ZEN GUERILLA

Dank der segensreichen Erfindung der mobilen, drahtlosen Telekommunikation sitzt mein Interviewpartner Marcus, Sänger der ZEN GUERILLA, während unseres Gesprächs idyllisch auf einem kleinen Grashügel nahe einer Autobahnraststätte irgendwo in England, statt sich in eine stickige Telefonzelle pressen zu müssen. Die Band aus San Francisco, die mit "Positronic Raygun" kürzlich eine brillante Platte (in den USA wie der Vorgänger auf Alternative Tentacles, hierzulande auf Loudsprecher) und deren Track auf der letzten Ox-CD für mich ein absolutes Meisterwerk ist, war zu diesem Zeitpunkt unterwegs zu einem der letzten Gigs ihrer ersten Europatour, hatte Deutschland bereits hinter sich.

Für Sänger Marcus allerdings war es nicht der erste Besuch in Europa, wuchs er doch als Sohn eines US-G.I. mit einer britischen Mutter auf, wurde in der Türkei geboren und verbrachte seine ersten Lebensjahre in Griechenland, wohnte später in England und lebte auch eine Weile in Hamburg, bevor die Familie dann wegen der Vietnam-Abkommandierung des Vaters in die USA zurück musste. Bis auf "Guten Tag" und "Dankeschön" hat sich Marcus allerdings keine Deutschkenntnisse bewahrt - im Gegenteil: "Ich bin nicht gut in fremden Sprachen, ich beherrsche gerade mal ein paar Brocken Spanisch, ohne die man im Mission-District von San Francisco, wo wir jetzt wohnen, nicht klarkommt." Doch San Francisco ist nicht die eigentliche Heimat der Band, denn die fand sich an der Eastcoast zusammen. Und das bringt uns zur Bandhistory: "Wir haben uns in Newark, im Norden von Delaware gegründet", fängt Marcus an zu erzählen. "Wir gingen dort alle aufs College, und anfangs waren wir eine ganz simple Keller-Punkrockband. Ausser im Proberaum konnten wir kaum irgendwo spielen, denn in dem ganzen Kaff gab es keine Clubs, in denen die Polizei Konzerte erlaubte - und bei denen, die wir spielten, zog mich nicht nur einmal nach einem halben Set die Polizei von der Bühne. Also mussten wir versuchen, in den grösseren umliegenden Städten Konzerte zu kriegen, und letztendlich zogen wir dann geschlossen nach Philadelphia um, einfach nur um als Band weitermachen zu können. Wir blieben dort drei Jahre, und schliesslich beschlossen wir nach San Francisco zu gehen, wo wir jetzt seit drei Jahren wohnen."

Die ersten Platten von ZEN GUERILLA wurden seinerzeit in Philadelphia eingespielt und von der Band auf ihrem eigenen Label Insect Records veröffentlicht. "Unsere Diskographie umfasst unsere ersten beiden Singles, das erste Album, zwei weitere 7"s sowie die beiden EPs "Invisible ,Liftee' Pad" und "Gap Tooth Clown", die ja letztes Jahr von Alternative Tentacles auf einer CD wiederveröffentlicht wurden. Der Kontakt zu Jello Biafra kam übrigens schon zu meinen Collegezeiten zustande, als ich ihm schrieb und um Tips für die Gründung meines eigenen Labels bat. Er war sehr hilfsbereit, antwortete mir gleich, und so blieben wir über all die Jahre in Verbindung."

Wer allerdings angesichts grosser Begeisterung über das aktuelle Album sofort in den Plattenladen stürmen will, um sich den Back-Catalog zu besorgen, wird nicht viel Glück haben: ausser dem AT-Rerelease der beiden letzten EPs sind alle anderen ZEN GUERILLA-Scheiben absolut ausverkauft. Marcus: "Wir werden auch ständig auf unser erstes Album angesprochen, aber wir haben momentan nicht das Geld, um es nachzupressen. Das Teil kam damals in sehr aufwendiger Verpackung raus, nämlich mit einer Tonband-Pappbox als Cover und einem Poster als Dreingabe. Heute ist das schon ein Sammlerstück, und gelegentlich sehe ich mal ein Exemplar zu einem kranken Collector-Preis im Plattenladen stehen. Mal sehen, Biafra ist prinzipiell interessiert, dieses Album und die Singles auf eine CD zu packen, also vielleicht wird da bald was draus. Ausserdem ist es doch auch irgendwo cool, wenn du als Band so ein Sammlerstück in die Welt gesetzt hast."

Abgesehen davon weist mich Marcus darauf hin, dass die frühen Scheiben musikalisch kaum was mit den ZEN GUERILLA von heute zu tun haben: "Die Sachen sind nicht mal mehr annähernd repräsentativ für uns, aber ich fände es schon deswegen gut, die Platten wieder rauszubringen, weil mich ständig Leute deshalb ansprechen oder anschreiben." Und in Marcus´ eigenen Worten hört sich die musikalische Weiterentwicklung von ZEN GUERILLA so an: "Unser musikalisches Fundament stellt eindeutig Punkrock dar, doch bald fingen wir an, mit Noise und Geräuschen zu experimentieren, und unsere frühen Sachen wiesen auch relativ viele Spacerock-Elemente auf. Wir hatten teilweise sehr lange Songs, bis zu zwölf Minuten, experimentierten auch sehr viel mit den unterschiedlichsten Klängen und hatten noch einen fünften Mann in der Band, einen zweiten Gitarristen. So richtig konnten wir uns damals nur bei Livekonzerten ausdrücken, denn wir arbeiteten viel mit Lichteffekten, Filmprojektoren und solchen Sachen. Die Konzerte waren damals ein radikaler Angriff auf alle Sinne. Irgendwann hatten wir von diesem ganzen Bombast aber genug und fingen an, unsere Musik auf die grundsätzlichen Elemente zu reduzieren, wobei ich aber glaube, dass wir das nicht in der jetzigen Form hingekriegt hätten ohne unsere ausufernden Klangexperimente. Und ich finde, wir haben schon einen Ansatz gefunden, mit Blues und Rock´n´roll mal was neues zu versuchen, stehen nach unserer Spacerock-Phase jetzt wieder mit beiden Beinen auf der Erde."

