D.O.A.

Foto© by Bob Hanham

Im Gespräch mit Stadtrat Joe Keithley

Vielleicht sind die Dinge in Deutschland anders, aber hier in Kanada lassen sich nicht so oft Punkrocker zur Wahl aufstellen. Ich habe schon manchen Politiker getroffen und war auf auch auf einigen politischen Veranstaltung, aber es gibt nur eine Person mit einem Punkrock-Namen – auch wenn er immer seltener als „Joey Shithead“ auftritt –, deren „echten“ Namen ich tatsächlich mal auf einem Wahlzettel angekreuzt habe. Es handelt sich dabei natürlich um Joe Keithley von D.O.A., Jahrgang 1956, der etwa 15 Minuten von dem Ort entfernt wohnt, an dem ich diese Zeilen schreibe, der als Vertreter der Grünen Partei in der Turnhalle der benachbarten Schule gesprochen hat und den ich hier in Burnaby gelegentlich auf der Straße treffe. Manchmal begegne ich auch dem ehemaligen BLACK FLAG-Sänger Ron Reyes beim Einkaufen, aber ich habe nie für ihn gestimmt.

Während meines Gesprächs mit Keithley im März 2024 geht es hauptsächlich um seine Rolle im Stadtrat von Burnaby. Es ist seine zweite Amtszeit für die Grüne Partei an der Seite des unabhängigen Bürgermeisters Mike Hurley, der selbst ein ehemaliger Musiker ist, mit dem Joe ein paar sehr charmante Folk-Kollaborationen gemacht hat, die auf YouTube zu finden sind. Keithley und ich sprachen auch ausführlich über den kommenden Dokumentarfilm „Something Better Change“ von Scott Crawford, der auch den Film „Salad Days“ über die Hardcore-Szene in Washington, D.C. gemacht hat. Aber da im April 2024 ein Gig ansteht, bei dem er die Bühne mit DEAD BOB teilen wird – eine Supergroup mit John Wright von NOMEANSNO und Leuten von RONG, PIGMENT VEHICLE, INVASIVES sowie dem Ex-D.O.A.-Mitglied Ford Pier –, begannen wir mit einem kleinen Einblick in Keithleys Geschichte mit NOMEANSNO und DEAD BOB.
Keithley hat mehr als einmal die Bühne mit NOMEANSNO geteilt, unter anderem im Commodore Ballroom, einem der renommiertesten und geschichtsträchtigsten Veranstaltungsorte in Vancouver, wo die D.O.A./DEAD BOB-Show schließlich stattfand. Außerdem hat sein Label Sudden Death Records einige CDs mit DEAD BOB-Bezug vertrieben, wie „Murder’s Only Foreplay When You’re Hot For Revenge“ von PIGMENT VEHICLES, mit dem DEAD BOB-Bassisten Colin MacRae. Sudden Death hat auch „Johnny Hanson Presents Puck Rock Vol. 2“ herausgebracht, eine Compilation-CD, auf der unter anderem die Hanson-Brüder zusammen mit NOMEANSNO-Schlagzeuger und DEAD BOB-Frontmann John Wright „The enemy“ von D.O.A. covern. Es gibt ein Video, das zeigt, wie Keithley 1997 in Toronto mit den Hansons auf der Bühne steht und den Song performt.
Am wichtigsten ist mir jedoch die Geschichte von „The Black Spot“, einem Album aus dem Jahr 1995, an dem sowohl Wright als Produzent und Gastschlagzeuger als auch der DEAD BOB-Gitarrist, -Posaunist, -Keyboarder und -Cheerleader Ford Pier beteiligt waren, der bei der Aufnahme von „The Black Spot“ erst Anfang 20 war. Pier spielte auf dem Album Gitarre und von ihm stammt sogar der Leadgesang bei „You’re paying for your body now“, das DEAD BOB am 11. April in ihr Set aufnahmen.
Joes Erinnerungen daran, wie „The Black Spot“ zum Titel des Albums wurde, sind etwas nebulös, er denkt, dass es mit dem Tod von D.O.A.-Mitgliedern zu tun hatte: „Wenn dir in der Welt der Seeleute, in der alten britischen Marine, jemand die Hand schüttelte und dabei einen schwarzen Fleck hinterließ, bedeutete das, dass es dich erwischen würde, und zwar bald. In der nautischen Welt wurde das als Drohung oder Warnung aufgefasst.“

