Ich weiß noch genau, wie mich in der Ox-Frühzeit eines Samstags der Paketbote aus dem Bett klingelte und mir ein Päckchen brachte. In dem fanden sich zwei Platten des damals gerade von Nicky Garratt gegründeten Labels New Red Archives: Eine von ULTRAMAN, die andere von SAMIAM. Also auf den Plattenteller damit – und ich war begeistert! SAMIAM waren genau das Richtige für mich alten HÜSKER DÜ-Fan, ihr rauh-melodiöser Punkrock einfach unwiderstehlich. Und seitdem habe ich SAMIAM, von deren Ur-Besetzung heute nur noch Sänger Jason und Gitarrist Sergie übrig geblieben sind, auf keiner Tour verpasst, liebe ich jede ihrer sieben Platten – und fand die Wartezeit auf den neuen Longplayer „Whatever’s Got You Down“, der just auf Burning Heart erschienen ist, doch recht lang, schließlich erschien „Astray“ bereits 2000. Doch das Wichtigste ist, dass SAMIAM noch und wieder aktiv sind und den regelmäßigen Touren der letzten Jahre doch endlich auch ein neues Album zur Seite stellten. SAMIAM V2.006 sind Jason Beebout (Gesang), Jeremy Bergo (Bass), Johnny Cruz (Schlagzeug), Sean Kennerly (Gitarre) und Sergie Loobkoff (Gitarre). Mit letzterem, seit Jahren „mein“ Mann bei SAMIAM (und SOLEA), unterhielt ich mich Anfang August über den neuen Longplayer – und bekam Antworten, die mich in ihrer Direktheit und Ehrlichkeit etwas überraschten.
Sergie, was machst du gerade?
Ich bin bei der Arbeit, ich bin derzeit Freelancer in der Marketing-Abteilung eines Entertainment-Magazins namens "Variety".
Ich habe seit zwei Wochen eure neue Platte, und ich muss sagen, es brauchte mindestens 15 Durchläufe, bis es "Klick" machte ...
Weil du die Platte anfangs nicht mochtest?
Weil ich anfangs etwas enttäuscht war, weil sie ungewohnt anders klingt. Aber bei SAMIAM habe ich mir eben die Mühe gemacht, die Platte so oft anzuhören, bis es klickt.
Na, das freut mich, denn die wenigsten Leute würden einer Platte so viele Chancen geben, haha.
Na, ich bin Fan, da bleibt mir nichts anderes übrig. Aber wie siehst du euer neues Album?
Also, es klingt definitiv anders. Fünf der Songs wurden von Sean geschrieben, und der hat eben eine ganz andere Herangehensweise als ich oder James Brogan. Er ist nicht mit Punk aufgewachsen, er weiß gar nicht mal so viel über Punkrock. Als wir uns einst am College trafen, stand er auf so progressives Zeug, Jazz und so. Sachen eben, wie sie heute MARS VOLTA machen oder so was in Richtung VICTIM'S FAMILY, aber ohne den Punk-Background, eher mit Funk. Er ist jetzt schon seit Jahren bei SAMIAM und hat damit eine Menge von Punk mitbekommen, aber das ist doch was anderes. Durch seinen Background bringt er ein ganz anderes Element in unsere Musik ein, und bei dieser Platte war er erstmals in zentraler Position in den kreativen Prozess einbezogen. Von daher klingen meine Songs wie die alten SAMIAM, seine aber sind es, die wohl auch dich überrascht haben. "When we're together" etwa ist von ihm, wie generell die eher heiteren Nummern der Platte.
Also auch "Believer"?
Ja, und "Lullaby". Das klang für mich anfangs überhaupt nicht nach SAMIAM, wie auch "Anything". Wir haben diesmal aber auch ganz anders aufgenommen, mit einem Produzenten, der uns einfach hat gewähren lassen. So hat sich Sean um seine Songs weitgehend selbst gekümmert und ich mich um meine. Das führte dazu, dass er so seltsame Reverb-Effekte auf den Gesang legte, dass die Gitarren so fuzzy klingen, und ich denke, das ergibt vom ersten Song - der von ihm ist - an einen speziellen Eindruck. Der zweite Song dann, "Take care", ist von mir, und das klingt dann wieder ganz nach SAMIAM. Na ja, und ich denke, ein paar Leute werden zuerst diesen Sean-Song hören und ihn nicht sofort mögen, sich fragen, was das denn ist, werden feststellen, dass sieben Lieder wie SAMIAM klingen und fünf etwas anders sind.
