LAURA JANE GRACE

Foto© by Bella Peterso

Eine Ode an den Lieblingshoodie

Mit „Hole In My Head“ ist nach „Stay Alive“ aus dem Jahr 2020 und der EP „At War With Silverfish“ (2022) jüngst ein neuer Longplayer von Laura Jane Grace erschienen. Das Album wirkt im Vergleich zu den Vorgängern wesentlich punkiger, auch wenn der Akustikanteil durchaus hoch ist, worüber ich mit Laura im Videointerview diskutierte. Ebenso ist das Älterwerden ein Thema und die Etablierung von Punk in der Gesellschaft – Laura bekam jüngst den „Schlüssel zu Gainesville“.

Ich habe vor kurzem dein Buch „Tranny“ gelesen. Eines meiner Fazits war: Punk ist total scheiße.

Manchmal ist es großartig. Ich meine, es liegt an dir und was du daraus machst. Gunnar von Gunner Records, mit dem ich befreundet bin, zeigt mir beispielsweise die schönen Seiten von Punk. Du kannst gute Erfahrungen machen und natürlich auch beschissene. Und nicht für alle bedeutet Punk dasselbe.

Bei deiner neuen LP „Hole In My Head“ gefällt mir, dass die meisten Songs nicht überwiegend akustisch sind.
Ich denke nicht in diesen Begrifflichkeiten. Als viele in den früher Zweitausendern mit Akustik-Musik angefangen haben, war es das ja in Wirklichkeit gar nicht. Schau dir meine Gitarre an – es ist eine Akustikgitarre, die allerdings Elektronik in sich hat und hier zum Beispiel einen Ausgang zum Verstärker. Alles was du live siehst, ist „Verstärker-Musik“. Auch wenn du Videos aus den Sechzigern siehst, ist es nicht akustisch, da ein Mikro vor der Gitarre steht. Ich bin eine Person, die singen und ein Instrument dazu spielen kann. Ich sitze nicht da und denke mir, ich schreibe jetzt einen Akustik-Song – ich schreibe einfach einen Song. Wenn es Leuten gefällt, ist es schön. Wenn nicht, können sie etwas anderes hören, das ist auch völlig okay. Für mich ist die Akustikgitarre das schönste Instrument. Und auch das Instrument, das am meisten Punk ist. Du brauchst dazu nicht mal eine Bühne, sondern kannst dich auf die Straße stellen und spielen. Ich denke auch, dass es in Bezug auf Protestsongs das passendste ist. Die bedeutendsten Protestsongs in der Musikgeschichte sind so einfach und reduziert, dass du sie quasi auf einer Demo spielen kannst und man dazu am besten singen kann, fast wie bei einem Kinderreim. Ich versuche die Songs zunächst so simpel wie möglich zu halten – und von dort kannst du dann aufbauen. Ganz egal, ob du ihn solo und akustisch spielen willst oder mit einer Band. Oder mit einem Orchester. Und wenn du auf mich und die Geschichte von AGAINST ME! schaust, war das am Anfang ich und meine Akustikgitarre. Ich mache heute nichts neues, sondern genau das, was ich schon dreißig Jahre oder so mache. Streng genommen mache ich immer noch das, was ich mit 17 gemacht habe. Ich versuche jedenfalls nicht etwas zu machen, was ich nicht bin.

Vielleicht kannst du ein paar Songs näher kommentieren. Was ist mit dem Titeltrack „Hole in your head“ gemeint?
Wenn du dir ein „Hole in your head“ wünschst, wirst du es auch bekommen. Es geht hier um Manifestationen – wenn du dir etwas in den Kopf setzt und das dann auch eintritt.

Um was geht es in „Dysphoria hoodie“?
Mein Hoodie ist von Adidas und ich freue mich, dass wir beide gerade einen anhaben, haha. Ein „Dysphoria hoodie“ ist in der Transgender-Community sehr verbreitet. Du fühlst dich darin gut, du fühlst dich geschützt und der Song ist eine Ode an meinen Lieblingshoodie.

Wann hast du dir deinen ersten zugelegt?
Ich nehme an als Teenager – ohne bereits zu wissen, dass es ein „Dysphoria hoodie“ ist.

Wann trägst du ihn?
Fast die ganze Zeit, haha. Speziell in der kalten Jahreszeit natürlich. Und wenn ich beispielsweise am Flughafen oder im Flugzeug sitze und kaum Privatsphäre habe, kann ich mich darin verstecken, wenn ich die Kapuze über den Kopf ziehe. Ach, eigentlich schon gleich nach dem Aufstehen.

Im Song „Punk rock in basements“ geht es um deine Jugend in der Punkszene, als man in Kellern gespielt hat und voller Begeisterung die Revolution erwartete. Warum heißt es am Ende „Punk is dead“ – und stimmt das für dich?
Ich bin ein bisschen zu alt, um mir ein Urteil darüber zu erlauben, ob Punk tot ist oder nicht oder was er überhaupt bedeutet. Das ist mir aber egal. Die Zeile hat einfach perfekt in den Kontext des Songs gepasst.

