REVEREND HORTON HEAT

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Zeit für (noch mehr) Martini

Schon seit dreißig Jahren beglücken REVEREND HORTON HEAT ihre Fans mit einer Mischung aus Country, Rockabilly und Psychobilly. Kopf der Formation war und ist Jim Heath mit seiner legendären Gretsch 6120, aktuell unterstützt von Jimbo Wallace (Bass) sowie Scott Churilla (Drums). Ein Highlight war bereits das Debütalbum „Smoke ’Em If You Got ’Em“, das 1990 auf Sub Pop erschien. Im Vorfeld des kanadischen Tourauftaktes am 22. Mai im Rickshaw Theatre, Vancouver ergab sich die Gelegenheit, den Reverend näher zu seinen Inspirationsquellen, der Sache mit der Cowboyliebe und dem aktuellen Album „Rev“ auf Victory Records zu befragen.

Recht umstritten ist ja die Geschichte bezüglich des „Horton“-Teils deines Namens. Im englischsprachigen Wikipedia-Artikel meint jemand nun, das Geheimnis gelüftet zu haben – „Horton“ sei ein Tribut an den legendären Johnny Horton. Was ist da dran?


Nun ja, bis auf die Tatsache, dass ich Johnny Horton tatsächlich als einen der größten Countrymusiker unserer Zeit verehre, nicht wirklich viel. Damals arbeitete ich als Tontechniker in einem Club, dessen Besitzer die Angewohnheit hatte, jeden in seinem näheren Umfeld mit einem Spitznamen zu versehen. Mich nannte er eines Tages nur noch „Horton“. Als ich dann wenig später bei der Eröffnung seines neuen Clubs als Solokünstler auftrat, hatte er mich ohne mein Wissen auf sämtlichen Flyern bereits als Reverend Horton Heat angekündigt. Ab dann wurde der Name zum Selbstläufer.

In den späten Siebzigern hast du in Austin, Texas studiert. Was hast du von der Punk-Szene dort mit Bands wie THE DICKS, BIG BOYS und MDC mitbekommen?

Als das alles in Austin so richtig losging, hatte ich schon die Entscheidung getroffen, nach Dallas zu ziehen. Dort gab es den „Hot Club“, wo ich dann einige dieser Bands live gesehen habe. Viele Leute unterschätzten damals die Musikszene in Dallas, und für mich war die Sache schnell klar: In Austin gab es einen oder zwei Rock’n’Roll-Clubs, in Dallas ganze sieben. Da ich damals bereits mit College-Freunden in einer Rockband spielte, war Dallas deutlich attraktiver. Wir haben damals eigentlich direkt angefangen, in der gesamten Region zu spielen. Eine der ersten Stationen war Denton. Dort gibt es mit der University of North Texas eine der besten Musikschulen der Welt und dementsprechend auch eine großartige Musikszene.

Welcher Subkultur hast du dich damals, bevor es bei dir mit dem Musikmachen so richtig ernst wurde, enger verbunden gefühlt?

Damals machte ich verschiedene Phasen durch, um herauszufinden, was ich wirklich wollte. Gitarrespielen habe durch das Hören von Blues-Platten gelernt: Freddie King, BB King und Buddy Guy. Auch die Bluesmusiker auf dem Chess-Label wie Howlin’ Wolf and Sonny Boy Williamson, Little Walter und Muddy Waters haben mich da sehr geprägt. Dann ging alles relativ schnell und ich war plötzlich in Rockbands, die die Hits der damaligen Zeit coverten: Ich war gut genug, um mit den Songs von EAGLES, LED ZEPPELIN, BLONDIE und den RAMONES etwas Geld zu verdienen. In den frühen Achtzigern konzentrierte ich mich dann auf den Rockabilly, was ja auch mehr meiner Leidenschaft für den Blues der Fünfziger entsprach. Damals passten wir Rockabillies nirgendwo so richtig rein, außer in die Punkschuppen wie den Twilight Room oder den Hot Club in Dallas, wo wir dann auch einige Gigs spielten.

Wie kamst du damals dann genau dazu, stilistisch die Brücke von der Musik der Fünfziger zum Punk zu schlagen? THE CRAMPS waren zu der Zeit ja auch in Dallas unterwegs.

Die CRAMPS habe ich 1979 in einem ziemlich großen Heavy-Metal-Club gesehen, ohne die Band wirklich zu kennen – ich erwartete lediglich ein ordentliches Punkrock-Konzert. Das bekam ich auch, und wie! Lux Interior gab seine total durchgedrehte Bühnenshow zum Besten und räkelte sich halbnackt auf Glassplittern. Und das alles zu diesen Rockabilly- und Sixties-Klassikern, wie Jack Scotts „The way I walk“ oder „Surfin’ bird“ von den TRASHMEN, die durch Poison Ivys stark verzerrtes und prägnantes Gitarrenspiel deutlich an Schärfe gewannen. Ganz so, als würde Duane Eddy sich mit ein paar Punkern zum Proben treffen! Das öffnete mir die Augen und vor allem die Ohren: Meine wichtigste musikalische Prägung, die Musik der Fünfziger, ist einfach sehr eng mit dem Punk verbunden!

