Eine Beschäftigung mit den HOT SNAKES führt über dreißig Jahre zurück in die (Post-)Hardcore-Szene von San Diego. 1986 gründeten John „Speedo“ Reis, Jahrgang 1969, und Rick Froberg, Jahrgang 1968, mit PITCHFORK ihre erste gemeinsame Band, die bis 1990 Bestand hatte. Zwei neue Bands entstanden, zum einen DRIVE LIKE JEHU, wo Reis und Froberg bis 1995 (und erneut von 2014 bis 2016) weiterhin gemeinsam Musik machten, und ROCKET FROM THE CRYPT, die über anderthalb Jahrzehnte bis zur (vorübergehenden) Auflösung 2005 zu einer weltweit gefeierten Kultband wurden, deren Reunion ab 2011/2013 von den Fans entsprechend begeistert gefeiert wurde.
Noch zu RFTC-Zeiten kreuzten sich die Wege von Reis (gt, voc) und Froberg (voc, gt) erneut, 1999 gründeten sie die HOT SNAKES und veröffentlichten auf Reis’ Label Swami Records die drei Studioalben „Automatic Midnight“ (2000), „Suicide Invoice“ (2002) und „Audit In Progress“ (2004, alle kürzlich von Sub Pop neu aufgelegt), 2005 war wieder Schluss, 2011 dann die Reunion, aus der nun 2018 mit „Jericho Sirens“ via Sub Pop endlich auch ein neues Album hervorging. Während Reis schon immer gerne auf mehreren Hochzeiten gleichzeitig tanzte, scheint Froberg ein Mann klarer Verhältnisse zu sein: seine Band OBITS, die seit Gründung 2006 drei Alben veröffentlicht hatte, wurde 2015 aufgelöst. Reis hingegen war über die Jahre auch mit SULTANS und THE NIGHT MARCHERS aktiv. Das Line-up der neuen, alten HOT SNAKES besteht aus den Gründungsmitgliedern, neben Reis und Froberg also Gar Wood (bs) und Jason Kourkounis (auch THE DELTA 72, 1994-2000), wobei die Drummer-Position der „neuen“ HOT SNAKES bisweilen auch von Tausendsassa und San Diego-Szene-Veteran Mario Rubalcaba ausgefüllt wird.
Als die HOT SNAKES in ihrem „ersten Leben“ auf den Plan traten, begeisterten sie speziell durch ihre klangliche Verbeugung vor den Portland-Überhelden WIPERS. Die WIPERS hatte damals keine andere Band mehr auf dem Schirm, was sich in den folgenden Jahren wohl auch durch den unterschwelligen Einfluss der HOT SNAKES änderte – irgendwann hatte gefühlt jede zweite Band dieses Bass-Bollern und die Greg Sage-Gitarre aufgegriffen –, damals waren die HOT SNAKES noch ziemlich allein in ihrer Ehrerbietung. Bis zur ersten Auflösung 2006 veröffentlichten sie die oben erwähnten drei Studioalben, eine Peel-Session und das Live-in-Australien-Album „Thunder Down Under“. Ich hatte im Vorfeld der Albumveröffentlichung Gelegenheit, nacheinander mit John Reis und Rick Froberg zu sprechen.
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John „Speedo“ Reis
John, ich erinnere mich noch, wie ich 1991 in meinem damaligen Nebenjob bei Fire Engine Distribution Kisten mit DRIVE LIKE JEHU- und PITCHFORK-Platten auspackte. Irgendwie war das spannend, andererseits hörten viele Leute damals noch klassischen Hardcore und ihr wirktet wie Aliens, wart schon „Post-Hardcore“.
Keine Ahnung, was wir damals machten, gefühlt waren wir einfach nur eine Garage-Band und spielten unsere Musik. Dass wir uns vom klassischen Hardcore entfernt hatten, hatte sicher etwas damit zu tun, dass die Hardcore-Szene in San Diego damals sehr gewalttätig geworden war. Es gab durchaus ein paar gute Bands, doch die Leute gingen damals nicht wegen der Musik auf Konzerte, sondern nur um sich zu prügeln. Vermutlich wollten wir uns deshalb auch musikalisch von dieser Szene distanzieren, nicht dazugehören. Und das ging nicht nur uns so, sondern auch vielen befreundeten Bands.
