IDIOTS

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Tiere sind die besseren Menschen

Im Dezember 2022 feierte Sir Hannes Schmidt, Sänger bei IDIOTS, PHANTOMS OF FUTURE und HONIGDIEB, sein fünfzigjähriges Bühnenjubiläum mit einem großen Festival in Dortmund. Im Frühjahr erscheint die neue IDIOTS-EP „Neverland“ und eine neue LP namens „König der Idioten“ ist auch in Arbeit. Gründe genug, um wieder mal mit Hannes zu sprechen.

Wie war der Festival-Abend für dich? Du hast ja mit allen deinen drei Bands auf der Bühne gestanden. Wer war noch dabei?

Viele alte Freunde, die sich seit vierzig Jahren kennen und zusammen verrückte Sachen erlebt haben, wie DIE KASSIERER, SODOM, BOLLOCK BROTHERS, KADAVERFICKER, und andere hervorragende Bands, die die kulturelle Punk- und Metal-Szene mit ihrer Musik und Performance in Deutschland und speziell im Ruhrpott entscheidend geprägt haben. Das sind alles Originale und keine Kopie von der Kopie. Es war ein grandioser Abend, die Hütte war absolut voll und alle Leute hatten wahnsinnig viel Spaß. Der Schweiß und das Bier tropften von der Decke. Die Leute waren aus Italien, Schweiz, Österreich, Frankreich, England, Tschechien und aus ganz Deutschland gekommen. Die unglaubliche positive Stimmung gab mir die Kraft, 49 Stunden am Stück durchzuarbeiten. Ich zelebrierte die drei Gigs mit meinen Bands sowie zwei Gastauftritte bei den BOLLOCK BROTHERS und mit dem schottischen Dudelsackspieler Duncan McDonald vor der Eintrittsschlange, dazu kamen unzählige Stunden für die Auf- und Abbauarbeiten und die ganzen Orga. Insgesamt waren weit über 120 Künstler, Helfer, Techniker aktiv. Vielen Dank an alle!

Du hast schon 1972 zum ersten Mal auf der Bühne gestanden, wie hat das damals ausgesehen?
Wir hatten auf der Schule eine Theatergruppe namens „Frei nach Schnauze“, nach dem Vorbild der damaligen Kultserie „Ein Herz und eine Seele“. Wir überlegten uns ein Thema, zum Beispiel „Atomkraft? Nein danke“, und jeder improvisierte dann frei heraus seine Figur, ohne Textvorgabe oder Drehbuch. Ich war meistens der Sohn, der anders war als die anderen Kinder, und spielte mich selbst.

Im Frühjahr erscheint eure neue Single „Neverland“. Worum geht es im Titelsong?
Tiere sind die besseren Menschen! In „Neverland“ singe ich genau darüber: „The animals are my only friends ...“. Leider wird man bei seinen menschlichen Beziehungen immer wieder aufs Neue enttäuscht, extrem verletzt und auch verraten. Der Mensch ist einfach ein Egomane und zerstört aus Gier die Natur, die Tiere, die Meere und das Leben von unserem ganzen Planeten sowie jede Art von Kultur. Es gibt ein paar Freunde, die für mich im Notfall auch töten würden, und wenn es am anderen Ende der Welt wäre. Das ist schon etwas ganz Besonderes, aber im Großen und Ganzen fühle ich mich von der Menschheit völlig betrogen und lebe in meiner eigenen Welt. Tiere lieben dich auch, wenn du morgens nach Schweiß und Schnaps stinkst, sie lieben dich, wie du bist, und stehen immer zu dir. Ich könnte über ihre guten Eigenschaften ein ganzes Buch schreiben ... Der Mensch ist schon seit einiger Zeit von der Mentalität und Intelligenz her wieder in der Steinzeit angekommen, absolut erschreckend. Keine Werte, dafür immer mehr Hass, Neid, Zerstörung, Korruption ohne Ende, sinnlose Kriege mit menschenverachtenden Gräueltaten und Politiker, die sich nicht fürs Volk einsetzen, sondern nur noch für ihr eigenes Honorar und Wohlbefinden. Fuck off! Da gehöre ich lieber zur Gattung Schwein oder Hund und beiße sehr gerne, viele bunte Vögel habe ich auch.

Auf der neuen EP stellst du erneut deine Stimmgewalt und die Variationsbreite unter Beweis, die im Punk-Bereich doch schon ein gewisses Alleinstellungsmerkmal ist. Was ist die Voraussetzung? Wie viel Training ist notwendig?
Das kommt darauf an, was man ausdrücken möchte. Ich liebe auch die alten Platten von GG Allin. Da ist der Gesang dreckig, rotzig, kotzig. Wir hatten bei den IDIOTS auch immer solche geilen Songs, und das auch noch nach vierzig Jahren. Trotzdem hatten wir ja bereits auf unserer ersten Single mit „Mädchen mit den roten Haar’n“ ein Stück, in dem ich mehr gesungen habe und der schon damals Ohrwurmqualität hatte. Übrigens habe ich damals das R gerollt, da ich als kleiner Junge immer Zarah Leander gehört hatte. Ende der Achtziger habe ich gemerkt, dass ich mich stimmlich noch weiterbilden möchte, und später eine fünfjährige klassische Gesangsausbildung bei einer genialen Opernsängerin aus Essen gemacht. Die Vielseitigkeit lernst du da nicht, die muss aus dir selbst kommen, aber du lernst, deine Stimme zu trainieren. Damit die auf Tour nicht versagt. Ich habe weit über 120 Auftritte mit meinen Bands gespielt. Es gab aber auch andere Dinge, mit denen ich versucht habe, meine Stimme zu beeinflussen. Zum Beispiel mit Urin-Cocktails als Eigenurintherapie, übersetzt: die eigene Pisse gurgeln und trinken. Es gab auch Zeiten, da haben wir bei Drogen- und Alkoholexzessen Biergläser zerbissen, das gab auch blutige Stimmen ...

