LÜT

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Scheiß auf die Polarlichter

Nach TURBONEGRO waren KVELERTAK der erfolgreichste Musikexport aus Norwegen der vergangenen Jahre. Ein Sound irgendwo zwischen Punkrock, Black Metal und Dosenbier. Jetzt steht der nächste Kandidat zum Abflug an der Rampe: die Jungs heißen LÜT, sind alle Anfang zwanzig und kommen aus Tromsø, einer Stadt im hohen Norden. Viele Touristen reisen dorthin, um die giftgrünen Polarlichter zu sehen. LÜT interessieren sich eher für ihren schlecht beleuchteten Proberaum. Mit „Mersmak“ hat die Band ein vielversprechendes zweites Album am Start, das sie auch in Mitteleuropa bekannt machen könnte. Sänger Markus Danjord und Gitarrist Ørjan Nyborg Myrland berichten im Interview über die neue Platte und ihre Heimat.

Vor rund sechs Jahren habt ihr die Band gegründet. Wie habt ihr euch damals gefunden?

Markus: Hans Marius, Viljar und ich waren in einer Art Musical-Projekt, in dem wir die Band waren. Wir kannten uns also schon, als wir 13 oder 14 Jahre alt waren. Irgendwann haben wir eine Indie-Band namens CAPITAL OF ILLINOIS gegründet und im April 2014 bei einem Festival namens Rock mot Rus auf der Insel Andøya gespielt. Dieses traditionsreiche Festival gibt es schon seit über 35 Jahren. Beim selben Festival war auch die Band THE WOLVES mit Ørjan, Sveinung, Mads und Marius dabei. Wir sind zwölf Stunden gemeinsam mit dem Boot angereist, so haben wir uns wirklich gut kennen gelernt und viel gemeinsam gejammt. Wir hingen die ganze Zeit zusammen herum und haben uns Bands wie KVELERTAK oder ONDT BLOD angeschaut. Abends haben wir Party gemacht und zusammen eine Flasche Smirnoff North geleert. Der schmeckt wirklich furchtbar, wie Erfrischungsbonbons. Aber wenn man 14 oder 15 ist, schmeckt alles gut, solange Alkohol drin ist. Und in dieser Stimmung haben wir beschlossen, gemeinsam eine Band zu gründen. Inzwischen bestehen LÜT aus Ørjan, Sveinung, Mads, Marius und mir.

Hat der Bandname LÜT eine Bedeutung?
Ørjan: Ja, das ist der Name von einem Waschmittel in Norwegen. Außerdem klingt es wie TOOL rückwärts ausgesprochen. Die fanden wir damals alle gut.

Als ich die Musik von LÜT zum ersten Mal gehört habe, ist mir der derbe Gesang aufgefallen, der typisch für Bands wie KVELERTAK oder KOLLWITZ ist. Gibt es da eine Verbindung?
Markus: Wir sind alle Fans von Bands wie KVELERTAK aus Stavanger, HONNINGBARNA aus Kristiansand oder ONDT BLOD aus Tromsø. Bands, die alle irgendwie von GALLOWS geprägt wurden. Diese Bands pflegen alle diesen Screaming-Style bei ihren Vocals. Das wollte ich unbedingt auch so machen. Aber die einzige dieser Bands, die wir persönlich gut kennen, sind ONDT BLOD. KVELERTAK haben wir auch ein paar Mal getroffen und ich weiß, dass Danny Young, der Drummer von GLUECIFER, großer LÜT-Fan ist. Ich selbst habe GLUECIFER aber nie live gesehen. Die gefallen mir nicht so gut.

Ihr habt euer zweites Album „Mersmak“ getauft. Eine Übersetzung habe ich nicht gefunden. Wofür steht das?
Ørjan: Das ist ein umgangssprachlicher Begriff im Norwegischen und steht für einen Vorgeschmack, der Lust auf mehr macht.

Markus: „Mersmak“ ist nicht nur der Name des Albums, sondern auch der Name des ersten Songs, den wir für die Platte geschrieben haben. Und es war auch der Song, der als Letztes fertig wurde, weil wir uns bei den Aufnahmen ziemlich verzettelt haben. Dieser Song hat uns also über den ganzen Entstehungsprozess des Albums hinweg begleitet. Deshalb haben wir das ganze Album nach ihm benannt.

In euren Texten wird deutlich, dass ihr keine politische Agenda habt, sondern dass ihr euch eher mit persönlichen Themen beschäftigt.
Markus: Das stimmt absolut. Keiner von uns ist politisch aktiv, aber ich lese unheimlich viel, und irgendwie ist doch alles auch von Politik beeinflusst. In den meisten unserer Songs geht es um Erfahrungen, die wir gesammelt haben. Wie wir uns selbst aus der Scheiße gezogen haben. Im Song „Strictly business“ zum Beispiel geht es darum, wie ich mich meinen schlechten Angewohnheiten stelle. Dass ich zum Beispiel immer zu spät ins Studio komme oder den anderen Jungs ständig mit meinen Geschichten auf die Nerven gehe.

Worum geht es in dem Song „Ingenting Å Angre På“? Keine Ahnung, was das heißt.
Ørjan: Das bedeutet übersetzt: Nichts zu bereuen.