Lass uns doch mal über euren Produzenten sprechen ...
Bei den drei Platten davor hatten wir immer Produzenten, die sich stark eingebracht haben, die zu allem eine klare Meinung hatten und sie auch äußerten. Chris Moore heißt der jetzige, Sean hat ihn empfohlen, doch Brooklyn ist eben eine ganz eigene Welt, und jemand, der erfolgreich mit TV ON THE RADO gearbeitet hat, muss nicht unbedingt erfolgreich mit uns arbeiten. Sean und ich haben uns bei der Entstehung dieses Albums also ständig gestritten. Ich wollte eine SAMIAM-Platte wie alle anderen auch, was den Sound, das Artwork, den Titel, die Songs, eben alles betrifft, doch er hatte seine eigenen Vorstellungen. So gesehen ist das neue Album ein Kompromiss zwischen Seans und meinen Vorstellungen. Er hasste den Albumtitel, aber der ist eben typisch "samiamish", und er wollte einen Sound, der hip und weird ist, einen, der hippen Brooklyn-People gefällt, und über all das haben wir uns echt ganz ordentlich gestritten. Aber in einer Band zu sein, bedeutet eben immer auch Kompromisse einzugehen, und so ist diese Platte der Ausdruck eines Kompromisses von zwei komplett verschiedenen Vorstellungen von SAMIAM.
Hm, mir fällt es jetzt schwer zu beurteilen, ob du letztlich mit dem Ergebnis dieses Prozesses zufrieden bist oder nicht ...
Nun, ich hätte natürlich immer gerne, dass alles meiner Vision entspricht. So gesehen bin ich mit diesem Kompromiss nicht völlig zufrieden, aber ich war letztlich noch nie mit einer SAMIAM-Platte völlig zufrieden. Ich bin eben kein Diktator, dem alle gehorchen müssen.
An eurem Line-up hat sich seit "Astray" nichts geändert - sieht man mal von James Brogan ab -, oder?
James ist ja seit 2000 nicht mehr dabei, die Europatouren seitdem fanden alle ohne ihn statt. Sean ist dann vom Bass an die Gitarre gewechselt und Jeremy Bergo kam als neuer Basser dazu, als wir uns neu zusammenfanden.
Als SAMIAM im Frühjahr 2005 in Europa waren, kam das manchen vor wie eine Abschiedstour - bis vor einigen Monaten die Nachricht rumging, dass es ein neues Album geben werde. Wie kam es dazu?
Also das hat auch viel mit Sean zu tun, der dieses Album unbedingt machen wollte. Ich hatte ja noch SOLEA, ich hatte andere Dinge im Kopf, und sein Drängeln und die Tatsache, dass bei SOLEA gerade nicht viel ging, führten dann dazu, dass ich sagte, wir könnten wir das ja mal in Angriff nehmen. Ich meine, wir hatten uns 2000 ja eigentlich aufgelöst, aber es war keine "ernste" Auflösung, wir tourten ja auch hier und da noch, wenn es cool für uns war. Und so ist es eben auch mit diesem Album. Wir nehmen alles nicht so ernst, es ist schließlich nicht unser Job, wir verändern mit der Band nicht die Welt. Mag sein, dass das jetzt mancher liest und sich denkt, dass wir ja völlig leidenschaftslos seien. Aber - und da spreche ich jetzt nur für mich selbst - ich nehme das Leben insgesamt nicht immer so furchtbar ernst, und es ist eben nur Rockmusik, auch wenn es mir immer noch sehr viel Spaß macht. Und warum soll man sich den Spaß an der Musik nehmen lassen, indem man sie so extrem ernst nimmt? Um auf deine Frage zurückzukommen: Es gab keinen bestimmten Punkt, an dem wir das beschlossen haben, wir hatten einfach alle Zeit dafür und Lust darauf. Es hat nichts mit Geld zu tun, denn wir wissen, dass wir mit dieser Band nichts verdienen, und auch nichts mit Ruhm. Uns ist klar, dass wir nicht plötzlich in Fußballstadien spielen werden , aber es macht Spaß, sich kreativ zu betätigen und im Leben jenseits des Alltags und deines Jobs etwas zu haben. Andererseits kann es deprimierend sein, wenn du ein kreativer Mensch bist, gerne Lieder schreibst und dann keine Band dafür hast. Könnte ja sein, dass irgendwer in Münster oder sonst wo das hören will.