Allerdings räumt er ein, dass der Titel eigentlich die Idee des jungen Ford Pier war. Also haben wir uns für die Details an die Quelle gewandt und Ford füllte die Lücke gerne aus: „Ich erinnere mich daran, dass wir drei, Joe, unser Bassist Brian Goble und ich – einen Schlagzeuger hatten D.O.A. damals nicht – riesige Listen mit möglichen Titeln für das Album erstellt hatten. Wir trafen uns in Laurie Mercers Büro, lasen sie uns gegenseitig vor und verwarfen einen nach dem anderen. Als von mehreren Seiten Papier bloß noch ein halbes Dutzend Vorschläge übrig waren, gingen wir rüber ins Lamplighter auf der anderen Straßenseite, um uns endgültig für einen zu entscheiden. Dort sprachen wir aber nur über den finalen Mix des Albums, der die Tage zuvor stattgefunden hatte. Dann gingen Joe und Brian nach Hause und ich schaute noch mal bei Brian Else vorbei, unseren Producer, der gerade noch mit dem Finish beschäftigt war, um ihn vielleicht ein bisschen zu unterstützen, aber wir hingen nur in der Lounge ab und sahen uns ‚Die Schatzinsel‘ im Fernsehen an. Hinterher unterhielten wir uns noch darüber, wie toll wir den Film fanden, lobten Robert Newtons darstellerische Leistung und erzählten uns unsere Lieblingsstellen, was uns schließlich zu dieser Sache mit dem schwarzen Fleck führte. Irgendwann rief ich spontan: Hey, wir sollten das Album ‚The Black Spot‘ nennen! Herzhaftes Gelächter. Doch dann waren wir beide der Meinung, dass es irgendwie cool klingt und die Bedeutung hat, jemandem mitzuteilen ‚Du steckst in Schwierigkeiten‘ oder ‚Jetzt wird’s ernst‘ oder ‚Du bist gefeuert‘, und das passt zu Songs wie ‚Kill ya later‘ und ‚Running out of time‘. Ehe wir uns versahen, hatten wir beschlossen, dass die Platte ‚The Black Spot‘ heißen sollte, und stießen darauf an. Brian Goble wollte sich dann im Piratenkostüm und mit einem ausgestopften Papagei auf der Schulter fotografieren lassen, aber Joe meinte: ‚Auf keinen Fall!‘ Das ist eine meiner schönsten Erinnerungen aus meiner Zeit in der Band.“
Damit wäre das geklärt, kehren wir nun zu unserem Gespräch mit Stadtrat Keithley zurück.

Joe, lass uns ein bisschen über „The Black Spot“ und seine Vorgeschichte sprechen. Wie kam es dazu, dass John Wright darauf Schlagzeug gespielt hat?
Unser Drummer Ken Jensen war tragischerweise bei einem Hausbrand ums Leben gekommen. John sollte die Platte produzieren, aber wir konnten keinen Schlagzeuger finden, also sagte er großmütig: „Okay, ich übernehme das.“ Und er ist ein fabelhafter Drummer. Aber er hat ein etwas anderes Feeling als die meisten anderen D.O.A.-Drummer. Er ist einer der besten Schlagzeuger Kanadas, genau wie Chuck und Dimwit. Und Paddy Duddy, der Neue, ist auch ziemlich gut. Nach zehn Jahren ist er immer noch „der Neue“ für mich, haha. Ansonsten gibt es eigentlich keine witzigen Anekdoten rund um das Album. Erschienen ist es bei Virgin Canada. Dieser A&R-Typ, dessen Namen ich vergessen habe, und Laurie Mercer von unserem Management haben uns in diesen Deal reingequatscht, von wegen „Die haben ein fantastisches Vertriebsnetz“. Also ich kenne das Plattengeschäft. Ich war bei zehn oder zwölf verschiedenen Labels und eins war so scheiße wie das andere. Mit Alternative Tentacles sind wir wirklich gut gefahren, die waren wirklich korrekt zu mir, und mit Sudden Death lief es auch gut. Darüber hinaus gibt es mindestens zehn Labels, von denen ich wünschte, ich hätte nie einen Vertrag bei ihnen unterschrieben.

