1988 erschien das vierte und bis dahin letzte Album „Ghost Stories“ von THE DREAM SYNDICATE aus Los Angeles, die dort damals Teil der „Paisley Underground“ genannten Neo-Psychedelic-Szene waren, zu der auch THE BANGLES oder GREEN ON RED zählten. Sechs Jahre zuvor war ihr Debütalbum „The Days Of Wine And Roses“ erschienen, eingespielt in der Besetzung Steve Wynn (gt, voc), Karl Precoda (gt), Kendra Smith (bs, voc) und Dennis Duck (dr). Smith verließ bereits nach dem Debüt die Band, Gitarrist Precoda dann nach Album Nr. 2 „Medicine Show“.
Auch wenn sich der Sound der Band nach den Feedback-Orgien des Debüts auf Normalmaß reduzierte und konventionellerer Rock die weiteren Platten bestimmte, blieben THE DREAM SYNDICATE ein kommerziell wenig erfolgreiche Außenseiter, zu deren Karriere-Highlights ein Auftritt 1986 auf dem Roskilde-Festival in Dänemark vor 50.000 Leuten als Ersatz für THE CULT gehörte. Bereits seit 2012 tritt Wynn, der auf eine erfolgreiche Solokarriere zurückblicken kann, nun wieder unter dem Namen THE DREAM SYNDICATE auf, begleitet von Gründungsmitglied Duck, Bassist Mark Walton – der ab dem dritten Album „Out Of The Grey“ von 1986 fest zur Besetzung gehörte –, sowie Gitarrist Jason Victor von Wynns Begleitband THE MIRACLE 3. Im September erschien mit „How Did I Find Myself Here?“ nun ein neues Album, das erfreulicherweise mehr als nur ein netter Nostalgietrip wurde. Und eine weitere Platte soll bereits in Planung sein.
Steve, als wir uns das letzte Mal 2008 unterhielten, ging es auch um die Frage einer möglichen THE DREAM SYNDICATE-Reunion. Damals hast du gesagt: „Wir sind wohl die einzige Band, die niemals wieder zusammen spielen wird.“
Das habe ich gesagt?! Oh nein! Ich muss wirklich vorsichtiger sein, haha.
An dem damals dafür genannten Grund hat sich hingegen nichts geändert, oder? Du und Gitarrist Karl Precoda haben keinen Kontakt mehr und Paul B. Cutler, der andere Gitarrist, macht keine Musik mehr.
Das stimmt. Aber als ich dir das damals sagte, war der Gedanke dahinter folgender: Wenn ich nicht wieder mit Karl zusammenspielen kann, was nicht passieren wird, weil wir schon seit Jahren nicht mehr miteinander geredet haben, oder mit Paul, mit dem ich weiterhin befreundet bin, aber der keine Musik mehr macht, kann es auch die Band nicht mehr geben. Und daran hat sich nichts geändert. Aber inzwischen treten wir seit fünf Jahren wieder unter dem Namen THE DREAM SYNDICATE auf, und die Band hat ursprünglich ähnlich lang existiert. Ich hätte sicherlich mehr Angst davor gehabt und wäre dagegen gewesen, wenn wir nicht gefragt worden wären, ob wir auf einem Festival in Spanien spielen wollten. Und weil es so eine kurzfristige Anfrage war, sprach ich Jason Victor an, mit dem ich schon seit über zehn Jahren zusammenspiele, ob er bei dem Gig mitmachen will. Ich weiß, dass Jason in gewisser Weise eine Kombination aus Karl und Paul ist und dabei einige zusätzliche Sachen einbringt. Und ich weiß, dass Jason jeden Song von THE DREAM SYNDICATE kennt und versteht, vielleicht sogar besser als wir damals.
So manche Reunion war schon enttäuschend ...