In eurem Fall ist es ja aber auch so, dass SAMIAM nie wirklich eine in kommerzieller Hinsicht große Band waren, aber ihr doch sehr loyale, begeisterte Fans habt.
Ja, aber nicht in Amerika ... Wenn sich in den USA jemand an uns erinnert, dann immer in der Art: "Ach, diese Band aus den Neunzigern. Die habe ich gehört, als ich in der Highschool war." Die Kids heute wollen die Bands, die sie von MTV kennen, die wollen schreiende Heavy Metal-Bands und nicht SAMIAM. Aber in Japan und Brasilien, in Kanada, Spanien, England und Deutschland, da gibt es noch ein paar Leute, die uns kennen und mögen. Das ist dann manchmal auch eine seltsame Erfahrung für mich: Da kommen dann auf Tour Leute auf mich zu und behandeln mich wie einen Rockstar, kapieren nicht, dass ich zu Hause in Kalifornien ein ganz normaler Typ bin, mit einem ganz normalen Job. Und dann, für den einen Monat auf Tour, bin ich jemand ganz anderes, und irgendwie ist das etwas albern, finde ich. Ich will immer sagen "Leute, ich bin niemand Besonderes, mein Leben zu Hause ist langweilig, das hier ist so was wie mein Urlaub. Ich bin nicht der Sänger von GREEN DAY, du musst auch nicht nervös sein, wenn du mit mir redest." Na ja, und die sollten uns mal sehen, wenn wir in Dallas, Texas spielen und mit etwas Glück hundert Leute kommen ... Wenn dann also auf Tour jemand vor mir steht und ein Autogramm von mir will, dann muss ich erstmal wieder damit klarkommen, dann ist mir das peinlich. Ich rede darüber mit den Leuten, und viele erklären mir dann, warum ihnen SAMIAM so wichtig sind. Manchmal geht es mir ja ganz ähnlich, etwa wenn ich mich mit dem Typen von BUILT TO SPILL unterhalte, von denen ich ein sehr großer Fan bin, dann bin ich womöglich genauso aufgeregt wie die Kids, die mich ansprechen. Von daher: Ja, wir schätzen es, dass wir so treue Fans haben. Ich wohne in Los Angeles, und da werde ich, wenn ich auf ein Konzert gehe, nur alle paar Monate mal von jemandem auf SAMIAM angesprochen. Da interessiert sich einfach niemand für die Band, aber mir ist das egal - und ich weiß ja, es gibt die Konzerte in Deutschland, wo auch mal 1.000 Leute zu unseren Konzerten kommen und total ausrasten. Einer Band wie PENNYWISE oder GREEN DAY mag das nichts mehr bedeuten, die kennen das nicht anders, da ist das in jeder Stadt so, aber für mich ist das etwas Besonderes. Ich sage da jedes Mal wieder zu mir: "Wow, this is really nice!", es ist der Beweis, dass die zigtausend Meilen im Tourbus, die miesen Hotelzimmer, die harten Nächte bei irgendwelchen Leuten auf dem Wohnzimmerfußboden nicht umsonst waren. Denn da draußen sind Menschen, die zu schätzen wissen, was wir tun. So, jetzt habe ich einen ganzen Roman auf deine kurze Frage als Antwort geliefert, aber ich musste das loswerden.
Wie reagieren denn deine Kollegen, wenn du ihnen erzählst, dass du in einer Band spielst, die in Deutschland richtig groß ist? Oder wissen die das gar nicht?
