Wie sind wir hier eigentlich gelandet? Diese Frage werden sich wohl viele Bands im Hinblick auf ihre von Höhen und Tiefen gekennzeichnete Karriere stellen, wenn sie plötzlich Jahre später noch mal gewissermaßen einen zweiten Frühling erleben. Dieser Frage geht auch der niederländische Regisseur Emiel Spoelder in seiner selbstfinanzierten Doku „How Did We Find Ourselves Here?“ über THE DREAM SYNDICATE nach, deren Kultstatus vielleicht nicht jeder nachvollziehen kann, die aber in musikalischer Hinsicht immer noch relevant sind und deren Songs eine zeitlose Qualität besitzen. Und folgendes Zitat von Wynn dürfte für Spoelders Filmprojekt wohl Bestätigung genug sein: „Emiel hat das scheinbar Unmögliche geschafft: Er hat den erzählerischen und dramatischen Bogen aus vierzig Jahren Gigs und Platten sowie aus Interviews mit Menschen, die wir kennen und mit denen wir zusammengearbeitet haben, herausgearbeitet. Ich habe den Film jetzt dreimal gesehen und bin ehrlich gesagt jedes Mal ein bisschen gerührt.“
Emiel, dein Film ist mit viel Herzblut gemacht. Wie hat sich deine Liebe zu dieser Band entwickelt hat und wie wurde daraus ein ganzer Film?
Mit 19 war ich Filmstudent an der Universität von Amsterdam. Zu dieser Zeit war ich ein großer Fan von Ryan Adams. Das erste Mal sah ich Ryan live am 19. November 2003 im Paradiso in Amsterdam. Obwohl ich sehnsüchtig darauf wartete, den Hauptact zu sehen, war ich von der Vorband STEVE WYNN & THE MIRACLE 3 überwältigt. Nach diesem Abend begann ich, all die Musik zu entdecken, die Steve in den letzten zwanzig Jahren aufgenommen hatte, also auch die DREAM SYNDICATE-Alben. Was für eine erstaunliche Reise das war! In den folgenden Jahren sah ich Steve in verschiedener Form live spielen: solo, akustisch, mit THE MIRACLE 3 oder als DANNY & DUSTY. Die Vielfalt seiner Musik war für mich so faszinierend. Ich habe ihn sogar einmal für eine Sendung im lokalen Fernsehen interviewt. 2009 zog ich dann nach Los Angeles, um ein Jahr an der dortigen Filmhochschule zu studieren. In der ersten Woche, in der ich dort lebte, spielte Steve Wynn im Troubadour mit THE BASEBALL PROJECT, seiner Band mit Scott McCaughey und Peter Buck. Nach der Show erkannte Steve mich und stellte mich einigen seiner Freunde und Familienmitglieder vor, die ebenfalls anwesend waren. Als ich mit seiner Mutter Marlena sprach, erwähnte ich mein Filmstudium und sie meinte: „Warum drehst du nicht einen Film über meinen Sohn?“ Als Filmstudent war ich besessen von Musikdokumentationen, also klang das von Anfang an wie eine tolle Idee. Es dauerte ein paar Jahre, bis ich einen konkreten Plan für den Film hatte, aber hier wurde die Saat gelegt.
Wie ging es weiter?
