Sänger und Gitarrist Jannes erläutert im Interview, wie das neue Album der Post-Punk-Band entstanden ist und dass LETO mit „Leben und tot“ auch für ihren Bandnamen eine neue Bedeutung gefunden haben. Außerdem wird klar, wieso es ihnen so wichtig ist, mit ihrer Musik einen Beitrag zu einer lauten, politischen Zivilgesellschaft zu leisten.
Erst letztes Jahr habt ihr drei Standalone-Singles veröffentlicht, jetzt folgt ein Album mit elf neuen Titeln – ein beachtlicher Output. Wann und mit welchem Song hat das Kapitel „Leben und tot“ begonnen?
Angefangen haben wir im Dezember 2021 mit dem Stück „Bonjour Kontur“, das es knapp nicht aufs Album geschafft hat. Kurz darauf sind erste Fragmente für „31 Fehler“ entstanden. Es folgte eine lange Zeit im Proberaum zusammen, dann fuhren wir für mehrere Nächte auf einen Bauernhof in Schleswig-Holstein, anschließend schrieben wir zu Hause weiter, danach wieder im Proberaum. Der letzte Instrumentaltrack, den wir im Oktober 2022 schrieben, war der von „Süchtig nach allem“, den wir schlussendlich aus über dreißig Songs als Opener für die Platte auswählten. Von Oktober 2022 bis März 2023 schrieb ich nachts die Texte für das Album. Bei uns kommen immer erst die Instrumente, dann der Text.
Euer Album heißt „Leben und tot“ und nicht „Leben und Tod“ – Wie kommt es zu dem Titel und worauf bezieht sich das Adjektiv „tot“ in diesem Kontext?
Der Albumtitel ist während der Aufnahmen im Toolhouse in Rotenburg an der Fulda bei einem Gespräch auf einem Spaziergang entstanden. Unser Schlagzeuger Pascal stellte fest, dass sich die Texte in eben diesem Spannungsfeld verorten lassen. „Tot“ als Adjektiv nimmt aus unserer Perspektive Druck vom Begriff Leben und fokussiert eher eine Zeitabfolge. Es wird gelebt und dann kann es auch schnell vorbei sein. Der Titel kann also auch Motivator dafür gelten, sein Leben bestmöglich zu genießen und zu gestalten – aber bitte nicht egoistisch – und sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen, denn am Ende kann doch alles schnell vorbei sein. Die Möglichkeit, unseren Namen LETO über „LEben und TOt“ nach fast zehn Jahre Bestehen neu definieren zu können,, gefiel uns natürlich auch.
In den Songtexten kommen Schauplätze wie Ostfriesland, Begriffe wie Luv und Lee und metaphorische Wellen, die brechen, vor – wie sehr prägt euer Zuhause Hamburg und die Nähe zur Nordsee eure Musik und eure Texte?
Wir können weder ein Segelboot manövrieren noch empfinden wir irgendeine Art von Stolz oder Ähnliches, weil wir aus Hamburg kämen. Übrigens wohne ich als Einziger aus der Band in Hamburg. Eine Affinität zum Wasser und zum Rauhen, Verregneten kann ich aber nicht von der Hand weisen.
TURBOSTAAT, LOVE A, PASCOW – dass diese Genrekollegen eure Musik beeinflussen, könnt und wollt ihr nicht abstreiten, aber welche Inspirationen gibt es, die eure Hörer:innen überraschen könnten?
Wir alle hören viel Musik und besuchen auch zusammen Konzerte. Es gibt innerhalb der Band unterschiedlichste Strömungen. Paul und ich gehen auf jeden Fall zusammen zu den genannten Bands. Phill und ich treffen uns auf Post-Hardcore-Shows oder tauschen uns über technisch versierte Bands wie MUTINY ON THE BOUNTY aus. Pascal und Paul haben einen Sweetspot bei amerikanischen Pop-Punk-Produktionen. Wir alle haben einen Hang zur Dramatik und Melancholie – vielleicht ist unser gemeinsamer Nenner im weitesten Sinne Emo. Neben reduziertem Post-Punk können wir auch ein paar im Mainstream angesiedelten Bands etwas abgewinnen. Das ist auch auf dem neuen Album zu hören.
In Songs wie „Bei Jobs, die man nicht erklären kann, fließt das Geld entlang“ oder „Blackbox Lost“ thematisiert ihr gesellschaftliche Missstände und Abgründe. Wieso lohnt es sich für euch, in Anbetracht dieser nicht alles hinzuwerfen, sondern dagegen anzukämpfen?
Der Kosmos Band bedeutet für uns einen Bruch zu unserem sonstigen Alltag. Wir gehen alle konventionellen Berufen nach – Lehrer, Arzt, Altenpfleger und Sozialarbeiter. Wir haben Familie und es gibt mittlerweile fünf Kinder in der Band. Wir machen uns Sorgen um die politische Zukunft des Landes und diskutieren diese in Pausen während der Probe, im Bus zum Konzert oder reflektieren diese beim Songwriting oder vor Videodrehs. Eine entscheidende Frage ist für uns, was die Gesellschaft macht, wenn rechte Parteien tatsächlich so mächtig werden, wie es der Trend derzeit prognostiziert. Politisiert sich eine Gesellschaft im Außen oder sorgt sie „nur“ in den eigenen vier Wänden für Weltoffenheit und so weiter? Die Band ist unter anderem unser Beitrag nach außen und das ist uns auch wichtig.
Ihr geht im Winter wieder auf Tour. Gibt es einen Song, bei dem ihr euch besonders darauf freut, ihn live zu spielen?
Bei unserer Release-Show am 24. November im Molotow in Hamburg spielen wir alle elf Songs des Albums. Für uns gibt es keinen Track, der abfällt. Das Album ist für uns als Gesamtkonstrukt zu begreifen. Paul und Phill freuen sich vielleicht am meisten auf „Bei Jobs, ...“, Pascal auf „Pronomina“ und ich auf „Alles ist Resonanz“. Aber auch ältere Sachen machen im Proberaum derzeit super viel Spaß. Es wird gut, versprochen!
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