LOVE A

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Keine Ahnung, aber gute Absichten

Gleiches Spiel wie letztes Mal: Kollege Jörkk Mechenbier lädt sich zum Essen ein, man schmaust und redet und bevor man sich versieht, ist auch schon die erste Flasche Rotwein geleert – mitten in der Woche. Was macht man da? Man trinkt einen Espresso, macht die zweite Flasche auf und beschließt, jetzt unmittelbar mit dem Interview zu beginnen, um dem beiderseitig hohen Anspruch an so ein Fachgespräch zu genügen. Der Anlass meinerseits sollte klar sein: Soeben ist das vierte LOVE A-Album „Nichts ist leicht“ erschienen. Für Jörkk, so gesteht er, war der Grund für den Besuch die Aussicht auf eine Gratis-Mahlzeit. Und so bekamen wir beide, was wir wollten.

LOVE A haben einen guten Lauf gehabt die letzten zwei Jahre. Habt ihr Erfolg oder hat die Welt aufgegeben?

Die Welt hat aufgegeben. Nee, beides.

Sogar ich habe aufgegeben. Du weißt ja, dass ich es nicht gerade goutiert hatte, als du vor Jahren zuerst mit ULTRAFAIR deine Sangeskünste erprobt hast. Erstaunlicherweise finde ich LOVE A spätestens seit der letzten Platte aber ... gar nicht mal so schlecht.

Mein Konter geht ungefähr so: Mit LOVE A ist es ungefähr wie mit PASCOW, mit denen ich dir ja seit unserer ersten Begegnung in den Ohren lag – und die damals, 2000, auch noch nicht so super waren, wie ich das behauptet habe. Ich könnte aber natürlich trotzdem mit „Siehste, ich hab es ja schon immer gesagt!“ argumentieren, hahaha.

Und ich werde dann in dem Film über LOVE A, der in drei Jahren oder so gedreht wird, sehr souverän sagen: „Ich habe von Anfang an diese Band geglaubt“.

Hahahahahaha! Ein alter Schulfreund schrieb mir mal, nachdem er LOVE A auf einem Festival gesehen hatte: „Ich finde es geil, wie sturköpfig ihr durchgehalten habt – bis die Leute nicht mehr umhinkamen, euch anzuerkennen.“ Es ist mir echt ein vollkommenes Rätsel, wie es mit unserer Band so weit kommen konnte, tatsächlich. Aber ... wie war die Frage?

Wie konnte es so weit kommen? Oder anders gefragt: Was habt ihr als Band richtig gemacht, dass ihr mittlerweile vor 400, 500 Leuten spielt?

Das weiß ich nicht, es sind so viele Faktoren. Wenn man zu sehr etwas will, dann klappt das nicht. Früher, wenn man unbedingt eine Freundin wollte, ging man aus dem Haus und wollte verzweifelt ein Mädchen kennenlernen – das hat nie funktioniert. Das blöde Gegenbeispiel: Du bist in einer Beziehung, du legst es nicht darauf an, dann strahlt man was anderes aus – und lernt eine Frau kennen. Irgendwann hat man als Band gelernt, dass man am besten sein Ding macht, nicht irgendwas für irgendwen. Das beeindruckt die Leute sicher ein Stück weit. Also dass es einem egal ist, ob man Erfolg hat. Und es liegt sicher nicht daran, dass man jetzt schon so lange dabei ist und die Leute alle kennt, sich immer „richtig“ verhalten hat. Wir „funktionieren“ auf mehreren Ebenen. Als Band sind wir gut, es macht Sinn, es macht Spaß, wir machen alle genau das, was wir wollen. Aber es ist eben nicht nur die Musik – wir sind Punks mit Instrumenten, keine Musiker. Und wir sind echt und ehrlich, und das kann man nicht faken. Den Leuten was vorzumachen, weil du aufgeschnappt hast, dass das gerade funktioniert, das läuft doch nicht. Letztlich kann ich also nicht erklären, warum das für uns so gut läuft derzeit. Musikalisch kann man uns zwar mit ANTILOPEN GANG nicht vergleichen, und es gibt welche, die finden die doof, aber das funktioniert eben auch für die.

Braucht man eine hohe Frustrationstoleranz, um es mit einer Band weit zu bringen?