In beiden Songs der Single singst du über Punkrock. Was bedeutet er heute noch für dich? Hat es im Laufe der Jahrzehnte Veränderungen gegeben?
Punkrock ist und bleibt für immer meine Lebensideologie! Dafür lebe und sterbe ich. Für mich ist und bleibt Punk: rebellisch, anarchistisch, kritisch, frech, kreativ, neugierig und von einer zu anderen Sekunde immer wieder unberechenbar zu sein. Ein Aufschrei gegen jede Art von Korruption, Diktaturen, hinterhältige, mörderische und verlogene Staatsgewalten, Lügen zu hinterfragen und sich gegen Unterdrückung zu wehren. Man sollte nicht alles fressen, was einem vorgesetzt wird in dieser überwachten, digitalisierten, materialistischen Welt. Selbstverständlich gibt es immer wieder neue Ausdrucksformen, gerade auch sein äußerliches Erscheinungsbild, Videos, Fotos, Songs, womit man sich gegen diesen ganzen verlogenen Weltzirkus stellen und böse provozieren kann.

Bei der sehr gelungenen Coverzeichnung fehlt dieses Mal das Schwein ...
Das Schwein bekommt seine Titelrolle wieder bei unserem nächsten Album „König der Idioten“. Das Singlecover spiegelt die aktuelle Gefahr eines nuklearen Weltkriegs wider.

Wann kommt euer neues Album und wie geht es danach weiter?
Obwohl es schon im Januar 2022 aufgenommen wurde, erscheint es leider erst im Sommer 2023, da das Cover, das mit viel Aufwand gezeichnet wird, noch nicht fertig ist. Ab 29. September folgt dann unsere „40 Jahre Idiots Records“-Tour mit befreundeten Bands von unserem eigenen Label wie PHANTOMS OF FUTURE, KADAVERFICKER und DR. DEATH sowie immer einer regionalen Punk-, Indie- oder Metalband. Support the Underground! Ernie von „Krachmucker TV“ kommt als Moderator mit auf Tour. Das wird tierisch gut!

Ihr arbeitet an einer Dokumentation über die IDIOTS. Wie läuft es damit?
Wir sammeln seit Jahren Film- und Bildmaterial für unsere IDIOTS-Schwarzweiß-Doku. Da das ganze Material eh nach FSK 21 verboten werden würde, kommt sie wahrscheinlich gar nicht mehr heraus oder erst im Jahr 2100!

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THE IDIOTS Die Band aus Dortmund wurde 1978 gegründet und gehörte neben THE NEAT und CLOX zu den ersten Punkbands der Stadt. IDIOTS spielten zunächst eine Mischung aus Oi!- und Hardcore-Punk. Ihre erste 7“ „Der S04 und der BVB“ brachte die Band noch in Eigenregie heraus. Die erste LP „They Call Us: The Idiots“ erschien dann 1984 auf Mülleimer Records, ebenso wie die zweite Single „Emmy Oh Emmy“. Der Punkrock der IDIOTS war schon damals sehr abwechslungsreich. Offbeat-Klänge wurden ebenso verwendet wie auch Rap-ähnliche Sprechparts, wie bei der 1984er Version von „Mädchen mit den roten Haar’n“. IDIOTS spielten zahlreiche Gigs, unter anderem auch in Ungarn, und veranstalteten auch selbst welche in Dortmund, etwa ein Konzert für die „Aktion Sorgenkind“. 1987 kam das zweite Album „Cries Of The Insane“ auf We Bite. An den Drums hatte es einen Wechsel gegeben, der sich auch nachhaltig auf den Sound auswirkte. IDIOTS spielten hier einen Mix aus Punk, Hardcore und Thrash Metal. Auf dem dritten Album „Station Of Life“ – Bassistin Anne war zwischenzeitlich ausgestiegen ¬ überwog dann der Thrash-Metal-Anteil. Die Platte brachte die Band sogar in die Bravo, wo sie als „extremste Punkband Deutschlands“ bezeichnet wurde. Sänger Hannes stieg aus und beim letzten Album „Im Zeichen des Kreuzes“ von 1992 war nur noch Gitarrist Olaf von der Originalbesetzung übrig. Anschließend löste sich die Band auf, bevor sie von Hannes 2012 mit neuen Mitgliedern wiederbelebt wurde. Seitdem sind drei weitere IDIOTS-Alben erschienen, „Amok“, „Gott sei Punk“ und „Schweineköter“.