HYPNO5E

Foto© by Cyrielle Thélot

Kreisläufe

Es ist keine Musik für zwischendurch, die die Franzosen machen. Die Band um Sänger und Gitarrist Emmanuel Jessua hat sich den großen Themen und Musik epischen Ausmaßes verschrieben. Wir versuchen gemeinsam mit dem Musiker, etwas Licht ins Dunkel des neuen Albums „Sheol“ zu bringen.

Sheol“ wurde gerade veröffentlicht – kannst du das Konzept hinter „Sheol“ erklären und wie sich die ursprüngliche Bedeutung des Wortes auf die Idee hinter dem Album überträgt?

„Sheol“ folgt auf unser vorheriges Album „A Distant Dark Source“, aber es ist sowohl der Nachfolger als auch der Vorgänger, weil wir die beiden als ein Diptychon betrachtet haben. „A Distant Dark Source“ endete mit dem Stück „Tauca part II“, und ich dachte, wir würden den ersten Teil für das nächste Album aufheben. Als ich mir „A Distant Dark Source“ noch einmal anhörte, sagte ich mir, dass es immer noch Dinge zu sagen gäbe, dass es immer noch Bereiche gäbe, die wir nicht gänzlich erforscht hatten, sowohl musikalisch als auch in der Geschichte. Also sagte ich mir, dass es ein Prequel braucht, und da ich bereits begonnen hatte, viele Parts zu komponieren, haben wir die Aufnahmen direkt im Anschluss an die Tournee mit „A Distant Dark Source“ in Angriff genommen, wobei wir die Idee beibehielten, dass die beiden Alben miteinander kommunizieren und dieselben Gebiete durchqueren sollten. Sie erzählen von dem selben Raum, den Tauca-See, insbesondere das Stück „Tauca“, dessen zwei Teile auf beiden Alben zu finden sind. „Sheol“ ist ein hebräischer Begriff, der ein Jenseits bezeichnet, das weder Hölle noch Paradies ist. Es gibt dort sowohl schlechte als auch gute Menschen, und es ist auch kein statischer Ort, denn die Menschen können auch zurückkommen. Es ist ein unübersetzbarer Begriff und ich fand ihn interessant. Das Wort hat eine gemeinsame Etymologie mit „sha’al“, was „infrage stellen“ bedeutet. Ich sammelte all diese Elemente um die Idee eines Raums, des Umherschweifens, wo man in den Staub fällt, aus dem man aber auch wieder herauskommen kann und der nicht festgelegt ist. Ist es ein Raum, der die Erde umgibt, der oben und unten ist? Es gibt eine ganze Reihe von möglichen Interpretationen, die sehr gut zum Album passen.

Was ist die Hauptinspiration, die du aus dem ursprünglichen Konzept von „Sheol“ gezogen hast, und wie vertraut warst du damit vor der Arbeit an diesem Album?
Ich bin nicht gläubig, aber ich war schon immer fasziniert von Gedanken und Motiven, die einen Bezug zur Liturgie haben. Da ich in Südamerika, in Bolivien und Mexiko aufgewachsen bin, war ich sehr berührt und fasziniert von der Art und Weise, wie Religion zu einem Vektor einer sehr starken Vorstellungskraft werden kann. Was mich interessierte, war die Darstellung von Gottheiten, Teufeln, Figuren oder Szenen, vor allem in Kirchen, die in Südamerika sehr verbreitet sind, aber auch im Karneval, zum Beispiel in Oruro in Bolivien, wo eine Form von Synkretismus zwischen prähispanischen Glaubensvorstellungen und der katholischen Religion existiert, in einer Form von sehr ästhetischem, barockem Chaos. Die Bildsprache der Religion interessiert mich, und sie ist in der Tat eine Inspirationsquelle, aber mehr als Motor der Fantasie, denn als wirkliche Überzeugung. Ich bin Atheist, aber ich erkenne an, dass mich die liturgische Vorstellungskraft inspiriert, unabhängig vom Glauben. Außerdem erkunde ich in Ländern wie Bolivien, die meine Kreativität grundlegend inspiriert haben, die Präsenz der Religion, sie scheint dort tief in der kollektiven Vorstellungskraft verankert zu sein. Der Aufbau unseres Diptychons ist in der Tat als ein Kreis konstruiert, „Sheol“ endet, wo „A Distant Dark Source“ beginnt, und „Distant“ endet, wo „Sheol“ beginnt. Die Konstruktion der beiden Alben ist in der Tat ein Kreis. In Form des Mythos von Sisyphos ist die Reise der Figuren in den beiden Alben ein endlos wiederkehrender Zyklus, zwischen Apokalypse und Übergang in die Welt der Toten in „Sheol“ und Postapokalypse und Wiedergeburt in „A Distant Dark Source“. Wenn wir uns das Finale von „Slow steams of darkness“ anhören, können wir die Reminiszenzen an die Schreie hören, die „On the dry lake“ auf dem vorherigen Album eröffnen. Es gibt auch entfernte Stimmen, die auf beiden Scheiben zu hören sind. Dieses Diptychon hat also weder einen wirklichen Anfang noch ein wirkliches Ende, daher die Entscheidung, zuerst „A Distant Dark Source“ zu veröffentlichen, das sowohl die Fortsetzung von „Sheol“ als auch dessen Anfang ist.

Wie beeinflusst es das Songwriting, wenn man eine Geschichte zu erzählen hat? Drängt sie euch an Orte, an die ihr vielleicht nicht gegangen wärt, die ihr aber für das Gesamtkonzept des Albums für notwendig haltet?
In Wahrheit kommt das Konzept eines Albums erst am Ende. Wenn ich komponiere, ziehe ich es vor, mich von jeder Vorgabe oder Richtung zu befreien. Die Musik darf nur von Gefühlen diktiert werden, oder von einer Beziehung zur Gegenwart, zur Vergangenheit, einem Gefühl, das ich nicht beherrschen oder interpretieren will. So erzähle ich mir eine Geschichte, die mir entgeht. Und wenn ich das Ergebnis dieser Arbeit höre, dann erkenne ich auch eine Dramaturgie, und ich konzipiere das Ganze, indem ich diese Musik zu einer Erzählung zusammensetze. Sie trägt also natürlich viele verschiedene Dinge in sich, und das Konzept bleibt zweitrangig, ihr Wesen ist eher abstrakt, so dass sie außerhalb des Konzepts in jedem an einer anderen Stelle mitschwingen kann. Das Konzept und die Erzählung werden bei der Erstellung des Rahmens in die Komposition eingefügt, als ob das Ganze ein Skript wäre, und schaffen eine Verflechtung zwischen dem Chaos der einzelnen Stücke.