„Stay Alive“ heißt das erste richtige Soloalbum von Laura Jane Grace, die man normalerweise als Frontfrau von AGAINST ME! kennt. Warum das Soloalbum jetzt erscheint, warum es klingt, wie es klingt, und was es mit dem Titel auf sich hat, klären wir hier.
Ich weiß gar nicht, ob ich damit beginnen soll, aber gestern war ja die erste Debatte von Trump und Biden. Hast du dir die angeschaut?
Ja, ich habe mir Sushi bestellt, mich vor den Fernseher gesetzt und die komplette Debatte verfolgt. Ich hatte leckeres Sushi, aber die Debatte war der Horror, haha! Es ist verrückt. Es fühlte sich nur wie 15 Minuten an, in denen ein orangefarbener Bully Joe Biden anbrüllt. Aber es war kurzweilig.
War es okay für dich? Ich glaube, viele Leute waren genervt von der Debatte.
Ich bin gegen halb zwölf schlafen gegangen und eine Stunde später mit einer Panikattacke wach geworden und konnte bis fünf Uhr morgens nicht mehr einschlafen. Ich meine, wir befinden uns nun seit acht Monaten in der Pandemie und ich bin in einem dauerhaften Panikzustand, wie ich es noch nie hatte.
Waren die Songs auf deinem Soloalbum eigentlich mal für AGAINST ME! gedacht?
Ich denke, das Album steht für sich, so wie es entstanden und aufgenommen worden ist. Aber ja, ich habe in den letzten zwei Jahren natürlich konkret für AGAINST ME! geschrieben. Wir waren im März ungefähr eine Woche im Studio, und sind dann auf Tour gegangen, die wir aber nach drei Tagen abbrechen mussten, da durch die Pandemie alles gecancelt wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon 30 bis 35 Songs, und es war nicht klar, wo wir eigentlich hinwollen. Dann kam der Punkt, an dem feststand, dass wir bis auf Weiteres nicht gemeinsam in einem Raum sein können, denn wir leben sehr verstreut. Die Vorstellung, dass wir vielleicht erst in einem oder zwei Jahren an den Songs weiterarbeiten können, gefiel uns nicht. Gleichzeitig stellte sich aber die Frage, was nun mit den Stücken, die wir schon geschrieben hatten, passieren soll. Es hat sich einfach falsch angefühlt, nicht weiter daran zu arbeiten. Es war nicht akzeptabel für mich, in den nächsten Monaten keine Musik zu machen.
Wir hören ja nur Gesang, Akustikgitarre und hier und da eine Drum-Machine. Ist das jetzt die Art und Weise, wie du dir vorgestellt hast, dass die Leute die Songs zu hören bekommen?
Es ist definitiv die Art und Weise, wie die Songs klingen sollen. Es hat sich falsch angefühlt, da jetzt was Großes draus zu machen. Ich habe jede Menge Zeit und hätte mich in ein Studio einmieten können und immer weiter daran arbeiten können. Der Ansatz war einfach, etwas achtsamer zu sein und das Ganze als Dokument zu betrachten. Heutzutage ist alles ein Zoom-Call, alles ist digital. Ich wollte was Physisches herstellen, an dem keine Computer beteiligt sind. Ein analoger Aufnahmeprozess, in meiner Heimatstadt mit Steve Albini. Es ist immer entweder der erste oder zweite Take, nichts wurde bearbeitet. Das ist der Song, so wurde er aufgenommen. Mittlerweile ist doch alles manipuliert, jeder sucht nach der Wahrheit. Ich möchte Kunst, die so wahr ist, wie sie nur sein kann. Wenn du die Songs und die Aufnahmen nicht magst, ist das vollkommen okay. Aber so klinge ich, wenn ich in einem Raum sitze und diese Stücke spiele. Da ist nichts dazwischengeschaltet, was meine Fehler verbessern könnte. Der ganze Ansatz ist bereits Teil der Kunst und der Message, die ich rüberbringen möchte. Die Songs mit Drum-Machine wie „Supernatural possesion“ habe ich schon mit Drum-Machine geschrieben. Wann immer wir den Titel als Band gespielt haben, hat er nicht funktioniert. Das ist ein bekanntes Problem bei uns, bestimmte Stücke, die ich geschrieben habe, fühlen sich im Bandkontext nicht mehr gut an. Ist der Song dadurch schlecht? Es hilft da einfach, den Blickwinkel zu verändern: Wenn es mit der Drum-Machine gut klingt, warum spielt man es dann nicht damit ein? Man muss nicht dagegen ankämpfen, wenn es sich gut anfühlt. Das war die Mentalität hinter dem Album. Ich versuche momentan einfach nur am Leben zu bleiben, und muss was tun, was mir hilft, am nächsten Tag aus dem Bett zu kommen. Wir können gerade keine Live Musik haben. Und wenn alle Alben nur am Computer zusammengesetzt werden, was bleibt dann überhaupt noch übrig? Da gibt es nichts, was Live-Musik nahekommt. Deshalb wollte ich eine echte Aufnahme, ein Dokument.
Der Albumtitel ist natürlich das Erste, was mir ins Auge gesprungen ist. „Stay Alive“ ist ja eine Aufforderung, das umzusetzen, was man als Minimum machen sollte. Klingt einfach, aber in der Welt von 2020 dann irgendwie doch wieder nicht ...
Eine Weile musste ich mich sehr zurückhalten. Ich wusste, dass das Album so heißen wird, und musste mich zwingen, meine Mails so zu unterschreiben. Früher habe ich immer „Take care“ oder „Cheers“ oder so was druntergeschrieben. Dann ging das alles los und meine Standardverabschiedung war „Stay alive“. Ich muss jetzt darüber lachen, aber es ist einfach wahr. Mein Lachen jetzt ist Galgenhumor. Das ist die Herausforderung derzeit. Wortwörtlich am Leben zu bleiben, weil wir gerade eine Pandemie haben. Es gilt aber auch, halte dein Herz am Leben. Wir haben über die Debatte von Trump und Biden gesprochen. Da gibt es nichts Gutes. Nichts Gutes kam dabei raus. Jeder Tag, vor allem in den USA, ist ein großer Haufen Scheiße. Man wird Tag für Tag von den News niedergeschlagen. Tag für Tag für Tag. Halte deinen Geist am Leben, halte den Kampf am Leben. Und es muss ein Kampf der ganzen Community sein, nicht von einzelnen Menschen. Diese ganze Isolation macht das alles nur noch schwerer. So fing das mit „Stay Alive“ an.
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Der Fuze-Podcast
Das eigentliche Interview mit Laura war noch viel länger, hat aber hier leider nicht mehr ganz reingepasst. Wer Interesse hat, der kann sich Folge 85 des FuzeCast anhören, dort könnt ihr das Gespräch komplett auf Englisch oder in deutscher Übersetzung anhören.
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