Blues - bei diesem Stichwort werden allenthalben Vergleiche zwischen ZEN GUERILLA und JON SPENCER BLUES EXPLOSION, PUSSY GALORE, DELTA 72 oder auch MULE bemüht - und die so durchaus geehrten sind darüber nicht mal glücklich, sprechen von "Zeitgeist comparisons". Marcus: "Ich denke, es ist einfach sehr bequem, uns mit diesen Bands in einen Topf zu werfen - da weiss jeder, was er sich so ungefähr unter unserer Musik vorstellen muss. Andererseits ist es zwar so, dass all diese Bands Blues und Rock´n´roll in Ehren halten, aber doch jeweils einen anderen Ansatz haben, ein gutes Stück Individualität einbringen und sich so doch deutlich von einander unterscheiden. Abgesehen davon ist es ja auch so, dass derzeit ein sehr erfreuliches Rock´n´roll-Revival zu beobachten ist, von dem auch wir ein Teil sind."

Bei aller vorsichtigen Abgrenzung gesteht Marcus letztendlich dann aber doch ein, dass Jon Spencer recht grossen Einfluss auf ihn ausgeübt hat. "Bei Jon Spencer denke ich in erster Linie an PUSSY GALORE, die haben mich schon ziemlich beeindruckt. Mindestens genauso wichtig sind aber auch die Bands, mit denen wir in den Siebzigern aufgewachsen sind, in meinem Fall etwa die YARDBIRDS, die SMALL FACES, MC5, THE STOOGES - und natürlich AC/DC! Die haben mich meine ganzen Teenagerjahre über begleitet, mit grandiosen Songs wie ,Highway to hell' und ,Back in black'. Das war die Musik, die aus den Boxen meines Ford Pinto dröhnte, wenn ich morgens zur Schule fuhr. Und jetzt komme mir niemand damit, AC/DC seien bloss eine Rockband - Mann, AC/DC waren fucking punk rock! Das ist sowieso so ein Ding: Heutzutage verwechseln viele Leute Punkrock mit einer bestimmten Mode, aber das ist Bullshit, es ist die Musik! Man, Bon Scott was a punk motherfucker! Und Otis Redding, der war so punk wie man es nur sein kann. Also, ich weiss, was für mich Punkrock ist, aber das muss jeder für sich selbst ausmachen, und in der Öffentlichkeit herrscht darüber sowieso eine andere Meinung."

Auch in einer anderen Hinsicht haben Marcus und ZEN GUERILLA ihren eigenen Kopf, nämlich was ihre Instrumente anbelangt. Auf teures Equipment geben sie einen Scheiss, sondern bedienen sich vorzugsweise auf Flohmärkten und in 2nd Hand-Läden: "Ich gebe nichts auf glänzendes neues Equipment - warum auch? Lieber was billig kaufen und selbst reparieren und dann damit spielen, bis es nicht mehr funktioniert - und dann wieder günstig was Neues kaufen. So ein alter, schäbiger Gitarrenverstärker etwa hat doch viel mehr Persönlichkeit als ein nagelneuer. Und ich finde, so ein Equipment trägt auch was zum Charakter der Band bei. Ich erinnere mich daran, wie wir mal einen Gig hatten und der Mischer ganz besorgt war, weil Carls Bass so ein komisches Brummen erzeugte. Die wollten das wegmachen, aber Carl meinte nur ,This buzz is there for a reason'. Sowas ist doch viel näher an der Realität dran als ein cleaner, perfekter Sound."

Diese Attitüde bewahren sich ZEN GUERILLA auch, wenn es ins Studio geht. Marcus: "Uns reicht ein kleines Studio mit einem Raum. Wir nehmen live auf, ohne grossen technischen Zauber und mit nur wenigen Overdubs - das letzte Album hat gerade mal 2.500 Dollar gekostet. Nur so kannst du das Feeling eines Livekonzertes rüberbringen, und scheiss drauf, wenn es nachher quietscht und brummt und scheppert. So behält die Musik ihre Persönlichkeit, doch viele Bands machen den Fehler, mit wachsendem Erfolg und grösserem Studiobudget immer mehr Zeit im Studio zu verbringen."

Zum Abschluss stellte ich dann noch die Frage, was sie auf Tour in Deutschland am meisten vermisst hätten. Die Antwort: die gewohnten riesigen US-Truckstops, gewaltige Anlagen, gegen die sich deutsche Autobahnraststätten wie Pommesbuden neben einem McDonalds ausnehmen: "Als kleine Band mit wenig Geld bist du auf Tour auf diese Truckstops angewiesen: da gibt´s für ein paar Dollar riesige All You Can Eat-Büffets, so viel Kaffee wie du willst, du kannst duschen, flippern und so weiter. Mit denen kannst du die Raststätten hier in Deutschland nicht vergleichen - aber dafür, und das ist auch nicht zu verachten, gibt´s in den Clubs wesentlich besseres Essen."