War Dimwit [bürgerlich Ken Montgomery, Bruder von Chuck Biscuits, Anm.d.Red.] zu diesem Zeitpunkt auch schon tot?
Ja. Als dann Ken umkam, stand in der Vancouver Sun: „Innerhalb kurzer Zeit haben D.O.A. zwei Schlagzeuger verloren.“ Diese Geschichte kam 1996 heraus, und ich glaube, Dimwit starb 1994 und Ken Jensen im Januar 1995. Ich hatte mich gerade hingesetzt, um den Superbowl zu sehen, als ich einen Anruf von Tom Holliston von NOMEANSNO bekam: „Hey, du kommst besser her.“ Das ganze Haus stand in Flammen, es war furchtbar.

„The Black Spot“ ist eine Art Kollektivleistung von D.O.A.: Ford hat „Order“ geschrieben und zusammen mit Jensen „You’re paying for your body now“. Von Brian Gobles sind die Songs „More“, „Big guys like D.O.A.“ und „Running out of time“ ... Wolltest du andere Leute in den Vordergrund schieben?
Nein, Wimpy [„Wimpy Roy“ war Brian Gobles Spitzname aus seiner Zeit bei WIMPY AND THE BLOATED COWS, Anm.d.Red.] hatte eine ziemlich gute Bilanz beim Schreiben von Songs – von ihm und Mike Normal und Gerry Hannah stammten die wichtigsten Songs der SUBHUMANS. Also sagte er: „Wenn ich bei der Band dabei sein soll, möchte ich auch etwas beitragen.“ Und das hat geklappt. Früher habe ich natürlich viele Songs mit Chuck geschrieben, der auch ein großartiger Songwriter ist. Es hatte sich einfach so ergeben. Ford hatte ich gar nicht als Songschreiber auf dem Zettel, aber er hat mir gutes Material für das Album geliefert. Es kommt mir aber auch ein bisschen seltsam vor, denn immer, wenn andere Leute etwas für uns geschrieben haben, beschleicht mich das Gefühl, dass wir damit ein bisschen von dem abgewichen sind, wie D.O.A. eigentlich klingen sollten. Ich sage nicht, dass es keine guten Songs waren, aber wenn du an die echten D.O.A.-Klassiker denkst, wie „War on 45“, „Something better change“ oder „Hardcore 81“, spricht daraus immer präzise dieselbe Form von Wahnsinn. Und die meisten davon habe ich geschrieben, dazu vielleicht noch ein halbes Dutzend mit Chuck.

Hat sich dein Verhältnis zum Live-Spielen durch deine jetzige Rolle als Stadtrat von Burnaby verändert?
Nein, im Grunde ist es dasselbe. Du gehst einfach raus und versuchst, die Leute zu begeistern. Ich hasse es, wenn ich eine ältere Band sehe und mich darauf freue, diese Jungs nach 20 Jahren mal wieder zu sehen, und dann denke: „Wow, die stehen bloß da, um ihre Gage zu kassieren.“ D.O.A. haben in fünfzig verschiedenen Ländern auf fünf Kontinenten gespielt, Paddy und ich sind auf ungefähr 4.500 Shows gekommen. Nach einem Gig saßen wir im Hotelzimmer noch bei ein paar Bier zusammen und redeten über den Abend, als die Frage aufkam, ob es möglich ist, dass D.O.A. die meisten Shows auf der Welt gespielt haben. Wir haben etwas recherchiert und herausgefunden, dass die einzige Band, die mehr Konzerte gespielt hat als wir, BLUE ÖYSTER CULT sind, egal ob Rock, Punk oder Metal.

Aber BÖC hatten auch zehn Jahre Vorsprung.
Sie haben mindestens 4.612 Shows gespielt, und wir denken, dass es bei D.O.A. etwa 4.500 waren. Ich habe BÖC auch mal gesehen, sie waren großartig. Aber worauf ich damit hinaus will, ist, dass ich vorhabe, so lange aufzutreten, wie ich kann.