Ursprünglich wollte ich eine Dokumentation über die musikalische Karriere von Steve Wynn machen. Ich bewunderte seine Vielseitigkeit und dachte, das würde eine tolle Geschichte abgeben. Nachdem ich zwischen 2012 und 2014 die erste Runde von Interviews gedreht hatte, begann ich mit dem Schnitt. Bald stellte ich fest, dass es wirklich schwierig war, eine Storyline für alle verschiedenen Bands und Projekte von Steve zu finden und ich steckte für eine ganze Weile fest. Ich hatte keine Ahnung, wie ich den Film beenden sollte. Zu diesem Zeitpunkt lief auch meine Fernsehkarriere ziemlich gut und nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. THE DREAM SYNDICATE habe ich erst 2019 während der „These Times“-Tour gesehen. Nach der Show sprach ich mit Steve und erfuhr, dass er mein Filmprojekt immer noch voll unterstützte, und das hat mich ermutigt, es wieder aufzugreifen. Ich glaube, ich habe etwa ein halbes Jahr lang mit vielen Leuten darüber gesprochen und dann wurde mir klar, dass es ein Film über THE DREAM SYNDICATE werden sollte. Es steckt eine schöne Geschichte darin, sowohl in den 1980 Jahren als auch nach der Wiedervereinigung; es gibt schnellen Erfolg, Kämpfe mit Majorlabels, verlorene Freundschaften und sehr interessante personelle Veränderungen. Das war der Moment, in dem das Projekt wieder richtig Fahrt aufnahm. Die größte Herausforderung bestand darin, mit der Band Schritt zu halten – sie hatten in der Zwischenzeit zwei weitere Alben veröffentlicht – und das richtige Ende für den Films zu finden. Ich finde, alles hat sich gut zusammengefügt.
Was genau hat dich an der Band gereizt und inwieweit ist dieser Reiz bis heute erhalten geblieben?
Was mich damals wie heute wirklich anspricht, ist Steves Songwriting, das er über die Jahre mit diesen drei fantastischen Leadgitarristen kombiniert hat. Ich liebe Steve auch als Geschichtenerzähler, vor allem wie er sich im Laufe der Jahre entwickelt hat. Diese Band besitzt so viel Energie auf der Bühne. Sie haben fantastische Studioalben gemacht, aber für mich geht nichts über eine Live-Show von THE DREAM SYNDICATE. „Live At Raji’s“ ist mein absolutes Lieblingsalbum dieser Band; hier ist nichts ausgefeilt, sondern nur pure, rohe Energie.
Wie schwierig war es, die Band von deinem Projekt zu überzeugen und sie zur Mitarbeit zu bewegen?
Wie schon gesagt, hatte ich Steve ja schon ein paar Mal nach seinen Shows in den Niederlanden getroffen. Nachdem ich 2009 im The Troubadour mit Steves Mutter gesprochen hatte, schickte ich Steve ein paar Monate später eine E-Mail mit der Idee, einen Dokumentarfilm zu drehen. Die Idee gefiel ihm auf Anhieb. Das Lustige daran ist, dass er erst letztes Jahr erfahren hat, dass die ursprüngliche Anregung für das Projekt tatsächlich von seiner Mutter kam. Als ich 2013 anfing, die Interviews in den USA zu drehen, half Steve mir, mit den anderen Bandmitgliedern in Kontakt zu treten. Sie waren alle sofort bereit, mit mir zusammenzuarbeiten.
Der Film ist selbstfinanziert. Kannst du etwas genauer erklären, wie das bei deinem Projekt funktioniert hat? War die Band in irgendeiner Weise finanziell an dem Film beteiligt?
