Alle Welt will mit Mike Patton sprechen? Warum? Weil er der große Zampano bei Ipecac Records und jetzt FANTÔMAS und auch TOMAHAWK ist, und einst bei FAITH NO MORE war? Blöde Star-Vergötterung, sage ich dazu, und sowieso ist es der überaus sympathische, fast schon völlig ergraute Duane Denison, den mensch ja schon als Gitarristen von JESUS LIZARD her kennt, der bei TOMAHAWK die Fäden in der Hand hält. Deshalb also sprachen wir sehr gerne mit Duane und drängelten erst gar nicht wie die werten Kollegen nach einem Interview mit dem großen Patton, der in echt übrigens höchstens 1,65 hoch ist und mit einem albernen grünen „Polizei“-T-Shirt herumlief, und wohl ebenfalls sehr nett ist, nur eben etwas strange. Nicht zu vergessen Kevin Rutmanis, auch bei den MELVINS und zuvor bei den COWS, sowie John Stanier, Ex-HELMET.
Duane, das Konzert heute geht um 19 Uhr los, um 22 Uhr muss alles vorbei sein. Und ihr steht auf der Bühne, wenn es noch hell ist. Kinderprogramm?
Ja, das hat was von einem Jugendzentrum, haha. Aber ich denke, das wird schon okay sein. Wir spielen in den USA in allen möglichen Läden, von Clubs bis zu großen Hallen, mal vor 500, mal vor 1.500 Leuten.
Dann läuft es ja echt gut für euch. Mir fällt es schwer einzuschätzen, wie „massenkompatibel“ Ipecac als Label und seine Bands so sind.
Ipecac ist ein noch recht neues Label, das recht erfolgreich ist. Wenn man so ein Label gründet, ist es für mich wichtig, dass es eine Identität, eine Persönlichkeit hat. Ipecac ist ein sehr vielseitiges und ungewöhnliches Label, mit Bands und Releases, die nicht wirklich Mainstream sind, wenn man das mal mit dem Programm etwa von SubPop vergleicht. Die machen überwiegend Rock – Labels sind meist für einen bestimmten Stil bekannt. Ipecac sind dafür bekannt, dass es eben keinen bestimmten Stil gibt, dass so was wie DER Ipecac-Sound nicht existiert – alle Bands sind sehr verschieden. TOMAHAWK sind dabei wohl die am ehesten dem Mainstream entsprechende Band auf dem Label.
Fühlst du dich beleidigt, wenn man eure Musik als, na ja, „freaky“ bezeichnet?
Ach nein! Die Fans von Patton finden eher, dass TOMAHAWK nicht freaky genug sind. Aber wir wollten von Anfang an, dass das eine Rockband ist, die entsprechend ‚straight‘ klingt, mit den üblichen Riffs und Beats, die nicht so extrem ist wie MR. BUNGLE oder FANTÔMAS. Außerdem macht er diesen Sound ja bereits mit einer Band, warum also noch eine in dieser Art?
Mich verblüfft es aber schon, dass so relativ viele Leute anno 2003 sich für so einen Sound begeistern, in einer Zeit, da sonst Erfolg nur mit stereotypen Formaten möglich zu sein scheint. Und Punk wird ja schon lange nicht mehr als „gefährlich“ wahrgenommen.
Also mich überrascht es auch, dass es so ist. In den letzten fünf, zehn Jahren gehen immer weniger Leute überhaupt noch zu Konzerten, die bleiben lieber zu Hause, schauen Videos und DVDs, spielen am Computer. Und doch können wir auf Tour gehen, spielen oft ausverkaufte Konzerte, und das ist ein gutes Zeichen: Es gibt also doch noch ein Publikum für so eine Musik. Und wie gesagt, das überrascht mich, wo das 21. Jahrhundert doch sonst eher den Beweis erbracht hat, dass ein Haufen Idioten mit Gitarren und Schlagzeug sich auf eine Bühne stellen und Lärm machen können, und es genug Leute gibt, die dafür bezahlen. Vielleicht also ist unser Erfolg ein gutes Zeichen.
Dabei hast gerade du ja schon einige Trends kommen und gehen sehen.
Oh ja! Allein der Spruch von Leuten, dass Rock tot sei. Alle zehn Jahre kommt jemand an und behauptet das. Dabei war Rock nie weg vom Fenster. Techno kommt und geht, Drum & Bass kommt und geht, Hip-Hop kommt und geht, aber Rock ist immer da. Und es kommen ja ständig neue Rock-Stile hinzu, wobei es auch Konstanten wie Metal gibt. Metal ist nie angesagt und stylish gewesen, aber die Metalszene hält sich schon ewig, obwohl vermeintliche coole Leute Metal nicht mögen. Aber die Leute gehen auf die Konzerte, kaufen die Platten. Vor allem die Skandinavier sind da ja ganz groß drin, was die in Sachen Metal abziehen, das verblüfft mich immer wieder, haha.
