In Sachen Band-Fakten streuen die anonymen Eyeball-Maskenträger – bis heute kennt (offiziell) niemand die Identität der Musiker – gerne gezielt Fehlinformationen und nähren so seit fünf Jahrzehnten den eigenen Mythos. THE RESIDENTS sind eigentlich die BEATLES? Fake News galore. In ihrem Spiel mit Medien, Marktmechanismen, Klischees und Erwartungen machen die RESIDENTS aus San Francisco nun schon seit rund fünf Jahrzehnten einen Höllenlärm. Einen Blick hinter die Kulissen der Anti-Mainstream-Maschine gewährt Homer Flynn, seit 1971 Leiter der RESIDENTS-Artabteilung und derzeitiger Präsident der seit 1976 offiziell für die RESIDENTS-Vermarktung zuständigen Cryptic Corporation.
Die RESIDENTS bemühen sich darum, Erwartungen auszuklammern. Kann das wirklich immer gelingen?
Die RESIDENTS haben die Dinge immer selbst in die Hand genommen, aber sie sind auch Menschen, sie sind also nicht frei von Erwartungen, haha. Um die Mitte der Neunziger herum, als die CD-ROM-Ära begann, haben die RESIDENTS unter anderem die „Freak Show“- und die „Bad Day On The Midway“-CD-ROM herausgebracht und waren besonders mit letzterer sehr zufrieden. Aber dann ist der ganze CD-ROM-Markt sechs Monate nach deren Veröffentlichung einfach zusammengebrochen und verschwunden. Es gab also diesbezüglich auf jeden Fall große Erwartungen, die nicht erfüllt wurden.
Du sprichst da schon an, dass die RESIDENTS immer versucht haben, auf möglichst vielen Ebenen zu agieren, Stichwort: Rastlosigkeit.
Ich halte Rastlosigkeit für eine gute Sache, daraus speist sich eine Menge kreativer Energie. Im Text von Bob Dylans „Love minus zero/No limit“ gibt es diese Zeile „There is no success like failure / And failure’s no success at all“. Für mich heißt das, Fehlschläge erzeugen rastlose Energie und führen zu einer Vorwärtsbewegung. Erfolg hingegen hat den entgegengesetzten Effekt, er führt tendenziell eher zu Entspannung, die Leute ruhen sich auf ihren Lorbeeren aus und sind zufrieden mit dem, was sie haben. Sie kümmern sich nicht darum, die Zukunft zu aktiv gestalten.
Inwiefern haben die RESIDENTS im negativen oder positiven Sinne „versagt“?
Wenn das Leben rein hinsichtlich des kommerziellen Erfolgs beurteilst, was viele Menschen tun, sind die RESIDENTS seit fünfzig Jahren ein chronischer Misserfolg. Diesbezüglich haben sie komplett versagt. Auf der anderen Seite haben sie ihre rastlose kreative Energie nie verloren und entwickeln sich nach wie vor weiter. Die Mole-Show, die damals die erste RESIDENTS-Performance auf Tour war, hat je nach Bilanz zu einem Verlust geführt zwischen 10 und 20.000 Dollar. Und du kannst froh sein, wenn du überhaupt eine Bilanz aufgestellt bekommst. Es war ein komplettes Desaster. Aber im Laufe der Zeit ist diese Show zu einer Legende geworden und die RESIDENTS haben es überlebt, man kann es also nicht unbedingt als reinen Misserfolg abstempeln. In ästhetischer Hinsicht glaube ich nicht, dass es irgendwas gibt, was die RESIDENTS als Versagen einstufen würden. Es gibt natürlich Aktivitäten, die erfolgreicher sind als andere, aber Künstler sollten sich immer wieder selbst herausfordern, experimentieren und dabei Risiken in Kauf nehmen. Einige dieser Versuche sind erfolgreicher als andere, aber alle führen zu einem Punkt, an dem die Dinge sich irgendwie zusammenfügen. Diesen Kreislauf haben die RESIDENTS immer und immer wieder durchlaufen.