Als ich dieses Projekt begann, war die Welt der Filmproduktion noch relativ neu für mich. Eine Zeit lang habe ich mich umgehört, ob es Produktionsfirmen gibt, die an diesem Projekt interessiert sein könnten. Obwohl ich einige positive Antworten bekam, hat es am Ende nicht geklappt. Der Auslöser für das Projekt war ja wie gesagt der Auftritt von Ryan Adams 2012 in Antwerpen. Ich wandte mich an sein Management und erzählte ihm von meinen Plänen für einen Dokumentarfilm. Als er zustimmte, interviewt zu werden, dachte ich: Dann fangen wir einfach an zu drehen! Die meiste Kameraarbeit wurde von Kollegen aus der Fernsehbranche und von Freunden, die ich auf der Filmhochschule kennen gelernt habe, übernommen. Sie alle haben mir gerne bei diesem Projekt geholfen, wodurch ich die Kosten relativ niedrig halten konnte. Die Fertigstellung des Films 2022 war einer der teuersten Teile des Produktionsprozesses. Ich musste zurück in die USA fliegen, um die Interviews zu drehen. Alles war gebucht, alle Termine standen fest, aber mein ESTA, das Online-Visum für die USA, wurde abgelehnt, weil ich 2016 in den Iran gereist war. Ich war schon seit ein paar Jahren nicht mehr in den USA gewesen und seit 2017 hatten sie die Bestimmungen geändert. Da wir bereits eine Deadline für den Film festgelegt hatten und alle Interviewtermine feststanden, musste ich Leute in den USA finden, die den Job für mich erledigten. In den letzten Wochen der Postproduktion habe ich die besten Leute gebucht, die ich finden konnte, um bei der Animation, der Farbkorrektur und der Tonmischung zu helfen. Das hat wirklich geholfen, aus all dem unterschiedlichen Material einen kohärenten visuellen Stil zu entwickeln. Und ich finde, das Endergebnis sieht wirklich toll aus. Allerdings haben sich dadurch die Produktionskosten fast verdoppelt. Die Band war nicht finanziell an dem Film beteiligt, aber sie haben mir erlaubt, ihre Musik zu verwenden, ohne dass ich Lizenzgebühren zahlen musste. Das war eine große Hilfe und gab mir die Möglichkeit, aus ihrem gesamten Repertoire Songs auszuwählen.
Da THE DREAM SYNDICATE ja bei verschiedenen Labels waren, war es doch sicher dennoch schwierig, Musik und anderes Material für den Film zu lizenzieren, oder?
Was die Verwendung der Musik von THE DREAM SYNDICATE betrifft, lief alles über Steve. Er hat mir erlaubt, seine gesamte Musik in diesem Film zu verwenden. Aber es war sehr zeitaufwändig, die Inhaber der Urheberrechte für das ganze andere Material ausfindig zu machen. Zuerst musste ich alle Fotos und Videos finden. Das Videoarchiv von Jaap Bos war dabei eine große Hilfe. Er kommt ebenfalls aus den Niederlanden und ist seit den 1980er Jahren ein Fan und Freund der Band. Im Laufe der Jahre hat er eine Menge Bootleg-Aufnahmen von ihnen gesammelt. In den letzten Jahren hatte ich das Glück, dass die Radiosender KCRW und WXPN einige fantastische Videoaufnahmen der Band gemacht hatten und mir erlaubten, einige Segmente kostenlos zu verwenden. Das Gleiche gilt für den Dokumentarfilm „Weathered And Torn“, der auf der letzten Tournee von THE DREAM SYNDICATE in den Achtzigern entstand; der Regisseur Peter Cooper erlaubte mir, das gesamte Material zu verwenden. Für einige Fotos musste ich bezahlen, aber nachdem ich die Fotografen ausfindig gemacht hatte, gaben mir die meisten die Erlaubnis, sie kostenlos zu verwenden. Wenn es um Audiomaterial geht, gibt es auch die Steve Wynn Archives online. Dort sind Aufnahmen von fast allen Shows zu finden. Diese Website ist fantastisch!
Im Moment ist der Film nur auf Streaming-Plattformen verfügbar. Gibt es auch Pläne für eine DVD/Blu-ray-Veröffentlichung?
Ja, eine DVD plus Soundtrack-CD wird im Februar 2024 erscheinen. Die CD wird hauptsächlich Live-Aufnahmen enthalten, die ich im Film verwendet habe. Ich habe für den Film einige ziemlich einzigartige Live-Mitschnitte gefunden, die noch nicht einmal die Band zuvor gehört hatte, daher denke ich, dass dies eine sehr interessante Zusammenstellung sein wird.
