Es ist ein kalter, aber sonniger Tag im Januar, als sich Laura Jane Grace in den Zoom-Call einwählt. Sie sitzt in einem gänzlich leeren Zimmer auf dem Boden, die schwache Wintersonne, die durchs Fenster scheint, trifft auf eine Gitarre, die hinter ihr liegt und der einzige Gegenstand im Raum ist. Laura ist Künstlerin durch und durch und bevor man eine neue Wohnung möbliert, muss natürlich erst die Gitarre einziehen. Grund für unser Gespräch ist das neue Soloalbum der Folk-Punk-Musikerin: „Hole In My Head“. Zusammen mit DRIVE-BY TRUCKERS-Bassist Matt Patton in St. Louis aufgenommen, präsentiert es eine wärmere Soundlandschaft als der Pandemie-Vorgänger „Stay Alive“.
Hey Laura, du veröffentlichst ein neues Album – es ist das erste Mal, seit langer Zeit, dass du wieder Promo für neue Musik machst. Das letzte Album war eine Überraschung ohne Ankündigung. Wie ist es für dich, wieder in den Industriezirkus zurückzukehren?
Ich habe eigentlich das Gefühl, durchweg Interviews zu geben, also bin ich gar nicht aus der Übung, aber um ehrlich zu sein, habe ich zunehmend weniger Lust darauf, haha! Lass mich ehrlich sein, ich liebe es, Musik zu machen, Songideen zu entwickeln und aufzunehmen und diese dann zu spielen, aber der Rest ist wirklich anstrengend. Ich will meine Kunst nicht erklären oder mich dafür rechtfertigen, verstehst du?
Absolut. Ich habe auch keine Fragen, bei denen du dich rechtfertigen musst, sondern zur Entstehung. Diesmal hast du das Album nicht in Chicago aufgenommen, sondern in St. Louis. Was hat dich dorthin verschlagen?
Seit der letzten Dekade bin ich wirklich privilegiert, wenn es um die Frage geht, an welchen Orten ich aufnehmen will, und konnte immer dort hingehen, wo ich wollte – aber diesmal wusste ich gar nicht, was ich genau wollte. In St. Louis habe ich dann ein leerstehendes Studio gefunden, das sich richtig angefühlt hat und in dem ich ein paar Projekte umgesetzt habe, wie zum Beispiel das Mischen einer EP für eine Freundin. Das Studio liegt über einer Bar und hat einen tollen Vibe. Als ich dort war, beschloss ich, auch mein Album in diesen Räumlichkeiten aufzunehmen.
Du hast diesmal fast alles selbst eingespielt, unterstützt hat dich nur Matt Patton von DRIVE-BY TRUCKERS mit Bass und Gesang. Wie kam es dazu?
Es sollte kein Album werden, das ich komplett alleine mache, aber es fehlten mir die richtigen Leute. Matt habe ich über Twitter kennen gelernt, dort hat er mir auf einen Tweet geantwortet, dass er gerne Bass spielen würde. Im Handumdrehen ist er dann von Mississippi nach St. Louis gekommen, hat dort mit mir eine Woche verbracht und Lieder aufgenommen. Matt ist ein wirklich talentierter Bassspieler und ein toller Sänger, seine Stimme harmoniert sehr gut mit meiner.
War es merkwürdig für dich, eine absolut fremde Person einen so wichtigen Anteil an deinen Songs haben zu lassen?
Gar nicht! Ich liebe Kollaborationen und ich liebe es, Dinge auszuprobieren. Eine Perspektive von außen kann Gold wert sein!
Das Album hat einen warmen, positiven Klang. Würdest du mir zustimmen?
Freut mich, dass du das sagst, denn das habe ich beabsichtigt.
Allgemein befindest du dich in einem guten Zustand, oder? Das letzte Album ist mitten in der Pandemie in deiner Wohnung entstanden. Nun hattest du wieder Eindrücke von Konzerten, Reisen und vielem mehr zu verarbeiten.
Es war verrückt, vieles fühlte sich bekannt an, aber einiges auch ungewohnt. Viele Blaupausen für die Songs sind entstanden, als ich 2022 durch Europa getourt bin, doch es hat sich teilweise angefühlt, als hätte ich manche Orte eine Ewigkeit nicht besucht. Noch dazu habe ich geheiratet und aufgehört, Alkohol zu trinken. Es hat sich wirklich viel geändert.
Welche Künstler:innen haben dich bei dem aktuellen Album inspiriert?
Die Akustikgitarren sollten klingen wie bei NEUTRAL MILK HOTEL, aber so sollten wiederum die Drums nicht werden, dafür habe ich mir Anregungen bei Jonathan Richman geholt. Man kann also sagen, dass es ein bunter Mix gewesen ist, aus dem ich mir die besten Elemente rausgepickt habe.
Einige Songs erwecken bei mir den Eindruck, dass es auf dem Album viel um deine Vergangenheit geht, zum Beispiel „Punk rock in basements“.
Absolut nicht. Viele Eindrücke, die ich verarbeite, sind eher die Nachwehen der Pandemie. Das von dir angesprochene „Punk rock in basements“ ist eine Hommage an kleine Clubs, die nun wieder geöffnet sind. Die Pandemie ist wie eine Trennlinie, es gibt für uns Künstler:innen ein Davor und ein Danach und ich bin gerade dabei, den Danach-Zustand zu ergründen.
Es gibt ein Motiv, das eine besondere Rolle spielt: Vögel. Nicht nur dass sie mit „Birds talk too“ einen Song auf dem Album bekommen haben, sondern du hast dir auch ein Vogelmotiv auf den Kopf tätowieren lassen.
Sie faszinieren mich. Sie können fliegen, das würde ich auch gerne können. Bereits in meiner Jugend wusste ich, dass ich viele Vögel tätowiert haben möchte. Vor zwei Jahren war ich in Amsterdam bei meinem Stamm-Tattoo-Artist und wollte meinen Kopf tätowieren lassen, aber ich hatte keine Ahnung wegen des Motivs, bis auf ein Bild von einem Vogel auf meinem Smartphone, das die Inspiration lieferte. Mir wurde mein Kopf rasiert und dann losgelegt. Verrückte Erfahrung und nun habe ich einen Vogel auf dem kompletten Kopf.
Du sagtest früher mal, dass deine langen Haare Teil deiner Identität sind, war es sehr schlimm sie abzuschneiden?
Als Transgender-Person auf jeden Fall! Aber ich muss gestehen, dass es auch ein tolles Gefühl ist, mir morgens keine Gedanken darüber machen zu müssen, was ich mit meinen Haaren anstelle, haha!
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