Bereits neunmal wurde das Punk-Quintett aus Malmö im Ox rezensiert, doch ein Interview mit der seit 2005 aktiven Band hat es bei uns bis jetzt nicht gegeben. Dem war nun wirklich Abhilfe zu schaffen, weil diese Band seit nunmehr fast zwei Dekaden ihre Spuren hinterlässt und die Reaktionen der Anhänger:innen und Presse durchweg positiv sind. Sängerin Kerry Bomb hilft uns in vielerlei Hinsicht nun weiter. Und das neue Album „Homewrecker“ wird die Fanbase von HEADLINES mit Sicherheit noch deutlich erweitern.
Euer neues Album ist wieder echt cool geworden.
Vielen Dank! Ja, ich kann nur zustimmen, es ist tatsächlich unser bestes Album bis dato. Ich bin damit zu 110% zufrieden und das zum ersten Mal seit Beginn der Band. Ich würde nichts ändern, und das ist von mir eine große Aussage, da ich ein sehr selbstkritischer Mensch bin.
Apropos, was ist für euch ein „Homewrecker“? Hat das noch etwas mit der Pandemie zu tun, mit häuslicher Gewalt, Ehebruch ...?
Nein, eigentlich überhaupt nicht. Als ich die Idee für den Albumtitel hatte, habe ich viel über die Schwächen der Menschen und über Zerstörungswut und Destruktivität philosophiert. Der dunkle Passagier und die zerstörerische Kraft in uns selbst. Es ist für jeden etwas anderes; Sucht, Aggression, Geld, Promiskuität, Angst, Selbstzweifel. It’s your homewrecker. Seine überbordende Kraft kann Dinge in Schutt und Asche legen, sei es einen Haushalt, eine Beziehung oder ein ganzes Leben mit all den Seelen, die es umgeben. It’s heavy shit! Meine Gedanken rund um Symbolismus und das Coverartwork basieren auf dem biblischen Schöpfungsmythos und der Schlange, die den „Homewrecker“ darstellt und Eva dazu verleitet, in den verbotenen Apfel zu beißen. Die verhängnisvolle Tat, die sowohl Eva als auch Adam auf ewig aus dem Paradies verbannte. Doch wem wurde letztendlich die Schuld gegeben? Der Mythos, der von religiösen Männern interpretiert wird, macht Eva, die Frau, dafür verantwortlich, durch ihr „schlechtes Urteilsvermögen“ und ihre ungehorsame Haltung versagt zu haben. Mit der Folge der schlimmsten Unterdrückung, die die Welt je gesehen hat. Für mich war Eva eine Pionierin, die den Autoritäten nicht gehorchte und den Mut hatte, ihr Glück zu versuchen und Risiken einzugehen. Wie willst du es erfahren, wenn du es nicht versuchst?
Ihr wart ja lange zu viert aktiv und seit geraumer Zeit ist nun Sofie Ward am Bass in die Band gekommen. Was hat sich durch die zweite Gitarre geändert?
Es stimmt, dass wir lange zu viert waren. Ich habe damals Bass gespielt, aber zwei Gitarren hatten wir schon immer. Am Anfang hat Jake die Leadvocals gesungen, doch ich habe immer mehr und mehr gesungen und irgendwann kam eigentlich Jake auf die Idee, ich solle die Leadvocals übernehmen und meinen Job als Bassistin einem neuen Mitglied überlassen. So haben wir eben eine Frau aus Åland, Finnland rekrutiert. Kurz vor dem Release unseres letzten Albums „Warpaint“ hat sie uns abrupt verlassen und wir standen ohne Bassistin da, mit einer Riesenarbeit inklusive Videodreh etc. Eine Kacksituation, kurz gesagt, haha! Ich postete ein Facebook-Inserat, um nach einer neuen Bassistin zu suchen. Nur die Wahrheit ist, es gibt nicht jede Menge Bassist:innen ohne Band in Südschweden, aber wir hatten extrem Glück. Sofie Ward, Multi-Instrumentalistin, Tontechnikerin und allgemein ein Genie, hat sich beworben. Wir kannten sie gar nicht und haben sie auf dem Weg zum Proberaum in Kopenhagen abgeholt. Sie stieg ins Auto ein, und es hat keine zehn Sekunden gedauert und wir haben einander vollgelabert, als würden wir uns schon ewig kennen. Im Proberaum hat sie unsere Songs gespielt, als wäre sie schon immer in der Band gewesen, aber besser! Ich kann es immer noch kaum glauben, dass uns so ein Glück beschieden war. Ich glaube eigentlich nicht an Schicksal, aber wenn es so etwas wirklich gibt, dann ist es Sofie.
Zwei Frauen in einer Band – das scheint fast ein „schwedisches Phänomen“ zu sein. Durch wen kam vor allem die Inspiration? Von einer gewissen Punkband aus Stockholm oder sogar doch noch irgendwie durch ABBA?