So gesehen hatte die negative Szene-Entwicklung auch ihr Gutes: sie trieb euch kreativ in eine neue Richtung.
Schon. Mit PITCHFORK hatten wir so 1986/87 angefangen, und damals hatte Hardcore auch begonnen, sich in eine metallischere Richtung zu entwickeln. Die Szene bei uns bestand eher aus Straight-Edge-Bands, und es gab eine ganze Menge Jock-Bands, weißt du, eher so Macho-Rock-Typen. Da wollten wir nicht dazugehören. Wir waren einfach nur Kids.
Anfangs habt ihr auf Nemesis veröffentlicht, einem zwar durchaus coolen Label, auf dem es aber ja auch Bands wie jene gab, die du als nicht so cool empfandest.
Ein paar schon, andere waren die Bands guter Freunde. Vor allem aber war Frank, der das Label machte, ein guter Freund, der uns immer unterstützt hat. Hätte er unsere Platten nicht veröffentlicht, hätte es keiner getan. Und wenn du jung bist und in einer Band, und da kommt einer und „Hey, ich mache eine Platte mit euch“ sagt, dann kannst du das gar nicht glauben, es ist das Größte. Zudem waren wir in San Diego auch gar nicht Teil einer bestimmten Szene, es gab damals eine Menge Bands, die einfach nur ihr Ding machten, und keine klang wie die andere. Wir hatten alle einen Background in Punk und Hardcore und machten einfach Musik, und auch wenn die dann anders klang, gehörte das für uns doch immer noch alles zusammen. Unsere Einstellung verband uns, es ging nicht darum, irgendwelche Regeln zu befolgen.
Wie muss ich mir euer Umfeld vorstellen? Wart ihr Punk-Kids aus der Innenstadt oder trifft da das Klischee zu von Jungs aus den endlosen Einfamilienhaussiedlungen der Vorstädte, die in einer Garage proben?
Ja, wir waren alle Mittelklasse-Kids aus strandnahen Suburbs. Der Strand spielte immer eine wichtige Rolle, und Skateboarding, BMX-Fahrräder und was immer einem an Klischees einfällt. Wir waren einfach nur Kids und hatten eine wirklich großartiges Leben. Es gab eigentlich nichts, worüber wir uns hätten beklagen können. Und als ich dann Punk entdeckte, wurde das meine neue Identität. Punk half mir, mich in einer Weise auszudrücken, wie es mir vorher nicht möglich gewesen war. Doch nun hatte ich diese Möglichkeit auszudrücken, wie ich mich fühlte. Ich bin mir sicher, das ging und geht vielen anderen ganz genauso. Plötzlich bist du Punk, du bist jetzt ein Außenseiter, du musst vorsichtig sein, besser immer zweimal über die Schulter schauen, und wenn es irgendwo Ärger gibt, stehen die Chancen gut, dass du dafür verantwortlich gemacht wirst. Du musst den Ärger nicht suchen, er findet dich, haha.
Hatte eure Szene einen festen Treffpunkt?
Ja, wir, unsere Freunde und gleichgesinnte Bands trafen uns in einem All-Ages-Club namens Ché Café an der University of San Diego. Es ist eine Art gesetzloser Ort, wo wir Kids treiben konnten, was wir wollten. Hier konnten wir einfach nur wir selbst sein, uns weiterentwickeln und wachsen. Dass es so einen Ort gab, war essentiell dafür, dass sich von dort ausgehend in den späten Achtzigern so viele Bands entwickeln konnten.
Wie und wo hast du Rick Froberg kennen gelernt, mit dem du ja bis heute zusammen Musik machst? Ihr seid ja länger „zusammen“ als viele Paare.
