NATHAN GRAY

Foto© by Becky Fontaine

The power of positive thinking

Dass „Rebel Songs“ so klingt, als könnte es im Kulturradio laufen, war bei Nathan Gray nicht unbedingt zu erwarten. Dass das Album neben vorsichtigen HipHop-Gehversuchen aber immer noch eine „traditionelle“ Gray-Platte geworden ist, liegt vor allem daran, dass der BOYSETSFIRE-Sänger sich inhaltlich treu geblieben ist. Und daran, dass immer noch genug Scheiße passiert, um zwölf neue Songs zu schreiben, die so politisch sind wie schon lange nicht mehr und gleichzeitig eine wunderbare Offenheit ausstrahlen.

Nach fast zwei Jahren ohne Auftritte ist es irgendwie ein ungewohntes Bild, dich in einem Tourbus zu sehen. Wo erwische ich dich gerade?

Wir sind in den letzten Tagen ordentlich unterwegs gewesen, unter anderem um unser neues Merch zu holen. Das hieß für uns, von Columbus nach Cleveland und wieder zurück zu fahren. Aber was tut man nicht alles, um endlich wieder Shows zu spielen, haha.

Wie läuft das bei euch in den Staaten zur Zeit? Spielt ihr ganz normale Konzerte oder gibt es irgendwelche Beschränkungen?
Ähnlich wie bei euch in Deutschland müssen die Menschen entweder geimpft, genesen oder getestet sein, um sich die Shows anzuschauen. Dafür gibt es aber keine Sitzkonzerte oder Streams mehr – was wirklich sehr schön ist. Unsere Crew, also die von Frank Turner und mir, ist komplett geimpft und wir schauen, dass wir die Venues nicht großartig verlassen, wenn wir in den unterschiedlichen Städten unterwegs sind und Offdays haben. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, auch um zu gewährleisten, dass wir weiter Konzerte spielen können. Mir ist das viel wichtiger, als mich irgendwo zu betrinken und Party zu machen. Es gibt immer noch eine kleine Gruppe, die mir irgendwie Sorgen bereitet. Ob wir auch über den Winter hinaus damit weitermachen können? Aber ich will mich auch nicht zu sehr von den schlimmen Nachrichten runterziehen lassen.

Für politische Künstler:innen wie dich war und ist Corona samt der Herangehensweise des ehemaligen amerikanischen Präsidenten ein Grund, um wieder aktiver zu werden und dies in Songs zu verarbeiten. Bei dir ist dabei „Rebel Songs“ herausgekommen.
Wir sind uns sicher alle einig, dass die Pandemie besser hätte gehandlet werden können, als es dieser Clown gemacht hat. Wobei es alles in allem gar nicht mal an ihm gelegen hat. Es ging der Regierung hier in den USA darum, so zu tun, als würde gar nichts Schlimmes passieren, anstatt sich entschlossen der Sache entgegenzustellen. Deshalb straucheln wir immer noch dabei, irgendwie mit Corona umzugehen. Aber das Ganze ist ja nicht nur ein Problem, das hier bei uns so aufgetreten ist. Das, was hier passiert ist, ist mit den vielen Stimmen für die AfD in Deutschland, in Brasilien und in Italien überall auf der Welt ein Problem.

Der Aufschwung der rechten Parteien ist irgendwie ein Indiz dafür, dass sich Geschichte doch zu wiederholen droht, wenn wir nicht geschlossen dagegen ankämpfen.
In Italien waren in der faschistischen Partei sogar Verwandte von Mussolini aktiv. Das ist total irre. Klar, irgendwann sind diese Politiker aus der Partei geworfen worden. Aber dass sie bis dahin ihre rassistische Scheiße verbreiten konnten, ist einfach wahnsinnig und besorgniserregend. Unglückliche Menschen werden von ihren Ängsten kontrolliert, die von Gier und Machtstreben sowie einfach falschen Idealen angetrieben werden. Genau da setzen Politiker:innen ja an, wenn sie das Gefühl von gegenseitigem Hass und Schuldzuweisungen schüren wollen. Es ist einfach zu leicht, andere auf ihre Seite zu ziehen, wenn sie nur auf People of Color, LGBTQA+ oder Flüchtlinge zeigen. Wir müssen alle sehr vorsichtig sein und darauf achten, uns nicht von irgendwelchen Ängsten oder Vorurteilen übermannen zu lassen. Es reicht nicht mehr, nicht nur kein Rassist zu sein. Du musst ein:e aktive:r Antirassist:in sein. Du musst konstant und die ganze Zeit antifaschistisch sein. Diese Menschen haben viel zu viel Macht, um Menschen zu verletzen, die ihnen niemals etwas antun würden.

