Mit Mike Ness ist es echt nicht einfach: der Boss von SOCIAL DISTORTION hat seit Jahren kaum Interviews gegeben, sich den Medien verweigert und es seinen Fans nicht leicht gemacht: das letzte SOCIAL D-Album „White Light, White Heat, White Trash„ erschien 1996, die beiden Solo-Alben des Frontmannes trösteten zwar etwas, und es wäre schon längst Zeit gewesen für einen neuen Longplayer, als im Februar 2000 plötzlich und unerwartet Dennis Danell verstarb, Mikes Jugendfreund und Urmitglied. Nachvollziehbar, dass Ness nicht gerade nach einer neuen Platte zumute war, und man konnte sich schon glücklich schätzen, dass nicht offiziell das Ende der Band verkündet wurde. Dann im Herbst die Veröffentlichung des SOCIAL D-Back-Kataloges durch Kung Fu Records, und plötzlich geht da was in Sachen Ness und Interview. Die Ansage: nur ein, zwei Hand voll Interviews für Europa, und yes, das Ox ist dabei. Und so habe ich dann tatsächlich an einem Donnerstagabend Ende Oktober den König der Greaserpunks höchstpersönlich am Telefon, der mir eröffnete, ein neues Album sei in der Mache...
Mike, meine erste Frage betrifft die Wiederveröffentlichungen: Wie kommt es, dass du die Sachen nicht mehr an ein Majorlabel, sondern an Kung Fu Records, das Label deines alten Freundes Joe Escalante von den VANDALS lizensiert hast?
Jemand muss es ja machen, und das sollte jemand sein, der es ordentlich macht. Vorher hatten wir ein Arrangement mit BMG, aber wir hatten das Gefühl, dass man das alles richtig machen müsse und dass das mit einem Indie besser laufen würde.
Die Entscheidung, mit einem Indie-Label zu arbeiten, ist also eine bewusste.
Oh ja! Wir haben ja schon vor Jahren Sony verlassen, und das war unsere beste Entscheidung, ehrlich. Die großen Plattenfirmen, das muss man so deutlich sagen, sind heute eine der wenigen verbliebenen Formen legaler weißer Sklavenhaltung.
Und trotzdem glauben immer noch Massen junger Bands, ein Majordeal sei das beste, was ihnen passieren kann.
Klar, das denkt jeder. Ein paar Majors sind ja auch okay, und wenn du für die ein Thema mit Priorität bist, ist auch alles wunderbar. Das ist bei einem Indie übrigens nicht anders. Und wenn du beim Label Leute hinter dir hast, die an dich glauben, ist alles wunderbar. Bei Sony jedoch traten wir gegen Michael Jackson, Mariah Carey und PEARL JAM an und hatten da natürlich keine Chance. Egal wie viele Platten wir also verkauften – für uns war es eine Menge –, so war es doch nichts im Vergleich zu diesen Pop-Acts, und folglich galt denen ihre Aufmerksamkeit und nicht uns. Und so bin ich lieber ein großer Fisch in einem kleinen Teich, als ein kleiner Fisch in einem großen Teich.
Wie verhält es sich denn mit Time Bomb Records? Das ist ja euer bandeigenes Label.
Also prinzipiell ja, aber ein ‚richtiges’ Label haben wir derzeit nicht. Time Bomb ist kein richtiges Label mehr, sondern unsere Ausgangsbasis. Wir arbeiten derzeit an einem neuen Album, und das werden wir über Time Bomb finanzieren, alles selbst aufnehmen und mischen und dann mit dem fertigen Album losziehen und mal schauen, wer es uns abkaufen will. Vielleicht finden wir ein richtiges Label, vielleicht wird es nur ein Vertriebsdeal – mal sehen.
Ein neues Album? Erzähl mir mehr...
Wir haben zwanzig neue Songs geschrieben und haben diese Woche mit der Vorproduktion des Albums begonnen. Es ist echt aufregend, all die neuen Songs mal so auf Band zu hören, zu verfolgen, wie sie nach und nach Form annehmen. It’s gonna be a great record.
Euer Tourfilm „Another State Of Mind„ von 1984 ist nur sehr schwer zu bekommen – wird es da in absehbarer Zeit eine DVD geben?
Ja, damit ist auf jeden Fall zu rechnen.
War es denn schwer für dich, nach dem Verlust deines Freundes Dennis Danell überhaupt wieder ans Plattenmachen zu denken? Das ist ja dann auch die erste Platte ohne ihn.
Dass er nicht mehr dabei ist, hat natürlich großen Einfluss auf die Arbeit am neuen Album. Die große Entscheidung war dabei ja schon vor einer Weile, ob die Band überhaupt bestehen bleibt. Ich habe mich dann entschieden, die Band auch in seinem Andenken und aus Respekt vor ihm fortzuführen. Dennis und ich haben die Band vor 24 Jahren in einer Garage gegründet, hatten beschlossen so lange weiterzumachen wie wir können. Ich habe tief in meinem Herzen gefühlt, dass er nicht gewollt hätte, dass ich das Handtuch werfe. Andersrum, also wenn ich gestorben wäre, hätte ich von ihm das gleiche erwartet. Musik macht uns glücklich, das hört man nicht so einfach auf, und ich weiß, dass Dennis will, dass ich glücklich bin.
