Was tun, wenn das Herzchen brennt und nach Betäubung schreit? Eine allzu bekannte Frage, die sich so leicht nicht beantworten lässt. Die durch ihren Roman „Steine schmeißen“ bekannte Autorin Sophia Fritz und Martin Bechler, Sänger der Band FORTUNA EHRENFELD, stellen sich in ihrem Roman „Kork“ dieser schwierigen Aufgabe und kommen dabei um den guten Wein nicht herum. Ein spannendes Gemeinschaftsprojekt, das an sich schon Stoff genug für ein Interview bietet. Der Weinführer im Popkulturgewand wird allerdings kuschlig eng begleitet vom neuen Album „Solo I“. Wenn auf dessen Cover auch das Label der Band FORTUNA EHRENFELD prangt, handelt es sich tatsächlich seinem Titel gemäß allein um ein Produkt von Martin Bechler. Wie Soloplatte und Co-Autor:innenschaft zusammenhängen und wie man seinen Platz zwischen Aldi und Weinmagazin findet, erzählt uns Martin hier.
Erst einmal vielen Dank, dass ich euer Buch „Kork“ schon lesen durfte!
Wir Musikis schicken ja immer erst mal nur drei Lieder raus, einfach weil oft genug Scheiße passiert, auch wenn das keiner will. Im Fall meines neuen Soloalbums empfinde ich das ein bisschen anders. Für mich ist das ein Kleinod, das die Leute hören sollen. Die Intention war hier nicht Gewinnmaximierung. Die Literaturszene ist für mich dagegen Neuland und ich habe immer vorsichtig beim Verlag nachgefragt, ob ich die komplette Fahne rausschicken darf. Die sind da aber tatsächlich ein bisschen legerer. Das Musikgeschäft ist nach wie vor ein Schweinebusiness, in dem es ganz viel um Protektionismus geht. Die Plattenfirmen kratzen sich gegenseitig die Augen aus, um irgendwelche Sendeplätze zu ergattern. Seit ich im Literaturbetrieb mittanzen darf, sehe ich, dass die Menschen da viel gechillter sind. Keiner will dem anderen wehtun. Die sind sehr offenherzig.
In der Literatur herrscht also weniger Konkurrenz und Stress?
Weniger Konkurrenz auf gar keinen Fall. Stell dich mal in die Bahnhofsbuchhandlung, dann siehst du, was da los ist. Es ist sicher kein angenehmer Job, ein Buch zu promoten. Die guten Kanäle sind schmal und begehrt. Es herrscht also nicht weniger Konkurrenz, aber mehr Gemütlichkeit. Wenn wir eine Platte machen wollen, haben wir nur zwei Monate Vorlaufzeit, bevor die Promo losgeht. Es sei denn, du bist PLACEBO und hast den Luxus, vier Jahre an einem Album zu schrauben. Im Verlagswesen gibt es dagegen eine hohe Achtsamkeit. Wenn auf einer Platte mal eine Gitarre auf dem linken Kanal kurz brummt, dann ist das scheißegal, aber fünf Rechtschreibfehler auf einer Buchseite sind peinlich. Wir haben für das Buch mit Kanon einen zwar noch jungen, aber ganz tollen Verlag. Der Chef ist übrigens Gunnar Cynybulk, der vorher bei Ullstein war. Der hatte im großen Verlagswesen schon alles gesehen und beschlossen, einen kleinen Betrieb aufzumachen mit weniger Veröffentlichungen, aber dafür einer intensiven Betreuung. Die große Behutsamkeit und das entschleunigte Tempo ist für mich wie Wellness. Die Musikszene ist dagegen schon sportlich.
Es wird auch nicht weniger sportlich, wenn direkt auf digitalen Plattformen veröffentlicht werden kann.
Alle Musiker:innen schimpfen immer auf die bösen, bösen MP3s und das böse, böse Spotify. Ich sehe darin nur Chancen. Wir sind Indie. Eigentlich mag ich keine Stempel, aber den mag ich gerne. Für FORTUNA EHRENFELD und mein neues kleines Label heißt das, dass wir machen, was wir wollen, und uns von niemandem da reinquatschen lassen. Das heißt nicht, dass wir nicht dennoch einen klugen Plan aushecken, damit die Leute die Platten auch hören. Aber bis dahin ist das für mich ein hochgradig geschützter Raum. So viele Gefahren im Internet auch lauern, bietet es uns eine riesige Spielfläche, ohne dass Mutti und Papi helfen müssen.
Du hast erklärt, dass das Buch „Kork“ und deine neue Platte „Solo I“ eng miteinander verwoben sind. Was genau bedeutet das?