Ich bin ja selbst Musikfan und kenne die Gefahren, wenn man die Besetzung einer Band verändert und den Leuten ihre nostalgischen Erinnerungen verdirbt. Aber ich dachte: Schauen wir doch mal, was passiert, spielen wir die Shows in Spanien und wenn wir meinen, dass es sich gut anfühlt, wir Spaß dabei haben und das Publikum es mag und akzeptiert, gibt es mehr davon. Und die Shows liefen unglaublich gut, es war fantastisch, und dann gab es noch etwas mehr und noch etwas mehr. Und inzwischen sind fünf Jahre verstrichen und wir machen es immer noch. Ich habe ja auch immer zwei oder drei andere Sachen parallel laufen, zuletzt bin ich solo getourt mit meiner Band, und mit THE BASEBALL PROJECT war ich viel in den Staaten unterwegs und habe vor allem mit denen Platten aufgenommen. Aber dieses Jahr geht es ausschließlich um THE DREAM SYNDICATE. Ich will, dass es damit möglichst gut weitergeht und ich glaube total an diese Band, darauf liegt jetzt mein ganzer Focus.
Es ist natürlich nicht ganz einfach, den speziellen Gitarrensound von jemand zu kopieren. Was unterscheidet Jason von Karl und Paul?
Sicherlich spielt er ein wenig anders. Er ist ein erstaunlicher Gitarrist und viele Leute entdecken das jetzt. Und einer der Hauptgründe, warum ich wir diese Platte gemacht haben, war wegen der speziellen Art, wie wir mit Jason zusammenspielen. Es ist kein Nostalgie-Ding, es ist wirklich eine neue Band. Es klingt nach THE DREAM SYNDICATE, aber ebenso wie eine ganz neue Band. Ich wollte, dass die Platte das zeigt, was wir machen, damit die Leute diese Band als besondere Sache ansehen. Ich hoffe, die Leute hören die Platte, sehen uns auf Tour und sagen: Ich kann es kaum abwarten, die vier wieder zusammen spielen zu sehen. Was Jason angeht, ist er in technischer Hinsicht wirklich toll, ebenso wie Paul es war. Jason hat auch keine Angst davor, dieselbe Note zehn Minuten lang zu spielen und viel Lärm zu produzieren, wie Karl es auch gemacht hat. Er ist quasi das Beste aus beiden Welten.
Meinst du, dass es einige Leute dennoch stören könnte, dass „nur“ noch zwei THE DREAM SYNDICATE-Gründungsmitglieder dabei sind, du und Dennis?
Nun, Mark ist zwar kein Gründungsmitglied gewesen, war aber trotzdem lange in der Band dabei, eigentlich fast während der gesamten Zeit ihrer Existenz. Und er stand bei fast jeder Show auf der Bühne, die wir in Europa gespielt haben. Aber mir ist die Gefahr bewusst, wenn eine Band dreißig Jahre später zurückkehrt und eine Platte aufnimmt und die Leute sagen: Nett, dass sie das gemacht haben, aber es wäre nicht nötig gewesen. Ich habe ganz ehrlich das Gefühl, bei aller Voreingenommenheit, dass unsere neue Platte sicher nicht schlechter ist als die Platten, die wir damals gemacht haben, wenn nicht sogar besser, und das finde ich wirklich aufregend.
Als ich erfahren habe, dass ein neues THE DREAM SYNDICATE-Album erscheinen soll, dachte ich zuerst: Das Schlimmste, was passieren könnte, ist, dass es nur ein weiteres gutes Steve Wynn-Album wird.
Stimmt, und das ist wirklich eine Gefahr gewesen, dass es nur THE DREAM SYNDICATE mit mir und Jason wäre. Aber es ist schon etwas anderes durch die Art, wie Mark und Dennis spielen. Die Rhythmussektion der Band klingt wie THE DREAM SYNDICATE. Aber es ist seltsam, selbst für mich. Als wir das erste Mal zusammenkamen 2012, organisierten wir drei Proben in Madrid. Wir brauchten insgesamt drei Tage, um uns daran zu erinnern, wie es war zusammenzuspielen. Aber ganz im Ernst, nach nur einer Stunde hatten wir bereits das Gefühl, als sei die Zeit stehengeblieben – unsere Chemie ist einfach sehr gut. Auch wenn THE DREAM SYNDICATE jetzt anders klingen, und auch anders als THE MIRACLE 3 oder andere Sachen, die ich mache. Es ist alles nicht ganz einfach, denn man will eine echte Verbindung zu dem aufrechterhalten, was man mal war, aber braucht auch einen Grund dafür, im Hier und Jetzt zu existieren. Und was denkst du über das Album?
