Was machen eigentlich ... HEITER BIS WOLKIG? Die Neunziger hindurch war die Comedytruppe aus Köln Dauergast in den Clubs und AZs des Landes, mit einem klamaukig-engagierten Programm, das politisch klar im links-anarchistischen Lager angesiedelt war, aber nicht auf unlustige Agitation, sondern auf freche Unterhaltung setzte. CDs entstanden, ein erfolgreiches Video (auf VHS natürlich), und mit „Hey Rote Zora“ hatten sie auch einen musikalischen Szenehit, der klar auf die feministisch-linksradikale Aktionsgruppe aus den Siebzigern Bezu nahm. 2002 war es aus mit HbW, seit diesem Jahr aber sind sie wieder aktiv, und ich fragte den „Chef“ Marco Gödde, wie es dazu kam.
Wie kommt es, dass HEITER BIS WOLKIG 2012 erstmals seit 2002 wieder unter dem alten Namen auf der Bühne stehen?
Der Hintergrund ist einfach erklärt: Das alles hatte sich in den 15 Kernjahren von 1987 bis 2002 und vor allem in den Jahren zwischen 1999 und 2002 ziemlich abgenudelt, wir waren ja ziemlich jung, als wir in den Achtzigern angefangen hatten mit dieser schrägen Art von Punk-Comedy, und der Zeitgeist hatte uns irgendwie überholt. Der Bock war weg und auch die privaten Lebensmittelpunkte hatten sich verschoben. Ich weiß nicht, ob das jetzt als eine Art von Midlifecrisis zu werten ist, aber wir haben 2012 das erste Mal wieder das Gefühl, gehörig was zu sagen zu haben, und das treibt uns ins Studio und auf die Bühne. Das kommt also von innen. We are on a mission! Allerdings kümmern wir uns jetzt das erste Mal in unserer History auch verstärkt um Internet-Attacke, YouTube-Videos und so weiter. Wir machen übrigens künstlerisch so gut wie alles selbst, texten, setzen um, Micha macht die Visuals, schneidet die Videos und so. Die Musik kommt von Christophe und Tobias, zwei alten Komponisten-Kumpels.
Wer von damals ist dabei, wer nicht mehr?
Micha und ich sind übrig geblieben, wir sind ja Ur-HBW und haben damals mit meinem Zwillingsbruder Marcell zusammen immer schon alle Texte geschrieben. Wir sind jetzt also ein Hardcore-Duo. Angefangen hatten wir 1982 mit circa 16 Mitgliedern, 1986, bei der Umbenennung zu HEITER BIS WOLKIG, waren wir ungefähr zu acht, und seit 1988 zu viert: Micha, ich und Marcell sowie damals noch Wolli, den wir 1994 rauswerfen mussten. Ersetzt wurde der dann abwechselnd von Christoph und Wuschel. Marcell war, wie gesagt, bis 2002 dabei, dann 2006, bei dem Ratten-Projekt, aber schon nicht mehr aktiv.
Richtig, zuletzt warst du mit den ROTEN RATTEN unterwegs. Warum jetzt wieder der alte Name?
Na ja, die ROTEN RATTEN waren nie HEITER BIS WOLKIG, es war ein Bandprojekt, das Micha zusammen mit Berny aus seinem alten DR. SOMMER-Sideproject zusammengestellt hatte. Ich war bei den Ratten eigentlich auch nur so ein singender Gast, das haben wir nicht wirklich künstlerisch ernst genommen. Es war vom Gefühl her spannend, die HEITER BIS WOLKIG-Songs mit einer Punk-Combo zu performen, hatte aber nie den speziellen Punk-Comedy-Spirit von HEITER BIS WOLKIG, der ja damals jahrzehntelang unser Leben dominiert hatte.
In den Neunzigern wart ihr ziemlich erfolgreich und auch einzigartig. Seitdem hat sich keiner mehr an so was wie „Punk-Comedy“ oder „Punk-Kabarett“ versucht. Hast du eine Idee, warum ein so nahe liegendes Konzept sonst keiner aufgreift? Worin liegen die Schwierigkeiten und Besonderheiten, gerade auch der Zielgruppe? Ich erinnere mich an fiesen Ärger seinerzeit ...