Wir sehen das anders. Bei uns spielt das Geschlecht keine Rolle und unser Line-up ist nicht irgendwie „gewollt“. Nein, wir haben uns nicht von THE BABOON SHOW oder ABBA inspirieren lassen. Soweit wir wissen, haben auch weder die einen noch die anderen eine Transgender-Frau dabei ...
Jedenfalls haben Jake und du die Band losgetreten, unter welchen Gesichtspunkten und mit welchem Ziel?
Das ist viel zu lange her, um uns daran zu erinnern, haha! Jake und ich haben uns kennen gelernt, als er 21 und ich 17 Jahre alt war. Jake hat schon mit 12 Jahren Punk gespielt. Ich andererseits hatte noch nie ein Instrument in der Hand oder gesungen. Ich fand Jake so cool. Das hat sich mittlerweile geändert, hahaha! Nein, er ist immer noch eines meiner wenigen Vorbilder. Ich weiß ganz ehrlich nicht mehr im Detail, was uns damals getrieben hat, THE HEADLINES zu gründen. Ich habe ein Gedächtnis wie ein Goldfisch. Aber es hatte sicher einen legendären Grund, haha. Jake hat mir beigebracht, Bass zu spielen. Wir haben uns zu zweit im Proberaum eingesperrt und Songs von RANCID, THE RAMONES und GREEN DAY geübt. Jake am Schlagzeug und ich haben nur Downstrokes trainiert, bis ich stabil genug war, um auf Jakes Niveau in einer Band zu spielen. Jake hat mir eine Tür geöffnet, die meine Welt komplett umgeworfen hat. Es gibt nichts Schöneres, als Teil einer Band zu sein. Die Freundschaft, die Kraft, die Leidenschaft, gemeinsam zu leben. Es ist kein Klischee. Du fühlst dich einfach unaufhaltsam.
Im Juli diesen Jahres seid ihr in Oslo als Vorband für DROPKICK MURPHYS aufgetreten. Bin ich naiv oder wird eine „kleinere“ Band von großen Acts meistens wohlwollend aufgenommen? Oder seid ihr den Jungs nur mal kurz im Flur begegnet?
Wir haben mittlerweile mit vielen großen Acts die Bühne geteilt und es ist natürlich sehr unterschiedlich, wie sich größere Acts gegenüber den Supportbands verhalten. Wir haben oft von Bands und deren Crews gehört, dass wir sehr angenehme und sympathische Leute sind. Keiner möchte sich genervt fühlen; deswegen ist es wichtig, Respekt zu zeigen und auch den Regeln des Hauptacts zu folgen. Wir haben immer sehr viel Spaß zusammen als Band und ich denke, das merken auch die anderen Bands. Die DROPKICK MURPHYS sind sehr bodenständig und ganz nette Leute. Sie haben uns sogar Wochen vor der Show in Oslo bei Instagram geschrieben, dass sie sich sehr auf uns freuen. Ist aber nachvollziehbar, ich würde mich auch total auf uns freuen!
Es heißt ja über euch, dass ihr schon über 600 Shows absolviert habt und rumgekommen seid auf der Welt. Bitte gib uns doch einmal einen kurzen Abriss über die Verhältnisse in Amerika, Asien und Europa, auf und neben der Bühne ...
Amerika ist Bronze, Asien ist Silber, aber Europa ist Gold! Punk aber ist universell, das ist ja das Geile! Asien war aber besonders interessant. In China zum Beispiel konnten wir nicht mit dem Van fahren, da die Abstände zwischen den Städten zu groß sind. Wir haben also 17 Dates mit Schnellzug und Flugzeug bestritten. Recht anstrengend mit dem Gepäck und den Instrumenten. In China bist du auch ziemlich verloren, wenn du die Sprache nicht beherrschst, alles steht ja nur mit chinesischen Zeichen angeschrieben, außer in Peking, also hatten wir einen zweiten Tourmanager dabei, der von dort stammt. In Japan waren wir gemeinsam mit der japanischen Punkband FUNGUS unterwegs. Sie konnten fast kein Englisch, aber mit ein bisschen Hilfe ihres Tourmanagers und Händen und Füßen haben wir uns trotzdem gut verstanden und so ist sogar eine Freundschaft entstanden. FUNGUS kommen im Oktober zum ersten Mal nach Europa, als Special Guests auf unserer „Homewrecker“-Tour. Sie sind eine mega gute Punkband und liefern eine gewaltige Show! Übrigens sind fast alle japanischen Musiker super kompetent. Das war echt erstaunlich zu sehen in Japan, dieser ausgeprägte Perfektionismus.
Apropos Show: Wie durchgetaktet sind die Gigs von eurer Seite? Stehen neben der Setlist auch die Ansagen ans Publikum weitestgehend fest?
Haha, bis vor kurzem haben wir im Backstage eine Stunde vor der Show die Setlist geschrieben. Das sagt wohl viel über das Thema. Ansagen kommen immer spontan, obwohl manche Sachen bei mehreren Shows wiederholt werden. Warum auch ein Gewinnerkonzept verändern?