Auf der anderen Seite führen diese sehr konträren Mindsets aber auch dazu, dass wir uns in unsere Bubble zurückziehen, wo wir alle einer Meinung sind.
So was nennt man wohl „intellektuelle Unehrlichkeit“. Wir diskutieren nicht mehr wirklich ehrlich. Es passiert zu oft, dass wir uns nur mit Menschen unterhalten, die sowieso schon das Gleiche denken wie wir. Das verhärtet die Fronten. Auf der anderen Seite kann ich für Menschen, die offen rassistisch sind, kein Verständnis aufbringen. Der Grund, warum Trump das machen konnte, was er wollte, war, weil wir alle Leute an einen Tisch gebracht haben. Alle durften mitreden. Es geht darum, dass wir für all das, was wir machen, auch die Verantwortung übernehmen müssen. Irgendwie ist das ein zweischneidiges Schwert, da wir uns ja irgendwie auch anhören müssen, was Andersdenkende von sich geben. Aber Rassisten mit in die Gestaltung von Prozessen einzubinden, geht einfach zu 100% nicht. Wir können keine homophoben Idioten befragen, was sie denken, und was das Beste für das Land sei.

Wie kommt man diesen Leuten am besten zuvor?
In unseren Gesprächen muss es viel mehr um das Miteinander gehen. Wir müssen über die tiefen Wunden sprechen, die entstanden sind, und warum es so ist. Wir müssen dafür sorgen, dass sich die Menschen nicht mehr von irgendwelchen Medien oder von der Politik instrumentalisieren lassen. Für viele ist es tatsächlich aber leider auch schon zu spät. Sie sind unter die Räder der Propagandamaschine geraten. Wir kennen alle diese Situation, dass wir uns mit irgendjemandem immer über Politik unterhalten und dass die Diskussion hitzig und aggressiv wird. Dann müssen wir sagen, dass wir für den Moment mal auf die ganze Thematik verzichten sollten, und überlegen, warum es gerade für die Person, die uns da gegenübersitzt, so beschissen läuft. Wir müssen den Menschen klarmachen, dass sie selbst für ihr Handeln verantwortlich sind und nicht irgendwelche Gay People oder Ausländer, die als Schuldige herhalten müssen. Wir müssen stattdessen anfangen, für das, was wir wollen, auch einzustehen. Wir schauen viel zu selten auf unser Umfeld und kümmern uns um die, die wirklich Hilfe brauchen, oder machen Dinge, die sich positiv auf unsere Umwelt auswirken. Es ist wichtig zu protestieren. Aber es ist auch wichtig, von Tür zu Tür zu gehen und den Leuten zu zeigen, dass wir für sie da sind. Davon auszugehen, dass irgendjemand schon unsere Probleme lösen wird, hilft uns in keiner Weise weiter. Jede:r Einzelne von uns ist die Lösung. Wir dürfen nicht wie eine Sekte darauf warten, dass uns ein:e Heilsbringer:in erlöst. Wir müssen selbst zu Vorbildern werden, die kein Problem damit haben voranzugehen.

Wo taucht „Rebel Songs“ in dieser Gleichung auf?
Das Album ist ein fröhlicher Ausdruck davon, dass das Persönliche auch immer irgendwie politisch und das Politische auch immer etwas Persönliches ist. Ich bin der Meinung, dass wir uns mit unserer politischen Wut und unseren persönlichen Gefühlen vertun. Ich wollte klarmachen, dass es okay ist, wütend zu sein. Und dass gerade das auch irgendwie Menschen auf eine schöne Weise zusammenbringen kann. Es soll ein fröhliches und mutmachendes Album sein. Gleichzeitig ignoriere ich aber auch nicht, dass es eine Menge Probleme gibt, denen wir uns stellen müssen. Vor allem wir politischen und sozialkritischen Künstler:innen müssen die Magie wieder finden, die wir irgendwie verloren haben, als wir uns auf unsere eigene Wut konzentriert haben. Ein fantastisches Beispiel dafür, wie es richtig geht, ist aktuell das Video der BROILERS zum Song „Alice und Sarah“. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir eigentlich positiv denken müssen. Ich wollte sichergehen, dass immer etwas Hoffnung in „Rebel Songs“ steckt, selbst wenn die Themen wirklich deprimierend sind.

Musikalisch traust du dich jedenfalls, über den Tellerrand zu schauen.
Auf der Platte kann man den Einfluss von Künstlern wie Bob Marley und Billy Bragg heraushören. Ich habe so viel auf mich einwirken lassen, von HipHop über Reggae, was ich so niemals erwartet hätte. Es ist aber einfach irgendwie passiert und ich muss gestehen, dass ich jetzt auch keinen Schritt mehr rückwärts gehen möchte. Ich habe mich viel mit Musik beschäftigt, in der es um sehr ernste Themen und dennoch irgendwie um Freude und Hoffnung geht. Bob Marley hat über so viele üble Dinge in der Welt gesungen und gleichzeitig so eine ansteckende positive Energie versprüht. „Millions“ besitzt meiner Meinung nach etwas sehr Dylaneskes und auch ein wenig von Bruce Springsteen. „Look alive“ oder „Grace“ hingegen sind fast schon HipHop- und Reggae-Songs. Und über allem steht dann noch dieser Punk-Vibe, den ich wohl mitgebracht habe.