Eigentlich firmieren sie ja unter Hardcore. Frühere Platten wie „Dedication“ oder „Sound Of The Republic“ standen für rasende Riffs und den schrillen Brüllgesang von Frontmann Alexander „Alle“ Hagman und machten die Schweden zu Schwergewichten innerhalb der Szene. Jetzt aber kommt da mit „Anthems“ ein Album, auf dem diese Band sich so ein bisschen neu erfindet. Weniger Tempo. Mehr Riffgewaltigkeit. Ob das jedem gefällt, darf bezweifelt werden. Alexander allerdings lässt auf „Anthems“ nichts kommen.
Euer neues Album heißt „Anthems“. Hymnen. Das ist verdammt selbstbewusst.
Das stimmt. Es ist auch ein selbstbewusstes Album. Alle Songs darauf sind sehr gut. Es ist tatsächlich die beste Platte, die wir je gemacht haben. Und ich weiß nicht, ob wir so etwas noch einmal hinbekommen.
Moment, das muss ja jeder Künstler von seinem jeweils neuen Werk sagen!
Aber es stimmt einfach. Es hat eine ziemlich lange Zeit gedauert, die Songs für „Anthems“ zu schreiben. Da passierte so viel. Die Produktion war recht umfangreich. Denn wir haben uns von Anfang an gesagt: Wir setzen uns keine Limits. Wir probieren alles aus und lassen uns Zeit.
War das bei den Platten zuvor anders?
Ja. Bei „Veil Of Ignorance“ hatte ich ebenso wie bei „From The North“ Probleme mit meinen Gesangsparts und geriet zeitlich unter Druck. Das führte dazu, dass wir nicht alle Songs so rund machen konnten, wie es hätte sein sollen. Ich musste mich dadurch hetzen und wurde ihnen nicht gerecht. Nicht dass wir uns falsch verstehen: Beide Alben haben großartige instrumentale Parts, aber sie hätten so viel besser werden können, wenn wir es wie bei „Anthems“ angegangen wären. Wenn wir uns den Platten intensiver gewidmet hätten. Übrigens, besonders „Veil Of Ignorance“ mag ich überhaupt nicht. Ich halte es für unser schlechtestes Album. Es ist wie ein Splitter in meinem Auge, der mir keine Ruhe lässt und mir Schmerzen verursacht. Und das wollte ich nicht noch einmal erleben. Deshalb musste es dieses Mal anders werden. Hinzu kam dann noch, dass erstens speziell „From The North“ sehr hart und rauh war und wir dieses Mal etwas anderes haben wollten. Einen anderen Sound. Insofern mussten wir ohnehin alles überdenken und uns besondere Mühe geben. Und dass wir zweitens nicht mehr als zehn Songs auf dem Album haben wollten. Das hieß, einige Stücke mussten rausfallen.
Gab es einen Moment, in dem du wusstest, dass „Anthems“ für euch so eine wichtige Platte werden würde?
Ja. Irgendwann hatten wir „Anthems“, das Titelstück, vor uns liegen. Wir hörten es uns an. Immer wieder. Ich hatte es auf einer CD in meinem Auto und habe es mir 200-mal am Tag reingezogen. Die ganze Zeit über. Damals noch ohne Text. Es war rein instrumental. Es haute mich so schon um. Und es hat auch die anderen begeistert, denn als ich sie anrief und ihnen das erzählte, sagten sie mir das Gleiche. Somit stand fest: Dieses Stück ist definitiv eine Hymne. Es muss einen entsprechenden Text haben. Und es muss der Türöffner zur ganzen Platte werden.
Du hast deinen Gesang angesprochen, und dass du mit ihm bei den Platten zuvor nicht zufrieden warst. Bei „Anthems“ bist du es offenbar.
Ja. Denn ich habe erstmals wirklich meine komplette stimmliche Palette ausreizen können. Das fühlte sich fantastisch an! Ich bekam zehn Tage dafür – und hatte somit quasi für jedes Lied einen Tag Zeit, um mich mit ihm zu beschäftigen. Ich habe jede Sekunde genutzt. Nimm „Shadows“ als Beispiel. Da war ich anfangs gar nicht zufrieden. Das Lied war mir nicht dreckig genug und ich dachte: Himmel, ist das schlecht! Dann sang ich schneller, wir zogen das Tempo generell an. Und plötzlich hörte sich die Sache richtig an. Grenzüberschreitend! So als ob man am Steuer eines Wagens sitzt und trinkt und trotzdem alles im Griff hat. Rock’n’Roll eben! Ich lernte bei diesen Sessions wirklich, wie wichtig Zeit ist.
Zeit ist Geld. Ein Studio kostet Geld.
Ja. Aber das Aufnehmen eines Albums sollte keine Sache des Budgets sein. Denn das macht dich immer abhängig. Man braucht Zeit. Man muss sich den Songs wirklich konzentriert und mit Leidenschaft widmen. Immer und immer wieder. Muss sie immer und immer wieder überarbeiten.