Technische Experimente sind ein weiteres zentrales Element ihrer Arbeit.
Technik war immer ein interessantes Feld für die RESIDENTS, allerdings muss man hier klarstellen, dass Technologie ihre Vorhaben zwar ermöglichen, aber nicht diktieren soll. Sie gehen eigentlich oft sehr primitiv und lowtech an technikbezogene Vorhaben heran, setzen ein primitives Lowtech-Album in direkten Bezug zu Hightech. Das erzeugt eine gewisse kreative Spannung, die die RESIDENTS sehr schätzen. Sie haben immer bestimmte technologische Zugänge verfolgt, insbesondere in Bezug auf Aufnahmen und hinsichtlich Computern, bis zu einem gewissen Grad auch bei ihren Performances. Technik war von Beginn an eine Passion der RESIDENTS. Anfangs hatten alle einen regulären Job, im Postamt oder als Sekretär in einem Krankenhaus. Sie lebten in einer Art Kommune zusammen, haben all ihr Geld zusammengekratzt, um sich davon die ersten 4-, 8- und 16-Track-Aufnahmegeräte kaufen zu können, sobald diese für den normalen Endverbraucher auf dem Markt verfügbar waren. Rückblickend ist es unglaublich, wie teuer dieser Kram war, wenn du bedenkst, dass du heute ein ganzes Album mit deinem Smartphone aufnehmen kannst. Vor vierzig Jahren brauchtest du dafür noch ziemlich teures Equipment.
Gibt es bei den RESIDENTS denn auch eine politische Dimension?
In ihrer Herangehensweise an Kunst und Kreativität sind die RESIDENTS eigentlich nicht sonderlich politisch. „Wormwood“ war wahrscheinlich das politischste unter den vielen RESIDENTS-Alben. Die ganze Idee, ein Album über die Bibel zu machen, entstand zu einer Zeit, als konservative Christen in den USA gerade begannen, die Macht zu übernehmen. Leider war das erst der Anfang und sie haben inzwischen mehr Macht als jemals zuvor, aber das ist eine andere Geschichte. Die Art und Weise, wie die Bibel von diesen konservativen Christen manipuliert wurde, ließ die RESIDENTS zunehmend zynisch werden. Sie hielten es für eine gute Sache, von einem objektiveren Standpunkt aus an die Bibel heranzugehen. Es gibt viel interessantere Sachen in der Bibel, als rechtsgerichtete Christen uns glauben machen wollen, viele dieser Geschichten sind wirklich abgedreht und zutiefst düster, haha. Diese Düsternis ins Rampenlicht zu zerren, hat den RESIDENTS viel Freude bereitet. Aber auch sonst gibt es innerhalb der Gruppe eine politische Dimension, allerdings bleibt das auch in diesem kleinen Kreis und wird nicht an die große Glocke gehängt.
Ist nicht schon das Auftreten in einer Gruppe, als in sich geschlossenes und für Außenstehende nicht vollständig zugängliches Kollektiv, eine Art politisches Statement?
Das ist es je nach Auslegung des Politikbegriffs tatsächlich. Wenn du dir die aktuelle politische Situation in den USA anschaust, ist es verdammt schwer, nicht zynisch zu werden. Aber ich bin ein von Grund auf optimistischer Mensch und ich glaube fest daran, dass die Dinge sich ändern werden. Seitdem ich ein tieferes Verständnis für Politik gewonnen habe, sehe ich in Kunst eine Form der zwischenmenschlichen Beziehung. Dadurch, dass sie eine kollektive Identität gewählt haben, haben sich die RESIDENTS dafür entschieden, nicht mit dem Rest der Kultur auf einem individuellen Level zu interagieren.
Das Spiel der Band mit Mythen ist hingegen unbestritten ...