Warum hast du TOMAHAWK gegründet, warum bist du dabei? Du warst in so vielen Bands, das muss ja einen bestimmten Reiz gehabt haben.
Ich lebe heute in Nashville und fing damals, nach dem Ende von JESUS LIZARD, an Country zu spielen. Bei einem MR. BUNGLE-Konzert habe ich dann Patton getroffen. Jemand hatte mich mitgenommen, stellte uns vor und ich war ganz überrascht, dass Patton wusste, wer ich bin. Er meinte, er habe ein neues Label, ob ich denn irgendwelche neuen Songs geschrieben hätte und wenn ja, dass er die gerne hören würde. Mich freute das, und so ließ ihm Sachen von mir zukommen, denn die Chance, auf einem guten Label zu sein, mit einer guten Band, das fand ich aufregend, ich konnte es kaum erwarten, endlich loszulegen.
Wie kommt ihr denn bei TOMAHAWK klar? Ich schätze mal, dass ihr alle vier euren ganz eigenen Kopf habt.
Oh ja, da kommen immer vier Persönlichkeiten zusammen. Wir haben unsere Zeit gebraucht, um klarzukommen, aber nachdem wir nach dem ersten Album in den USA, Europa und Australien auf Tour waren, kamen wir richtig gut klar. Da hat auch dazu beigetragen, dass wir gemerkt haben, dass da draußen Leute sind, die unsere Musik mögen und verstehen, und das war für uns ein Zeichen, weiterzumachen.
Und was ist mit dem DENISON-KIMBALL TRIO, zusammen mit dem ex-LAUGHING HYENAS-Trommler Jim Kimball, mit dem du einen eher jazzigen Sound gemacht hast, zum Beispiel für Jim Sikoras Film „Walls In The City“, wo David Yow die Hauptrolle gespielt hat.
Ja, aber das ist vorbei. Ich habe schon seit Jahren nicht mehr mit Jim Kimball gespielt, was schon daran liegt, dass ich nicht mehr in Chicago lebe und ich mit den ganzen Leuten nichts mehr zu tun habe. Ich habe sehr gerne an diesem Soundtrack gearbeitet, aber es ist sehr schwer, an so einen Job ranzukommen. In den USA, speziell in LA und New York, gibt es so viele Leute, die nichts anderes machen als Soundtracks, dagegen komme ich nicht an. Da bin ich lieber nach Nashville gezogen und habe angefangen Country zu spielen. Aber das ist alles Vergangenheit, jetzt gibt es TOMAHAWK.
TOMAHAWK wären auch irgendwie nur schwer vorstellbar gewesen in der Musikszene des Chicago der Neunziger.
Als ich Chicago 1999 verließ, bezeichnete jeder die Musik, die dort gemacht wurde, als Post-Rock, also Sachen wie TORTOISE, SEA & CAKE, diese ganzen Sache aus dem SLINT-Umfeld. Und alles, was gerade heraus, aggressiv, ehrlich und nicht so verkopft war, wurde als unwichtig eingestuft, war nicht mehr angesagt. Nachdem THE JESUS LIZARD auseinandergebrochen waren, wollte ich nicht mehr in dieser Stadt bleiben, auch wenn ich ein paar dieser Bands mochte, etwa die Sachen von Ken Vandermark, aber ich wollte nicht da hängen bleiben, denn ich hatte das Gefühl, dass diese ganze Szene schon im Niedergang war. Also beschloss ich, einfach umzuziehen und auf mich allein gestellt zu schauen, was so passiert. Manchmal passieren die schönsten Dinge im Leben einfach per Zufall. Nach Nashville etwa war ich gezogen, um mit Hank Williams III. zu spielen, und weil einer aus dieser Band MR. BUNGLE kannte, habe ich Mike Patton getroffen. Reiner Zufall!
Bist du Anhänger der Theorie, dass es eine Rolle spielt, in welcher Stadt man spielt, wenn es um eine bestimmte Art von Musik geht?
Absolut! Die Umgebung, in der du dich als Band und Musiker bewegst, spielt eine ganz entscheidende Rolle. Viele Musiker und Bands da draußen sind richtig gut, aber sie leben in einer Gegend, in der niemand zu schätzen weiß, was sie da tun und sie gehen so richtig ein. Ein extremes Gegenbeispiel ist dann wiederum Seattle: Jeder, der dort vor vierzehn Jahre eine Gitarre halten konnte, konnte da eine Band gründen. Oder wie es heute in New York oder Detroit ist: Wenn du einen bestimmten Look und Sound hast, dann hast du es nicht wirklich schwer, aber so ist das eben. Ich denke aber auch, dass das für mich heute keine Rolle mehr spielt: Ich bin schon etwas älter, ich kenne schon eine ganze Menge Leute, da ist es egal, dass Nashville alles andere als eine Rock-Stadt ist. Aber es ist eine gute Musikerstadt, es gibt sehr viele gute Gitarristen und das hält dich fit. Außerdem lebt es sich da sehr schön und es ist viel billiger als in New York und LA.
