Die 2015 gegründeten Band aus Wales bringt mit „Erebos“ ihr drittes Album auf den Markt. Die fünf Mitglieder präsentieren darauf einen Death Metal, der auch sehr gefühlvolle Momente aufweist, sowohl musikalisch als auch textlich. Darüber sprach ich mit Sängerin Larissa Stupar, aber auch über Sexismus und Misogynie in der deutschen Hardcore-Szene, aus der sie ursprünglich kommt.
Vor einer Stunde erschien euer neues Video zum Song „Pain of Oizys“. Es ist einerseits richtig schön, andererseits ziemlich beunruhigend und spooky. Auch beim Cover eurer neuen LP geht es mir so – es ist wunderschön gemalt, aber vom Motiv her total erschreckend. Wie kommt man zu solchen Widersprüchen?
Das Cover wurde von Eliran Kantor gezeichnet und hat eine spezielle Bedeutung. Eliran ist Israeli und lebt in Berlin. Sein Großvater hat den Holocaust überlebt. Ich habe ihm erzählt, worum es auf unserer neuen LP gehen wird. Ich habe mich viel mit dem Gefängnis beschäftigt und wie die Menschen dieses System durchleben. Es geht um den Teufelskreis aus Armut und Gewalt, der oftmals die Ursache dafür ist, dass Menschen immer wieder im Gefängnis landen. Dazu kam die ganze Xenophobie und der Rassismus, mit dem die Leute leben müssen, was vor allem die USA und auch Großbritannien betrifft, wo ich mittlerweile selbst lebe. Für mich ging es darum, dass diese Menschen die ganze Gewalt durchleben, innerlich sterben und schließlich wiedergeboren werden, auf eine andere Art und Weise. Eliran hat sich durch diesen Vergleich an die Gespräche mit seinem Großvater erinnert gefühlt, der als junger Mensch die Brutalität im KZ erlebt hat und der tatsächlich auch innerlich gestorben ist und seine Unschuld verloren hat. Und aus diesem Chaos und der ganzen Gewalt ist ein neuer Mensch entstanden.
Auch die Musik auf der neuen Platte ist ziemlich gegensätzlich. Es gibt neben dem totalen Death-Metal-Geballer auch beinahe zärtliche Parts wie im angesprochenen Song. Dennoch wirkt die Platte viel harmonischer als die letzte.
Ja, sie ist auf jeden Fall harmonischer. Wir wollten all unsere Fähigkeiten entfalten, Ben, unser Gitarrist, ist auf eine Musikhochschule gegangen, er spielt auch Instrumente wie Cello und Klavier, und so was wollten wir einfach mal mit reinbringen. Uns ging es nicht darum, einfach eine neue Death-Metal-Platte zu machen und wir wollen auch nicht als Death-Metal-Band abgestempelt werden. Wir wollten einfach die Musik machen, die uns gefällt.
Kann es was mit ihrer Entstehung zu tun haben, dass sie harmonischer klingt? Ich nehme an, ihr habt sie während der Pandemie geschrieben und aufgenommen.
Ende 2019 hatten wir eigentlich alle Songs fertig geschrieben, dann kam Corona und wir konnten keine Shows spielen. Als dann der Lockdown kam, haben wir die Lieder noch einmal komplett überarbeitet, viele verworfen und neue geschrieben. Wir hatten im Gegensatz zu sonst, wenn wir alles schnell mitten im Alltag zwischen unseren Touren schreiben und aufnehmen müssen, enorm viel Zeit. Die Labels haben keine Deadlines gesetzt, einfach weil alles so chaotisch war. Die Isolation, die wir erlebt haben, hat unsere Platte enorm beeinflusst – musikalisch, textlich und vom Artwork her. Diese Zeit war künstlerisch ein schöner Prozess, weil wir uns auf irgendeine Art und Weise finden konnten. Normalerweise nehme ich die Vocals auf und wir gehen zusammen noch mal drüber, hier war es so, dass ich sie im Homestudio aufgenommen habe – mich wundert nur, dass sich die Nachbarn nicht beschwert haben.
Ist das Ergebnis aus deiner Sicht auch komplett anders als bei den beiden Vorgängern?
