Ich persönlich hatte zwei besondere FLOGGING MOLLY-Momente. Der erste war der, in dem ich ihr Album „Drunken Lullabies“, dieses verdammte Meisterwerk, zum ersten Mal hörte – und damit diese Band zum ersten Mal wahrnahm. Ich war zwar damals (wie auch heute) kein Experte für Irish Folk, Celtic Folk oder Celtic Punk. Aber ich war ein großer Fan, da ich in Irland und Schottland und alles, was irgendwie damit zu tun hatte, verschossen war. Entsprechend vergötterte ich Bands wie die POGUES, die DUBLINERS, die LEVELLERS, ich wurde durch die Kombination Fiddle, Tin Whistle, Drums getriggert und ging durch die Decke, wenn auch noch eine verzerrte E-Gitarre dazukam. Mein zweiter FLOGGING MOLLY-Moment war der, in dem ich das Titellied dieses Albums, „Drunken lullabies“, zum ersten Mal live erlebte. Im E-Werk zu Köln. Es war nämlich das erste Mal, dass ich einen kompletten Saal tanzen sah. Wirklich keiner der gut tausend Menschen an diesem Abend stand in diesem Augenblick still herum. Und ich erwähne diese beiden Momente, weil sie nach meinem Dafürhalten all das zeigen, was FLOGGING MOLLY ausmacht: Diese Band verpackt den Geist der irischen Musik derart gekonnt und geschmeidig in Melodien und paart ihn mit Punk, dass niemand sonst genreweit mithalten kann. Und genau deswegen vermag sie es wie keine zweite Band ihrer Art, die Menschen zum Ausflippen zu bringen. Sicherlich, die POGUES stehen über allem. Werden das immer tun. Aber der Rest? Kommt nicht ran. Noch nicht mal die Speerspitze. Die DROPKICK MURPHYS etwa sind im Gegensatz zu Dave King und Co. zu rauh und hart. Die RUMJACKS sind letztendlich zu sehr Punk, um den zarten melancholischen Geist, die tief zwischen Leid und Unbill liegende Lebensfreude und somit das Ursprüngliche des Irish Folk wirklich einzufangen. Und alle anderen können mit diesem Trio sowieso nicht mithalten, weil sie am Ende, wenn es drauf ankommt, doch immer nur nach anderen und nie nach sich selbst klingen. FLOGGING MOLLY hingegen fangen auf „Anthem“ alle Qualitäten wieder einmal umfänglich ein. Es gibt keinen Ausfall. „These times have got me drinking/Tripping up the stairs“ geht nach vorne und macht sich mit einem lachenden und einem weinenden Auge traurig-lustig über die zurückliegende Lockdown-Zeit. „A song of liberty“ könnte in seiner Wut und Rohheit aus früheren „Drunken Lullabies“- oder „Float“-Sessions stammen. „Life begins & ends (but never fails)“ ist klassischer Irish Folk, „No last Goodbyes“ die unvermeidliche wie heimlich herbeigesehnte Ballade. Und „The croppy boy ’98“ verknüpft Historie mit Moderne und tunkt alles in keltisch-musikalischen Urschleim. Wahnsinn, was Dave King und seine Mitstreitenden einmal mehr aus einem Genre herausgeholt haben, das ob seiner Allgegenwart oft schon als todgenudelt gilt. Man könnte auch sagen: FLOGGING MOLLY sind die Band der großen Momente und bleiben die Lebensversicherung ihres Genres.
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