

Produziert wurde „Anxiety’s Kiss“ im The Magpie Cage-Studio in Baltimore von J. Robbins (GOVERNMENT ISSUE, JAWBOX, BURNING AIRLINES, DEAD ENDING), der auch selbst mal zu einem Instrument griff und Patterson sowie Kayhan Vaziri (Bass) und Carter Wilson (Drums) unterstützte.

Das Album ist ein spannender Balanceakt zwischen Hardcore einerseits und Post-Punk andererseits, wobei Hardcore immer dominant ist. Spannend ist die Vielfalt der Songs, „Comedown“ etwa ist eine laute, eingängige Nummer, „Sunlight in a snowstorm“ beschwörend, treibend und intensiv, und „Driver at dusk“, kurz vor Schluß, leise und düster.

Und ganz zum Schluss kommt dann noch ein Highlight: „Man should surrender“, ein Cover jener oft vergessenen Ian MacKaye-Band PAILHEAD aus den späten Achtzigern, einem kurzlebigen Projekt mit Al Jourgensen von MINISTRY.