Vor allem muss man sich selbst genügen. Wenn du was machst, was dir total Spaß macht, mit Leuten, mit denen das Spaß macht, und das alles einen guten Ausgleich zum Job, zum Alltag darstellt, dann ist das schon eine Menge, was du dir rausziehen kannst. Wenn dir das reicht, ist es schön, wenn es wächst und mehr wird. Dann spielst du eben auch mal vor tausend Leuten und bist glücklich. Wenn du aber schon zu Beginn unglücklich warst, weil nur zehn Leute kamen und nicht 100.000, dann wirst du es auch nie ganz nach oben schaffen. Wir sind schon glücklich und zufrieden, wenn wir wo hinkommen und was zu essen und zu trinken bekommen. Und räumen dann auch hinterher gerne die Teller selbst in die Spülmaschine, was auch schon mal für Verwunderung sorgt. Wir kennen das aber nicht anders. Diese „Demut“ ist für uns ganz normal, so haben wir das schon immer gemacht. Oder um mal einen Fußballvergleich zu bringen: Viele Menschen spielen Fußball in Deutschland, aber die hören nicht damit auf, weil sie merken, dass sie es nie in die Erste Liga schaffen werden, sondern die machen weiter, weil es Spaß macht. Und wir spielen ja genauso gerne in einem Zweihunderter-Laden wie auf einer großen Bühne – auf Augenhöhe, das ist uns wichtig. Und man merkt, glaube ich, dass wir das, was wir tun, mit Begeisterung machen. Wir können ja nicht mal covern, wir sind nur mit unserem eigenen Zeug gut, Inselbegabung halt.

Und damit habt ihr vier Alben geschafft.

Wir hatten schon ein bisschen Angst, den Quatsch, den wir machen, so viel schlechter zu machen als die Male davor, sodass wir ganz unten durch sind bei der Presse und sonstwo. Wir haben gar nicht die Fähigkeiten, uns neu zu erfinden – zu einem dubbigen Elektropop-Album wären wir gar nicht in der Lage.

Damit tust du deinen die Instrumente spielenden Bandkollegen beinahe etwas Unrecht, denn das neue Album ist mir als sehr gelungene Postpunk-Platte aufgefallen – es hat einen Dreh, den ich so deutlich bislang nicht an euch wahrgenommen habe.

Das liegt an Stefan, unserem Gitarristen, der aus meiner Sicht einfach ein Künstler ist. Er macht auch die Artworks, er ist der Kreative in der Band. Und sein Gitarrenspiel hat etwas ganz eigenes – das hat er sich so ausgedacht, mit seinem Ästhetikempfinden. Was er auf der Gitarre macht, ist eigen und speziell – so wie mein Gequäke. Nur dass sich seine Gitarre viel mehr wandeln kann als mein Gesang. Stefan hat im Verlauf der vier Alben schon viel ausprobiert, was mir nicht möglich ist. Ich bin einfach limitiert. Stefan hat so eine etwas größere Idee von allem. Ich bin, dazu stehe ich mittlerweile, nicht ganz unbegabt, was Texte, was bildliche Sprache anbelangt. Das ist bei mir aber eher unbewusst, wohingegen Stefan das wirklich so machen will, wie er das macht. Ich mache nur das, was aus mir rauskommt. Und dann sind da natürlich noch Dominik und Karl, die Rhythmussektion. Karl etwa hat immer eine gute Vorstellung vom Albumsound generell – dieses düstere, kalte, wavige Element, dass der Synthie da noch irgendwas macht. Als Schlagzeuger wird er oft unterschätzt, weil der ja „nur“ den Beat macht. Er hält das Fundament der Musik zusammen, und er hat die generelle Idee, wie die Band klingen soll. Dominik ist der Pragmatiker am Bass, der instinktiv das Richtige beisteuert. Und dann kommt bei uns noch „studio magic“ dazu.

Was meinst du damit?

Wir haben gemerkt, dass wir keine Angst haben müssen, mal einen schrägen Gitarreneffekt, etwas Percussion oder eine Synthie-Linie einzubauen, denn wir dachten, das fehlt dann, wenn wir es live spielen. Und wir haben gelernt, dass man im Studio keine tragenden Elemente spielen darf, die man nicht live umgesetzt bekommt. Manches wiederum können sich die Leute „dazudenken“, dann haben sie live nicht das Gefühl, dass etwas fehlt, was sie von Platte kennen. Wir trauen uns jetzt, auf dem Album Stimmung aufzubauen, Atmosphäre zu schaffen, weil wir wissen, wie das Stück auch live funktioniert. Tatsächlich funktioniert bei uns auch jeder Song noch, wenn Stefan den auf der Akustikgitarre spielt und ich dazu singe. Generell ist unsere Musik so vielschichtig wie die menschliche Konstellation von uns vieren.

