Am Tag der Pressefreiheit spielt NAVEL im Kölner Underground. Da mich sowohl die Live-Qualitäten der drei Schweizer als auch ihr Debütalbum "Frozen Souls", erschienen bei Louisville, sehr beeindrucken konnten, ließ ich es mir nicht nehmen, mit Sänger/Gitarrist Jari Attermat und Drummer Steve Valentin zu reden. Obgleich die Band momentan sehr gehypet wird, wirkten die zwei Mittzwanziger alles andere als allürenhaft. Im Gegenteil, es sind sehr nette, wenn auch schüchterne Zeitgenossen, was im totalen Kontrast zu NAVELs energiegeladenen Shows steht. Bassistin Evelyne Monney wiederum hat keine Lust aufs Interview und liest lieber der Vorband PANDORA Sexberatungstips aus der Illustrierten Popcorn vor.
NAVEL wurde 2003 von Jari gegründet, damals noch in anderer Besetzung, die aber schon früh andere Musik machen wollte. Der Kontakt zu Steve war vorher schon vorhanden. Denn er gab seinem Vorgänger Schlagzeugunterricht und stellte seinen Schüler auch Jari vor. "Steve hat uns sozusagen verkuppelt", scherzt der Sänger. Als Steve vor anderthalb Jahren hörte, dass der Platz wieder frei sei, ergriff er die Chance. Seitdem sind NAVEL ein harmonisches Trio. Der Bandname "Bauchnabel" ist ebenso spontan entstanden. Man bekam ihn "von einer Freundin empfohlen, die im Wörterbuch herumblätterte. Denn wir brauchten für eine Konzertanmeldung ganz schnell einen Namen." Erst später hat Jari sich eine gewisse Bedeutung zusammengereimt: "Der Nabel ist das Erste, was man als Mensch bekommt. Der Nabel als Anfangspunkt." Diese Interpretation projiziert Jari auch auf seine Musik.
Denn für ihn ist "NAVEL all about Blues Music", was für ihn kein Genre, sondern "eine Lebenseinstellung", ist. Da "die meisten neuen Bands solch eine Einstellung nicht" haben, hört er lieber alten Kram, auch wenn "PINK FLOYD nichts Neues gemacht haben. Das hat sich nur alles weiterentwickelt. Musik ist reine Evolution." Auch "in den Fünfzigern hat man doch auch einfach nur Blues mit lauten Verstärkern gespielt, die es vorher so nicht gab." NAVEL haben ihren grundsätzlichen Einfluss also vom Blues. Die Musik aber lässt sich schwer kategorisieren, auch wenn man Parallelen zu Bands der Grunge-Ära, insbesondere NIRVANA erkennt. Jari schuf hingegen für seine Musik das Genre "Earth Rock". Was es genau ausmacht, "weiß leider noch niemand, weil wir es gerade erst erfinden", scherzt er. Earth Rock "hängt mit dem erdigen Dreck zusammen, den wir spielen. Das kommt alles aus der Wurzel, aus dem Boden", quasi aus dem Nabel, wenn man diese Metapher weiterspinnt. "Wir stehlen hier ein bisschen Blues, da ein bisschen Rock. Das kommt alles aus dem Boden."
Earth Rock, also. Auch wenn NAVEL von den Wurzeln der Rockmusik inspiriert sind, haben auch Singer/Songwriter wie Leonard Cohen einen Einfluss auf Attermat, der sich neben der Band seine Brötchen als Produzent verdient. Eine andere Wirkung auf die drei üben "Kräuterbonbons und Holundersirup mit Weißwein" aus, wie auf der MySpace-Seite steht. Das kann nur Evelyne erklären, also wendet sie sich von der tiefgründigen Lektüre ab, um ihre Aussage zu erläutern: "Das beeinflusst die Stimmung und dann hat man Lust zu singen, wenn man Holundermelissensirup mit Wein und Mineralwasser g'spritzt trinkt, hehe. Die Kräuterbonbons braucht man danach, wenn man Halsschmerzen hat." Andere Länder, andere Drogen. Nicht nur in Sachen Rauschmitteln polarisiert die Kapelle.
