Zur Jahrtausendwende gründete sich das italienische Sextett TALCO (MENTOLATO). Und mit dem aktuellen Album „Gran Galà“ (Destiny Records) scheinen sie endlich angekommen sein – bei sich selbst. Was aus der Ska- und Punk-Szene heraus geboren wurde und mit viel Fleiß, Einsatz und Ausdauer immer stärker gewachsen ist, gehört trotz mehrerer Besetzungswechsel aktuell zu den aufregendsten Live-Acts in Deutschland. Auch im übrigen Europa sind TALCO inzwischen gut bekannt, nur im Heimatland Italien funktioniert nichts, wie sich die Musiker das vorstellen – nicht nur musikalisch, sondern auch politisch. Und so bleibt ihr Wunsch nach einer funktionierenden Linken ungebrochen und sie werden auch nicht müde dies mitzuteilen, nicht nur als Sympathieträger für St. Pauli. Details verrät Dema, Sänger und Gitarrist von TALCO.
Ihr seid nun seit gut zehn Jahren unterwegs und habt euch inzwischen an die Spitze der europäischen Indie-Szene gespielt. Ihr habt ein neues Album und es stehen jede Menge Gigs an – was wollt ihr 2013 darüber hinaus noch erreichen?
Jetzt steht erst mal das Promoten des Albums im Vordergrund, auf das wir superstolz sind, dann sehen wir weiter. Wir wollen mit „Gran Galà“ möglichst viele Leute erreichen, denn wir identifizieren uns mit dem Album voll und ganz. Oft waren wir mit unseren Alben nicht hundertprozentig zufrieden. Man findet immer etwas, das man hätte besser machen können, oder wir hätten uns auch die Veröffentlichung schon einmal anders vorgestellt. Bei „Gran Galà“ dagegen passt einfach alles. Wir haben uns in jeder Einzelheit wiedererkannt – in den Stücken, in der künstlerischen Produktion, in den Videos ...
Wo seht ihr den Unterschied bei eurer Musik von euren Anfängen zu dem Sound heute? Mit „Gran Galà“ seid ihr nun sehr zufrieden; glaubt ihr, dass sich eure Musik dennoch weiter verändern wird, oder ist das jetzt der definitive TALCO-Sound, auf den sich euer Publikum schon einmal längerfristig einstellen kann?
Es ist sehr schwierig, musikalisch etwas Neues zu schaffen. Wenn du dir die Musikgeschichte ansiehst, stößt du auf nur sehr wenige Bands, die in der Lage waren, etwas Besonderes zu erschaffen. Du kannst sie an einer Hand abzählen. Genau genommen, haben wir uns nie großartig darum bemüht, neue Arten von Musik für uns zu entdecken, das wäre auch vermessen. Punk, Ska und Folk sind unsere Einflüsse und die Genres, die wir lieben, und die so funktionieren, wie sie sind. Die Evolution, die in ihnen steckt, ist das Resultat eines ganz natürlichen Prozesses und nicht die Entwicklung eines einzelnen Projektes. Und ich denke schon, dass wir uns hier dazuzählen dürfen. Mag sein, dass wir unseren eigenen Sound innerhalb dieser Genres gefunden haben, und natürlich sind wir besser geworden darin, aber es ging uns nie darum, etwas neu oder anders zu machen. Auf der anderen Seite bin ich sehr froh darüber, dass wir die Chance hatten, unser Ding zu machen und unsere Musik auf unsere persönliche Art spielen können. Mit „Gran Galà“ haben wir nun unseren größten Schritt nach vorne gemacht und sind uns dabei doch treu geblieben. Was ich über das Album bisher gelesen habe, deutet immer wieder darauf hin, dass wir „anders“ klingen und im Vergleich zu früheren Alben vitaler, was der Absicht und unserem Bild von TALCO klar entspricht. Diese Aussage gefällt mir richtig gut, denn wir haben von Anfang an stets aus dem Bauch heraus Musik gemacht und uns dabei natürlich weiterentwickelt, ohne uns radikal zu ändern. Wir haben eine große Bindung zu unserem Sound und es gibt keinen Grund, ihn zu ändern.