Bei vielen Dokumentarfilmen hat man das Gefühl, dass wichtige Weggefährten nicht zu Wort kommen, was bei deinem Film nicht der Fall ist, mit Ausnahme von Gitarrist Karl Precoda vielleicht. Und von Kendra Smith ist zumindest die Stimme zu hören. Gibt es Leute, die nicht in dem Film auftauchen wollten, obwohl du sie kontaktiert hast? Gab es auch Versuche, mit Karl Precoda zu sprechen?
Als ich mit dem Projekt anfing, sagten viele Leute: „Viel Glück mit Karl!“ Alle Beteiligten haben schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen. Ich glaube, er ist immer noch nicht ganz glücklich darüber, was in den 1980er Jahren passiert ist, und hat das alles hinter sich gelassen. Er unterrichtet jetzt Filmwissenschaften an der Virginia Tech. Wie in der Dokumentation zu hören ist, liebte Sandy Pearlman, der Produzent des Albums „Medicine Show“, die Arbeit mit Karl und war sehr frustriert über den Aufnahmeprozess mit Steve. Er wiederholt immer wieder, wie großartig Karl als Gitarrist war. Ich habe Karl einen privaten YouTube-Link zu dem gesamten Interview mit Sandy gemailt. Ich hatte gehofft, dass er dadurch seine Meinung ändern würde. Ich konnte sehen, dass es ein paar Mal angeschaut wurde, aber ich habe nie eine Antwort von ihm erhalten. Andere Leute, die ich mir für den Film gewünscht hätte, die es aber aus verschiedenen Gründen nicht geschafft haben, waren Nels Cline, Peter Buck, Flea, Bob Mould, Thurston Moore, Stewart Lee, J. Mascis und Ira Kaplan.
So sehr ich die meisten DREAM SYNDICATE-Songs mag, war die größte Enttäuschung für mich immer, dass keine der Studioplatten, mit Ausnahme des Debüts, wirklich die mitreißenden Live-Qualitäten der Band wiedergeben konnte, die durch „Live At Raji’s“ wunderbar dokumentiert wurden. Du scheinst das ähnlich zu empfinden, wenn du „Live At Raji’s“ als dein Lieblingsalbum bezeichnest.
Absolut, da stimme ich dir voll und ganz zu! Es ist mein Lieblingsalbum von THE DREAM SYNDICATE. Oft höre ich mir zuerst eine Weile ihre Studioalben an und suche dann nach der besten Live-Aufnahme, die in den Steve Wynn-Archiven zu finden ist. Das ist es, was ich mir meistens anhöre.
So wahr vieles in deiner Dokumentation bezüglich der Qualitäten von THE DREAM SYNDICATE ist, dem ich jederzeit zustimmen würde, so deutlich kann man in deinem Film, vor allem gegen Ende, auch eine Überhöhung einer Band sehen, die letztlich zu Lebzeiten gescheitert ist. Ist es gerade dieses Scheitern, das bei vielen Bands zu einem fragwürdigen Kultstatus führt und das vielleicht später nicht jeder nachvollziehen kann? Vor allem Journalisten neigen dazu, etwas im Nachhinein bedeutender zu machen, als es wirklich war.
Ihre Geschichte, also definitiv auch ihre Misserfolge, führten in den Achtzigern zu ihrem Kultstatus. Ich sehe den letzten Teil des Films als ein Feiern von THE DREAM SYNDICATE, wie sie heute existieren. Mit der neuen Musik, die sie seit 2017 aufgenommen haben, haben sie ein ganz neues Kapitel in ihrer Karriere aufgeschlagen. Ja, sie sind immer noch die Kultband aus den Achtzigern, aber auch eine Band, die neu ist, die vier sehr interessante neue Alben aufgenommen hat und die auch heute noch relevant ist.