Ja, viele ihrer eigenen Helden waren Menschen, die einen Mythos um sich herum aufgebaut hatten. Der Erste, der mir da einfällt ist Sun Ra, der bis zu seinem Tod behauptet hat, dass er vom Planeten Saturn stamme. Ein weiterer Einfluss war P.T. Barnum, der amerikanische Zirkuspionier aus dem 19. Jahrhundert. Sie lieben diesen Mythos, den Barnum um seine Performances, speziell seine Freakshows, aufgebaut hat. Die Realität kann zwar sehr faszinierend sein, aber manchmal musst du einfach aus ihr ausbrechen. Der Mythos, oder auch das eng damit verbundene Mysterium, das sind schon faszinierende Themen für die RESIDENTS.
Und diese Faszination soll sich auch in einer RESIDENTS-Performance wiederfinden?
Ja, für die RESIDENTS muss eine Performance eine gute Show sein. Wenn du performst, soll man dich auch als Künstler erkennen. Um noch mal zurück auf Sun Ra zu kommen: Wenn er auf die Bühne getreten ist und einen Hut über sich gehalten hat, als ob es ein mythisches Objekt wäre, das war eine Performance. Ein weiterer Held war diesbezüglich Liberace. Wenn er auf die Bühne gegangen ist und anfing, Klavier zu spielen, dann merkte das jeder. Das ist eines der zentralen Anliegen der RESIDENTS. Wenn sie auf der Bühne stehen, dann erkennbar als Künstler zur allgemeinen Unterhaltung.
Zu Beginn sind die RESIDENTS ja nahezu überhaupt nicht live aufgetreten, haben aber eine Menge Videos gedreht. Ging es da in erster Linie um visuelle Aspekte, um eine Art ikonisches Image aufzubauen?
Vieles drehte sich darum, Abwechslung zu erzeugen. Die RESIDENTS genießen es, Musik für ein Publikum zu spielen, sie haben aber den Eindruck, dass zu viele Musikshows zu flach sind, dass die Abwechslung fehlt. Viele Aspekte des Humors und des Timings der frühen RESIDENTS-Clips lassen sich auf der Bühne einfach nur schwer umsetzen.
Mit der „Mole Show“ Anfang der Achtziger haben sie es sich dann doch getraut.
Das war damals ein Moment in ihrer Karriere, als die RESIDENTS den Versuch unternahmen, aus dem Untergrund herauszukommen. Die Cryptic Corporation hatte für sie einen Vertrag bei einer recht renommierten Management-Firma in L.A. unterzeichnet. Ihr Manager war ein Typ namens Bill Gerber, der unter anderem auch DEVO managte. Diese Firma vertrat auch Bob Dylan, Joni Mitchell und Neil Young, und sie war auch der Grund, warum die RESIDENTS mit der „Mole Show“ auf Tour geschickt wurden. Und die Mole-Show war, wie gesagt, eine schwierige Angelegenheit für sie, nicht nur in finanzieller Hinsicht, sondern auch emotional gesehen. Sie wären beinahe daran zerbrochen. Zwei oder drei Jahre lang haben sie gesagt, sie würden nie wieder touren. Als dann aber ein Angebot für eine Japantour kam, haben sie 1986 eine Jubiläumsshow zum 13-jährigen Bestehen auf die Beine gestellt. Dort haben sie dann erst eine solide Basis für zukünftige Performances geschaffen.
Gerade bringt ihr die „The Residents pREServed/Archival Reissue Series“ raus. Wie kam es dazu?
Ich bin ja derzeit Präsident der Cryptical Corporation, die 1976 als Business- und Promotion-Schnittstelle der RESIDENTS gegründet wurde. Ursprünglich gab es vier Cryptic-Personen, zwei davon haben in den frühen Achtzigern hingeschmissen, Hardy Fox und ich haben die Corporation dann etwa dreißig Jahre lang alleine gestemmt. Hardy ist leider im Dezember 2018 gestorben, er war aber auch schon einige Jahre davor in den Ruhestand gegangen. Er war in dieser ganzen Zeit der RESIDENTS-Toningenieur und außerdem der Hüter ihres Tape-Archivs. Als er sich zurückzog, hat er mir diese ganzen Tapes überlassen. Cherry Red Records aus London, die inzwischen Anteile an der Cryptic Corporation halten, waren an einer Wiederauflage der RESIDENTS-Alben interessiert und wollten dabei auch auf diese Tapes zurückgreifen.
