Selbst wenn LETO gerne mit den üblichen Verdächtigen in einen Topf geworfen werden, hat der Punk der vier Hamburger doch einen anderen Anstrich. Die Musik setzt einen unter Strom, wirkt schon fast nervös, zieht auf der anderen Seite doch melodisch starke Schleifen, ist inhaltlich verwinkelt und gräbt in ungewöhnlicheren Gedankengängen. Jannes und Paul geben Auskunft über ihr drittes Album „Leben und tot“, das sich mit den Spannungszuständen zwischen Durchhalten und (bis zum) Umfallen befasst.
Ist euch erst jetzt aufgefallen, dass LETO quasi die Zusammenfassung von „Leben und tot“ ist?
Jannes: Das ist unserem Drummer Pasn eingefallen. Bei einem Spaziergang meinte er, dass sich ja alles, was ich schreibe, immer um „Le-ben“ und „To-d“ dreht und das auch in LETO enthalten ist. Als ich die Texte für das Album verfasst habe, von September bis März und meistens nachts, sahen meine Tage alle gleich aus: Ab zur Lohnarbeit, Kinder zur Kita, dann von meiner Arbeit in der Schule zurückkommen, versuchen, irgendwas fertigzukriegen, nachmittags noch Sport, weil man das ja auch noch machen muss, abends in den Proberaum und sich dort den Kopf zerbrechen, mit der Band zusammensitzen und wieder viel zu spät ins Bett gehen. Genau in diesem Spannungsfeld sind die Texte entstanden. Leben und Tod als Körperzustand. Dass wir dann von „Tod“ zu „tot“ geschwenkt sind, finde ich eigentlich noch geiler. Denn tot als Adjektiv hat irgendwie auch noch etwas Positives, dieser Vergänglichkeit kann ich etwas abgewinnen, das eine geht einfach in das andere über.
Inwiefern spielt Tod in deinem Leben eine Rolle?
Jannes: Wir wollen alle vier schon im Leben stattfinden, hängen aber auch in Konventionen drin, haben regelhafte Berufe und kommen damit zurecht, aber die Band ist unser Ort, um auszubrechen. Und es geht darum, etwas Lebendiges kaputtzumachen, das Erlebte vom Tag so bisschen zu Grabe zu tragen. Wenn wir uns abends zum Musikmachen treffen, sind wir oft komplett im Arsch und gehen dann auch nicht wirklich achtsam mit uns selbst um. Zerstörung und Eskalation, also die Momente, in denen andere sagen würde, dass sie daran kaputtgehen, da fühlen wir uns lebendig.
Die ähnliche Ausgangslage ist entscheidend für euren Sound?
Paul: Kunst ist ja auch Beziehung und eine Band ebenso, da gibt es auch mal Krach, aber am Ende funktioniert es. Das gegenseitige Verständnis, wenn man sich in dieser Mühle befindet, ist natürlich wichtig. Jannes’ Traum ist, dass alles mal hauptberuflich zu machen. Wir überlegen uns, was dann passieren würde, aber eigentlich wissen wir, dass es utopisch ist und nie passieren wird.
Paul singt dieses Mal weniger, während du, Jannes, noch aufgekratzter klingst, fast schon nach Black Metal. Wie kommt’s?
Jannes: Beim letzten Album waren wir irgendwie noch auf dem Weg, das hat man auch gespürt. Ich habe damals aber schon viel im Proberaum herumgeschrien und liebe es, mich darüber so richtig zu spüren. Ich wollte dem dieses Mal freien Lauf lassen und es deutlich doller machen. Die Texte haben auch den entsprechenden Raum geboten, dass man die Emotionen mal durchdrücken kann. Ich war einfach auch sehr gut eingesungen, habe nachts viel geübt und kam mit dieser Vorbereitung ins Studio gepurzelt, da ist kein Ton nachgetunet. Dass Paul weniger singt, war für die Band eigentlich dramatisch. Er kam aus einer stressigen Zeit und hätte die Songs teilweise direkt im Studio zum ersten Mal singen müssen. Das war keine dogmatische Entscheidung, sondern eine gemeinsame.
Paul: Das Vinyl musste ins Presswerk und es war für mich einfach nicht mehr genug Zeit, um mich richtig einzufinden. Dramatisch war das auf alle Fälle, aber das Endprodukt ist doch mega geworden. Beim Song „Sechs“ saß ich im Studio und war überwältigt, wie krass Jannes das eingesungen hat. Da bekomme ich jetzt noch Gänsehaut.
Das Artwork ist von Julius Dettmer, ein Foto in unterschiedlichen Farben, und man kann nicht auf Anhieb sagen, was Leben und was Tod repräsentiert.