Als ich 2008 mal mit Steve sprach, sagte er mir: „Wir sind wahrscheinlich die einzige Band, die nie wieder zusammen spielen wird. Denn Karl Precoda und ich reden nicht mehr miteinander, also die Gitarristen in der Band, und ich habe keine Ahnung, warum. Und der andere Gitarrist, Paul B. Cutler, macht auch keine Musik mehr.“ Wie verblüfft warst du, als du gehört hast, dass die Band wieder auftritt und ein neues Album aufnimmt?
Ich war wirklich überrascht, dass die Band wieder zusammenkam, und ich muss zugeben, dass ich zunächst etwas enttäuscht war, dass Jason Victor der neue Gitarrist ist. Da ich wie gesagt ein großer Fan der „Live At Raji’s“-Platte bin, war es ein absoluter Traum von mir, die Band eines Tages mit Paul B. Cutler auftreten zu sehen. Versteh mich nicht falsch, ich liebe Jasons Gitarrenspiel, aber ich hätte die Raji’s-Besetzung gerne zusammen gesehen. Im Laufe der Jahre wurde mir aber immer klarer, warum Jason der Richtige für den Job ist. Er hat ein bisschen von Karls und Pauls Spielstil übernommen und ihn zu seinem eigenen gemacht. Nachdem ich das neue Line-up ein paar Mal live gesehen hatte, erschien mir die Aufnahme eines neuen Albums wie eine natürliche Konsequenz.
Als ich 2017 erfuhr, dass ein neues THE DREAM SYNDICATE-Album erscheinen würde, dachte ich zunächst: Das Schlimmste, was passieren kann, ist, dass es nur ein weiteres gutes Steve Wynn-Album wird. Wie siehst du Steves Rolle in der Band und kann sie ohne Steve existieren? Und was hat seine spätere Solokarriere von der mit THE DREAM SYNDICATE unterschieden?
Steve Wynn ist definitiv der Bandleader von THE DREAM SYNDICATE. Er ist die treibende Kraft hinter allem; er schreibt die meisten Songs und inspiriert die Musiker um ihn herum. Ich habe Steve folgende Frage gestellt: „Warum klingen THE DREAM SYNDICATE so sehr anders als THE MIRACLE 3? Es handelt sich um denselben Songwriter und dieselben zwei Gitarristen.“ Die Antwort ist, dass die Rhythmusgruppe von Mark und Dennis an Bass und Schlagzeug wirklich einen großen Unterschied ausmacht. Wenn diese Jungs zusammen spielen, klingt es plötzlich wie THE DREAM SYNDICATE! Steves Texte und das Gitarrenspiel von Steve und Jason passen sich dem an. Ich glaube wirklich nicht, dass es THE DREAM SYNDICATE ohne Steve Wynn geben kann. Ich bin aber überzeugt, dass auch Dennis, Mark und Jason zusammen eine wirklich interessante Band abgeben würden.
Viele Reunions verlaufen enttäuschend. Was haben THE DREAM SYNDICATE besser gemacht als andere Bands?
In den ersten fünf Jahren nach der Wiedervereinigung, also von 2012 bis 2017, waren sie eine reine Nostalgie-Band, die nur die alten Songs spielte. Nach diese Zeit wurde die Band mit dem neuen Gitarristen Jason Victor zu einer gut eingespielten Einheit. Ich denke, das war eine sehr gute Grundlage, um neue Musik aufzunehmen und zu spielen. Sie haben wirklich versucht, sich nicht zu wiederholen, und ich glaube, das ist ihnen sehr gut gelungen. Sie erfinden sich ständig neu. Ein wichtiger Faktor, der dazu beiträgt, ist Jason Victor. Bevor er Mitglied wurde, war er zunächst ein Fan von THE DREAM SYNDICATE. Das hilft ihm, die neue Musik, die sie aufnehmen, sowohl aus der Perspektive eines Fans als auch eines Bandmitglieds zu sehen. Oder wie er es in der Dokumentation ausdrückt: „In erster Linie bin ich ein Fan der Band. Und ich glaube, das geht den Jungs auf die Nerven, denn ich sage Sachen wie ,Das ist nicht gut genug‘ oder ,Nein, THE DREAM SYNDICATE würden das nicht tun‘.“
Das Debütalbum „The Days Of Wine And Roses“ wurde im September 1982 in nur drei Nächten aufgenommen. Viele legendäre Alben sind unter eher schwierigen Umständen entstanden, was oft ihren Charme ausmacht, der nicht reproduzierbar ist. Sind THE DREAM SYNDICATE auch bei dem Versuch gescheitert, ihren musikalischen Fokus zu öffnen und massenkompatibler zu werden?