Gefühlt stehst du bei LOVE A meist im Vordergrund. Auf der Bühne, auf Platte, durch deine Texte, als der, der meist die Interviews gibt. Du bist das Gesicht der Band. Und die anderen kommen damit klar, ist das denen ganz recht?

Total! Es gibt ja Bands, da ist der Sänger nach dem Konzert beleidigt, weil die Leute sich lieber mit dem Gitarristen fotografieren lassen. Bei uns ist das nicht so, da bin ich der Einzige, der eitel ist und die Aufmerksamkeit total genießt. Die lassen mich machen, die haben keinen Bock auf so was. Ausnahmsweise sitzt auch mal einer von den anderen bei einem Interview dabei, um mein Gefasel mal zu unterbrechen. Die wissen, dass ich gerne Interviews gebe, und das ist in gewisser Weise auch ein Segen für eine Band, einer muss das ja machen. Wenn wir mal alle zusammen ein Interview geben, sagt Stefan nur wenig, aber das hat auch Hand und Fuß, und Karl passt auf, dass ich kein dummes Zeug rede. Und Dominik redet nach mir am meisten, vom dem kommt auch mal was Lustiges. Ich wiederum neige dazu, mich selbst zu ernst zu nehmen. Man bekommt die Fragen ja von jemandem gestellt, der einen ernst nimmt und möchte dem auch gerecht werden. Ich neige dann dazu, eher ernst zu antworten, während Dominik da eher amüsiert reagiert – vielleicht weil er Angst hat, dass ich blöd rüberkomme, weil ich uns zu ernst nehme. Das ist wirklich spannend zu beobachten, denn mich gruselt es oft, wenn ich Interviews mit Bands lese und weiß, dass das eigentlich genau solche „Trottel“ sind wie wir, dann aber Sätze kommen wie „Wir haben uns da mal in ganz neue Bereiche vorgewagt“ oder „Wir wollten uns da mal ausprobieren“. Das ist nämlich vollkommener Quatsch, das sagt man in dem Moment, hat aber vorher nie dran gedacht, doch in so einer Interviewsituation sagt man das plötzlich. Zum Glück sind wir aber ein gutes Team, alles ist gut aufgeteilt, wir passen aufeinander auf, auch wenn wir nach fünf Jahren nicht mehr jeden Dienstag proben und danach grillen. Wir kommen menschlich gut klar und wissen, was wir aneinander haben, die gemeinsamen Momente sind wertvoll. Wie bei einem alten Ehepaar läuft das gemeinsame Funktionieren blind. Man weiß, was man vom anderen erwarten kann. Der eine macht online, der andere ist gut mit Zahlen, wieder ein anderer exponiert sich gerne und macht die Interviews, ist das Äffchen auf der Drehorgel und sorgt dafür, dass die Leute gucken. Das ist eine selbstverständliche Rollenverteilung, jeder vertraut dem anderen in dem, was er tut.

Schreibst du die Texte komplett alleine oder sind die anderen daran irgendwie beteiligt?

Hahaha, neee, außer ich hab mal eine schwierige Phase mit Herzschmerz und werde zu pathetisch, dann bekomme ich mal ein Kopfschütteln und gehe dann noch mal in mich. Überwiegend lassen die mich in Frieden, was meine Texte betrifft, ich schreibe also nur selten was, das so daneben ist, dass die nicht damit leben können. Andererseits lasse ich die die Musik machen, mische mich da nur selten mit einer Idee ein. Ich hab ja auch nur mal Schlagzeug gespielt, wobei ich das bei meiner ersten Band auch nur deshalb gemacht habe, weil da ein Anruf kam mit der Frage: „Sag mal, dein Vater hat doch ein Schlagzeug, oder?“ Worauf ich antwortete: „Ja, ich kann aber nicht spielen.“ Und dann kam die Antwort: „Ist egal, wir wollen eine Punkband gründen.“ Bei LOVE A ist es ein Glücksfall: Die Jungs machen Musik, die ich richtig geil finde, und so bin ich total glücklich mit dem, was die anbringen. Ich bin nicht kritiklos, sondern das läuft alles total selbstverständlich. Und andersrum finden die meine Texte gut.