Wer sind deine politischen Vorbilder? Und wann wurde dein Interesse an Ginger Goodwin geweckt? Wenn ich mich recht erinnere, hast du ihm gemeinsam mit Utah Phillips und Rodney DeCroo vor ein paar Jahren auf dem Vancouver Folk Festival einen Song gewidmet ...
Ich erinnere mich an die Show, an mich und Utah Phillips, und Rodney kam und sang ein Lied mit uns ... Mein Bruder Jef war 30 Jahre lang Gewerkschaftsfunktionär, also war ich von klein auf mit den Themen der Arbeiterklasse vertraut. Aber als jemand Ginger Goodwin erwähnte, sagte mir der Name zunächst nichts. Goodwin war daran beteiligt, den ersten Streik für den Achtstundentag in Kanada zu organisieren, ich glaube, das war 1917. Es gibt ein wirklich umfassendes Buch von Susan Mayse über ihn, das mir empfohlen wurde. Und als ich das las, dachte ich mir, okay, darüber schreibe ich einen Song, und zwar „Ginger Goodwin“ [ursprünglich auf dem Soloalbum von Joe „Beat Trash“ Keithley, wurde kürzlich neu aufgenommen für Joes Soloalbum „Stand“, Anm.d.Red.]. Und wir haben oben in Cumberland gespielt, in einem kleinen Lokal namens Waverley in Courtenay/Comox auf Vancouver Island. Da befindet sich das Grab von Ginger Goodwin . Und jedes Jahr, am 1. Juni oder so, treffen sich dort Mitglieder verschiedener Gewerkschaften, um seiner zu gedenken. Mein Bruder hat diese Veranstaltung mit organisiert. Wenn wir mit D.O.A. in der Gegend sind, statten wir immer als Erstes seinem Grab einen Besuch ab. Man hat ihm in den Rücken geschossen, nur weil er sich für Arbeiterrechte einsetzte.

In welchem Zusammenhang hat dir jemand gesagt, dass du das Buch lesen sollst?
Das passierte, als die gemäßigt sozialistische NDP bei den Provinzwahlen 2000 oder 2001 eine Niederlage einstecken musste. Die Leute dort oben hatten die Hauptstraße von Robert Dunsmuir Way, ein lokaler Kohlebaron, in Ginger Goodwin Way umbenannt, man tauschte also den superreichen Erzkapitalisten gegen den Vorkämpfer der Arbeiterklasse ein. Als dann die liberale Partei unter dem rechtsgerichteten Premier Gordon Campbell wieder an die Macht kam, hieß es gleich: „Wir werden den Namen zurück in Robert Dunsmuir ändern, weil wir diesen Gewerkschaftstypen nicht leiden können.“ Ziemlich kleinlich! Also luden die Gewerkschaften D.O.A. dazu ein, auf ihrer großen Protestkundgebung aufzutreten. Wir spielten in einer riesigen Halle in Cumberland. In dem Jahr schrieb ich auch den Song.

Gibt es noch andere Vorbilder, über die wir sprechen sollten?
In der 11. Klasse belegte ich einen Jura-Kurs, weil ich Anwalt werden wollte, das war wegen William Kunstler, einem berühmten New Yorker Bürgerrechtsanwalt. Und ich mochte Jimi Hendrix, nicht nur wegen seiner Musik. sondern auch, weil er sich gegen den Krieg einsetzte, genau wie Muhammad Ali. Wenn nur alle Sportler den Einfluss, den sie besitzen, zum Wohl der Menschheit verwenden würden! Muhammad Ali war nicht perfekt, klar, aber er hat verdammt viel erreicht; er war ein toller Mensch. Ein anderer Typ wäre Country Joe McDonald. Alle Entertainer – und ich bin ein Entertainer – versuchen, die Leute zu unterhalten, aber höchstens 10% Prozent glauben auch daran, dass man mit Musik etwas bewegen kann. Mit elf, zwölf Jahren habe ich das als Kind alles durchs Fernsehen mitbekommen, den Vietnamkrieg, die nukleare Aufrüstung, die Zerstörung der Umwelt ... Und als ich dann sah, wie Menschen wie Hendrix, Country Joe McDonald, Pete Seeger oder Arlo und Woody Guthrie ihre Macht durch die Musik nutzten, dachte ich, diese Leute verändern wirklich etwas. Das komplette Gegenteil von Ronald Reagan oder auch Donald Trump, als aktuelles Beispiel für einen schlechten Menschen, der niemals ein offizielles Amt ausüben sollte ... der sollte einfach im Gefängnis verrotten!