THE DREAM SYNDICATE sind nie massenkompatibel geworden. Mit ihrem zweiten Album „Medicine Show“, das bei A&M erschien, also einem Majorlabel, verloren sie aber definitiv den Charme von „The Days Of Wine And Roses“. Das Album war ein großes Rock’n’Roll-Statement, das in fünf Monaten statt in drei Nächten aufgenommen wurde. In den Staaten fiel es den meisten ihrer Fans schwer, sich an den neuen Sound der Band zu gewöhnen. Es klang zu finster, um Mainstream zu sein, aber auch zu mainstreamig, um die Fans des ersten Albums zufriedenzustellen. In Europa jedoch, wo man „The Days Of Wine And Roses“ noch nicht gehört hatte, liebten die Leute „Medicine Show“. Es war jedoch ihr letzter Versuch, ein massenkompatibleres Album zu machen.
Das große Problem von THE DREAM SYNDICATE war damals, dass die Band zu konventionell für das Post-Punk/New-Wave-Publikum war, auch im Vergleich zur damaligen Musikszene in New York, und zu wild für die normalen Rockfans. Passt die Band heute besser in die alternative Musikwelt? Wie viel Nostalgie schwingt mit, wenn du ihre Musik heute hörst? Oder ist die Band wirklich so zeitlos, wie oft behauptet wird?
Wenn ich die Band heute live spielen höre, denke ich, dass sie inzwischen besser in die Welt der alternativen Musik passt. Wenn man die Achtziger-Produktion einiger älterer Songs entfernt, merkt man, dass es wirklich zeitlose Stücke sind. Großartiges Songwriting und schöne Melodien sind zeitlos. Ich glaube auch, dass die Alternative-Rock-Gemeinde heutzutage in der Lage ist, ein breiteres Spektrum an alternativer Musik zu schätzen. Es gibt so viel Musik da draußen und es ist so einfach für die Leute, alles Mögliche an neuer, alternativer Musik zu entdecken. Das hilft den Leuten wirklich, ihren musikalischen Horizont zu erweitern. Ich denke, das ist auch ein Grund, warum die Musik von THE DREAM SYNDICATE heute vielleicht besser ankommt – die Leute sind offener für sie.
Du bist ein Filmemacher aus den Niederlanden. Hast du eine Erklärung dafür, warum die Band in Europa immer populärer zu sein schien als in ihrem Heimatland, obwohl die Basis ihrer Musik eher in den USA verwurzelt ist?
Ich denke, dafür gibt es einige Gründe. Eine Sache, die ich von fast allen Bandmitgliedern gehört habe, ist, dass das amerikanische Publikum sehr wankelmütig sein kann; sie mögen dich, wenn du neu bist, wechseln aber sehr schnell zur nächsten angesagten neuen Band. In Europa ist das Indierock-Publikum loyaler; wer einmal ein Fan ist, bleibt es meist für immer. Als Musikfan aus den Niederlanden kann ich das gut nachvollziehen.
Mein Lieblingszitat des Films ist, als die Journalistin Karen Schoemer sagt: „Steve’s going to that place where guitars kill people.“ Wie würdest du das jemandem erklären, der die Band nicht kennt? Und ist das das besondere Markenzeichen der Band im Gegensatz zu konventionellem Songwriting?