Aufgrund des stetig wachsenden Erfolges kommen natürlich viele Neider daher. Vor allem im anonymen Netz findet man oft gehässige Kommentare, zum Beispiel, dass bei NAVEL alles sehr aufgeblasen und unauthentisch sei, man musikalisch überhaupt nichts Neues biete, Grunge und NIRVANA nachäffe. Diese Einwände sind der Band bekannt und wie auch PINK FLOYD "macht heutzutage keine Band etwas Neues. Müssen sie ja auch nicht", meint Jari zu den Vorwürfen. Steve bemängelt, dass man "immer wieder diesen Vergleich mit NIRVANA und Kurt Cobain, den keiner antasten darf, hört. Der hat einen Halbgottstatus." Ebenso wenig wie mit zeitgenössischer Rockmusik beschäftigt sich die Band mit dem Trubel, den sie erzeugen. Dass man beispielsweise auf Platz zwei der Intro-Charts stand, hat Jari auch "gar nicht so mitbekommen". Die ganze Hysterie um NAVEL ist ihnen nicht bewusst.
Das ist erstaunlich, da Patrick Wagners (ex-SURROGAT) Label Louisville eine aggressive Promoschiene fährt, um die Band so gut es geht in den Schlagzeilen zu halten, siehe die SMASHING PUMPKINS-Geschichte: Die Amis gaben dem Trio die Chance, als Supportband für sie zu eröffnen. NAVEL aber haben "nein" gesagt, da sie keine Lust hätten, mit diesen "alten Rock-Opas" zu touren. Diese Aussage zog weite Kreise und viele kritische Stimmen meldeten sich zu Wort. Jari stellt klar: "Meine Äußerung war es nicht, sondern die von Patrick." Warum aber nahm man das Angebot nicht an? "Vor allem Eve wollte es nicht annehmen, weil es eine Nummer zu groß für uns ist." Während die QUEENS OF THE STONE AGE, die NAVEL auch supporteten, "sich ihre Vorbands angucken und aussuchen", ist es "bei den Pumpkins nur über Agenturen gelaufen." Steve glaubt auch kaum, "dass einer, der zu einem Pumpkins-Konzert geht, NAVEL mag. Zudem hätten die ja nur in Stadien gespielt. Das ist nicht unser Ding. Lieber Clubs!" Man sagte also bewusst "nein". "Ansonsten kommen die Leute nur noch zu deinem Konzert, weil man mal die Vorband von denen und jenen war", befürchtet der Sänger.
Wovon die Texte auf "Frozen Souls" handeln, bleibt etwas unklar, denn Jari "kann jetzt nur das Übliche erzählen, zum Beispiel Gesellschaft und Erfahrungen im Leben. Teils sind es auch egoistische Texte." Egoistisch meint Texte, "die nur ich verstehen kann. Meine Texte beschreiben sehr fantasiereich Dinge, die ich erlebte. Ein paar Texte sind auch sehr ironisch: ‚Vomiting‘ zum Beispiel." Hier geht es nicht direkt ums Brechen, sondern vielmehr darum, "sich auszukotzen, auf eine kreative Art." Wenn man so will, sind also nicht nur der Nabel und Earth Rock kreative Prozesse, sondern auch das Kotzen. Was man aber mit der Band erreichen will, ist etwas anderes: Man will "junge Leute nicht in dem Glauben aufwachsen lassen, FRANZ FERDINAND sei Rockmusik". Danke dafür! Aber warum? Jari: "Solche Bands achten nur darauf, dass der Anzug frisch gebügelt ist, bevor man auf die Bühne geht. Es geht nicht um die Musik, alles ist viel zu produziert." Da passt seine Antwort, was er denn noch mitzuteilen habe, wie die Faust aufs Auge: "Keep on rocking in a free world!"
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