Mit deinem Song „Cowboy love“ greifst du ja wie damals bereits schon die DICKS, die BIG BOYS oder MDC schwule beziehungsweise queere Themen auf. Von Texas hatte ich bisher eher ein konservatives Bild, da kommt ein Song über schwule Cowboys schon etwas provokativ daher.

Der Song entstand, als Jimbo und unser Tourmanager 1990 in Fresno, Kalifornien an einem freien Abend in einer Country-Bar landeten, ich selber bin an dem Abend zu Hause geblieben. Auf jeden Fall erzählte mir Jimbo später, dass er bei der Bierbestellung an der Bar zwei Cowboys mit unterschiedlicher Hautfarbe beobachtete, die sich leidenschaftlich auf der Tanzfläche küssten. In diesem Moment wurde Jimbo klar, dass sie wohl in einer Schwulenbar gelandet sein mussten. Der Barkeeper bemerkte Jimbos irritierten Gesichtsausdruck, spendierte den Jungs ein Bier und meinte nur, sie sollten sich doch einfach entspannen, einen schönen Abend haben und sich keine Gedanken darüber machen, dass sie jemand eventuell belästigen könnte. Wenn mein Song nun die Leute nicht durch schwule Cowboys schockt, dann bestimmt durch ein gemischtrassiges schwules Cowboy-Pärchen!

Der Song „Longest gonest man“ hat ja etwas länger gebraucht, um es auf euer aktuelle Album „Rev“ zu schaffen. Mir hat jemand erzählt, Johnny Rotten wäre involviert gewesen ...

Na ja, sagen wir ein bisschen. George Gimarc, ein bekannter DJ in der Punk-Szene von Dallas, kannte Johnny persönlich, und hat ihm in den Achtzigern mal eines unserer Demotapes geschickt, „Longest gonest man“ war da der erste Track. Ich erfuhr von der ganzen Geschichte allerdings erst 2003, als wir mit den SEX PISTOLS auf Tour waren und Rotten höchstpersönlich davon erzählte. Hätte ich das nur damals schon gewusst, das wäre ziemlich cool gewesen, haha. So läuft das mit vielen meiner Songs, die ich irgendwann mal geschrieben habe und mit der Zeit wieder vergesse. Manchmal bekomme ich auch Post von Fans, die mich nach Song XY aus einer längst vergessenen Show fragen, die sie auf YouTube gesehen haben – so entdecke ich viele meiner alten Songs wieder neu!

Viele deiner Songs wie „400 bucks“ oder „Where the hell did you go with my toothbrush“ handeln von Trennungen und gescheiterten Beziehungen. Möchtest du diese Songs nicht manchmal einfach von der Setlist streichen, um nicht immer wieder diese alten Gefühle aufkochen zu müssen?

Die Songs entwickeln nach einiger Zeit ein gewisses Eigenleben. Ist er erst mal geschrieben und mit der Band eingeübt, habe ich über alles Weitere keine Kontrolle mehr. Die Fans akzeptieren den einen Song mehr als den anderen, hier läuft das ganz ähnlich wie mit den Witzen bei meinen Live-Shows. Wenn ich witzig genug wäre, würde ich mir sicher für jedes Konzert etwas Neues einfallen lassen. So läuft das aber nicht, und sogar berühmte Stand-up-Comedians haben da ihre Routine. Was ich also sagen will: Du bleibst bei dem, was gut funktioniert. Ich stehe nicht eines morgens auf und beschließe: „Irgendwie nervt mich ,400 bucks‘, ich glaube, den Song spiele ich nicht mehr!“ Songs werden nach und nach mal ausgetauscht – meistens aber eher, um Platz für neues Material zu schaffen.

Und wie darf ich mir deinen Alltag vorstellen, wenn du mal gerade nicht auf Tour bist? Gibt es bei dir irgendwelche bestimmten Hobbys?

Autos sind auf jeden Fall ein Hobby von mir. Ich hatte schon viele verschiedene Modelle, und gerade habe ich einen Ford von 1932 in der Garage, ein sehr beliebter Hot Rod. Aber REVEREND HORTON HEAT sind mittlerweile zu einem kleinen Unternehmen geworden. Und unsere Regierung ist anscheinend darauf aus, kleinen Unternehmen das Leben schwer zu machen. Sie haben unser Steuersystem so verkompliziert, dass die Beschäftigung damit inzwischen so etwas wie mein Hobby geworden ist. Aber auch meine Familie, die kleine Farm mitsamt Tieren außerhalb Dallas, auf der wir inzwischen leben, halten mich auf Trab. Es gibt eigentlich immer was zu tun: Wenn ich nicht auf Tour bin oder mich um irgendwelche Steuern kümmere, baue ich weiter an meinem Studio oder bastle an neuen Aufnahmen. Ich musste mich entscheiden, was ich mache. Und ich muss einfach Musik machen – ich bin Musiker!