Schneller Ska ist ein Teil eurer Musik, aber nicht so sehr wie Punk, italienische Folklore oder Einflüsse des Balkans. Oder auch Patchanka – was viele Leute nicht so recht einzuordnen wissen. Könnt ihr das aus eurer Sicht erklären?
Wir hören verschiedene Genres, vor allem Punk, Ska und Folk in all ihren Facetten – Klezmer, Balkan, italienische Songwriter, Folk-Metal ... Patchanka ist ein Genre, das MANO NEGRA erfunden haben, um ihren Sound zu definieren. Als wir vor zehn Jahren ausloteten, wo wir musikalisch hinwollten, waren MANO NEGRA unsere Referenz. Also definierten wir unsere Musik als „Punk-Chanka“, eine Mixtur aus all dem, das wir hören und in unseren Songs verarbeiten. Punk ist dabei stets das konstante Fundament gewesen. Unsere Alben haben sich immer ein wenig zwischen den Genres hin und her bewegt. „Combat Circus“ war mehr Punk, „Mazel Tov“ mehr Folk, „La Cretina Commedia“ orientierte sich stark am italienischen Songwriter-Stil. Mit „Gran Galà“ haben wir schließlich all diese Ausprägungen in einem Sound verschmolzen, da wir ihn mit mehr Erfahrung präziser arrangieren konnten.
Ist die Ska-Szene für euch wichtig oder habt ihr euch aus verschiedensten Szenen ein ganz eigenes Publikum erspielt habt?
Wir beziehen uns auf die Ska- und Punk-Szene, da dort unsere Wurzeln liegen, die wir niemals vergessen werden. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass wir uns nur innerhalb enger Szenegrenzen ausdrücken können. Wir haben das enorme Privileg und Glück, zur europäischen alternativen Musikszene zu gehören, und das ganze Schubladendenken ist aus unserer Sicht auch kein Problem – von unserem Heimatland einmal abgesehen. Das ist ein glücklicher Umstand für die Musik und zeigt die Offenheit und Intelligenz der Menschen. Auf Italien lässt sich das allerdings nicht wirklich übertragen, von einigen Ausnahmen abgesehen, die dann aber auch von oben konstruiert sind. Es ist offensichtlich, dass wir weiterhin unsere Musik machen werden, weil wir darauf stehen und weil wir genauso geschnitzt sind. Und wenn jemandem gefällt, was wir machen, dann hat er keine Vorurteile und braucht auch keine Abgrenzungen. Wir würden aber sicherlich nichts an unserer Musik ändern, um ein größeres Publikum zu erreichen. Das kommt für uns nicht in Frage.
Seht ihr einen großen Unterschied zwischen der deutschen und italienischen Szene, in der euer Stil neben ein paar anderen italienischen Acts auch als „Combat Ska“ bezeichnet wurde?