In deiner Autobiografie „I, Shithead“ schreibst du, dass ein Zeitungsfoto von dir und Dimwit existiert, auf dem zu sehen ist, wie ihr als Teenager bei den Anti-Atomkraft-Protesten von Greenpeace auf Amchitka Island mitmarschiert seid. Hast du jemals versucht, die Aufnahme ausfindig zu machen?
Das habe ich nie getan. Mein Vater war extrem konservativ eingestellt und von solchen Dingen hielt er nichts. Ich habe meinen Vater geliebt, er möge in Frieden ruhen, aber er war ziemlich rechtslastig. Dimwit und ich liefen also an der Spitze dieser Parade von Greenpeace, außerdem Gerry Hannah, Brian Goble und ein paar andere. Insgesamt schlossen sich ungefähr 300 Schüler von der Burnaby North Highschool dem Protest an, andere Schulen wie die Britannia, École Alpha und die Vancouver Tech kamen dazu und am Ende waren wir es über tausend Menschen ... Als ich am nächsten Tag nach Hause kam, lag da die Vancouver Sun – und Brian, Dimwit und ich waren auf der Titelseite! Und ich dachte: „Das überlebe ich nicht. Mein Vater wird mich umbringen.“ Ich war 16 oder so. Ich schnappte mir die Titelseite der Zeitung und stopfte sie in den Schrank oben in meinem Zimmer. Als mein Vater nach Hause kam, wollte er wie immer nach der Arbeit seine Zeitung lesen. Er fluchte: „Was ist mit der verdammten Titelseite passiert?“ Und ich sagte: „Dad, das muss wieder dieser Zeitungsjunge gewesen sein!“ Heute hätte ich das Foto jedoch gerne.

Lass uns darüber reden, was du im Stadtrat machst. Ich habe gelesen, dass du unter anderem Vorsitzender des Umweltausschusses von Burnaby bist – was bedeutet das konkret für deine Arbeit?
Als ich zum ersten Mal gewählt wurde, wurden der Sozialplanungs- und der Umweltausschuss zusammengelegt. Colleen Jordan war die Vorsitzende und Bürgermeister Mike Hurley machte mich zu ihrem Stellvertreter, so dass ich die Sitzungen geleitet hätte, wenn sie nicht da gewesen wäre. Nach ein paar Jahren wurde der Ausschuss dann wieder aufgeteilt. Der Umweltausschuss besteht aktuell aus fünf Ratsmitgliedern, darunter ich, und, ich glaube, sieben Bürgervertretern, die nominiert werden. Die endgültige Entscheidung trifft der Bürgermeister, und die Amtszeit beträgt drei Jahre. Außerdem haben wir Berater von der Energiewirtschaft und der Handelskammer, und so weiter und so fort.

Wie sieht dein Arbeitstag aus?
Es bedarf einer Menge Vorarbeit, um die Themen, mit denen wir uns befassen müssen, zu durchdringen. Die Mitarbeiter stellen einen Bericht zusammen, den ich als Vorsitzender dann mit ihnen durchgehe. Es handelt sich entweder um die Antwort auf eine Anfrage oder einen Brief oder um die Auswertung einer Initiative, durch die Burnaby nachhaltiger werden soll, zum Beispiel eine Reduzierung des CO2-Ausstoßes im Wohnungsbau. Damit haben wir also viel zu tun. Ich habe mich auch dafür eingesetzt, dass jeder kommerziell bewirtschaftete Parkplatz über eine Ladestation für E-Autos verfügen muss. Das kann vom Stadtrat ausgehen oder vom Umweltausschuss, aber letztendlich werden die Mitarbeiter das recherchieren und dem Stadtrat Empfehlungen geben. Außerdem haben wir einen Verkehrsausschuss, einen Sicherheitsausschuss und den Bibliotheksausschuss, insgesamt sind es acht oder neun, da sind noch der Rechnungsprüfungsausschuss und der Finanzausschuss, dem gehöre ich auch an. Die Ausschüsse gehen die Dinge durch und geben Empfehlungen ab, die dann dem Stadtrat vorgelegt werden, der sie genehmigen muss, wenn es Kosten verursacht. Denn der Stadtrat ist die einzige Instanz, die Geldausgaben genehmigen kann. Zweimal im Monat haben wir Ratssitzungen, öffentliche Anhörungen einmal im Monat. Ich gehöre fünf verschiedenen Ausschüssen an, die in der Regel einmal im Monat oder einmal alle zwei Monate tagen. Aber die meiste Zeit verbringt man mit den Berichten der Mitarbeiter, denn man muss sie studieren und sich fragen: Okay, was ist meine Meinung? Wie soll ich abstimmen? Außerdem gehen wir oft zu Veranstaltungen und sprechen mit den Leuten. Die Leute freuen sich, wenn der Bürgermeister und die Ratsmitglieder auftauchen. Nun ja, jedenfalls die meisten, haha ... also machen wir genau das. Es ist ein 40-Stunden-Job, in manchen Wochen sind es eher 60 Stunden, je nachdem ...