„Give up the ghost“ hat einen ziemlich interessanten Hintergrund, da er ein auditives Phänomen beschreibt. Kannst du das genauer erklären?
In Oklahoma gibt es einen Ort, eine Schlucht, über die eine Bahnlinie führt. Sie hat die Form einen Kreisels, der schon in Richtung eines Gehäuses geht. Wenn du genau in der Mitte stehst und etwas rufst, kommt ein Echo zurück. Das Verrückte daran ist, dass nur du es genau an deinem Platz hörst. Die anderen, die da rumstehen, hören überhaupt nichts.

Der Song „Hard feelings“ dürfte die Story deines Lebens wiedergeben ...
Ja, er reflektiert genau das. Die bedrückenden Gefühle, die ich manchmal habe, sind auf das harte Leben zurückzuführen, das ich manchmal hatte. Es ist einfach ein Song über die Vergangenheit.

Wo stehst du heute?
Ich weiß es nicht. Ich stehe morgens auf und versuche, das beste daraus zu machen. Ich bin mir sicher, dass es meistens nicht klappt, aber ich versuche es, haha.

Hältst du beim Coverartwork deine Schädelknochen zusammen oder reißt du dir den Kopf auf?
Zweiteres.

Warum?
Ich weiß es nicht. Warum kommt es in der Kunst zu dem, was es am Ende ist? Ich brauchte ein Artwork, die Platte heißt „Hole In My Head“ und ich reiße mir den Schädel auseinander – somit passt es ganz gut zusammen.

Du hast vor kurzem den „Key to Gainesville“ erhalten, und der 25. Oktober ist nun der „Laura Jane Grace Day“. Wie kam das zustande?
Auch das weiß ich nicht. Das musst du die Offiziellen dort fragen – sie gaben mir den Schlüssel zur Stadt und haben mich mit diesem Tag geehrt. Es war eine ziemlich verrückte Erfahrung. Ich muss das erst noch realisieren. Als ich nach Gainesville kam, war ich ein kleines Punk-Kid, das auf der Straße gelebt hat. Heute bedeutet mir das sehr viel, aber damals habe ich nichts Gutes für die Zukunft gesehen. Und dennoch sind viele tolle Sachen geschehen. Ich reise durch die Welt, kann Musik machen und bringe Platten raus. Mit der Ehrung habe ich einen Moment bekommen, um über all das nachzudenken – woher ich komme und welche Wurzeln ich dort habe. Was die Stadt weiß, ist, dass sie aufgrund ihrer Geschichte eine große Bedeutung für den Punkrock hat. Und es geht hier nicht um mich, sondern um uns alle und alles, was sich beispielsweise um das Festival The Fest dreht.

In deiner Dankesrede hast du davon gesprochen, dass Gainesville für dich eine tolle Community ist. So was kann ich über keine Stadt sagen, wenn ich mir die Mehrheit der Einwohner dort ansehe, in der ich gelebt habe.
Ich bin dorthin gekommen, als ich 18 Jahre alt war. Vielleicht liegt es daran, dass Gainesville eine Universitätsstadt ist. Ich bin dort nicht zur Schule gegangen, war aber in dem Alter dafür. Es ist ein Ort, in dem du in deinen prägenden Lebensjahren einen ganz bestimmten Lifestyle leben kannst, was woanders kaum möglich ist. Noch dazu ist alles sehr beschaulich, du brauchst kein Auto und es gibt eine starke Gemeinschaft, die dich als Künstler:in unterstützt. Wenn du Hunger hast, bekommst du etwas zu essen. Wenn du keinen Platz zum Schlafen hast, bekommst du einen und es wird nicht passieren, dass du obdachlos wirst. Ich bin mir sicher, dass ich meine Karriere ohne diese Community nicht hätte beginnen können.

Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Du hast jüngst mit Leuten von BIKINI KILL, SONIC YOUTH und der PATTI SMITH GROUP zusammengearbeitet. Ist es ein Projekt oder gar eine neue Band?
Wir haben zusammen nur einen Cover-Song aufgenommen. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen, weil das die Leute machen sollen, die den Song herausbringen. Ich kann dir aber sagen, dass es eine fantastische und völlig surreale Erfahrung war.

Du hast mit Joan Jett und Miley Cyrus zusammen gespielt – wie war das?
Auch das war völlig surreal. Ich kannte Miley Cyrus und ihre Geschichte nicht, etwa dass sie der Kinderstar Hannah Montana war und das alles, ich wusste nur, nur dass sie einen bekannten Vater hatte. Das mit uns kam dadurch zustande, dass Joan mich dazu eingeladen hatte. Miley war sehr nett und offen. Es sind schöne Erinnerungen, die ich damit verbinde.

Ich habe etwas über „Laura Jane Grace and the Mississippi Allstars“ gelesen – wieder eine neue Band?
Auf meiner Platte spielt Matt Patton Bass, der bei den DRIVE-BY TRUCKERS spielt und von dem ich ein großer Fan bin. Matt hat mit Dial Back ein Label und ein Studio in Mississippi. Auf meiner neuen Platte hat es wunderbar geklappt und ich habe zu ihm gesagt, dass ich irgendwann mal kommen will, um sein Studio zu sehen und etwas aufzunehmen. Das war im Dezember, kurz vor meiner Hochzeit. Meine Verlobte Paris kam mit und Mikey Earg kam, um Drums zu spielen. Wir haben zusammen sechs Songs aufgenommen, die hoffentlich dieses Jahr erscheinen werden. Und dazu brauchst du einen Bandnamen und der ist ziemlich cool.