Bei einem Anarchisten-Treffen in einem Park stießen wir das erste Mal aufeinander, da trafen sich Punks und andere politisch interessierte Leute. Es gibt bei uns irgendwie eine Kontinuität, aber ich kann das auch nicht genau erklären. Mit jeder Band haben wir versucht, irgendwas besser zu machen. Und obwohl Rick heute in New York lebt und ich in San Diego, obwohl ein ganzer Kontinent zwischen uns liegt, verbindet uns kreativ irgendetwas. Wir treffen uns, jeder hat ein paar Songs geschrieben, und innerhalb von drei, vier Tagen mit der Band, in denen wir uns intensiv der Musik widmen, entsteht dann Neues. Er schreibt die Texte zu allem. Es gibt keine Regeln, wir haben einfach unseren Workflow.
Was verbindet euch? Oft stellt man ja fest, dass einen mit alten Freunden eher Erinnerungen verbinden als die Gegenwart. Verbindet euch nur die Musik?
Natürlich nicht! Es ist mehr als die Musik.
Aber eben auch die Musik. Auch da verändern sich die Menschen, die einen sind aufgeschlossen gegenüber Neuem, die anderen hören nur noch die alten Metalbands ihrer Jugend.
Wir beiden empfinden es immer noch als aufregend, zusammen Musik zu machen, sehen die Herausforderung, immer besser zu werden in dem, was wir tun.
Nun seid ihr wieder mit den HOT SNAKES zusammen aktiv. Warum gerade die HOT SNAKES, warum ein neues Album?
Die HOT SNAKES sind, glaube ich, seit 2012 wieder aktiv. Wir spielten ein paar Shows, und ziemlich schnell kam die Idee auf, doch wieder ein neues Album zu machen. Von all den Bands, die ich mal hatte, war bei den HOT SNAKES das Gefühl am stärksten, dass da noch einiges unerledigt geblieben ist. Außerdem empfinde ich die Musik der HOT SNAKES als die „gegenwärtigste“. Mit DRIVE LIKE JEHU Konzerte zu spielen machte Spaß, aber es reizte mich nicht, da an neuen Songs zu arbeiten. Bei HOT SNAKES passte das besser, das stimmt mehr mit dem überein, was ich heutzutage für Musik machen will. Die repräsentieren viel mehr meinen aktuellen Musikgeschmack. Eine neue HOT SNAKES-Platte zu machen, bedeutete nicht, dass ich mich bewusst in eine Situation, in längst vergangene Emotionen hineinversetzen musste, um wieder in einer bestimmten Weise Musik zu machen. Es fühlte sich ganz normal und gegenwärtig an. Wir redeten dann zwar lange darüber, die Platte zu machen, doch als wir dann mal einen passenden Termin gefunden hatten, ging alles sehr schnell.
DRIVE LIKE JEHU werden von vielen als legendäre Band angesehen, dennoch sind oder waren die ja eher so ein „Revival-Ding“, wohingegen HOT SNAKES im Hier und Jetzt existieren.
Exakt. HOT SNAKES repräsentieren viel mehr meinen heutigen Musikgeschmack. Ich muss mich nicht verstellen, um diese Musik zu machen, ich muss nicht groß nachdenken.
Neulich las ich einen Artikel über die veränderten Musikhörgewohnheiten speziell in den USA: Rockmusik ist auf dem Rückzug, R&B und HipHop sind weiter auf dem Vormarsch. Letzteres ist die Musik der Jungen, Rock ist für die Alten.
Alles geht den Bach runter! Aber egal, was soll’s, das ist nicht mein Problem. Wenn wir beide – ich glaube, wir sind ungefähr gleich alt – auf ein Konzert gehen, wie viele Leute sind da typischerweise? Dreißig, fünfzig, hundert? Und wie viele waren das früher? Auch nicht mehr! Vielleicht muss unsere Musik wieder für eine Weile im Underground verschwinden, na und? Abgesehen davon finde ich, dass es immer noch eine Menge verdammt guter Musik gibt im Gitarrenbereich, wie auch immer man das Genre dann nennen will. Und vor allem gibt es auch viele großartige neue Bands. Die verkaufen sich nicht so gut wie Pop-Bands? Na und, warum sollten sie? Ich sehe da kein Problem, sondern so ist das eben. Ich erwarte ja auch nicht, dass wir eine relevante Menge Platten verkaufen, es interessiert mich nicht. Und ich höre mir auch nur Musik an, die meinen Ohren schmeichelt.