Du sagst, du arbeitest meistens von zu Hause aus mit deinem Laptop ... Du musst also auch manchmal im Rathaus erscheinen.
Ich habe morgen zwei Termine! Zuerst treffe ich mich mit einem Vertreter der CUPE, der Canadian Union of Public Employees. Anschließend muss ich ins Rathaus wegen der Finanzen und am Nachmittag geht es um Planung und Entwicklung ... Die Provinzregierung hat die Regeln für öffentliche Anhörungen geändert, was ich nicht gut finde. Anders als mit den neuen Gesetzesentwürfen 44 und 45 über Wohnungen in der Nähe von Verkehrsmitteln ... weißt du, wovon ich rede?

Nicht wirklich, sorry.
Okay, im Herbst hat die jetzige Regierung beschlossen, dass man ein Einfamilienhaus künftig in zwei, vier oder sechs Wohneinheiten aufteilen kann, ohne dass man die entsprechenden Autostellplätze nachweisen muss, wenn sich um Umkreis von nicht mehr 400 oder 500 Metern eine Haltestelle befindet, die regelmäßig von Bussen angefahren wird, wie eine Skytrain-Station oder eine Hauptbuslinie. Das befürworten wir, wir hatten bereits versucht, die Anzahl der vorgeschriebenen Parkplätze zu reduzieren. Bislang findet einmal monatlich eine öffentliche Anhörung statt, aber dieses Jahr werden es wahrscheinlich nur vier sein, weil die Provinzregierung gesagt hat, dass sie nicht wollen, dass öffentliche Anhörungen den Bau neuer Wohnungen aufhalten. Es ist eine edle Idee, mehr Wohnungen zu bauen, aber bei öffentlichen Anhörungen haben die Menschen die Möglichkeit, ihre Meinung zu sagen. Denn nicht jeder ist begeistert, wenn ein Neubaugebiet ausgewiesen wird. Die Menschen mögen eigentlich keine Veränderungen, aber natürlich wird es Veränderungen geben; es ziehen immer mehr Menschen nach Kanada ... Wenn hier also ein neues Wohnprojekt entsteht, wird es geplant, es wird gebaut, sie haben die Genehmigungen und so weiter, aber wurden die Auswirkungen auf den Verkehr gewissenhaft geprüft? Die Öffentlichkeit kann sehr berechtigte Bedenken vorbringen, die die Stadtverwaltung dann in die Planung miteinbeziehen kann. Ich denke also, die Menschen müssen die Möglichkeit bekommen, sich zu äußern. Das ist einer der Punkte, in denen ich mit der Provinzregierung nicht übereinstimme.

Bist du schon mal mit anderen Ratsmitgliedern aneinandergeraten?
Ich glaube, du hast da ganz falsche Vorstellungen, wir sind ja nicht das kanadische Parlament, das du aus dem Fernsehen kennst, wo ein Typ aufsteht, den einen Knopf an seiner Anzugsjacke zuknöpft und dann versucht, den politischen Gegner auf der anderen Seite zu beleidigen und einen guten Spruch zu bringen, der hundertmal im Fernsehen wiederholt wird. Aber da sprechen wir von 300 oder 320 Parlamentariern. Wir sind zu neunt im Stadtrat. Das Wichtigste ist also, dass man höflich ist. Du stellst dich nicht hin und sagst, der oder der weiß nicht, wovon er redet. Wenn dir die Argumente nicht gefallen, musst du versuchen, sie zu widerlegen und die Leute damit zu überzeugen ... Denn im Allgemeinen kandidiert man für ein kommunales Amt, weil man seine Gemeinde liebt und etwas für sie tun möchte. Das war meine Motivation zu kandidieren, und ich nehme an, dass das auch auf die meisten anderen Ratsmitglieder zutrifft. Ich habe nichts bemerkt, was dagegen sprechen könnte.

