TAGTRAUM

Hellwache Tagträumer

TAGTRAUM sind zurück mit ihrem mittlerweile vierten Album. Wie immer ist auch dieses etwas anders geworden als der Vorgänger, geblieben ist die Mischung aus Melancholie, Wut, Verzweiflung, Rebellion und Hoffnung in den Texten, die nicht Gefahr laufen zu abgestandenen Parolen zu verkommen. Kein Kalter Kaffee, sondern nachdenkliche und zum Nachdenken anregende kleine Hymnen gegen die Trostlosigkeit des Alltags, das sind TAGTRAUM in leicht veränderter Besetzung auf „Augen auf und durch“. Sänger Matze Nürnberger beantwortete diese Fragen, teils per E-Mail, teils am Telefon.

Erzähl doch erst mal grundsätzlich was über die Band und die Idee, die dahintersteckt.


TAGTRAUM gibt es seit 1993 – in dieser Trio-Besetzung aber erst seit Anfang 2001. TAGTRAUM ist für uns mehr als nur eine Band, da steckt viel Liebe und Herz drin, unsere Lieder sollen uns und andere Menschen erinnern und etwas spüren lassen, auf der anderen Seite aber auch zum kurzen Vergessen verführen. Wir sind verdammt glücklich und dankbar, dass wir das in diesem mittlerweile recht großen Umfang machen können. Es ist für mich wirklich eins der schönsten Dinge im Leben, gemeinsam mit den Menschen, die man mag, durch die Welt zu fahren, Musik zu machen, Konzerte zu spielen, neue Freunde zu finden, alte Feinde zu behalten, Platten aufzunehmen oder stundenlang im Proberaum zu sitzen und Lieder zu schreiben. Wenn es ginge, würde ich nichts anderes tun, und die anderen auch, denke ich.

Vergleichst du manchmal euer letztes Album mit den Vorgängern? Es klingt etwas anders als die Sachen davor. Konzept oder Zufall?

Sicher vergleiche ich die Platten untereinander, aber nicht in dem Sinne, ob eine jetzt besser oder schlechter ist. Jede unserer Platten hat für mich eine besondere Magie und Stärke bzw. Schwäche. Ich denke, dass das auch alles okay ist, so wie es ist, da es eine ganz bestimmte Zeit war, in der wir so waren – und fünf Jahre später klingen wir eben anders. Warum sollten wir immer auf einer Stelle treten?! Im Grunde ist jede Platte von uns unterschiedlich, aber genau das macht TAGTRAUM aus! Mit Konzept werden die Platten nicht gemacht, Zufall ist es auch nicht, es ist halt einfach das, was wir empfinden und dann in Musik und Text packen.

Mit Jörg am Bass ist ein neuer Mann dabei. Inwiefern hat sich das auf den Sound von „Augen auf und durch“ ausgewirkt?

Mit Jörg am Bass hat sich einiges getan, die Songs sind eher gesangs- und rhythmusorientiert, da wir jetzt zu dritt singen. Insgesamt sind die Songs straighter geworden, was aber an der Trio-Besetzung liegt. Und wer nicht checkt, dass da zwei krasse Virtuosen an Bass und Schlagzeug am Werk sind, tut mir leid...

Trotz des Bandnamens scheinen deine Texte vor allem auf Alltagserfahrungen zu basieren. Das einzige, was die meisten gemeinsam haben, ist, dass sie etwas düsterer und melancholischer anmuten. Welche Bedeutung haben die Texte für dich persönlich?

Die Texte sind natürlich sehr wichtig. Tagträumerei bedeutet für uns nicht, alles zu verpennen, sondern hellwach alles mitzubekommen und auch darauf zu reagieren, aber sicherlich teilweise auch, sich fluchtartig in eine andere Welt zu träumen. Auf Parolen oder 08/15-Texte habe ich keinen Bock. Einige gute Bands haben das alles schon vor langer Zeit auf den Punkt gebracht. Es macht für mich keinen Sinn, wenn ich heute einen Text wie ‚Scheiß Bullenschweine‘ singen würde. Dass Bullen scheiße sind, ist eh klar und jeder sollte wissen, dass mit diesem Land bzw. mit dieser Welt etwas nicht stimmt. Da höre ich mir lieber meine alten Platten an oder aktuelle Bands, die das gekonnt verpacken, ich kann das nicht in diesem Ausmaß. Ich weiß zwar, wo ich politisch stehe und finde auch, dass sich das in den Texten bemerkbar macht. Wem das zu wenig ist, der soll sich eben diese anderen Bands anhören, wir machen das eben anders. In den Texten soll sich jeder irgendwie wiederfinden, auch wenn’s nur in einem Satz oder einem Melodiebogen der Fall ist. So bleibt auch etwas hängen... Ich sehe es nicht als meine Aufgabe an, anderen den Weg zu weisen. Lieber verteile ich auf Konzerten Anmeldeformulare für die Rote Hilfe oder Antifa-Broschüren, das hat mehr Sinn. Melancholisch sind die Lieder sicherlich, aber genauso sind sie wütend, kämpferisch und verzweifelt. Wir singen und spielen einfach um unser Leben...