Ich hoffe, das trifft dich jetzt nicht, aber als du im Sommer 2017 mit ROCKET FROM THE CRYPT auf Europatour warst, kamen zur Show in Düsseldorf gerade mal 200 Leute – ich hatte mit der dreifachen Menge gerechnet angesichts der Tatsache, dass RFTC als legendäre Band gelten.
Ich kann das nicht an mich ranlassen. Ich kann einfach nur weiterhin Musik machen, die mich begeistert, ich kann nichts anderes tun, als mitreißende Shows zu spielen und das Publikum jeden Abend damit zu „killen“. Meine Musik, die kann ich kontrollieren, alles andere nicht. Es ist mir egal. Natürlich liebe ich es, Konzerte zu spielen, nach Deutschland zu kommen, und ich wünschte mir, es wäre öfter möglich, aber ich kann mich auch nicht zerreißen. Ich kann nicht anfangen zu überlegen, was ich tun müsste, damit mehr Leute meine Musik mögen, mehr zu meinen Konzerten kommen. Wenn du anfängst, dir solche Fragen zu stellen, bist du eigentlich schon tot.
Du bist bei ROCKET FROM THE CRYPT ein sehr extrovertierter Frontmann, es ist eine große Show. Bei HOT SNAKES ...
... ist das was ganz anders. Die Energie ist eine ganz andere, wir gehen einfach auf die Bühne und spielen. Es ist eher wie bei den NIGHT MARCHERS.
Apropos: Was ist mit denen passiert?
Wir haben einfach schon ewig keine Konzerte mehr gespielt. Aufgelöst sind sie nicht.
Wer über die HOT SNAKES schreibt, erwähnt meist die WIPERS als Referenz. Bist du damit einverstanden?
Die WIPERS sind seit über dreißig Jahren eine meiner Lieblingsbands, wie könnte ich also nicht glücklich darüber sein, mit Greg Sage verglichen zu werden, einem meiner Lieblingsgitarristen? Johnny Ramone ist übrigens ein weiterer, oder Michael Yonkers ...
Was macht diesen WIPERS-Sound aus, den man auch bei euch findet?
Hm, also ich versuche nicht bewusst, Greg Sages Gitarrensound nachzumachen, es hat eher was mit dem Rhythmus zu tun. Und Sage machte irgendwas mit den Leads, das heißt es ist eigentlich kein Lead, sondern ein Rhythmus. Eine Note verändert sich im Rhythmus mit den Grundnoten der Akkorde. Keine Ahnung, ob das eine WIPERS-Spezialität war, es ist meine Interpretation, was diesen speziellen Sound ausmacht. Außerdem ist Greg Sage ein fantastischer Songwriter. „Over The Edge“ ist eine meiner absoluten Lieblingsplatten, die habe ich schon so oft gehört ...
Weißt du, was Greg Sage heute macht?
Ich glaube, der wohnt immer noch in Phoenix, Arizona. Immer wieder hört man irgendwelche Gerüchte, er würde dies oder jenes tun, aber da war nie irgendwas dran. Ganz zu Beginn kam er mal zu einer ROCKET FROM THE CRYPT-Show, 1991 oder so, und das war das einzige Mal, dass ich ihn getroffen habe. Ich kann also nicht behaupten, dass ich ihn kenne, aber wir haben gemeinsame Freunde und ich lasse ihm auf diesem Wege meine Platten zukommen, um ihm zu zeigen, wie wichtig seine Musik für mich ist.
Was man im Song „Death of a sportsman“ auf eurem neuen Album mal wieder hört, denn da zitierst du „Youth of America“.
Haha, stimmt. Ein kleiner Joke.
Ansonsten stecken da auch SUICIDE drin.