Wer hat das Material dafür ausgewählt?
Daran waren drei Personen beteiligt, der Großteil der Entscheidungen, was tatsächlich berücksichtigt werden sollte, wurde aber von Cherry Red getroffen. Ich habe alle Tapes an Scott Colburn, Toningenieur und großer RESIDENTS-Fan, nach Seattle geschickt. Einen Großteil dieser Bänder habe ich mir gar nicht erst anhören können, richtig alte Sachen, Multitrack-Tapes und alte Masters. Scott hat dankenswerterweise alles digitalisiert und mir und Richard Anderson, dem Produktmanager von Cherry Red, die Kopien geschickt. Wir haben dann ausdiskutiert, was als Bonus für diese Reissues angemessen wäre.
Ihr seid noch immer unglaublich aktiv und habt neben der Reissue-Serie diverse Eisen im Feuer. Welche Projekte sind zur Zeit in der Mache?
Da gibt es zum Beispiel ein zukünftiges Projekt, das auf einem alten basiert. Es gab 1988 ein RESIDENTS-Album namens „God In Three Persons“ und daraus wollten sie eigentlich schon immer eine Art Theaterstück machen. Es hat zwar dreißig Jahre gedauert, aber sie werden „God In Three Persons“ im Januar 2020 im Museum of Modern Art in New York aufführen. Sie arbeiten außerdem mit einem Videokünstler namens John Sanborn zusammen, mit dem sie auch in der Vergangenheit schon kooperiert haben. Sie sind richtig aufgeregt, ein wirklich spannendes Projekt. Für ein Filmprojekt namens „Double Trouble“ versuchen sie noch eine Finanzierung auf die Beine zu stellen. Sie haben schon einen Trailer dafür gedreht und positives Feedback bekommen. Allein, es fehlt das Geld. Sie arbeiten an einem neuen Album, sie haben eine Serie von Demos aus den Siebzigern von einem obskuren Blues-Musiker aus Louisiana entdeckt, auf diesen Aufnahmen wird das nächste Album basieren. Ein weiteres Projekt sind ein paar 360-Grad-Musikvideos, basierend auf einer Live-Performance in San Francisco im Oktober 2018. Das wurde mit einer hochauflösenden 360-Grad-Kamera aufgezeichnet und zusammen mit drei Künstlern werden sie die Umgebung komplett durch eine Fantasie-Realität ersetzen. Wenn das gut funktioniert, wird das auf dem SXSW-Festival in Austin im März 2020 aufgeführt, auch das ist ein ziemlich spannendes Projekt. Also die RESIDENTS bewegen sich nach wie vor nach vorne.
Abschließende Frage: Hätten die RESIDENTS längere Zeit bestehen bleiben können, wenn sie erst heute gegründet worden wären?
Hm, gute Frage. Ehrlich gesagt finde ich es heutzutage unglaublich schwierig durchzustarten. Die gute Sache am Internet ist, dass du Zugang zu einem weltweiten Publikum hast. Aber du wirst zwangsläufig zur Nadel im Heuhaufen. Und jeder hat heutzutage die Möglichkeit, eine Nadel im Heuhaufen zu sein, das Problem ist nur, dass dieser Heuhaufen so groß wie die Sonne ist. Du kannst diese Sachen also in den Äther schicken, es ist nur unglaublich schwierig, damit irgendeine Form von Aufmerksamkeit zu erzeugen. Also was die RESIDENTS im Laufe der Zeit wurden und jetzt sind, wäre inzwischen wohl nur schwer zu erreichen. Vier oder fünf Jahre lang hat eigentlich nur ihre Beharrlichkeit dazu geführt, dass sie überhaupt weiterbestehen konnten. Wenn also jemand mit ähnlicher Hingabe an so einer Sache arbeiten würde, wäre das wohl auch möglich, es wäre aber ein erheblich anderer Weg.
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