Der Albumtitel klingt nach einer offensiven Auseinandersetzung mit Problemen, während Songs wie „Über Bord“ eher ein Gefühl von Resignation vermitteln. Wie siehst du das, auch im Hinblick auf politische Inhalte?

Eine Lebenseinstellung von uns ist ‚Augen auf und durch‘ schon, aber irgendwann ist man es einfach Leid, und dann kommt diese Scheißegal-Attitüde durch, die uns auch ganz gut steht. Von Resignation kann ich da nichts entdecken... Apropos Politik: wenn Stoiber Bundeskanzler wird, wäre das natürlich total krass, aber für uns würde sich hier nicht viel ändern, wir leben ja eh in Bayern. Andererseits könnte das auch positiv sein, denn vielleicht kriegen dann einige Leute ihre Ärsche hoch und es bewegt sich mal wieder was bei den ‚Linken‘ in Sachen ‚politisches Bewusstsein‘. Die jetzige Politik ist auf jeden Fall für’n Arsch...

„Gerüchteküche“, die letzte Nummer des Albums, ist der aggressivste Song, sowohl musikalisch, als auch vom Text her. Worum geht es darin?

Um die Szene und die Idioten, die einem dauernd ans Bein pissen müssen und Lügen verbreiten. Zum einen die, die meinen, wir wären nicht Punk genug für sie, oder die, die irgendwo von Neid zerfressen sind und uns ständig schlechtreden müssen, da sie wohl Angst haben, dass wir besser sein könnten als sie. Aber es bleibt dabei: wir machen das, was wir wollen und auch so, wie wir es wollen.

Wie groß ist euer Anteil an der sonstigen Band-Arbeit?

Der Arbeitsanteil an der Band ist uns sehr wichtig und liegt zum größten Teil bei uns. Wir teilen uns das ganz korrekt mit Vitaminepillen Records, aber mit der Zeit ist man es leid, bestimmte Dinge zu tun, da bin ich dann doch ganz froh, dass wir Ralf und Myra haben, denen ich dafür gar nicht genug danken kann!

Kannst du auch noch was zu Caramba Records sagen?

Caramba Records ist mein Mini-Mini-Label und da kommen nur Koproduktionen raus, z.B. Split-Geschichten von Bands. Und ausschließlich Vinyl! Das deckt alles immer gerade so die Kosten. Die neue Platte kommt ja mit handeingeklebten Textblättern, handnummeriert und limitiert auf 666 Stück und in transparentem blauen Vinyl!

Wie steht ihr zum Thema Download von Songs im Internet?

Die sollen sich mal alle unsere Lieder runterladen und brennen, und dann ihren Freunden geben. Fürs erste zählt mal die Musik, die wirklich coolen Leute kaufen dann eh das Vinyl oder ‘ne CD, weil da noch mehr als Musik
eine Rolle spielt.

Wie sieht es eigentlich in Schweinfurt aus? Was gibt die Stadt her?

Schweinfurt war früher eine klassische Arbeiterstadt, mittlerweile ist sie ziemlich spießig geworden. Es gibt hier einen coolen Laden, das ist der Stattbahnhof, da finden einige Sachen statt. Aber irgendwie ist es merkwürdig, dass scheinbar alle Leute in unserem Alter die Stadt verlassen haben. Und mit den ganzen Dreizehnjährigen kann ich nicht wirklich was anfangen.

Wie wichtig sind euch Live-Shows?

Konzerte sind das, was uns am meisten Spaß macht. Wir bekommen auch immer gesagt, dass die Sachen live noch mal um einiges besser klingen, und das gibt uns natürlich am meisten.

Wie sehen eure Pläne für dieses Jahr aus?

Ab März wird es erst mal Shows in ganz Deutschland geben, aber nur an den Wochenenden. Wir werden aber versuchen, alle Gebiete gut abzudecken. Eine komplette Tour ist nicht so einfach, weil wir alle unter der Woche noch nebenher arbeiten oder studieren. Vielleicht gibt es dann im Spätsommer eine Tour in Spanien. Dort ist es ziemlich cool, so viele nette Leute... Ansonsten schreiben wir neue Songs und Ende des Jahres werden wir uns an die Vorproduktion für ein neues Album machen, so dass wir dann im Frühjahr 2003 die Aufnahmen machen können. Aber jetzt erst mal Shows, Shows, Shows...