Wenn man das Buch kennt, weiß man, dass darin sehr kratzige, provokative, intime, entwaffnende Geschichten passieren. Du kannst dir vorstellen, wie intensiv man an einem Buch arbeitet. Die Geschichten wabern die ganze Zeit in dir herum. Ich hatte eigentlich den Plan, dem Buch eine kleine Platte hinterherzuwerfen, vielleicht eine EP mit Trinkerballaden. Im Buch geht’s ums saufen. Darum wie Freundschaften daran wachsen, aber auch wieder zerbrechen können und dann vielleicht wieder wachsen. Ich dachte: Mensch, es ist ja Winterpause. Ich sitze immer gern am Klavier. Wenn ich dem Buch jetzt einfach was hinterherwerfe, dann erzählt sich die Platte ja von selbst. Kaum war das Buch fertig und ich saß am Klavier, habe ich gemerkt, dass mir viel mehr rausrutscht, als ich eigentlich wollte. Plötzlich waren dreißig Lieder da. Ich musste sie nur rausschütten. Die Platte ist genauso roh wie der Roman. Ich halte mich als Debütling, nicht für einen Typen, der sich mit schlauen Sprüchen ins Koma schwafelt. Ich habe den Roman genauso roh und schnell geschrieben, wie ich auch meine Songs schreibe. Mit beidem bin ich jetzt auch sehr zufrieden. Ich hatte immer Schiss davor, so eine Balladen-lastige Platte zu machen. Wohlwissend, dass es im FORTUNA EHRENFELD-Kosmos sehr viele Leute gibt, die genau dafür kommen. Ich dachte aber immer, dass ein Album, das auf diesem ruhigen Niveau schwubbert, die Spannung nicht halten kann. Jetzt, da ich es mal gemacht habe, weiß ich, dass das ein Irrtum war.
Diese Platte ist als Soloalbum deklariert. Allerdings hatte man bei FORTUNA EHRENFELD immer schon den Eindruck, dass das eigentlich nur du bist, oder du doch zumindest der Kopf der Sache bist. Was genau macht es also nun zum Soloalbum?
Bei einem normalen Band-Album ist es so, dass ich, um zu wissen, wie ein Song funktionieren kann, den ersten Weg allein brauche. Du ahnst nicht, wie groß meine Ausschussware ist, bis ich eine Ahnung davon kriege. Für Leute, die mit mir ins Studio gehen, wäre das unerträglich. Solange ich mich im geschützten Raum allein befinde, bin ich FORTUNA EHRENFELD. Es wäre aber eine Schande, Jenny Thiele und Jannis Küpfer auszuklammern, die vor Lebensfreude und Kreativität nur so sprühen. Wenn die Songs eineinhalb Meter gegangen sind, beziehe ich sie darum ein. Es gibt Dinge, die die beiden leisten, die ich nicht leisten kann, aber haben will. Bis zu einem gewissen Punkt betrachte ich das Songwriting als mein Hoheitsgebiet und das betrifft vor allem die Texte. Ich drehe durch, wenn da ein Wort falsch ist. Die Vorstellung, basisdemokratisch an einem Text zu arbeiten, ist für mich die Hölle. Ich fühle mich sehr geehrt, mit den beiden tollen Menschen Jenny und Jannis zu arbeiten, aber dieses Mal ist die Tür zugeblieben.
Wieso das Album dann dennoch als FORTUNA EHRENFELD veröffentlichen und nicht unter dem Namen Martin Bechler?
Ganz ehrlich: Wir agieren in einem Markt, in dem wir uns sehr genau überlegen müssen, wie wir den Rückgang der Verkaufszahlen von physischen Tonträgern kompensieren. Natürlich hätte ich auch Martin Bechler auf die Platte schreiben können, aber wir haben nicht die Zeit und die Ressourcen, den Leuten, die vielleicht abspringen, weil sie nicht wissen, wer ich bin, zu erklären, dass das doch der Typ von Fortuna ist und das hier vielleicht auch eine schöne Platte. Es ist also eine strategische Notwendigkeit. Darüber war hier auch niemand wütend.
Noch mal zum Buch: Du hast „Kork“ gemeinsam mit der Autorin Sophia Fritz geschrieben. Zu fast allen Situationen, die erzählt werden, gibt es somit zwei Perspektiven. Wie sah der Schreibprozess aus?
Im Grunde war die Idee ein Riesenbesäufnis. Sophia hat an einem Abend in lustiger Laune gesagt, dass ich doch mal über Wein schreiben soll, und ich sagte: „Cool, machst du mit?“ So fing es an. Es sollten abgefuckte Geschichten darüber entstehen, was man saufen soll, wenn die Aliens landen. Ambitionen hatten wir erst mal keine, bis der Verleger uns dazu angeregt hat, einen Roman daraus zu machen. Wir haben uns in regelmäßigen Abständen zu Schreibklausuren getroffen, uns drei Tage nach Eckernförde zurückgezogen und Rotwein getrunken. In solchen Situationen fallen die Geschichten fast allein aus dem Kopf. Wir sind zwei sehr unterschiedliche Personen. Age-Gap-Thrill, Gender-Clash, you name it. In diesem Schreibprozess sind wir auf obszönste Weise in den Kopf der anderen Person geschlüpft und haben Geschichten aus der Sicht des anderen geschrieben. Wenn ich mit Sophias Kopf geschrieben hab, konnte sie immer ein Veto einlegen, wenn sie der Meinung war, dass sie das so nicht sagen würde. Genauso umgekehrt. Wenn wir heute das Buch in die Hand nehmen, wissen wir bei manchen Stellen nicht mehr, wer das geschrieben hat. Das war ein hochspannender Arbeitsprozess. Auf den ersten Blick könnte man Sophia und mich sofort in zwei Lagern verorten. Auf der einen Seite die junge, starke Feministin und auf der anderen den Psycho-Indiepopper. Dadurch, dass wir in den Kopf des anderen geschlüpft sind, haben sich diese Grenzen verwischt. Dabei haben wir eine Sache herausgefunden: Generationsunterschiede definieren sich nicht durch das Alter, sondern durch Geisteshaltung, Rückgrat, das Fehlen oder nicht Fehlen von Neugier und Vorurteilsfreiheit. In diesem Sinne erzählt das Buch nicht nur vom Saufen. Wir fordern mehr Kommunikation zwischen Leuten wie uns beiden. Wenn Leute vorurteilsfrei aufeinander zugehen, kannst du dir den ganzen Lager-Quatsch in den Arsch schieben. Plötzlich fallen die Hürden und die Herzen gehen auf.