Was ist anders ohne ihn?
Das Songwriting. Ich habe einen Song nur für ihn geschrieben, und ich denke, wir werden ihm das ganze Album widmen. Klar, er war der Gitarrist von SOCIAL DISTORTION, aber in erster Linie war er ein guter Freund. Aber so ist das Leben, und das Leben und solche Erfahrungen sind es, die einen zum Schreiben bringen, dazu, über das Leben zu schreiben.
Wann fiel die Entscheidung, doch noch ein neues Album zu machen?
Eigentlich schon letztes Jahr, da hätten wir loslegen können, aber ich fühlte mich noch nicht danach, mit dem neuen Schlagzeuger und einem neuen Gitarristen. Ich dachte mir, es wäre nicht schlecht, erstmal eine Weile zusammen Konzerte zu spielen, bevor man dann ins Studio geht. Letztlich hat sich das als die richtige Entscheidung erwiesen, denn so können die neuen ihren Platz in der Band finden und es sich bequem machen. Ich bin sicher, dass die Platte, die wir jetzt machen, besser sein wird als jene, die wir vor einem Jahr gemacht hätten. Die Chemie stimmt jetzt einfach, da wir seit zwei Jahren zusammen spielen.
Das neue Line-Up...
...besteht aus mir, John Maurer am Bass, Johnnie Two Bags an der Gitarre und Charlie Quintana am Schlagzeug. Und es ist einfach großartig, die Chemie stimmt absolut und man merkt das dem Songwriting auch richtig an – und natürlich unseren Konzerten. Johnnie und ich harmonieren sehr gut beim Schreiben, das ist ein ganz neues Gefühl, denn ich habe in der Vergangenheit mit Produzenten und anderen Musikern in einem gewissen Rahmen zusammengearbeitet, aber mit Johnny ist das was ganz anderes, mit uns beiden passt das einfach. Das ist ein gutes Gefühl, das hatte ich schon sehr lange nicht mehr. Wir sind eben auch schon ewig befreundet.
Hast du eine Idee, wann die Platte erscheinen kann?
Realistisch würde ich vom späten Frühjahr ausgehen.
Und bedeutet das womöglich, dass wir hier in Deutschland die Chance haben werden, SOCIAL DISTORTION mal wieder live zu sehen?
Absolut! Ich habe ja auch Lust drauf, mal wieder in Europa zu spielen, ist ja ewig her.
Als ich im Vorfeld des Interviews im Internet recherchiert habe, war nirgendwo etwas von einem neuen Album zu lesen, auch nicht auf sonst gut informierten Fanseiten.
Wir haben keinem was davon erzählt, dass wir wieder aufnehmen, und erst seit dieser Woche ist das offiziell, von daher wundert mich das nicht. Wir haben diese Woche drei Songs aufgenommen, 17 kommen noch, und für die meisten habe ich noch keine Texte. Ich finde aber, die beste Art ein Album zu machen ist, erstmal viele Songs zu schreiben und dann die besten auszuwählen. Die ganze Vorproduktion machen wir in unserem Studio ‚The Casbah’, ohne Produzent. Wenn wir damit durch sind, suchen wir uns ein Studio mit einem guten Mischpult und schönem Analog-Equipment, heuern einen guten Toningenieur und/oder Produzenten sowie jemanden für den Mix an, und das war’s.
Mit „White Light, White Heat, White Trash„ habt ihr eine ganze Generation neuer Bands beeinflusst, sowohl in musikalischer Hinsicht wie in Sachen Outfit: gegelte Haare, Creepers, Tattoos – ohne euch würde sich heute dieser Look nicht so großer Beliebtheit erfreuen.
Mann, ich war früher der einzige, der sich Grease in die Haare geschmiert hat... Aber so läuft das nun mal, was soll ich sagen? Ich finde es aber auf jeden Fall schmeichelhaft, wenn ich andere Musiker beeinflusst habe, das ist schön.
Verfolgst du denn, was derzeit so an neuen Platten rauskommt oder hast du das aufgegeben und widmest dich lieber den alten Helden, denen du auf deiner Soloplatte „Under The Influences„ Tribut gezollt hast?
Also, ich habe mich nie dafür interessiert, was aktuell an Musik veröffentlicht wird. ‚Nevermind’ von NIRVANA habe ich mir vor zwei Jahren gekauft, nur soviel. Andererseits habe ich die HIVES schon vor ein paar Jahren entdeckt und finde, die sind echt eine großartige Band. Ich mag eben diesen ganz traditionellen Rock’n’Roll. Die HIVES sind für mich eine Band, die total was von diesen klassischen amerikanischen Boy-Bands hat: die verbreiten keinerlei düstere Stimmung, das sind einfach nur nette Typen, die gut aussehen und gute Musik machen. Das ist so cute, das ist beinahe schon Frat-Rock.