Ja, eine weitere meiner Lieblingsbands.
„Death of a sportsman“ ist einer von drei Songs mit dem Wort „death“ im Titel.
Da musst du Rick fragen ...
Er ist also der „Titel-Mann“. Wie habt ihr die Jobs aufgeteilt?
Also ich denke mir die Grundzüge der Musik aus, bei den Proben arbeiten wir dann gemeinsam an den Arrangements, und Rick schreibt die Texte.
Im Vorfeld des neuen Albums sind die drei HOT SNAKES-Studioalben, damals auf Swami erschienen, auf Sub Pop neu aufgelegt worden. Was ist aus Swami Records geworden, deinem Label, das eine ganze Weile ja recht aktiv war?
Sub Pop ist einfach besser für die Band. Die haben bessere Kontakte, bessere Promotion, und das hilft uns definitiv, wenn wir Shows in Europa spielen wollen. Die haben für alles ihre Leute, während Swami nur ich alleine bin. Ich empfinde das also nicht als Niederlage, die Platte nicht auf meinem Label zu machen. Ich kann jetzt auch einfach mal nur der Gitarrist der HOT SNAKES sein und muss nicht gleichzeitig noch die Rolle des Labelchefs ausfüllen. Und ich hoffe jetzt einfach mal, dass es gut läuft, denn die neue Platte ist super. Ich bin gespannt auf die Reaktionen. Und ich hoffe auch, dass es im Sommer mit ein paar Shows in Europa klappt.
Ich wäre ein schlechter Journalist, würde ich dich bei dieser Gelegenheit nicht nach ROCKET FROM THE CRYPT fragen. Also, was geht?
Also mit den HOT SNAKES haben wir sechs Jahre an der neuen Platte gearbeitet, und da finde ich, dass das auch ein guter Zeitraum für „Rocket“ ist. Soll heißen: Ende des Jahres werden wir mit einem neuen Album beginnen. Aber wir spielen ja immer wieder Konzerte, Ende 2017 waren wir in Großbritannien und es war eine unserer besten Touren dort überhaupt.
Kommt ihr in manchen Ländern besser an als in anderen?
Hm, eine schwere Frage ... In den USA läuft es insgesamt schon am besten, also von den Besucherzahlen her. Aber es gibt überall Menschen, die unsere Musik zu schätzen wissen. Und nur weil mehr Menschen bei einer Show sind, ist die ja nicht unbedingt besser. Es sind immer einzelne Momente, die eine Show besonders machen.
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Rick Froberg
Rick, mit John sprach ich eben über seine Aktivitäten außerhalb der HOT SNAKES. Da wären bei dir OBITS zu erwähnen – oder nicht?
Wir haben uns aufgelöst. Wir haben drei Platten gemacht und irgendwann war es dann einfach an der Zeit aufzuhören. Wir sind aber immer noch Freunde. Und das Ende der OBITS korrespondierte dann ganz gut mit den neuen Aktivitäten der HOT SNAKES.
John und du wart immer in Kontakt, wie er mir erzählte, aber warum nun ein neues HOT SNAKES-Album?
Weil wir großartige Musik haben, weil wir beide das Gefühl hatten, mit dieser Band ein neues Album machen zu können, das in die Zeit passt. DRIVE LIKE JEHU etwa fühlten sich einfach nicht wie eine Band an, mit der wir ein neues Album hätten aufnehmen wollen, obwohl uns die Konzerte ja Spaß machten. Es hätte sich irgendwie überholt angefühlt. Die anderen in der Band hatten auch zwanzig Jahre nicht in einer Band gespielt, da sahen wir keine Basis. Bei HOT SNAKES ist das anders, wir sind alle aktive Musiker. Und uns gefällt die Ästhetik der Band auch einfach besser, die Herangehensweise ist viel direkter und gleichzeitig waren wir in kreativer Hinsicht viel freier, als ich das wohl mit DRIVE LIKE JEHU empfunden hätte.