Du hast bereits erwähnt, dass der Roman sehr eng an das Thema Wein geknüpft ist. Woher kommt die enge Beziehung zu Wein?
In der Welt der Weinkonsument:innen gibt es einmal die Studis, die das Aldi-Regal leer saufen, dann kommt lange nichts und dann kommt diese unglaublich elitäre Szene, die sich in Magazinen über Wurzelholznoten totschwafelt. Um Sophias Worte in einem Interview zu verwenden: „Ich will nicht lost sein. Ich will keine Scheiße kaufen, ich will aber auch nicht zu der snobby Elite gehören. Ich würde gern wissen, was ich saufen muss, wenn ich verlassen werde.“ Ich selbst bin jemand mit einem gefährlichen Halbwissen. Ich möchte genießen, will aber nicht mit dem abgespreizten kleinen Finger dasitzen und über Tiefe und Transparenz schwafeln. Genau darum geht es in diesem Buch und ich glaube, wir füllen da eine Lücke. Es sind durchaus sehr ernst gemeinte Trinkempfehlungen. Die Aufgabe war, bezüglich der Weinempfehlungen ein neues Standardwerk zu schreiben, und ich glaube, wir haben das geschafft. Im Buch geht es um Sedierung. Wir graben sehr tief in der Psyche des anderen. Manchmal tut die Sedierung gut und manchmal wird sie sehr gefährlich. Jede:r hat das Recht zu sagen: Ich bin gerade verlassen worden. Gib mir Rosé, bis ich nicht mehr geradeaus laufen kann. Dabei hilft dir kein snobby Weinführer.
Kommen wir zu deiner neuen Platte: Sie erscheint nicht mehr bei Grand Hotel van Cleef, sondern auf dem eigenen Label Tonproduktion Records. Wolltet ihr nicht mehr bei GHvC sein?
Alle Liebe geht raus ans Grand Hotel van Cleef. Wir haben in diesem Land nicht viele solcher Labels. Nichts ist wertvoller als Enthusiasmus und den findet man da. Der Grund liegt darin, dass plötzlich Corona war und niemand wusste, wo es langgeht. Ich war immer dafür, in die Vollen zu gehen, und habe für machen, machen, machen plädiert. Das lässt sich auf YouTube zurückverfolgen. Dinge anzupacken geht viel einfacher, wenn man sie auf kurzem Weg organisieren kann und nicht erst tausend Mails schreiben muss. So ist es zum eigenen Label gekommen. Es ist drecksviel Arbeit, aber es fühlt sich auch gut an, alles in der Hand zu haben. Jedes Label dieser Welt hätte versucht, mich zu diesem Zeitpunkt von einem Soloalbum abzubringen, weil ja im Herbst ein Album mit der Band ansteht. Es ist schön, hier im Arbeitszimmer zu sitzen und zu sagen: Scheiß drauf. Wir wollen hier nicht dem Erfolg hinterherhecheln, sondern einen Raum schaffen, in dem alle Bock haben.
Ihr habt als FORTUNA EHRENFELD einige große Events in den letzten Jahren bestritten. Zum Beispiel ein Konzert in der Kölner Philharmonie. Sachen, die den Rahmen Indieclub verlassen. Fühlt ihr noch den Kontakt zur Subkultur?
Unser Selbstverständnis ist, dass wir eine kleine Piss-Indie-Band aus Köln-Ehrenfeld sind. In unserem Rider steht unter Catering nichts als Rotwein, Wasser, Kaffee und vegane Mahlzeiten. Dass wir in der Philharmonie oder mit dem Fernsehorchester spielen, ändert nichts daran, dass ich ein Wald-und-Wiesen-Schreiberling bin. Wir haben aber keine Angst vor einer großen Bühne. Wenn in der Philharmonie lauter Leute sitzen, die Bock haben, sehe ich darin kein Problem. Wenn wir touren, haben wir aber immer noch Shows, bei denen wir vor 13 Leuten spielen. Ich säge mir eher das Bein ab, bevor ich für diese 13 Leute weniger gebe als für die ausverkaufte Philharmonie.
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