Eure letzte Scheibe „Warpaint“ kam 2019 und nun veröffentlicht euer deutsches Label Sunny Bastards nicht nur dessen Vorgänger „In The End“ neu, sondern bringt auch die neue Platte in zahlreichen Versionen heraus. Mehr Wertschätzung geht fast nicht, oder?
Sunny Bastards haben schon länger Interesse an uns gezeigt und endlich hat es geklappt, dass wir ein neues Album bei ihnen rausbringen dürfen. Wir arbeiten sehr eng zusammen, und das passt. Bei dem Label spürt man wirklich das Engagement und die Leidenschaft. Chris ist sehr sympathisch und vor allem ein Arbeitstier, genauso wie ich. Er geht immer weiter und bleibt nie stehen. Ich bin komplett überzeugt, dass es die beste Entscheidung war, mit Sunny Bastards ein neues Kapitel anzufangen. Chris ist ein ehrlicher Kerl, und wenn er etwas sagt, meint er es auch so. Und er liebt das neue Album von ganzem Herzen. Das tut so gut!
Was ist anders als bei den letzten beiden Longplayern und was, meinst du, macht euch unverwechselbar?
„Homewrecker“ ist zum Großteil viel schwerer, auch teilweise dunkler. Songs wie der Titeltrack „Homewrecker“ und „Pills (Get me out)“ sind ganz anders, als man es von THE HEADLINES kennt. Das wird viele überraschen, aber auf positiven Weise bin ich mir sicher. Bei Songs wie „Hell“ oder „The republic“ erkennt man aber zweifellos unser Rezept: catchy, melodisch und mit dem Herz auf der Zunge.
Auf dem Soli-Sampler von Sunny Bastards für den Essener Club Don’t Panic bist du mit einem Song auf Deutsch vertreten, „Alles was war“. Dein Deutsch klingt im Gegensatz zum eher harten schwedischen Idiom geradezu lieblich weich. Wie empfindest du das Spiel mit den Sprachen?
Eher klingt Deutsch für mich ziemlich hart, aber vielleicht klingt meine deutsche Stimme so sanft, weil ich Schwedin bin, haha. Ich liebe Sprachen! Eine Sprache zu können ist extrem wertvoll. Je mehr Sprachen du beherrschst, desto reicher bist du. Leider werden in fast ganz Europa alle Filme und Serien synchronisiert. In Skandinavien nicht. Deshalb sind die meisten Skandinavier ziemlich gut in Englisch. Ich kann mir keine Filme mit Synchronstimmen anschauen. Es geht so viel verloren, vom Schauspielerischen bis zu Scherzen und der gesamten Stimmung.
Konzerttickets sind aus diversen Gründen teurer geworden. Bedeutet das wenigstens auch, dass ihr als Band besser entlohnt werdet?
Nein, alles kostet mehr, nicht nur die Tickets. Es ist teuer, einen Bus zu mieten und den Diesel zu bezahlen. Die Fährpreise zwischen Skandinavien und Europa sind ebenfalls gewaltig gestiegen, wie auch die Kosten für Unterkünfte.
Hattet ihr, vor allem im Laufe der ersten Bandjahre, einen Förderer, der euch anschob?
Nein, wir waren immer pleite. Ich fahre selten in den Urlaub, habe keine Kinder ... Meine Zeit und mein Geld habe ich immer in die Band investiert.
Du lebst in Südtirol, singst auf Englisch und Deutsch, stammst aber aus Schweden. Wie ist bei dir der in Punk-Kreisen umstrittene Begriff „Heimat“ besetzt?
Heimat ist für mich nicht der Ort, woher ich stamme. Ich fühle mich wohl, wo ich gerade im Moment bin. Ich habe nie verstanden, wie man „stolz“ auf sein Land sein kann. Es ist ja keine Leistung, das Glück oder Unglück zu haben, in einem bestimmten Land geboren zu sein! Ich finde Patriotismus unsinnig. Allerdings kann ich akzeptieren, dass besonders ältere Leute in Südtirol patriotisch sein können. Südtirol hat eine gewisse Autonomie und die ältere Generation hat noch die Unterdrückung durch einen faschistischen Staat erlebt. Dann ist ja auch kein Wunder, dass man seine Traditionen und Bräuche hochhält. Ich bin aber ziemlich weltoffen. Italien hat Vor- und Nachteile, genau wie viele andere Länder. Man macht selber sein Glück! Ich bin wegen meines Ehemanns nach Italien umgezogen, aber auch, weil ich mit Malmö fertig war. Ich brauche Abwechslung und Bewegung. „Stå aldrig still“, „Niemals stehen bleiben“, habe ich im Genick tätowiert. Ich habe mir zusammen mit meinem Mann ein schönes Leben in Südtirol aufgebaut. Wir haben einen Tattoo-Shop in Sterzing, wo wir beide tätowieren. Wie lange wir in Südtirol bleiben, ist noch offen. Irgendwann bin ich vielleicht auch mit Sterzing fertig.
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