Steve hatte immer Leadgitarristen an seiner Seite, die ihren Sound in Rückkopplung getränkt haben oder technisch extrem begabt waren, oder beides. Im Vergleich dazu hat Steve eine ganz andere Art, Leadgitarre zu spielen; er spielt nicht so viele Noten, aber er geht richtig in die Noten rein, die er spielt. Er kann ein so wilder Gitarrist sein. Dieser Groove und das rohe, gitarrenorientierte Songwriting, das sich im Laufe der Jahre entwickelt hat, sind definitiv ein besonderes Markenzeichen der Band. Wenn sie einmal im Groove sind, kann sie nichts mehr aufhalten!
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THE DREAM SYNDICATE
HOW DID WE FIND OURSELVES HERE?
The Documentary
Niederlande 2022 • Wildwood Pictures • label51recordings.com • 107 Min. • Regie/Drehbuch/Produktion: Emiel Spoelder • Besetzung: Steve Wynn, Dennis Duck, Dave Provost, Ryan Adams, Paul B. Cutler, Chris Robinson, Jason Victor, Mark Walton, Chris Cacavas, Sandy Pearlman, Howe Gelb, Pat Thomas, Karen Schoemer, Stephen McCarthy, Russ Tolman, Scott McCaughey u.a.
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THE DREAM SYNDICATE
Zwischen 1981 und 1989 nahmen THE DREAM SYNDICATE aus Los Angeles, die dort anfangs Teil der „Paisley Underground“ genannten Neo-Psychedelic-Szene waren, zu der auch RAIN PARADE, THE BANGLES oder GREEN ON RED zählten, vier Studioalben auf, neben zwei Live-Platten. 1988 erschien das vierte und bis dahin letzte Album „Ghost Stories“, 1989 folgte noch das hervorragende Live-Album „Live At Raji’s“ – aufgenommen auf der letzten Tour 1988 –, das eindrucksvoll die Live-Qualitäten der Band dokumentierte, gegen die ihre Studioplatten teilweise etwas blass wirkten. Musikalisch saß die ursprünglich aus Steve Wynn (gt, voc), Karl Precoda (gt), Kendra Smith (bs, voc) und Dennis Duck (dr) bestehende Band – Smith verließ bereits 1982 nach dem legendären Debütalbum „The Days Of Wine And Roses“ die Band, Gitarrist Precoda dann nach Album Nr. 2 „Medicine Show“ 1984 – zu sehr zwischen den Stühlen, um mehr als kommerziell wenig erfolgreiche Außenseiter zu sein, die ihre Karriere dann 1986 mit einem Auftritt auf dem Roskilde-Festival in Dänemark vor 50.000 Leuten als Ersatz für THE CULT krönten.Frontmann Steve Wynn konnte nach dem Ende von THE DREAM SYNDICATE auf eine äußerst erfolgreiche Solokarriere zurückblicken und nahm solo oder mit GUTTERBALL, THE MIRACLE 3 (am Schlagzeug Gattin Linda Pitmon), DANNY & DUSTY (mit Dan Stuart von GREEN ON RED) oder THE BASEBALL PROJECT (mit ex-R.E.M.-Gitarrist Peter Buck) zahlreiche Platten auf. Seit 2012 sind auch THE DREAM SYNDICATE wieder aktiv, mit den Gründungsmitgliedern Steve Wynn und Dennis Duck, nebst Mark Walton am Bass (seit 1984 Mitglied der Band) und Gitarrist Jason Victor, mit dem Wynn schon seit Anfang der 2000er Jahre zusammenarbeitet. 2017 entstand dann ein exzellentes neues THE DREAM SYNDICATE-Album namens „How Did I Find Myself Here?“, dem seitdem drei weitere folgten, zuletzt 2022 „Ultraviolet Battle Hymns And True Confessions“.
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