Ob wir erfolgreich waren, weiß ich nicht. Geld haben wir damals auch nie verdient, und immer mehr ausgegeben, als reingekommen ist. Aber viele Leute kannten uns und wir waren ja auch Ausdruck eines eigenartigen Zeitgeistes. Obwohl ich der Meinung bin, dass die meisten eher von uns gehört hatten und haben, als uns wirklich zu kennen. Da kommt dann immer diese Frage: Wo ist denn eure Band? Und ich antworte: Ey, Alter, wir machen seit 1982 abgedrehte Halbplayback-Shows, mit Band waren wir nur total selten unterwegs. Tja, warum das sonst keiner macht, weiß ich nicht, geil finde ich auf jeden Fall, dass nur wir in Deutschland so was machen und jemals gemacht haben. Darüber definieren wir uns auch. Und wir werden das jetzt perfektionieren, das sage ich dir ... Dass keiner so was macht, liegt auch daran, dass du in erster Linie Kabarettist sein musst, also vom Text und der Message her arbeiten, und dich auch eher als Bühnendarsteller denn als Musiker verstehen musst, um so einen queren Schwachsinn performen zu können. Vorgänger gab es in den Siebzigern/Achtzigern übrigens mehrere, für uns stilbildend waren zum Beispiel „Die drei Tornados“ aus Berlin, aber Punk war das auch nicht, Punk als Lebensgefühl war und ist unsere Comedy-Attitüde ... Man hat uns übrigens schon damals offensichtlich immer ernster genommen, als wir das alles gemeint haben, gerade die radikalen Splittergruppen neigen ja dazu, ihre Probleme in einen hineinzuprojizieren. Hey Leute, wir machen Musikkabarett und sind keine Propagandamaschinisten ...
Was ist von euch 2012 zu erwarten? Alte Hits im neuen Gewand? Leider hat sich ja politisch nicht viel zum Besseren gewendet, „10 kleine Nazischweine“ nerven immer noch. Und ... kann man sich heute noch mit „Hey Rote Zora“-Text zur Pippi Langstrumpf-Melodie auf die Bühne stellen, also rein inhaltlich?
Also in erster Linie machen wir ab jetzt „Anti“: Anti-Atzen, Anti-Wollmützenträger, Anti-Bohlen, Anti-Pop. Wir haben lange überlegt, ob wir alte Sachen überhaupt noch bringen wollen. Wir sind dann übereingekommen, nur noch Nummern zu bringen, auf die wir uneingeschränkt stehen. Faktisch sind jetzt mehr als 50% des Live-Materials neu. Alte Nummern wie „Zora“ wird es live geben, allerdings wird zum Beispiel diese Nummer von völlig neuen Figuren interpretiert – der Song ist eingebaut in eine White-Trash-Hartz-IV-Kids-Nummer und kriegt dadurch live einen völlig neuen Drive. Inhaltlich geht es bei uns heute mehr um Dinge wie die Anti-Atzen-Fraktion/AAF, Fuck Pop, Occupy, Bankenkrisenscheiße, so wie im „Manifest“, das über „Deutschland, einig Zombieland“ neu getextet ist.
Mit etwas Suchen findet man deine berufliche Laufbahn im Internet und das klingt nach ganz ordentlicher Karriere im Veranstaltungsbereich, inklusive IHK-Mitarbeit. Ist das „System“ gar nicht so beschissen?
Interessante Frage. Bühne und Musik sind und waren für mich zuerst einmal künstlerischer Ausdruck von Lebensgefühl und Überzeugungen. Ich weiß nicht, ob jemals jemand außerhalb der Personengruppe der Kulturschaffenden verstehen wird, dass wir alle auf der Bühne nur eine gewisse Performance-Seite unserer komplexen Persönlichkeit zeigen, dass man die Rolle nicht mit unserem echten Leben verwechseln sollte. Ende der Neunziger hatte ich zwischendurch die Lust auf HEITER BIS WOLKIG und Bühne verloren, weil das Publikum einen dadurch komplett auf die Bühnenrolle reduziert und die echte Persönlichkeit dahinter keine Sau interessiert. Man sollte zu dem Thema aber auch wissen, dass sowohl Micha als auch ich und Marcell immer intellektuelle Strebertypen mit überdurchschnittlichem Abitur waren. Ich habe damals neben HEITER BIS WOLKIG bereits meine beiden Universitätsabschlüsse abgelegt. Echt und viel gearbeitet haben wir damals auch schon, so hat Marcell Musical-Companys gegründet, und ich habe beispielsweise bei Plattenfirmen wie BMG oder dann bei Konzernen wie Mannesmann und Vodafone gearbeitet, dort übrigens als Eventmanager. Mittlerweile habe ich zum Thema Eventmanagement vier Fachbücher geschrieben, die vor allem in der Ausbildung zum Veranstaltungskaufmann an den Berufsschulen genutzt werden und in denen ich erkläre, wie man Events managet. Am fünften Buch arbeite ich gerade. Ich sage immer: Frage nicht, was das System aus dir macht, frage lieber, was du aus dem System machst.
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