Also das mit "groß" ist ja auch wiederum relativ, was man schon daran sieht, dass wir Interviews eigentlich nur Leuten geben, die Fans von uns sind. Ich weiß nicht, wie vertraut die Ox-Leser mit der Praxis vieler großer Musikmagazine sind, aber dort ist es eben so, dass irgendwer das Interview mit einer großen Band führt, weil die Plattenfirma viel Geld ausgegeben hat, damit es erscheint - und das Magazin "muss" die Band im Heft haben, um möglichst viele Exemplare zu verkaufen. Entsprechend sind die Bands, die in Musikmagazinen einen Artikel bekommen, nicht zwangsläufig die, die das aufgrund ihrer bisherigen Karriere auch verdienen. Andersherum sind alle Interviews mit mir nur deshalb in einem Heft, weil da jemand Fan von SAMIAM ist - am Ende spreche ich mit dem Herausgeber selbst oder eben jemandem, der diesen so lange beschwatzt hat, bis das Interview genehmigt wurde. Und diese Interviews sind dann meist sehr detailliert und fachmännisch, eben nicht das sonstige Interview-Geschwätz. Diese Leute kennen mich also recht gut, während in meinem Freundes- und Kollegenkreis sehr viele nicht wissen, was ich da mit SAMIAM mache - und wenn sie es dann rausfinden, sind manche ganz erstaunt. Meist heucheln meine Kollegen aber nur etwas Interesse und das war's dann. Lustig war dagegen die Reaktion einer Kollegin, die aus Düsseldorf kommt und schon vor Jahren nach L.A. gezogen ist. Der erzählte ich von SAMIAM und unseren Touren, und irgendwie dachte die, wir spielen da nur in kleinen Clubs und hier und da mal auf einer Party. Na ja, und die kam dann letztes Jahr nach Köln ins Stollwerck. Da waren an die tausend Leute, wie fast jeden Song mitgesungen haben, und als ich sie vor dem Konzert traf, fragte sie mich, warum die ganzen Leute da seien. Sie dachte wohl, es sei wegen einer der anderen Bands. Und dann sahen wir uns wieder nach dem Konzert und sie war völlig sprachlos, konnte nicht glauben, was sie da eben erlebt hatte. Ich erklärte ihr dann, dass wir seit 15 Jahren mindestens einmal im Jahr in Deutschland auf Tour sind und es wohl damit zusammenhängt, dass da Leute allen Alters unsere Texte auswendig können. Aber so ist das halt, oft genug wissen ja selbst gute Freunde oder die eigene Familie nicht, was unsereins in der Musikszene so macht. Die kapieren ja schon gar nicht, dass Bands unterhalb des Levels von FOO FIGHTERS und Co. überhaupt auf Tour gehen können.
Am neuen Album fällt auf, dass Jasons Gesang irgendwie anders klingt.
Auch das hat was mit Sean und unserem Produzenten zu tun. Die haben Jasons Stimme den seltsamsten Prozeduren unterzogen, sie durch verschiedene Verstärker und Verzerrer gejagt. Als ich das das erste Mal gehört habe, war ich auch überrascht, eben weil da jetzt Echo drüberliegt, und ich kann dazu nur sagen, dass ich es anders gemacht hätte.
So schlimm ist das auch nicht, finde ich. Die neue Platte ist eben nur anders als erwartet.
Dazu kann ich noch zwei Sachen sagen: Erstens, als "Astray" erschien, fanden auch viele Leute die Platte die ersten beiden Wochen überhaupt nicht gut, ja, sie haben sie gehasst. Und bei "You Are Freaking Me Out" war es nicht anders, und so weiter. Du hast eine neue Platte raus, gehst auf Tour, und die erste Zeit kannst du dir nur Gemaule anhören, wie schlecht die Platte doch sei. Speziell ihr in Deutschland seid darin echt gut, denn anders als wir Amerikaner äußert ihr eure Meinung, wenn ihr eine habt.
Haha, ich weiß.