Du bist gerade fünfzig geworden. Ich sprach mit John eben darüber, dass mancher in diesem Alter sich mit der Musik, den Bands seiner Jugend am wohlsten fühlt. Wie ist das bei dir?
John und ich genießen beim Musikmachen den Moment, mit Nostalgie hat das alles gar nichts zu tun. Ich bin nicht nostalgisch und die meisten Platten, die ich in meiner Teenagerzeit gehört habe, höre ich mir heute nicht mehr an. Andere Platte aus jener Zeit höre ich mir aber durchaus an. Bei der Musik, die wir heute spielen, ist keine Nostalgie mit im Spiel. Für Menschen, die die Musik hören, mag das ja so sein, und das ist auch okay. Wir sind eine absolut aktuelle, gegenwärtige Band. Und John und ich, wir machen einfach das, was wir schon immer getan haben und noch ewig tun werden: wir spielen zusammen in einer Band.
Was gibt es dir, auf einer Bühne zu stehen und zu spielen?
Auf einer Bühne zu stehen und Musik zu machen ist so ziemlich das Beste, was man angezogen tun kann, haha. Es geht nichts über die Energie, die eine Band wie die HOT SNAKES auf der Bühne entfesselt. Da flattern dir die Hosenbeine! Irgendwas macht so ein Konzert mit dir, dass du alleine nicht hinbekommst. Kann sein, dass das ein High ist, wie es auch Sportler empfinden. Außerdem gibt es mir etwas, das ich anderswo nicht bekomme: Ich kann auf der Bühne herumrennen und schreien, auf der Straße kann ich das nicht tun.
Musik ist Kunst, du bist aber auch als bildender Künstler tätig. Was machst du da?
Das ist überhaupt nicht vergleichbar. Die Musik ist etwas sehr Körperliches, du stehst vor vielen Leuten, du interagierst mit anderen. Als Illustrator hingegen sitze ich allein vor meinem Computer oder einem Blatt Papier, das ist eine einsame Tätigkeit. Es ist mein Job, den ich liebe, aber nein, es ist mit der Musik überhaupt nicht vergleichbar, auch nicht, wenn ich hin und wieder eine Ausstellung habe. Das Körperliche fehlt völlig. Und die Idee, dass mir bei meiner Arbeit als Illustrator jemand zuschaut, fände ich sogar höchst beunruhigend.
Das Artwork des Albums stammt auch von dir?
Ja, also das Design, nicht die Fotos. In der Band hat jeder seine Aufgabe, und meine ist eben die Gestaltung von Platten, T-Shirts, Anzeigen und so weiter. Und es macht mir Spaß. Das ist mir auf jeden Fall lieber, als mich um die Finanzen zu kümmern, haha.
Mit John sprach ich eben über die WIPERS. Welche Beziehung hast du zu denen?
Ich mag die natürlich, wie jeder in der Band. Als wir damals anfingen, waren wir ja ganz offenkundig massiv von denen beeinflusst, aber mittlerweile gibt es so viele andere Einflüsse. Wir sind längst über den Punkt hinaus, als wir nur ein WIPERS-Derivat waren, wir klingen heute echt nicht mehr so stark nach denen. Was nichts daran ändert, dass wir die lieben.
Habt ihr jemals einen WIPERS-Song gecovert?
Nein, das haben wir noch nie gemacht und ich glaube auch nicht, dass das je passieren wird. Ich finde, wenn man einen Song covert, muss man ihn verändern, sich ihn irgendwie aneignen. Das eine Stück, das wir mit HOT SNAKES mal gecovert haben, ist ein GOVERNMENT ISSUE-Song für ein Tony Hawk-Skateboard-Video. Der wollte von uns eine klassischen Punk-Nummer, also nahmen wir den GOVERNMENT ISSUE-Song „Time to escape“ auf, aber unser Cover war definitiv nicht besser als das Original. Dann haben wir noch ein Stück von den Australiern X gecovert, „Revolution“, für die australische Version einer Platte, und wir haben mal einen BIG BOYS-Song gespielt, „Red/green“. Das ist es aber auch schon, andere Coversongs haben wir nicht gespielt. Irgendwie interessiert uns das nicht. Mal ehrlich, wer will uns dabei zusehen, wie wir die WIPERS covern? Irgendwie machen Coversongs zwar Spaß, aber speziell im Falle der WIPERS klauen wir lieber von denen, als sie zu covern.
