Die 1986 im New Yorker Stadtteil Queens gegründeten SICK OF IT ALL sind seit gut 26 Jahren in der Besetzung Lou Koller (voc), Craig „Ahead“ Setari (bs), Pete Koller (gt) und Armand Majidi (dr) unterwegs und veröffentlichten jüngst ihr zwölftes Studioalbum „Wake The Sleeping Dragon!“. Die Eastcoast-Formation zählt zur Speerspitze des New York Hardcore und inspiriert weltweit andere Bands. Während ihrer letzten Europatour schnappten wir uns Frontmann Lou Koller, um ihm ein paar Fragen zum neuen Album, seiner Heimatstadt New York City sowie dem Leben auf Tour zu stellen.
Lou, euer neues Album „Wake The Sleeping Dragon“ ist gerade erschienen. Warum dieser Albumtitel?
Erst mal einen Gruß an alle Ox-Leser! Schön, dass wir mal wieder ein Interview zusammen machen. Der Titel spricht ja schon fast Bände, denn mit dem Drachen sind die „normalen“ Leute in Amerika gemeint, die ja in letzter Zeit politisch sehr viel aushalten mussten. Es vergeht kaum ein Tag, wo sich mir nicht der Magen umdreht, wenn ich die Nachrichten im Fernsehen anschaue oder Tageszeitung lese. Wir hoffen, dass der Tag, an dem sich die Mehrheit gegen diesen politischen Irrsinn stellt, schnell kommen wird. Und wenn dann der schlafende Drache geweckt ist, dann wird es für viele da oben sehr ungemütlich werden. Achtet euch mal die Lyrics zum Titeltrack, dann wisst ihr, was wir meinen!
Dann geht das in die Richtung des Songs „DNC“ vom letzten Album „Last Act Of Defiance“, in dem es heißt: „We should always be a threat to the highest power“?
Was den Titelsong angeht, definitiv. Wir haben aber noch eine Menge anderer Themen, die wir auf dem Album ansprechen. Ein Song handelt von Robert Moses, einem deutsch-jüdischen Stadtplaner, der in den Dreißiger Jahren viele Bauvorhaben in New York geplant und umgesetzt hat. Weil er Parkanlagen, Schwimmbäder und Highways errichtete, wird er heute noch stark verehrt. Was aber immer verschwiegen wird, ist die Tatsache, dass er extrem rassistisch gedacht und auch geplant hat. Die Vorhaben wurden in erster Linie in den Vierteln realisiert, zu denen lateinamerikanische oder auch dunkelhäutige Amerikaner keinen Zugang hatten. Genau wie heute übrigens!
Meinst du damit die Gentrifizierung New Yorks, die sowohl einen großen Einfluss auf ethische Minderheiten als auch die Punk/Hardcore-Szene im Big Apple hat?
Auf jeden Fall! Meine Familie und ich sind ja vor einigen Jahren aus Queens weggezogen, weil 5.000 Dollar Miete für ein Zwei-Zimmer-Apartment pro Monat einfach viel zu viel sind. So geht es vielen „Einheimischen“, speziell in New York. Brooklyn und Queens waren früher sehr gemischte Stadtteile, in denen nahezu alle Nationalitäten lebten. Und genau das machte ja den Reiz aus. Anders hätte ich Jorge Rosada von MERAUDER doch nie kennen gelernt. Der hat ganz andere Wurzeln als ich, trotzdem haben wir uns schon sehr früh getroffen, weil die Leute eng miteinander in Verbindung standen, egal wo man herkam. Mit MERAUDER spielen wir übrigens in Kürze in Rostock, das wird großartig. Wir alle freuen uns, mal wieder zusammen zu spielen. Ist schon eine Weile her ... Heute ist es in Amerika und New York ähnlich wie zu Robert Moses’ Zeiten, da verlieren Minderheiten ihre städtischen Wurzeln, weil sie es einfach nicht mehr gestemmt bekommen. Familien müssen umziehen und haben so vielleicht nicht mehr die Möglichkeit, bestimmte städtische Angebote wahrzunehmen. Das ist latenter Rassismus.
Wo lebst du heute und was ist aus deinem alten Viertel geworden?