Nein, im Ernst, ihr wartet nicht, bis jemand von einer Band euch fragt, wie ihr seine neue Platte findet, ihr sagt es ihm einfach. Okay, ich selbst würde das nicht fragen, aber das steht auf einem anderen Blatt. Neulich traf ich auf einer Party diesen Typen, Troy, der mal bei QUEENS OF THE STONE AGE spielte, und der erzählte mir genau die gleiche Geschichte: Er sitzt in Deutschland in einer Kneipe, ein Fan kommt auf ihn zu und erzählt ungefragt, dass die CD, die er sich neulich auf dem Konzert gekauft habe, ja echt nicht so toll sei. Was willst du da tun, in dem Moment? Mit ihm streiten? Man möchte ja am liebsten sagen, er solle seine Meinung für sich behalten, man habe doch gar nicht gefragt ... Aber was ich eigentlich sagen wollte: Bei allen drei Plattem vor dieser, inklusive "Clumsy", und auch bei SOLEA, mussten wir uns zuerst anhören, dass die neue Platte ja nicht so toll sei. Und jetzt, Jahre später, findet jeder "Clumsy" und "Astray" gut, mögen alle SOLEA. Ich denke, unsere Band ist eben so, sie macht Songs und Platten, die nicht sofort zugänglich sind, die ihre Zeit brauchen. Wir haben unsere Platten über Jahre parallel zu GREEN DAY herausgebracht, ein Zufall, und bei denen ist es genau anders, da hörst du ein Lied einmal und bist begeistert. Wenn du jetzt also sagst, dass die Platte bei dir mehrere Anläufe gebraucht hat, dann beunruhigt mich das nicht, es fügt sich in das bestehende Bild ein.
Aber du hattest noch einen zweiten Punkt ...
Ja, mit dieser Platte hat es einen großen Wechsel gegeben: Sie klingt bei weitem nicht so clean und poppig wie die vorherigen. Manche werden behaupten, die Aufnahme sei einfach schlecht, aber die Wahrheit ist, dass wir das erste Mal seit Jahren eine Platte gemacht haben, ohne dass ein großer Manager hinter uns stand, der uns überwachte, der die Erwartung hatte, uns mit einem Song im Radio unterzubringen - und gerade mit "Astray" wurden wir in den USA echt viel im Radio gespielt, was sich freilich nicht auf die Verkaufszahlen ausgewirkt hat. Und wir machten auch so einiges, was man als Punkband eigentlich nicht machen sollte, womit ich so meine Probleme hatte, was wir aber tun "mussten". So standen wir dann eben bei irgendwelchen Festivals von Radiosendern mit den BLACK CROWES auf einer Bühne, solche Sachen eben, oder eine Tour im Vorprogramm von CREED ... Wir "mussten" das tun, weil unser Management uns dazu gezwungen hat, so läuft eben das Spiel. Und solche Mechanismen wirkten sich dann eben auch auf die Produktion der Alben aus, sie waren cleaner, als ich mir das gewünscht hatte, auch wenn ich damit nicht sagen will, dass ich mit den drei Platten vor der Aktuellen generell unzufrieden bin. Diesmal waren wir einfach befreit von all solchen Zwängen, konnten tun, was wir wollten, konnten ein Album wie LEATHERFACE oder HOT WATER MUSIC machen, die garantiert nicht im Radio gespielt werden, weil sie viel zu abgefuckt klingen. Ich mag auch die alten SONIC YOUTH sehr gerne, und diesmal hatten wir die Freiheit, auch mal so zu klingen. Ich kann auch ruhig sagen, dass ich sowohl von Peter von Burning Heart, unserem Label in Europa, wie von Louis von Hopeless, die das Album in den USA veröffentlichen, angerufen wurde und sie mich fragten, warum die neue Platte so anders klingt. Ich habe es ihnen erklärt, und klar, ihr Job ist es, Platten zu verkaufen, und vielleicht würde ein etwas cleaner klingendes Album ihnen ja ihren Job einfacher machen, aber dafür ist es nun zu spät.
So schlimm wird es schon nicht kommen, haha.