Es kam also nie in Frage, nach Kalifornien zu ziehen?
Die Band ist ja irgendwie in LA ansässig, wo auch Kevin wohnt. Patton lebt in San Francisco, John in New York und ich in Nashville, und wir proben in LA im Proberaum der MELVINS. Meist treffen wir uns in LA, das Label sitzt in der Nähe von San Francisco, von daher spreche ich meist von Kalifornien als der Heimat von TOMAHAWK.
Das erste TOMAHAWK-Album soll ja entstanden sein, in dem ihr euch gegenseitig Tapes geschickt habt.
Ja, aber wir waren dann schon noch zusammen im Studio, da gab es gewisse Missverständnisse in der Presse. Vorher hatte ich allerdings 4-Spur-Aufnahmen der Songs gemacht und die hatten wir hin und her geschickt, wobei jeder seine Meinung äußerte. Jetzt habe ich übrigens eine digitale Workstation und kann CDs verschicken. Jedenfalls haben wir uns dann getroffen, die Songs geprobt und gingen dann ins Studio und nahmen die Sachen live auf.
Tägliche oder wöchentliche Proben sind nicht euer Ding, schätze ich.
Ach, dagegen habe ich nichts, das ist schon okay, gerade für jüngere Bands. Andererseits kennen wir alle vier die Situation, als Band zusammen in einem Haus zu wohnen und da kommt man immer an den Punkt, wo man sich nicht mehr erträgt, wo es nur noch darum geht, wer aufräumt und putzt und wer nicht. Das brauche ich nicht mehr. Doch selbst damals, als ich mit David Sims von JESUS LIZARD Tür an Tür wohnte, nahmen wir uns gegenseitig Tapes auf und tauschten die aus. Die Entfernung spielt da keine Rolle, wenn man so arbeitet, gerade mit der heutigen Technik, wo du zu Hause 16-Track-Aufnahmen machen kannst, die klingen wie aus einem teuren Studio. Aber es ist uns schon wichtig, dass wir genug Zeit zusammen haben, um an den Songs dann in Ruhe zu arbeiten.
Wie wichtig ist die Band für euch als Einzelpersonen?
Für mich ist TOMAHAWK schon die Hauptbeschäftigung, ja. Ich halte die Sache am Laufen, schreibe die meisten Songs. Die anderen in der Band haben noch andere Sachen am Laufen, für die ist die Band vielleicht nicht ganz so wichtig – oder nicht so zeitaufwendig, das ist wohl der bessere Ausdruck. Aber wenn es dran geht, mit der Band ernsthaft was zu machen, sind alle mit Begeisterung dabei und konzentrieren uns nur darauf.
Was ist eigentlich aus David Yow geworden, deinem alten JESUS LIZARD-Kollegen?
Dem geht’s gut, er arbeitet als Graphiker. Und musikalisch ist er auch noch aktiv, aber in Sachen elektronischer Musik. Wir versuchen ihn gerade zu überreden, endlich eine Platte zu machen. Er wohnt immer noch in Chicago.
Gab es mal den Punkt, an dem ihr über eine Reunion von JESUS LIZARD nachgedacht habt?
Ja, aber da müsste eine Menge Geld im Spiel sein. Für zwei Millionen Euro würden wir ein neues Album machen.
Schmerzensgeld?
Nein, weil wir denken, dass jede Band ihre Zeit hat und nur eine Weile lang funktioniert. Okay, man kann eine Band ewig am Leben erhalten, etwa THE EXPLOITED, die ich gerade bei dir im Heft gesehen habe. Aber bei jeder Band sind es nur ein paar Jahre, in denen sie wirklich gut ist. Und wir hatten diese Jahre hinter uns, und ja, wir konnten davon leben, aber wir hatten alles gesagt, was zu sagen war und jeder von uns wollte sich mit was anderem beschäftigen. Wenn jemand uns jetzt eine halbe Million Dollar geben würde, was wäre das Ergebnis? Eine Platte, die klingt wie von vor zehn oder fünfzehn Jahren? Das wäre unecht, und wenn wir sie so machen würden, wie wir das heute für angemessen halten, wäre es nicht mehr THE JESUS LIZARD. Zu ihrer Zeit war die Band gut, ein paar Jahre war alles okay, heute wäre das nicht mehr so.
Duane, danke für das Interview.
Joachim Hiller, Thomas Kerpen
Fotos: Achim Friederich
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