Jannes: Jolle kommt ja eigentlich aus der Animation, wir haben bisher jedes Video mit ihm gemacht und lieben an ihm, dass er so szeneunkonform ist. Er hat lange mit Infrarotkameras rumgefuchtelt, die man unter anderem im Vietnamkrieg eingesetzt hat, um Soldaten in Tarnanzügen aufzudecken. Wir wollten diesen Effekt unbedingt haben und haben nach einem passenden Motiv gesucht. Das Bild von diesem Baum gab es schon, es stammt aus einer tristen Kleingartenanlage in Berlin. Er ist dann im Winter nochmals hingefahren und hat das gleiche Bild noch einmal gemacht.
Stark verkürzt gesagt wird mit der Infrarotkamera sichtbar gemacht, was man normalerweise nicht sieht. Wo sollte man genauer hinschauen?
Jannes: Immer erst mal auf sich selbst. Selbst wenn wir etwas anprangern auf der Platte, dann nehmen wir uns mit Songs wie „31 Fehler“, „Der tote Baron“ und „Pronomina“ doch auch immer als Teil des Problems wahr. „Blackbox lost“ ist für mich ein entscheidender Song. Dazu inspiriert wurde ich von einem Debattierkurs, der uns in der Schule angeboten wurde und den ich erst super albern fand. Dann wurde mir klar, dass zu einer Debatte eine Technik gehört, die man beherrschen muss. Man tauscht Pro und Contra miteinander aus und eine Debatte unterscheidet sich extrem von einer Diskussion. Denn bei einer Diskussion versucht man seinen Standpunkt durchzuziehen und bei einer Debatte eben auch andere Meinungen zu verstehen, anzunehmen oder für seine eigene noch stärker zu argumentieren. Das ist uns etwas abhanden gekommen, also wo ist es noch ein Austausch und wo ist es so verhärtet, dass es eine dunkle Diskussion ist? Das verwischt im gesellschaftlichen Diskurs, es geht nicht darum, andere verstehen zu wollen oder sich auszutauschen, sondern nur so lange doll zu sein, bis jemand nicht mehr kann. Da werde ich sensibel und denke, da muss man doch genauer hinschauen, das kann so nicht sein.
Sind LETO ein Beitrag zur Debatte?
Paul: Ja, definitiv. Ich hatte vor kurzem eine Diskussion darüber, dass es aktuell einfach ist, unsere Meinung so kundzutun, denn in unserer Blase gibt es nicht viel Gegenwind. Und es gibt auch keine Jugendzentren, die von Nazigruppen überfallen werden, so wie es in den Neunzigern war. Wobei ich denke, dass wir das auch gegen Widerstände durchhalten würden. Aber es ist interessant, dass sich in der Gesellschaft schon gefühlt etwas dreht. 2015 waren es nur ein paar Idioten, da hat man die Flüchtlingskrise vorgeschoben, aber es rückt mittlerweile in eine gewisse Mitte, und was Friedrich Merz so äußert und versucht, salonfähig zu machen, das macht einem, auch als Vater, echt Sorgen.
„Hinhören, nicht nur bei Liedern, die wir kennen“, so heißt es in „Alles ist Resonanz“, eine Anspielung auf die Blase?
Jannes: Ja, eine meiner Lieblingszeilen. In der Szene gibt es viele Restriktionen in alle Richtungen, das verstört mich schon manchmal. Alle diese großen Themen, die diese Szene vertritt, spüre ich bei Konzerten nicht immer. Ich habe das Gefühl, es wäre uncool, ein Fan von etwas zu sein und Begeisterung zu zeigen. Es resoniert im Konzertsaal: Wie bewege ich mich, welche Äußerungen treffe ich, wie muss man sich verhalten? Das ist alles sehr eng, wird aber nach außen als offen und liebevoll gelabelt. Wofür eingestanden wird, finde ich schon toll, aber im persönlichen Kontakt ist es oft schwieriger und wirkt in sich geschlossen. Umso witziger, dass wir da immer so reingedrückt werden und eigentlich unseren Kram machen wollen. Wir sind eben vier konventionelle Cis-Männer, auch wenn wir so viel wie möglich Rücksicht nehmen wollen, es ist trotzdem so.
„Pronomina“, damit stellt man den Bezug zu einem Individuum her, worauf zielt das ab?
Jannes: Auf meine lange Beziehung und darauf wie sich Ich, Du und Wir in Unser verschieben, auch wenn man Kinder bekommt. Wenn man sich zusammen entwickelt, dann verändert sich einiges und der Song ist eigentlich eine Art Bestandsanalyse. Meine Frau und ich haben von der Generation vor uns nicht wirklich gelernt, wie man mit Konflikten umgeht. Ich bin sehr schlecht darin, verfalle in die Muster meiner Eltern. Totschweigen, Kontaktabbruch und bloß nichts zu Ende austragen. Da komme ich aber auch schwer raus, das ist tief in mir verwurzelt. Oft resultiert das Verletztsein daraus, dass man den Konflikt meidet oder keine Kraft hat, ihn durchzuziehen.
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