Wie bekommst du die Texte auf die Musik? Oder was ist zuerst da?

Früher saßen wir zusammen im Proberaum, die Jungs daddelten rum, und ich hörte zu und machte mir Notizen, fing irgendwann an zu singen. Das wuchs organisch. Später, als sich die räumliche Sitiuation änderte – ich zog nach Hamburg, Stefan ist in Köln, Dominik und Karl sind in Trier –, mussten wir dann anders arbeiten. Mit dem letzten Album „Jagd & Hund“ fing das an, da nahmen die die Musik auf, bevor es Texte gab. Ich hatte zuerst Bedenken, ob das funktioniert, oder ob das „drangekleistert“ klingt, doch nachdem wir uns ein paar Tage zum Proben eingesperrt hatten und noch neue Songs gemacht haben, entstand so eine Eigendynamik und es lief. Wenn Stefan auf der Gitarre was dudelt, habe ich meist sofort eine Idee und fange an zu kritzeln. Oder ich bekomme einen fertigen Song und mache dazu was – das klappt, auch wenn ich davor zunächst Angst hatte. Mittlerweile funktioniert beides gleich gut, man kann die Songs nicht aufgrund ihrer Entstehungsweise auseinanderhalten.

Wann hast du eigentlich erstmals was geschrieben, also jenseits von einem Schulaufsatz?

Ich glaube beim Ox, damals, bei meinem Praktikum, 2000. Ich wollte das ja bei einer Zeitschrift machen, weil der Wunsch bestand, auch mal was zu schreiben. Ich war damals abonniert auf so „Flammen-Rock’n’Roll“, auf alles, was White Jazz Records aus Schweden veröffentlichte. Alex von PASCOW und ich haben uns damals beide stolz die Brust tätowieren lassen, ich eine brennende Acht und er brennende Würfel. Wir dachten, das wäre das Coolste auf der Welt – bis man so was dann bei H&M sah ... Ich war dann auf der Suche nach einer über jeden Zweifel erhabenen Optik, ließ mir die BLACK FLAG-Fischstäbchen auf den Arm stechen – und warte jetzt darauf, bis es die auch bei H&M gibt ... Der ganze Punk’n’Roll-Kram war mein Ding, und Off Beat fand ich scheiße. Bis ich später merkte, dass MAD CADDIES und GANG OF FOUR zwei Paar Schuhe sind und ein Off Beat nicht gleich Off Beat ist ... Als wir uns damals erstmals zum Proben trafen, fragte Karl, was wir denn jetzt machen. Und meine Antwort lautete: Kein Ska und keine Celine Dion-Songs. Und ja, ich schrieb das erste Mal was beim Ox. Labern, das mache ich liebend gerne, und ich habe schon immer einen Weg gesucht, über das normale Maß der verbalen Kommunikation hinaus Worte abzusondern. Als Sänger einer Band zu schreien, auch noch ein Mikro hingestellt zu bekommen, elektrisch verstärkt, während alle anderen still sind und zuhören – das ist das Optimum für jemand, der gerne redet.

So gesehen war schon deine erste Arbeitsstelle im Verkauf bei einem Großhandel für Malerbedarf ein Schritt in die richtige Richtung.

Ja, wobei ich nur bedingt ein guter Verkäufer bin: solange ich etwas liebe, kann ich jedem alles verkaufen, doch wenn ich was Scheiße finde, geht da gar nichts.

Texte – vor allem dann, wenn man sie versteht oder nachlesen kann – haben die Problematik, dass Menschen sie auch gerne mal auf sich beziehen, sich etwa bei einem Text übers Verlassenwerden total verstanden fühlen. Fühlt man da Verantwortung?