Heute leben wir in New Jersey, da ist das Leben noch bezahlbar. Obwohl es hier auch schon Ecken gibt, die New York von den Preisen her schlagen. Das wäre früher undenkbar gewesen, denn in New Jersey war nur Industrie. Mittlerweile haben findige Investmentbanker aber die Nähe zum Hudson River oder dem Meer zum Aushängeschild gemacht. Was wieder zur Folge hat, dass ethnische Minderheiten ihren Wohnraum verlieren. Natürlich ist es schön, in ein rausgeputztes Viertel wie Queens zu kommen, wo es nette Cafés oder coole Läden gibt, wenn aber spätestens ab 18 Uhr abends da nichts mehr los ist, fragt man sich schon, wo die Power der City geblieben ist. Früher ging es da erst richtig los und die Straßen erwachten zum Leben, während heute alles tot ist.
Besonders spitzfindige Fans könnten ja denken, dass ihr sowieso nicht mehr in den USA, sondern in Berlin, Amsterdam oder London lebt, so oft wie ihr hier auf Tour seid.
Haha, das habe ich ja noch nie gehört. Im letzten Jahr waren wir gar nicht so oft in Europa. Da haben wir andere Länder der Welt besucht, haben eine große Kanada- und Asien-Tour gemacht. Klar waren auch einige europäische Festivals dabei, aber das hielt sich sehr in Grenzen. Trotzdem ist die Szene hier bei euch klasse, in Amerika muss immer alles ganz neu und hip sein. Junge Bands haben da nur kurzfristig Erfolg, man spricht nicht umsonst von „15 minutes of fame“. Das tut mir für solche Combos auch oft sehr leid, da sie kaum Möglichkeiten haben, sich zu etablieren. Egal ob du von einer großen oder kleinen Bookingagentur gebucht wirst, in Europa kümmert man sich um dich. Ob es um Essen, Trinken, Soundcheck, Chillout-Zonen und sogar Sightseeing geht, es wird organisiert. Das klappt wirklich sehr gut, gerade im Vergleich zu Amerika. Da kann man froh sein, wenn man auf Kosten des Veranstalters etwas zu trinken bekommt, von Verpflegung ganz zu schweigen. Vielleicht ziehe ich mit meiner Familie mal nach München, da hat es mir immer sehr gut gefallen. Aber ich habe gehört, dass es da ebenfalls sehr teuer sein soll.
Auf eurer Instagram-Seite habt ihr unlängst viele Fotos gepostet von einer Show mit PENNYWISE im House of Vans in New York. Warum lag euch dieser Auftritt besonders am Herzen?
Die Frage passt sehr gut zum Gentrifizierungsprozess, über den wir eben sprachen: Der Besitzer hat das Gebäude, in dem diese Show stattfand, vor kurzem verkauft, einfach weil er ein phänomenales Angebot seitens einer Bank aus Manhattan bekommen hat. Wir sind zusammen mit PENNYWISE eingeladen worden, bei den letzten Punk- beziehungsweise Hardcore-Shows dort dabei zu sein. Es waren Festivals, für die kostenlose Tickets ausgegeben wurden, und es spielten den ganzen Tag über Bands aus New York, auch viele aus dem Underground. Es war für uns eine Ehre, als lokale Band dort an einem Abend als Headliner aufzutreten. Mit dem House of Vans verliert New York City wieder eine von den Institutionen, die die Musik hier groß gemacht haben. Das CBGB’s oder The Mudd Club sind ja längst Geschichte und im Coney Island High läuft auch nichts mehr. Viele Shows finden nun in Brooklyn oder der Bronx statt. Auch in New Jersey gibt es einige coole Locations, das ist aber bei weitem nicht mehr so krass wie früher. Trotzdem gibt es auch in solch schweren Zeiten unter den Bar- und Clubbesitzern immer noch alte Punks, die kleinen Bands Auftrittsmöglichkeiten geben. Gemäß dem Motto: Hardcore still lives!
Apropos Shows in New York: Am 22. September habt ihr für euren Drummer Armand Majidi ein spezielles Geburtstagskonzert gespielt. Das hat bei euch ja schon fast Tradition, oder?
Na ja, ein Ritual ist es noch nicht ganz. Aber wenn wir es irgendwie hinbekommen, dann organisieren wir ein solches SICK OF IT ALL-Geburtstagsständchen. Bei der Show haben wir unsere Kumpels SKARHEAD eingeladen, da Lord Ezec und Armand sich schon seit ihrer Kindheit kennen. Das waren früher richtige Homies. Es hat super Spaß gemacht, da wir in einem wirklich kleinen Club gespielt haben. Viele Freunde, die Familie und Leute, die ich ewig nicht gesehen habe, waren da. Genau deshalb machen wir so was.