Ja. Wir mussten dieses Mal vier Wochen ins Studio gehen durch die verschiedenen Lockdowns, wenn du es zusammenrechnest. Es war schön, so viel Zeit zu haben und auf Details zu achten. Wir haben zusammen mit Scott Atkins aufgenommen und konnten durch die viele Zeit das wirklich Beste aus uns und den Songs rausholen. Wir wollten alles mehr „memorable“ haben – dass gute Parts wiederkommen und dir im Gedächtnis bleiben. Sonst haben wir immer nur eine bis anderthalb Wochen, in denen wir uns beeilen müssen, um es fertig zu bekommen. Zusammenfassend kann ich sagen, dass bei diesem Album wirklich alles völlig anders gelaufen ist, ja.
Neben eurer Musik, eurem Artwork und dem angesprochenen Video finde ich deine Lyrics auch „gegensätzlich“. Einerseits haben sie eine direkte politische Aussage wie etwa gegen Sexismus und Misogynie, andererseits fühlt man, dass da noch irgendwo etwas Verborgenes liegt. Wie schaffst du diesen Spagat?
Den schaffe ich, weil ich politische und ethische Punkte rüberbringen möchte, ohne sie ganz auszusprechen. Ich möchte, dass die Leute darüber nachdenken, wenn sie die Texte hören oder lesen. Als Künstler:in ist es sehr wichtig, dass du dich nicht einfach nur auskotzt, sondern den Hörern die Zeit gibst, sich selbst da einzufühlen.
Die Lyrics drehen sich bei euch oft um den Knast. Ihr heißt ja auch VENOM PRISON. Woher kommt die Affinität zum Gefängnis?
Die Platte ist auf jeden Fall von dem ganzen „Knast-Ding“ beeinflusst. Als in den USA nach dem Mord an George Floyd die „Black Lives Matter“-Bewegung erstarkte, konnte ja jeder die Problematik sehen. Aber schon immer hat der Hintergrund von Knasterfahrungen ja seine Ursachen im Rassismus. Bei euch ist es noch anders als in den USA oder auch im UK, da der Kolonialismus in Deutschland nicht eine solche Größenordnung hatte. Als wir durch den Lockdown plötzlich alle selbst isoliert waren und quasi in unserem eigenen Knast saßen, hat mich das Thema noch mehr beeindruckt. Mir stellten sich dann allerlei Fragen, wie zum Beispiel, ob man im Knast noch Bürgerrechte wie das Wahlrecht hat. Ich konnte viel entdecken und wahrscheinlich spielt der Knast auf der Platte deshalb diese Rolle.
Ich empfinde deine Texte andererseits als sehr offen. Im Song „Pain of Oizys“ geht es um psychische Krankheiten. Wie kamst du auf den Text?
Ich habe seit Jahren Depressionen, bin medizinisch und therapeutisch in Behandlung. Ich habe ein Posttraumatisches Belastungssyndrom, das daher rührt, dass ich sexuelle Gewalt erfahren habe, als ich jünger war. Es hat mich mein halbes Leben lang begleitet. Ich habe das schon früher öfter in meinen Texten behandelt, aber nicht so wie auf der neuen LP. Ich habe dahingehend damit abgeschlossen, dass ich akzeptiere, dass das ein Teil meiner Persönlichkeit ist. Es wird nicht mehr weggehen und ich lebe im Hier und Jetzt. Und sicherlich wird man an seine Traumata immer wieder mal denken müssen und Depressionsschübe bekommen. Wenn ich davon rede, dass ich nicht mehr so fühlen möchte, als ob ich sterbe, ist das nicht, weil ich sterben will, sondern weil ich einfach akzeptiert habe, dass das Leben weitergeht. Ich will lieber damit leben als gar nicht mehr leben.
Als ich „Erebos“ das erste Mal hörte, dachte ich bei deiner Stimme zuerst an eine weibliche Version von Mille Petrozza, den Sänger von KREATOR. Und an Candace Puopolo, die Sängerin der Hardcore-Band WALLS OF JERICHO. Deine Hardcore-Roots – du warst Sängerin bei der deutschen Band WOLF DOWN – sind durchaus noch rauszuhören.
Das freut mich sehr. Ich würde auch sagen, dass das stimmlich sehr zu den beiden passt.