Mir sind die sehr ausufernden psychedelischen Parts aufgefallen, die auf deinen Soloplatten nicht so ausgeprägt waren und deutlich auf die frühen THE DREAM SYNDICATE verweisen.
Ich habe THE DREAM SYNDICATE auch immer als Psychedelic-Band angesehen, und zwar in dem Sinne, dass wir die Leute mit auf einen bewusstseinserweiternden Trip nehmen wollten, und wenn du davon zurückkommst, hast du dich verändert. Ähnlich ist es, wenn du gute Jazz-Stücke wie von John Coltrane hörst. Wie sind jetzt eine echte Psychedelic-Band, mehr als wir es jemals zuvor waren. Denn ich würde uns – mehr theoretisch als vom Sound her – mit den ALLMAN BROTHERS oder GRATEFUL DEAD vergleichen. Für mich ist das ein Kompliment, andere Leute könnte das abschrecken, die sagen, so was will ich nicht hören.
Besitzt das neue Album eine stärkere Verbindung zum Debüt „The Days Of Wine And Roses“ als die drei im Anschluss entstandenen Platten?
Vermutlich. Jemand schrieb sogar, es würde klingen, als ob „The Days Of Wine And Roses“ 2017 aufgenommen worden wäre. Und das macht irgendwie Sinn, denn es ist sehr nah dran, selbst das Coverartwork erinnert daran. Die Sache mit „The Days Of Wine And Roses“ ist ja auch – mal abgesehen davon, dass es eine gute Platte ist –, dass es unsere erste Platte war. Was wir da gemacht haben, existierte zuvor in dieser Form nicht. Und wenn wir diesem damaligen Entdeckergeist irgendwie nahe gekommen wären, würde mich sehr das glücklich machen.
„The Days Of Wine And Roses“ wurde im September 1982 in nur drei Nächten aufgenommen. Wie lange hat es diesmal gedauert?
Fünf Tage, haha. Also zwei Tage mehr und wir haben tagsüber aufgenommen. Aber Tag und Nacht sind ja nur unterschiedliche Tageszeiten, der Punkt dabei ist, dass wir bessere Musiker geworden sind. Es gibt mehr Selbstvertrauen und Wissen, man kann ja nicht so einfach abstreifen, was man in 35 Jahren an Erfahrungen gemacht hat. Und man kann sich ja nicht selbst austricksen und so tun, als ob man bestimmte Dinge nicht wüsste. „The Days Of Wine And Roses“ klingt so, wie sie klingt, weil wir damals 21 Jahre alt waren. Wir waren die ganze Nacht wach – auf was für Drogen auch immer – und hatten keine Ahnung, was wir in einem Aufnahmestudio tun mussten. Und was ich an der neuen Platte mag, ist diese Gefühl von Gefahr, Anspannung, Überraschung und Furchtlosigkeit, das wir auch beim ersten Mal hatten. Und ich lerne dabei immer noch dazu, zumindest hoffe ich das.
Das große Problem von THE DREAM SYNDICATE war damals, dass die Band für das Post-Punk/New-Wave-Publikum zu konventionell war und für die normalen Rockfans zu wild. Passt die Band heute besser in die alternative Musikwelt?
Das stimmt, wir passten damals überhaupt nicht da rein. Als wir anfingen, wollten die Leute keine Gitarren hören, sie wollten HUMAN LEAGUE haben oder so was. Sie wollten keine von den Sixties oder von Psychedelic beeinflusste Musik hören. Oder Feedback, das war alles nicht angesagt. Wir haben unsere Musik aber nicht gemacht, um rebellisch zu wirken, wir haben es gemacht, weil es sonst niemand gemacht hat. Wir haben die Platte aufgenommen, die wir auch selbst gerne gehört hätten. Das Schöne daran war, dass auf der ganzen Welt Leute die Platte auch hören wollten. Es gab Orte für uns, wo wir hingehen konnten und wo man uns mochte. Und das ist der große Unterschied zu heute, denn jetzt gibt es viele Bands, die so was machen. Inzwischen gab es eine regelrechte Explosion von Psychedelic- und Garage-Bands weltweit, was toll ist. Aber ich denke, es gibt immer noch keine Band, die genau wir wir klingt, aber es ist nicht so, dass wir in einem Vakuum arbeiten würden und niemand so etwas zuvor gehört hätte.