Kommen wir mal zum aktuellen Album: Ähnlich wie beim Vorgänger fällt einem sofort das Killer-Artwork ins Auge. Wer ist dafür verantwortlich und was genau habt ihr damit bezweckt?
Das Cover hat unser Freund Ernie Parada gestaltet. Wir wollten diesmal in Richtung alter Monsterfilme gehen, das hatten wir nämlich noch nicht. In der Band lieben wir diese Filme, in denen durch anthropogene Einflüsse wie Atombombentests oder Umweltverschmutzung mutierte Kreaturen entstehen, die dann wiederum für ordentlich Action sorgen. Also die alten Klassiker wie „Godzilla“, „King Kong“ und Co. Bei unserem Artwork hat Ernie ein altes „King Kong“-Filmplakat als Vorlage genommen, um den SICK OF IT ALL-Drachen an seiner Stelle auf das Empire State Building klettern zu lassen. Das bot sich natürlich an, da wir ja aus derselben Stadt kommen. Die kleinen Spielzeughubschrauber können leider nichts gegen dieses Biest ausrichten. Man hätte den schlafenden Drachen eben nicht aufwecken dürfen!
Wenn man den Stil des neuen Albums mit euren vorherigen Platten vergleicht, fällt sofort auf, dass da etwas anders ist, oder?
Klar, wir spielen jetzt Death Metal mit Akustikgitarre, kombiniert mit Freejazz, haha. Nein, natürlich nicht! Es ist der typische SICK OF IT ALL-Sound, den wir aber etwas variiert haben. Die Instrumente stehen auf „Wake The Sleeping Dragon!“ verstärkt im Vordergrund, während das früher oft meine Stimme war. Dieses vierte Instrument haben wir aktuell etwas zurückgefahren, was den Output noch brachialer klingen lässt. Wir alle sind sehr stolz auf unser neues Baby.
Wo du eben MERAUDER angesprochen hast: Dass die New York Crew zusammenhält, konnte man auf einigen Fotos sehen, die euch zusammen mit dem MURPHY’S LAW-Sänger Jimmy G zeigen, auf denen ihr ihm viel Glück und gute Genesung wünscht. Was ist da passiert?
Jimmy hatte Probleme mit Gallensteinen, und im Zuge eines kleinen Eingriffs hat er sich eine böse Infektion eingefangen. Es folgten mehrere Operationen, wobei auch seine Gallenblase entfernt werden musste. Er war zum einen körperlich in sehr schlechtem Zustand, zum anderen aber auch nicht ausreichend versichert. Damit er nicht auf den immensen Kosten sitzenbleibt, gibt es eine Kampagne. Schaut euch doch mal gofundme.com/helpjimmyg an, da kann jeder einen kleinen Beitrag leisten, damit es einem der Urväter des NYHC schnell wieder besser geht. Wir haben ihn während seiner Rekonvaleszenz besucht und natürlich auch einige Fotos hochgeladen, er ist ja einer unserer Brüder. Es geht ihm auch schon sehr viel besser und wir überlegen, am Ende des Jahres eine Show zusammen in New York zu spielen.
Wie seid ihr eigentlich auf Tour versichert? Was würde passieren, wenn du dir heute bei der Show das Bein brechen würdest?
Sag so etwas nicht, das bringt Unglück. Wir haben eine sogenannte Travelversicherung, die uns und unser Equipment ziemlich gut absichert. Mir selbst ist in den ganzen Jahren nicht viel passiert, klar war ich mal erkältet oder hatte Probleme mit Magen-Darm-Infektionen, aber Größeres zum Glück noch nicht. Letztes Jahr habe ich mir in London beim Stagediven die Schulter ausgekugelt. Nach der Show ging es dann sofort ins Krankenhaus, wo man mir das Gelenk sofort und ohne Rechnung wieder gerichtet hat. In Amerika wäre das undenkbar, da musst du sofort die Kreditkarte oder Bargeld auf den Tisch legen, bevor sich jemand um dich kümmert. Selbst die Schmerzmittel waren in England gratis.
Lou, danke für das Interview, die letzten Worte gehören wie immer dir.
Vielen Dank, liebe Ox-Gemeinde, für den jahrelangen Support! Kommt doch Anfang 2019 zur Persistence-Tour, bei der wir Headliner sind. Es wartet ein geiles Billing auf euch, mit an Bord sind außerdem IGNITE, WALLS OF JERICHO und MUNICIPAL WASTE. In diesem Sinne: See you in the pit!
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