In einem früheren Interview hast du mal gesagt, dass du damals völlig überrascht warst, dass die Hardcore-Szene nicht die heile Welt war, wie du es dir davor vorgestellt hattest. Warum?
Ich war überrascht, weil ich als 17- oder 18-Jährige nicht angenommen hatte, dass Unterschiede gemacht werden zwischen Mann und Frau, wenn es um Musik geht in einer Szene, die sich anti-sexistisch darstellt – worauf ich mich verlassen hatte. Das war allerdings in der Hardcore-, Punk-, Crust-, DIY- und AZ-Szene überhaupt nicht so. Dazu waren Frauen zahlenmäßig in diesen Musikrichtungen einfach in der Minderheit.
War das ein Prozess oder wurde es dir sofort bewusst, als zu in die Szene kamst?
Es dauerte etwas, bis ich es nach ein paar Monaten und Shows gemerkt habe. Alleine wenn es zum Beispiel um das Einladen des Equipments in die Venues ging und ich nur als Anhängsel und nicht als Teil einer funktionierenden Band angesehen wurde.
Du bist 2013 bei WOLF DOWN ausgestiegen. 2017 hat sich die Band dann aufgelöst, nachdem sich zwei Frauen öffentlich geäußert hatten und den Gitarristen der sexuellen Gewalt beschuldigten, was dieser dann zugab. Du hast dich dazu auch noch einmal zu Wort gemeldet.
Ja, ich wollte damit ausdrücken, dass ich den beiden Frauen glaubte und an ihrer Seite stehe. Meine eigene Erfahrung hatte ich allerdings mit Sven, dem Drummer der Band, gemacht, mit dem ich acht Jahre in einer Beziehung war. Mein Trauma habe ich mit ihm erlebt und das war eine der Ursachen, dass ich damals ausgestiegen bin. Ich habe viele Jahre nicht darüber gesprochen, habe es immer weggeschoben und wollte am liebsten nie wieder daran denken. Das ist sicher einer der Gründe, weshalb ich Deutschland verlassen habe, ich wollte einfach nicht mehr in der Nähe sein.
Haben dich die Vorwürfe der beiden Frauen überrascht?
Teilweise sehr, teilweise nicht. Sexismus habe ich damals in der Band erlebt, durch meinen damaligen Partner und auch durch Tobias, den Gitarristen. Sie haben oft Kommentare über Frauen abgegeben, die sehr degradierend waren. Wenn ich das angesprochen habe, wurde ich nicht ernst genommen, weil ich das als Frau einfach nicht verstehen würde. Und irgendwann konnte ich damit nicht mehr leben.
Wenn du nun beide Szenen – Hardcore und Metal – miteinander vergleichst: gibt es in Bezug auf Sexismus einen Unterschied?
Im Metal ist es für mich überhaupt nicht nötig, auf Shows oder Festivals dagegen anzukämpfen, ganz im Gegenteil werde ich hier immer mit Respekt behandelt. Hier ist es eher im Internet ein Problem, wenn jemand schreibt, dass ich als Frau in der Szene nichts zu suchen hätte. Im Hardcore dagegen habe ich es wie gesagt auf den Shows und im Backstage erleben müssen, das Internet kam noch dazu. Es gab Facebook-Gruppen, in denen geschrieben wurde, dass ich hässlich oder eine Schlampe sei, und Sachen erfunden wurden, die einfach nicht wahr waren. Ich wurde angegriffen, weil sie mich wohl als das schwächste Glied in der Kette gesehen haben, nehme ich an.
Hast du eine Erklärung für die Unterschiede im Umgang mit Frauen in den beiden Szenen?
Nicht wirklich. Damals gab es im Metal weniger Frauen, heute dürfte es in beiden Bereichen etwa gleich sein. Im Metal gibt es ganz andere Probleme. Die Misogynie ist eher in den Songtexten über sexualisierte Gewalt, im Artwork und auf T-Shirts zu finden, als dass es auf Shows direkt ausgesprochen würde. Im Metal werden meines Erachtens viele Sängerinnen von den Fans sehr sexualisiert, im Hardcore nicht so. Dort waren es persönliche, direkte Erfahrungen – einfach purer Sexismus, den ich real erlebt habe.
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