Er wurde als „Combat Ska“ definiert, da wir politisch, sozial und kulturell aktiv sind. Ich glaube aber nicht, dass diese Konnotation aus der italienischen Ska-Szene kommt, zumal es keine gibt. Genauso wie es keine italienische Musikszene gibt. Es ist nicht leicht, darüber so schlecht zu sprechen, aber Italien ist wirklich das einzige Land, in dem ich überhaupt nicht gerne spiele. Früher haben wir schon auch auf Italien gesetzt, aber inzwischen sind wir den Lebensstil in unserem Land leid. Oberflächliche und leere Trends werden von oben herab vorgegeben, die Leute beschränken sich auf DJ-Partys oder Coverbands. Von der angeblichen alternativen Musikszene ganz zu schweigen, die aus einem alten, kümmerlichen Rest an Bands besteht, die keine fünf Fans bei ihren Konzerten haben und die sich selbstsüchtig spezielle Internetseiten, Booking-Agenturen und Fernsehprogramme zu eigen machen, mit dem Ziel, sich selbst zu promoten und Popularität zu erreichen, ganz zum Leidwesen der unabhängigen Musikszene, der damit jegliches Entwicklungspotenzial genommen wird. Wir wurden immer dafür kritisiert, dass wir vor allem im Ausland spielen und kaum in Italien. Aber wir hatten hier nie die Gelegenheit, ehrlich daran zu arbeiten, wie das zum Beispiel in Deutschland funktioniert. Und Ehrlichkeit ist für uns die Grundvoraussetzung für Zusammenarbeit. Es gab über all die Jahre jede Menge Begebenheiten, bei denen unser vermutlich viel zu naiver Enthusiasmus ausgebeutet wurde, man hat sich über uns lustig gemacht und einige Leute haben uns aus ihrem Mikrokosmos einer vorgegaukelten Alternativ-Kultur gestrichen. Und wer hat dabei stets verloren? TALCO! Denn diese Leute haben uns ausgesaugt und uns dabei so aussehen lassen, als würden wir Italien ablehnen. Von den vielen Künstlermanagements, mit denen wir zu tun hatten, können wir genau zwei anhaltende Kooperationen verbuchen: Die mit unserem katalanischen Bruder und Soundmann und die mit dem richtigen Manager für uns, Kai in Berlin – mit einer ehrlichen und klaren „Familienarbeit“, wie wir uns das vorstellen. Unser ebenso loyales Label ist deutsch-amerikanisch, was also verbindet uns groß mit Italien? Vermutlich lediglich unser Wohnsitz. Wir mögen die Indie-Mentalität, ein offenes Klima zwischen Bands und Musikfirmen, bei der du dich darauf verlassen kannst, dass dich niemand ausbeutet, weil das Verhältnis schlicht ehrlich und klar ist. Diese Situation finden wir überall, nur nicht in Italien. All diesen Aussagen gehen entsprechende Erfahrungen voraus und daher können wir euch mit Gewissheit sagen, dass es genau einen Unterschied zwischen der italienischen und der deutschen Punk-Szene gibt: in Deutschland gibt es eine wirklich unabhängige Punk- und Ska-Szene, es gibt die Möglichkeit, bekannt zu werden und verschiedenen musikalischen und kulturellen Realitäten zu begegnen. Das gibt es in Italien nicht, was auch auf den Berlusconismus zurückzuführen ist.
Würdet ihr sagen, dass eure Punkrock-Wurzeln, verbunden mit eurer Leidenschaft für Fußball, insbesondere für St. Pauli, und eurer klaren linkspolitischen Haltung Teile eures Erfolgsrezeptes sind – da das Lebenseinstellungen beinhaltet, mit denen sich euer Publikum selbst stark identifizieren kann?
Darauf sind wir vor allem sehr stolz, denn das sind die Dinge, mit denen wir uns auch selbst komplett identifizieren, dazu gehört auch klar die Botschaft der St. Pauli-Fans. Aber natürlich sind Fußballfans nicht unsere einzigen Anhänger. Es ist gerade mal ein Punkt, den wir in unseren Songs thematisieren. Aber die Nähe zu St. Pauli, die wir über unseren Song „Mazel Tov“ bekommen haben, tut uns schon sehr gut. Und ja, es stimmt, wir spielen Punk, wie du sagst, und transportieren damit linke Ideen. Dabei geht es uns aber um Ideen, nicht um Ideale – eine Misere, die die italienische Linke während der letzten zwanzig Jahre Berlusconi kaltgestellt hat. Was noch wichtiger ist: Wir wollen damit niemanden indoktrinieren, wir leben nun einmal in einer politischen Welt und haben daran teil.
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