Streng genommen waren THE DREAM SYNDICATE auch nie eine richtige Westcoastband. Ihr wäret in New York wahrscheinlich besser aufgehoben gewesen, wo es ja einige Jahre zuvor jazzbeeinflusste Bands wie TELEVISION gab, die auch in keine Schublade richtig passten.
Ich weiß. Wir waren ja auch stark von TELEVISION und VELVET UNDERGROUND beeinflusst. Inzwischen sind wir im Grunde auch eine New Yorker Band, weil zwei von uns in New York City leben und nur noch ein Mitglied in L.A. Wir werden zwar immer eine L.A.-Band bleiben und damit in Verbindung gebracht werden, aber wir sind schließlich dort gelandet, wo wir hingehören, in New York.
Hat deiner Meinung nach die jeweilige geografische Umgebung einen Einfluss auf die Musik?
Das ist eine gute Frage. Es muss irgendeinen Einfluss haben, aber es hat sich nie so angefühlt, als ob wir eine Band aus L.A. gewesen wären, wir haben nur einfach nur dort gelebt. Aber was ist überhaupt ein L.A.-Sound? Die Leute denken da vielleicht an die BEACH BOYS oder die EAGLES. Und dann gibt es GUNS N’ ROSES, MÖTLEY CRÜE oder N.W.A. Es ist eben eine ziemlich große Stadt. Bei New York denke ich an das East Village und Junkies, über die man steigen muss, wenn man eine Treppe hochgeht, während dazu „I’m waiting for the man“ läuft, das fühlt sich nach New York an. Ich weiß gar nicht, was ein typisches Bild von L.A. für mich wäre. Im Auto herumfahren, schätze ich, haha.
Ein Highlight von „How Did I Find Myself Here?“ ist der abschließende Song „Kendra’s dream“. Der wird von Kendra Smith gesungen, Gründungsmitglied von THE DREAM SYNDICATE, die nach eurem Debütalbum die Band verließ, um mit RAIN PARADE-Gitarrist David Roback bei OPAL weiterzumachen. Damals hast du mir erzählt, sie würde inzwischen zurückgezogen auf einer Farm in Nordkalifornien leben, wo sie Gemüse anbaut. Wie ist es dir gelungen, sie zu ihrem Gastauftritt zu bewegen?
Ich war zwar nie dort, aber sie lebt immer noch irgendwo auf dem Land. Wir haben aber immer Kontakt gehalten, soweit das irgendwie möglich war, und sind Freunde geblieben. Und als wir das Album aufnahmen, arbeiteten wir an einem Song, aus dem dann „Kendra’s dream“ wurde, aber Titel und Text waren noch ganz anders und ich war der Sänger. Das Stück war an sich toll, aber ich war nicht glücklich damit, wir kamen damit irgendwie nicht weiter. Und ich überlegte, wie es wohl wäre, wenn Kendra den Song singen würde oder den Text dazu schreiben würde. Ich nahm aber nicht an, dass sie es machen würde. Ich kontaktierte sie dennoch und erzählte ihr von meiner Idee und ihre erste Reaktion war: „Nein, ich fühle mich nicht wohl dabei. Ich habe schon lange keinen Song mehr geschrieben, auch wenn ich mich geschmeichelt fühle, dass du mich gefragt hast.“ Und ich meinte, dass es sicher toll wäre. Und sie sagte dann, sie könne mir nichts versprechen, aber würde es versuchen. Und es war fantastisch, als ich dann ihre Stimme hörte, es war absolut perfekt. Sie singt so emotional und das bringt uns wieder genau dorthin, wo wir mal angefangen haben, weil es einen gemeinsamen Song gibt mit mir, ihr und Dennis. Es ist toll, dass die Platte so endet, fast so wie ein richtig guter Film.
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