Du hattest früher mal ziemliche Drogenprobleme...
Dazu gibt’s nicht mehr viel zu sagen, das ist 17 Jahre her. Ich war schon als Kid Alkoholiker und endete auf Heroin, musste da durch, bevor ich mit Musik Erfolg hatte – und darüber bin ich froh. Ich hatte das Schlimmste schon hinter mir, als es mit der Musik dann zu laufen begann, doch wenn ich mich so umschaue, da frage ich mich bei ein paar Leuten schon, wo das enden wird. Weißt du, diese Typen, die denken, es gehöre zum Rockstar-Dasein dazu, sich mit Drogen zuzuballern, die haben nicht die geringste Ahnung, was vor ihnen liegt, wohin dieser Weg sie führen wird. Bei manchen von denen ist das echt traurig, weil man einfach weiß, dass man sie früher oder später wird begraben müssen.
War der Tod deines Freundes Dennis ein Punkt, an dem du selbst womöglich wieder auf der Kippe standest?
Nein, denn das ist keine Situation, in der ich an Drogen denke. Das ist der Fall, wenn ich 300 Bucks in der Tasche habe, alles gut läuft, ich Spaß habe und sich die Idee einschleicht, diesen Moment, da alles perfekt ist, noch etwas zu verstärken. Ich habe meine Besessenheit schon vor einer langen Zeit überwunden, und mein Kampf ist jetzt der, den jeder führt, nämlich mit dem ganz normalen Alltag klarzukommen.
Was hat’s mit der Geschichte auf sich, dass du dein Motorrad, eine Harley Davidson, über eBay verkauft hast?
Ich hatte dieses Motorrad seit 25 Jahren im Blick, hatte dann endlich genug Geld und habe sie schließlich meinem Onkel abgekauft. Ich habe dann sechs Monate an der Maschine gearbeitet, und als sie endlich fertig war, fuhr ich sie zehnmal um den Block, dachte an meine beiden Kinder und meine Frau – und verkaufte sie. Ich hatte zuletzt vor 17 Jahren ein Motorrad, damals war auf den Straßen viel weniger los, und mir ist das heute alles viel zu stressig und gefährlich. Da, wo ich wohne, geht auf den Straßen jeden Tag ein Kampf auf Leben und Tod ab, da ist schon Autofahren gefährlich genug. Und so habe ich an meine Kinder und meine Frau gedacht und dann entschieden, das Bike zu verkaufen. Wäre ich allein, kein Thema, aber so ging das einfach nicht.
Da spricht die Stimme der Vernunft.
Na ja, ich bin nicht mehr 18 und auch nicht unsterblich.
Was du mir da eben erzählt hast, das ist ja doch ein Gegensatz zu dem Image, das man von Mike Ness, dem coolen, tätwowierten Sänger von SOCIAL DISTORTION hat...
Haha, es gibt doch noch ein paar mehr Gegensätze zu diesem Image, weißt du. Zum Beispiel habe ich während dieses Interviews einen drei Monate alten Chihuaha, auf dem Schoß. Mann, die Leute denken sicher, ich müsste einen Pittbull, einen Dalmatiner oder einen deutschen Schäferhund haben. Aber ich brauche doch keinen Hund, um meine Männlichkeit zu beweisen. Nein, der hier, das ist das süßeste kleine Hündchen der Welt. Ich hatte ihn eigentlich meiner Frau zum Geburtstag geschenkt, aber so wies aussieht, ist es jetzt mein Hund. Aber um auf deine Frage zurückzukommen: ich lebe zwei Leben, eines auf der Bühne, eines zu Hause als Vater. Ich habe so mein Gleichgewicht und zu mir selbst gefunden und es ist ein gutes Gefühl zu wissen, wer du bist. Und so bin ich Mike Ness, der Sänger von SOCIAL DISTORTION, aber eben auch der Vater von Julian und Johnny und der Mann meiner Frau. Und das ist gut so.
Wie wäre denn wohl deine Reaktion, solltest du feststellen, dass deine Söhne sich abends aus dem Haus schleichen, um in komischen kleinen Clubs Rockbands zu sehen und vorher in dunklen Seitenstraßen Dosenbier zu trinken?
Ich denke, wir erziehen unsere Söhne in einer Weise, dass sie Selbstbewusstsein entwickeln und nicht irgendeinem Gruppenzwang ausgesetzt sind. Die haben ihren eigenen Kopf, und ja, sie mögen Punkrock, sie skaten, tun all das, was Jungs in ihrem Alter tun. Ich hoffe, sie wissen, wie man Spaß hat, ohne sich mit irgendwas zuzuknallen. Ihr Vater musste eben auf die harte Tour lernen, dass man auch Spaß haben kann, ohne sich vorher sechzehn Bier reinzuhauen.
Mike, ich danke dir für das Interview.
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