Ein Thema, das mich betrifft und der Grund dafür ist, dass ich für Bürgermeister Hurley gestimmt habe, sind die sogenanten „Demovictions“. Meine Frau ist vor mir nach Burnaby gezogen und hat sich viele zwei- und dreistöckige Wohnblocks angesehen. Es war reiner Zufall, dass sie ein Gebäude ausgesucht hat, das noch steht. Fast alle Mietshäuser, die sie in Betracht gezogen hat, wurden inzwischen abgerissen und durch Hochhäuser ersetzt ... Ihr Lieblingssong von D.O.A. ist „I live in a car“, weil wir immer noch Angst haben, dass das Haus verkauft und abgerissen werden könnte ...
Allein durch die Aufwertung des gesamten Gebiets hat der langjährige frühere Bürgermeister Derek Corrigan eine ganze Reihe von Menschen verdrängt und auf die Straße gesetzt. Bevor das Gebiet aufgewertet wurde, haben die Bauträger für ein Grundstück für acht oder neun Millionen Dollar bezahlt und plötzlich war es vierzig Millionen Dollar wert. Weißt du, wie viele Klagen wir gegen Burnaby anstrengen müssten, wenn wir versuchen würden, das Gebiet herunterzustufen? Unsere Gegner wären Leute mit sehr tiefen Taschen.

Lass uns über den Film „Something Better Change“ sprechen. Kanntest du Scott Crawford schon vorher? Wie hat er dich angesprochen?
Das ist jetzt etwa fünfeinhalb Jahre her. Es gibt ein wirklich legendäres Konzert von D.O.A. in Washington, D.C. in der WUST Radio Hall, die jetzt zum 9:30 Club geworden ist. Damals war Dave Gregg in der Band, also würde ich sagen, es muss 1985 gewesen sein. Und Scott hat schon als Teenager sein eigenes Magazin herausgegeben, also hat er uns gesehen, als er etwa 14 Jahre alt war. Dann kam Scott vor etwa sechs Jahren auf mich zu und erzählte, er habe einen Film gemacht über D.C. namens „Salad Days“ und einen anderen über das Creem-Magazin, Lester Bangs und Boy Howdy, und fragte mich dann, was ich davon halten würde, einen Film über D.O.A. zu machen. Besonders interessierte ihn der Umstand, dass ich in die Politik gegangen bin. Vor 20 Jahren waren Dokus über Punkrock-Bands noch etwas Besonderes, heute gibt es Hunderte. Ich sprach mit meinem Freund Henry Rollins – „Willst du in der Doku mitspielen?“ – „Joe, ich wurde schon für 200 Dokumentarfilme interviewt! Ich werde sehen, ob ich Zeit habe ...“ Und ich wurde wahrscheinlich nur für 100 Dokumentationen interviewt. Er ist wirklich viel berühmter als ich. Scott räumte also ein, dass es zwar auch um D.O.A. gehen soll, aber mehr um meinen Aktivismus als junger Mann und warum ich mich schließlich in den Stadtrat wählen ließ. Letztlich geht es in dem Film zu 40% um Punk und zu 60% um Politik. Ich will hier nicht zu viel verraten, aber es wurden viele Leute interviewt. Beto O’Rourke ist dabei – er war Kongressabgeordneter in Texas, kandidierte für den Gouverneursposten, war Musiker, fuhr Skateboard, wurde verhaftet ... Als er ankündigte, für das Präsidentenamt zu kandidieren, dachte ich: Er verfügt über alle Qualifikationen, die man braucht! Hehehe, sie haben Richard Nixon gewählt, sie haben Ronald Reagan gewählt; jeder kann kandidieren! Und Produzent ist Paul Rachman; er ist schon für einige Filme verantwortlich, einen kennst du mit Sicherheit, „American Hardcore“.

Ja, und du warst der einzige Kanadier in „American Hardcore“!
Der Film wurde in Toronto gezeigt, und alle meine Freunde meinten: „Verdammt, es kommen ja gar keine kanadischen Bands vor!“ Und ich sagte: „Habt ihr den Namen des Films gelesen?“ D.O.A. haben den Begriff Hardcore erfunden, deshalb sind wir dabei, aber alle anderen sind Amerikaner.