RAWSIDE

Foto© by Lars Eggers

Einblicke in einen Menschenfresser

Seit dem 17. Mai 2024 steht das brandneue Album „Menschenfresser“ von RAWSIDE in den Startlöchern. Aus diesem Anlass haben wir die Band zu einem Interview geladen. Frontmann Henne und Bassist Simon geben uns einen Einblick in die Entstehung des Albums, reflektieren über die aktuellen gesellschaftlichen Geschehnisse und erläutern die Bedeutung einiger Texte.

Gibt es eine zentrale Botschaft oder ein übergreifendes Thema, das ihr mit diesem Album vermitteln möchtet?

Henne: Es ist kein Konzeptalbum, das erst mal vorneweg. Aber seit Jahren beschäftigt mich das Phänomen der zunehmenden Ichbezogenheit in unserer Gesellschaft. Immer mehr Menschen versuchen, sich Vorteile zu verschaffen, ohne Rücksicht auf andere zu nehmen. Sogar innerhalb der eigenen Familie kann man das beobachten, was mich natürlich frustriert und in meiner Stimmung beeinflusst. Dieser Ärger findet sich dann in unseren Songs und Texten wieder. Die politische Situation ist seit Jahrzehnten festgefahren und es ist beunruhigend zu sehen, wie rechtsextreme Ideen weiterhin präsent sind, nicht nur in Deutschland, sondern auch anderswo.
Simon: Es ist besorgniserregend, dass solche egoistischen Verhaltensweisen gesellschaftlich fast schon als erstrebenswert angesehen werden. Diese Art von Persönlichkeit wird oft bewundert und das fordert uns alle heraus. Es ist wichtig, diese Einstellungen zu hinterfragen.

Ihr seid im Punk-Genre aktiv. Wie wichtig ist es euch, vor allem hier möglicherweise als Sprachrohr zu fungieren, insbesondere für diejenigen, die nicht die gleiche öffentliche Plattform haben wie ihr?
Henne: Ich glaube, es ist generell in jedem Genre wichtig, eine klare Position zu beziehen. Ob es sich dabei um Punk, Schlager oder Metal handelt, ist für mich nicht entscheidend. Jeder kann in seinem Bereich klare Ansichten vertreten und sich engagieren. Als Band sehen wir es als unsere Aufgabe, die Menschen für bestimmte Themen zu sensibilisieren, und das tun wir auch gerne.

Gibt es auf dem Album einen Song, der euch besonders am Herzen liegt?
Henne: Ja. „Auf der Flucht“ ist ein Stück, das mir textlich wichtig ist. Er handelt von einem geflüchteten Menschen und das Thema berührt mich. Aber auch „Gammaburst“ hat für mich eine besondere Bedeutung, da er uns musikalisch neue Wege eröffnet hat.
Simon: Für mich ist es „Dreh dich mal um“ aus musikalischer Sicht und ebenfalls „Auf der Flucht“ textlich. Obwohl es kein Konzeptalbum ist, haben die Texte doch alle irgendwie eine Verbindung zueinander, wenn auch nicht bewusst geplant.

Wie beeinflusst das aktuelle politische oder weltliche Klima eure Musik oder eure Texte?
Henne: Das politische und weltliche Klima beeinflusst unsere Musik sehr stark. Diese Themen sind ständig präsent in den Nachrichten und wir können ihnen nicht ausweichen. Sie sind Teil unserer Geschichte und beeinflussen daher auch unsere Texte. Manchmal werden sie dadurch wütender, aggressiver oder auch mal plakativ, da man einfach mit der Situation konfrontiert ist, und manchmal fehlen einem auch die Worte angesichts dessen, was passiert.
Simon: In Bezug auf plakative Texte hatte ich auch schon einige Diskussionen mit Menschen. Ein Song trägt immer eine Emotion in sich und manchmal sind plakative Texte notwendig, um diese auszudrücken.

Glaubt ihr, dass Musik ein wirksames Medium ist für soziale und politische Botschaften?
Henne: Musik transportiert in erster Linie Gefühle und kann auch wichtige Botschaften übermitteln. Allerdings müssen wir uns bewusst sein, dass Musik auch für negative Zwecke genutzt werden kann. Nicht alle politischen Botschaften, die durch Musik verbreitet werden, sind positiv. Es gibt genug Beispiele von Bands, die negative und manipulative Inhalte verbreiten. Es liegt an uns, wie wir unsere Reichweite nutzen und welche Aussagen wir verbreiten möchten.
Simon: Musik ist seit Tausenden von Jahren Teil der menschlichen Kultur und emotional mit uns verbunden. Sie kann daher eine wirksame Plattform für soziale und politische Botschaften sein, aber wir müssen vorsichtig sein, wie wir sie nutzen, um keine negativen Auswirkungen zu haben.

Bleiben wir beim Thema Menschen und kommen zum Titel eures Albums, der lautet „Menschenfresser“. Ist das eine Anspielung auf die erwähnte Ichbezogenheit und Ellenbogengesellschaft?
Henne: Der Titel „Menschenfresser“ bezieht sich auf den emotionalen Kannibalismus in unserer Gesellschaft. Es geht um die Tendenz, egoistisch zu handeln und andere zu unterdrücken, sei es in der Familie, im Beruf oder in zwischenmenschlichen Beziehungen. Oftmals sind sich diejenigen nicht bewusst, wie sehr sie andere im Umfeld verletzen oder ausnutzen, solange die eigenen Ziele erreicht werden. Der Lernprozess, den viele Menschen durchlaufen, besteht oft darin, dass sie selbst hart behandelt wurden und nun glauben, das sei der Schlüssel zum Erfolg. Der Titel spiegelt diese Thematik wider und soll zum Nachdenken anregen über unser Verhalten und dessen Auswirkungen auf andere.