Und dann stehen am Ende die Leute vor dir und kritisieren und beschweren sich: Die klingen nicht mehr so wie früher!
Das ist eine andere Geschichte. Es geht in erster Linie darum, dass wir zufrieden sind. Das ist wie bei allem, was ein Künstler erschafft: Er sieht es mit anderen Augen als der Betrachter von außen. Der sieht meist gar nicht, was hinter allem steckt. Bei „From The North“ sagten manche: „Bah! Dieser Sound ist scheiße! Was macht ihr da?“
Was hast du diesen Leuten seinerzeit geantwortet?
Wie zum Teufel könnt ihr es überhaupt wagen, über den Sound zu sprechen und zu urteilen? Der Typ, der dafür zuständig ist, hat schon zig Platten aufgenommen. Zig erfolgreiche Alben! Woher wollt ihr eine Ahnung haben?
Apropos: Wie würdest du den Sound von „Anthems“ beschreiben?
Er ist anders als sonst. Unser Produzent schlug vor, die Verzerrung ein wenig runterzufahren und dafür die Gitarren auf mehreren Spuren aufzunehmen. Er sagte: „Ihr seid keine Metalband. Und ihr seid keine Punkband. Ihr seid aber auch nicht so soft wie die FOO FIGHTERS. Also muss es mehr um die Melodien gehen. Und um Dreck im Sound. So solltet ihr klingen.“ Wir ließen es auf uns zukommen. Und als ich das Ergebnis hörte, war ich begeistert. Das war schon so, als wir die ersten Mixe zurückbekamen. Normalerweise steht dann das Telefon nicht mehr still zwischen Produzent und Musikern, weil mal noch zwanzigmal irgendwas ändern muss und es am Ende fast immer auf eine Kraftprobe hinausläuft, haha. Dieses Mal aber rief er an und fragte, was ich dazu sagen würde. Und ich sagte: „Alles okay. Es ist wunderbar so.“ Das wollte er zunächst gar nicht glauben.
Nun, Leute, die beispielsweise „Dedication“ lieben, könnten „Anthems“ für zu langsam halten. RAISED FIST haben an Tempo und Härte verloren.
Es gibt diese Songs doch, sie sind doch da! Wir können die Stücke von „Dedication“ immer noch live spielen und tun das auch. Das sind immer noch wir. Aber wir wollen eben nicht immer gleich klingen. Warum also immer wieder ein neues „Dedication“ aufnehmen? Außerdem, in der Zeit, in der wir „Dedication“ veröffentlichten, standen wir so sehr in der Kritik wie nie. Wir waren plötzlich die Verräter an der Hardcore-Szene. „Igitt! Sie sind Metal geworden!“ Nach „Sound Of The Republic“ hieß es dann: „Ja, okay ... Aber hier und da singt Alex zu clean!“ Und jetzt? Kommen dieselben Leute an und sagen: „Warum klingt ihr nicht mehr wie auf ‚Dedication‘ oder ‚Sound Of The Republic‘?“ Was soll ich davon halten? Ich gucke da lieber ins Netz und sehe: Zwei Wochen nachdem wir das Stück „Anthems“ bei Spotify veröffentlicht hatten, war es schon häufiger gespielt worden als 50% des Albums „Ignoring The Guidelines“ von 2000.
Lass uns festhalten: Es ist und bleibt eben die alte Fan-gegen-Bandentwicklung-Sache. Hast du eine Band, die du früher gehört hast und deren Entwicklung du gar nichts abgewinnen kannst?
Ja, klar. Nimm METALLICA. Früher fand ich die großartig. Seit Jahren aber funktioniert das nicht mehr für mich. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal METALLICA gehört habe.
Kommen wir auf die Texte von „Anthems“ zu sprechen. Die drehen sich nicht um Politisches und Gesellschaftliches, sondern eher darum, wie geil RAISED FIST sind und wie man am besten feiert. Quasi wie AC/DC. Ist das die Botschaft?
Haha, ich glaube, diese eine Botschaft gibt es nicht. Jeder Song auf „Anthems“ steht für sich. Zudem ging es dieses Mal wirklich in erster Linie darum, tolle Hooklines zu schreiben. Keine komplizierten Arrangements und Strukturen. Sondern simple, die dich sofort packen. Jeder Refrain sollte ein Ziel haben und sitzen. Und somit ging es auch nicht um Politik. Klar, das gesellschaftliche Klima heutzutage macht es unerlässlich, darüber zu reden. Aber Politik knallt dir überall um die Ohren. Und wir haben schon über politische Dinge gesungen, als das kaum ein anderer tat. Also sollte „Anthems“ eher den AC/DC-Geist atmen. Da hast du recht, haha. Ich habe tatsächlich vor den Aufnahmen das „Thunderstruck“-Video von AC/DC gesehen und war völlig geflasht. Die Leute, die da vor der Bühne stehen, haben einen Riesenspaß. Und das wollte ich für uns auch haben.
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