Überhaupt nicht. Ich kann ja nichts dafür, wie die Leute sich fühlen. Bei manchen Texten weiß ich ja selbst nicht mehr, wie ich mich fühlte, als ich sie schrieb. War ich zornig, war ich traurig, war ich verletzt? Ich kann das nicht mehr sagen. Das aktuelle Album war ja schon eine ganze Weile fertig, bevor es erschien, und ich höre das jetzt wie jeder andere auch. Und dann merke ich, wie ich ein Lied auf etwas beziehen kann, das jetzt gerade passiert ist, wie ich mich jetzt gerade fühle. Das ist verrückt, denn ich weiß ja, dass das nichts miteinander zu tun haben kann. Und da wundert es mich dann auch nicht, wenn jemand anderes einen Text auf seine Situation bezieht.

Kann bei einer Textinterpretation einer neunten Klasse, der der punkrockaffine Deutschlehrer einen LOVE A-Text vorlegt, ein Schüler oder Schülerin darauf kommen, was dieser Jörkk Mechenbier sich bei dem Text gedacht hat?

Ja, denn man muss ehrlich empfundene Gefühle äußern, sonst fasziniert man niemanden. Der Selbstschutz besteht darin, dass man es verklausuliert. Dann können eigentlich nur Menschen, die mich gut kennen, darauf kommen, von welcher Situation in meinem Leben ich spreche. Damit fühle ich mich aber sicher, denn es gibt eben nur fünf Leute oder so, die mich deshalb in den Arm nehmen wollen. Meine Schwester etwa sagte damals wegen „Windmühlen“ zu mir: „Du redest von mir, oder?“ Und ich sagte nein, denn gerade wenn ich so abfucke, dann geht es um meine eigenen Fehlbarkeiten. Aber die Leute wollen dann auch gerne eine Beziehung herstellen, das geht mir ja genauso, bei jedem zweiten PASCOW-Song!

Bei einem Satz wie „Jemand hat sich aufgehängt, direkt nebenan“ gefriert mir das Blut in den Adern und ich denke an einen gemeinsamen Bekannten.

Puh ... Ich kann dir gar nicht sagen, ob ich auch daran gedacht habe und es damit verarbeiten wollte. Nachdem ich es geschrieben hatte, musste ich aber auch an diesen Bekannten denken. Oft sind meine Texte einfach wie Art brut, da spreche ich irgend was aus, so ehrlich, dass es mir gar nicht bewusst ist, wo das herkommt. Wenn mir das zu konkret wird, versuche ich mit dem nächsten Satz, der nächsten Strophe davon abzulenken, eine neue Richtung einzuschlagen. Oder bei einem Satz wie „Jemand hat sich totgesoffen“, da zucke ich zusammen, denke daran, dass jemand aus meinem Umfeld mit einem alkoholkranken Angehörigen jetzt vielleicht auch zusammenzuckt. Andererseits: Ich würde gerne jeden verstehen, will aber auch kein Hippie sein. Meine Stimmungen beim Schreiben liegen zwischen angepisst und melancholisch, und da platzt schon viel Unterbewusstes raus, was einen umtreibt. Wenn dann beispielsweise Dominik mich danach fragt, wird mir erst bewusst, was mir da im Kopf rumschwirrte, und ich kann es erklären. Einerseits ist das schön und entspannend, andererseits auch mal befremdlich oder erschreckend. Da kommt mir das dann vor wie ein selbsttherapeutischer Ansatz, wie Alex Gräbeldinger das in seiner Ox-Kolumne machte.

„Sonderling“ hat vielleicht die Qualität, in ein paar Jahren daran zu erinnern, wie die ein oder andere Person aus dem eigenen Umfeld so war, damals. „Tätowierter Vollbartmann“ singst du etwa, „Tunnelohr“, „veganer Kram“, „offene Beziehung“, „Kinderwunsch mit Bausparzwang“, „Yogafrau mit Seelenpein“, „Rotweinfan, „Plattensammler“, und so weiter. In Stichworten hast du damit dein gesamtes soziales Umfeld beschrieben. Das hast dir doch voll kalkuliert ausgedacht, da erkennt sich doch jeder wieder!

Hahahaha! Ich würde gerne sagen, das habe ich mir alles auf der Zugfahrt zum Studio auf der Rückseite einer Snickers-Packung notiert. Nein, ich komme ins Studio, werde gefragt, ob ich denn schon einen Text habe, und ich sagte ja, lass mal laufen, den Refrain hab ich.

Und dann bricht der ganze Scheiß aus dir raus.