Aber du weißt ja auch, wie es sich in den USA in den letzten Jahren entwickelt ist, da ist alles voll von diesen Shopping Mall-Punkbands mit einem völlig cleanen Sound, Bands wie FALLOUT BOY, THURSDAY, HAWTHORNE HEIGHTS. Ich will jetzt nicht über die herziehen, doch auch wenn wir im weitesten Sinne verwandte Musik spielen, so haben wir doch meinem Gefühl nach rein gar nichts mit denen gemeinsam. Und als wir diese Platte machten, wollte ich mich so weit wie möglich von solchen Bands distanzieren. Vielleicht hätte ich jetzt keine Namen nennen sollen, aber diese Bands, die hundertmal mehr Platten verkaufen als wir und vielleicht selbst glauben, sie würden die gleiche Musik wie wir machen, haben letztlich nichts mit uns zu tun. Und ich will, dass die Leute das wissen - wir sind nicht so eine Industrie-Band. Deshalb ärgert es mich auch, wenn wir uns, wie nach der Tour letztes Jahr, anhören müssen, die Eintrittspreise seien zu hoch gewesen. Mann, wir kamen fast ohne Geld wieder zu Hause an, und die Hälfte des Ticketpreises geht in Deutschland für Steuern drauf. Wenn es nach mir ginge, würden wir überall für fünf Euro spielen, aber das geht nicht. Und ja, wir sind auf Epitaph und Burning Heart, und die schalten Anzeigen für uns und man sieht vielleicht auch mal unser Video, aber, hey, in Wirklichkeit sind wir alte, hässliche Säcke, die nicht mal einen Roadie haben, von einer dicken Lichtanlage und einem schicken Banner hinter der Bühne ganz abgesehen. Wenn ich selbst mir meine Band anschaue, sehe ich die unkommerziellste Punkband vor mir, mit seltsamen, sehr persönlichen Texten ... Und da kann ich mir schon vorstellen, dass auch andere manchmal einen etwas verworrenen Eindruck von uns haben müssen. Von daher: Die neue Platte ist eine, über die wir die hundertprozentige Kontrolle hatten, sie klingt seltsam, und ja, es ist keine kommerzielle Platte. Und sorry, schon wieder habe ich auf eine einfache Frage mit einem ganzen Roman geantwortet.
Nun, das musste wohl einfach raus. Willst du noch was loswerden zu den kleinen Arschlöchern, die dir auf der letzten Tour in Trier zwei Gitarren geklaut haben?
Ein schönes Thema, über das ich sehr gerne rede ... Der Rest der Tour war für mich natürlich gelaufen, ich musste mit anderen Gitarren spielen und das mag ich gar nicht. Das Konzert war echt gut, wir hatten Spaß, und diese beiden Typen dachten wohl, diese Band da macht ja ein Schweinegeld mit dem Konzert, da kann man denen ruhig die Gitarren klauen. Tja, mich hat das 3.000 Euro gekostet, abgesehen vom ideellen Wert, denn eine der Gitarren hat mich auf all unseren Touren begleitet, war überall in der Welt mit mir. Die hätte ich mir gerne als alter Mann an die Wand gehängt, mich daran erinnert, dass dieser Kratzer aus Tokio ist und der andere da aus São Paulo und wieder ein anderer aus Stockholm. Ich war echt sauer und enttäuscht nach diesem Diebstahl, konnte zwei Tage nicht schlafen, hatte diese Rachephantasien, was ich mit dem Dieb wohl machen würde, wenn ich ihn erwischt hätte. Warum haben die das einer kleinen Band wie uns angetan? Wenn die klauen wollen, sollen die doch in ein Stadion gehen und die TOTEN HOSEN oder wen auch immer beklauen, denen macht das finanziell sicher nichts aus. Und vor allem: Das müssen ja SAMIAM-Fans gewesen sein, was hätten sie sonst auf dem Konzert gemacht?
Ich habe gelesen, dass ihr eigentlich ein ZOMBIES-Cover einspielen wolltet für die neue Platte. Warum wurde daraus nichts?
Also wir hatten das Lied - "This will be our year" - auch schon drauf, es sollte ein Bonustrack für iTunes werden, und während Sean und ich uns wie immer noch über Details stritten, kam dieses Nike-Commercial raus - mit genau diesem ZOMBIES-Track. Na ja, und ein Lied, das dieser böse Konzern benutzt, kam für uns nicht mehr in Frage, nachdem es eine Woche lang ständig zu hören war. Hätten wir es trotzdem gemacht, hätten wir uns ständig anhören müssen, das Lied aus der Nike-Werbung gecovert zu haben.
Sergie, ich danke dir für das Interview.
Ich danke dir dafür, dass du nach all den Jahren immer noch nicht von uns gelangweilt bist.
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