Ich bin beeindruckt, dass du die Coversongs so locker aufzählen konntest.
Es sind ja nur drei! Bei den OBITS-Coversongs fiele mir das schwerer, wir haben viel gecovert. Zum Beispiel „City is dead“ von THE KIDS, das haben wir extrem langsaam gespielt und total verändert, ich fand das Ergebnis cool. Ich finde, wenn man covert, muss man das Lied verändern, denn das Original ist in der Form immer besser.
Haben deine Texte speziell etwas mit der Band zu tun, für die du sie schreibst? Oder schreibst du die einfach?
Letzteres. Die sind einfach nur meine Gedanken, von den anderen mischt sich da keiner ein. Es sind persönliche Texte, nur ich kann die Welt durch meine Augen sehen, verstehst du? Ich kann nicht aus der Sicht von anderen schreiben, es gibt keine Texte aus der Bandperspektive. Ich habe mal versucht, politische Texte zu verfassen, den Versuch dann aber bereut. Und ich würde auch niemandem mit meiner politischen Meinung vor den Kopf stoßen wollen. Bei der Band soll es nicht um Politik gehen, ich habe ja selbst keine Lust auf Bands, die mir irgendwas predigen. Wenn ich so was bei Konzerten erlebe, denke ich mir jedes Mal, was zur Hölle soll das? Es geht um Rock’n’Roll und nicht um eine politische Kampagne.
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Diskografie
HOT SNAKES (Rick Froberg, John Reis, Gar Wood, Jason Kourkounis): „Automatic Midnight“ (LP/CD, Swami, 2000) • „Suicide Invoice“ (LP/CD, Swami, 2002) • „Audit In Progress“ (LP/CD, Swami, 2004) • „Thunder Down Under“ (LP/ CD, Swami, 2006) • „Jericho Sirens“ (LP/CD, Sub Pop, 2018) • PITCHFORK (Rick Froberg, John Reis): „Eucalyptus“ (LP/CD, Nemesis, 1990) • DRIVE LIKE JEHU (Rick Froberg, John Reis): „s/t“ (LP/CD, Cargo/Headhunter, 1991) • „Yank Crime“ (LP/CD, Interscope/Headhunter, 1994) • ROCKET FROM THE CRYPT (John Reis): „Paint As A Fragrance“ (LP/CD/MC, Headhunter, 1991) • „Circa: Now!“ (LP/CD/MC, Headhunter, 1992) • „Hot Charity“ (LP, Perfect Sound, 1995) • „Scream, Dracula, Scream!“ ( LP/CD, Interscope, 1995) • „RFTC“ (LP/CD, Interscope, 1998) • „Group Sounds“ (LP/CD, Vagrant, 2001) • „Live From Camp X-Ray“ (LP/CD, Vagrant, 2002) • „R.I.P.“ (CD/DVD, Vagrant, 2008) DELTA 72 (Jason Kourkounis): „The R&B Of Membership“ (LP/CD, Touch And Go, 1996) • „The Soul Of A New Machine“ (LP/CD, Touch And Go, 1997) • „000“ (LP/CD, Touch And Go, 2000) • SULTANS (John Reis): „Ghost Ship“ (LP/CD, Swami/Sympathy For The Record Industry, 2000) • „Shipwrecked“ (CD, Swami, 2004) • OBITS (Rick Froberg): „I Blame You“ (LP/CD, Sub Pop, 2009) • „Moody, Standard And Poor“ (LP/CD, Sub Pop, 2011) • „Bed & Bugs“ (LP/CD, Sub Pop, 2013) • NIGHT MARCHERS (John Reis, Gar Wood, Jason Kourkounis): „See You In Magic“ (LP/CD, Vagrant, 2008) • „Allez! Allez!“ (LP/CD, Swami, 2013)
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