Ja, es muss ja dann. Ich muss ja was erzählen. Und dann kann ich nur erzählen, was in mir drin steckt, kann mich nicht mehr zensieren. Ich muss liefern. Auf die Gefahr hin, dich verletzlich zu zeigen, kannst du dann eben rauslassen, was dich umtreibt. Oder du konstruierst war, haust was Gereimtes à la Heinz Erhard raus, was aber nichts mit deiner Lebenswelt zu tun hat. Das geht aber nicht, das fasziniert niemand, das kann niemand auch betreffen. Ach ... ich weiß so wenig über das, was ich tue, dass ich mich schon beinahe dafür schäme, mich so schwer zu tun, dir zu antworten.

Das ist das Gegenteil von all dem süßlichen Deutschpop mit seinen komischen glatt polierten, kalkulierten Befindlichkeitstexten, mit denen sich extrem viele Menschen identifizieren können.

SILBERMOND und Andrea Berg! Ich kann so was nicht, und so was wäre auch nicht mehr ehrlich. Seltsamerweise funktioniert das auf unserer Ebene auch irgendwie, es kommen Leute auf mich zu und sagen mir, ich hätte genau getroffen, was sie gerade empfinden. Und ich denke mir: Fuck, warum wissen die, was sie empfinden, wenn ich, der ich das geschrieben habe, das nicht weiß? Das ist spannend.

Gehört dein Vater zu diesen Leuten? Oder wie geht der damit um?

Nee, der gehört nicht dazu. Der liest sich die Texte durch, und da ist eine gewisse Faszination, weil er merkt, dass das andere Leute gut finden. Das alles wirft durchaus Fragen auf bei Eltern, aber ich denke, die können die Texte nicht nachvollziehen. Das sind ja Befindlichkeiten und Probleme, die es gar nicht gab, als die in meinem Alter waren. Diese Zerrissenheit, die können die nicht nachempfinden, das ist für die völlig abstrakt. Mein Vater sagt, er könne zwar nicht verstehen, was ich da mache, aber wenn er sehe, dass ich damit glücklich bin, dann reiche ihm das.

Zum Schluss noch eine Textfrage: In „Löwenzahn“ singst du „Mensch, Rommel, wärst du doch zu Hause geblieben!“ Was hat es damit auf sich? Da ich aus Heidenheim an der Brenz stamme, der Geburtsstadt Rommels, dem dort bis heute ein riesiges Denkmal gewidmet ist, interessiert mich das natürlich.

Ich weiß nicht genau, wie ich darauf kam, aber so Schlagworte wie „Rommel, der Wüstenfuchs“ kennt man eben. Bevor ich den Satz so übernahm, habe ich noch mal den Wikipedia-Eintrag gelesen. In meinem Text geht es um Brexit und wieder in den Vordergrund tretenden Nationalismus. „Und der Löwenzahn rammt weiter seinen Kopf durch den Asphalt und der Deutsche ist wie immer unzufrieden“, singe ich da, und ich behaupte, die Generation zwischen 25 und 50 denkt da an Peter Lustig, an die Kindersendung Löwenzahn. Das kennen wir alle, und der Deutsche ist immer unzufrieden, Sommer zu warm, Winter zu kalt. Und dann kommt „Mensch, Rommel, wärst du doch zu Hause geblieben!“ Dominik, der Politikwissenschaftler, sagt zu mir dann auch als erstes, ich solle ihm mal erklären, wie der Rommel in diesen Text kommt. Ich wollte immer schon mal den Namen eines hochrangigen Nazis in einem Songtext unterbringen, damit die Leute sich fragen: „Uh! Das war doch einer vom Hitler!“ Und dann setzt die Erinnerung ein, dass der Sohn doch Oberbürgermeister von Stuttgart war, dass da was mit Hitler-Attentat war, dass er hingerichtet wurde. Ich antwortete Dominik dann, dass ich mit meinem Satz meine, die Nazis hätten doch besser ihre Weltherrschaftsphantasien stecken lassen sollen, die Tür zu gelassen, wären besser bei Frau und Kind geblieben, hätten den Grill angemacht, eine Flasche Wein aufgemacht, dann wäre diese ganz Entwicklung gar nicht angekommen. Das erklärte ich Dominik genau so, und darauf antwortete er: „Das mag ich an dir: Du hast keine Ahnung von irgendwas, aber du hast immer gute Absichten.“