Markus: In dem Song geht es um alle die Dummheiten, die wir schon gemacht haben. Für dieses Album haben wir anfangs das Ocean Sound Recordings Studio auf der Insel Giske gebucht. Das war echt eine teure Angelegenheit. Wir waren aber überhaupt nicht vorbereitet, deshalb ist in dieser Zeit fast nichts Verwertbares entstanden. Nur eine Handvoll Songs davon haben es letztendlich aufs Album geschafft. Wir haben aber auch gelernt, wie man aus so einer Klemme wieder herauskommt. Darum geht es in dem Song. Man sollte nie etwas bereuen, weil alle schlechten Dinge auch eine gute Seite haben.
Ørjan: Weil wir noch sehr jung waren, als wir die Band gegründet haben, haben wir über die Jahre eine Menge schlechte Entscheidungen getroffen. Uns geht es darum, dass wir nicht so viel über unsere Fehler reden, sondern daraus lernen und es in Zukunft besser machen. Vielleicht klingt dieser Song deshalb mehr nach Emo als alle anderen Stücke auf dem Album.

Wo habt ihr das Album fertig aufgenommen, nach der schlechten Erfahrung in Giske?
Markus: Wie gesagt, Ocean Sound Recordings war eine ziemlich teure Angelegenheit für uns. Dort sind fünf Songs ohne Gesang entstanden. Dann haben wir einige Songs in einem kleinen Studio in Oslo geschrieben. Den Rest haben wir im Kysten Studio hier in Tromsø aufgenommen.
Ørjan: Der Löwenanteil des Albums ist also hier in Tromsø entstanden, weil aus den anderen beiden Studiosessions nicht so viel Brauchbares übrig war. Wir waren einfach zu schlecht vorbereitet. Unterm Strich haben uns die Aufnahmen ein paar zehntausend Euro gekostet.

Gibt es in Tromsø eigentlich eine Musikszene? Das ist ja mit 70.000 Einwohnern eine relativ kleine Stadt im hohen Norden.
Markus: In den Neunzigern gab es hier eine große Szene für elektronische Musik. Die bekannteste Band waren RÖYKSOPP. Nach der Jahrtausendwende haben sich aber mehr und mehr Punk- und Hardcore-Bands breitgemacht. Jetzt gibt es ganz schön viele Bands hier. Fast alle, wie auch wir, sind in einer Bar namens Bastard aufgetreten. Einige Bands spielen längst im Ausland, andere immer noch dort. Die bekanntesten Bands aus Tromsø sind wahrscheinlich ONDT BLOD und HEAVE BLOOD & DIE, bei denen war auch unser Gitarrist Mads dabei.

Tromsø liegt ja etwa 300 Kilometer nördlich vom Polarkreis. Wie ist das Leben dort?
Markus: Hier ist es im Winter drei bis vier Monate lang ziemlich dunkel. Nur drei Stunden am Tag scheint die Sonne. Von Mai bis August scheint die Sonne dann den ganzen Tag und die ganze Nacht. Ich kenne wirklich niemanden, dem das Spaß macht. Wenn du woanders erzählst, dass du aus Tromsø bist, machen alle Witze darüber. Ich finde es nicht so witzig, weil mein Schlafrhythmus immer völlig durcheinander gerät. Im Winter bin ich die ganze Zeit todmüde und im Sommer kann ich schlecht einschlafen.
Ørjan: Wenn du damit aufgewachsen bist und es nichts anders kennst, denkst du nicht viel darüber nach. Viele Leute hier gehen einfach ihrem normalen Leben nach, egal ob es draußen hell oder dunkel ist.
Markus: Wir haben auf jeden Fall eine Menge Touristen aus China oder Japan hier, die die Polarlichter sehen wollen. Die geben eine Stange Geld aus, um hierher zu kommen. Jedes Mal, wenn ich erwähne, dass ich aus Tromsø komme, werde ich gefragt: Hast du die Polarlichter gesehen? Dann sage ich immer: Ja, die sehe ich fast jeden Tag. Für mich ist das keine große Sache. Schön anzuschauen, aber kein Thema, mit dem ich mich beschäftige. Andere Menschen sitzen zwanzig Stunden lang im Flugzeug, um dieses Naturspektakel zu erleben. Das finde ich ganz schön merkwürdig. Eigentlich machen wir hier keine anderen Dinge als andere Menschen in Norwegen auch. Wir gehen nur im Sommer, wenn es so lange hell ist, erst um sechs Uhr früh aus der Kneipe. Man hat nie das Gefühl, dass es schon so spät ist. Und im Winter verbringt man viel Zeit zu Hause.

Wie spürt ihr den Klimawandel am Polarkreis?
Markus: Darüber mache ich mir gerade viele Gedanken. Denn 2020 hatten wir zum ersten Mal überhaupt keinen Schnee im Dezember.
Ørjan: Vergangenes Jahr lag von Oktober bis April Schnee in Tromsø. Diesen Winter überhaupt keiner und das binnen eines Jahres.
Markus: Aktuell haben wir sechs oder sieben Grad plus und Dauerregen. Totales Scheißwetter. Die Effekte der Klimaveränderung kann man hier also deutlich spüren. Das macht uns wirklich Angst.