Das Timing war nicht so ideal: Schon Anfang März die gefeierten Shows in Deutschland, der Albumrelease aber erst Ende April. Und nun im Juni das Ox-Interview. Ob es jemanden kümmert im 48. Jahr der Bandgeschichte? 1976 gründeten sich THE DAMNED in London, durchliefen seitdem zahllose Metamorphosen, hatten zig Besetzungswechsel zu verkraften, stabilisierten sich aber nun vor vielen Jahren schon, die personelle Konstante sind seitdem der unersetzbarer Frontmann Dave Vanian und der wie ein klassischer Sidekick wirkende Captain Sensible.
Darkadelic“ ist das gerade mal zwölfte Studioalbum von THE DAMNED, die unzählige Phasen durchlaufen haben, mit mal mehr, mal weniger Aktivität. Mit „Damned Damned Damned“ (1977), „Music For Pleasure“ (1977) und „Machine Gun Etiquette“ (1979) waren sie eine der massiv prägenden Bands der frühen Punkhistorie, veränderten sich bei „The Black Album“ (1980) und „Strawberries“ (1982) etwas, erfanden sich aber mit „Phantasmagoria“ (1985) als Goth-Rock-Band neu und feierten einen zweiten Frühling. All die folgenden Jahre waren sie nie wirklich weg, aber erst mit „Evil Spirits“ 2018 glückte ein richtiges Comeback, das die Band wieder auf die großen Bühnen brachte, wo sie seitdem auf eine Balance aus ihren frühen Punk-Klassikern und den Goth-Hits achten. In genau diesen Kontext passt nun auch das ausgesprochen gelungene 2023 Spätwerk „Darkadelic“, das keine Studio-Rückkehr zu den nur noch live präsenten Punk-Hits ist, aber ein mit zwölf Unikaten gespicktes Album, das keine Schwächen zeigt oder gar Altersmilde erforderlich machen würde, um es durchzuwinken. Ich sprach via Zoom mit Gitarrist Captain Sensible.
Wie möchtest du eigentlich, dass man dich anspricht? Als „Captain“?
Oh je ... Ich habe mich an die Sache mit dem Captain gewöhnt. Es ist sozusagen mein „richtiger“ Name geworden. Und im Grunde hätte ich ja schon längst zum Admiral befördert werden müssen.
Wo kam der Name einst her? Hat der einen Polizei- oder Militärhintergrund? Oder einen nautischen Background?
Ich hoffe, das ist jetzt keine Überraschung für dich, aber ich war damals der perfekte Kandidat für Punkrock, weil ich wie ein betrunkener Irrer rumrannte und allen verrückten Scheiß gebracht habe, den man sich vorstellen kann.Und weil ich all den Unsinn angestellt habe, bezeichnete mich jemand ironisch als Captain Sensible – weil ich eben kein vernünftig handelnder Mensch war [„sensible“ steht im Englischen für „vernünftig“, das deutsche „sensibel“ wird mit „sensitive“ übersetzt – der Autor]. Ich war wohl wild entschlossen, mich selbst zu zerstören, weißt du, und um ehrlich zu sein, ist es erstaunlich, dass ich noch hier bin, weil ich so eine extreme Menge dummes Zeug gemacht habe.
Ich erinnere mich, wie du und Vom von DIE TOTEN HOSEN euch einst auf der Musikmesse Popkomm mit einem Megafon an Leute rangeschlichen habt, um ihnen dann unvermittelt ins Ohr zu brüllen ...
Ja, ja, mein Komplize Vom. Da kam es in der Vergangenheit zu ein paar Eskapaden, wenn wir betrunken waren ...
Hattest du irgendwann mal ein bestimmtes Erlebnis, das dich auf den Pfad der Tugend führte, so dass du dem Begriff „sensible“ fortan Ehre gemacht hast?
Ich habe mich einfach daran gewöhnt. Bin ich jetzt, heute vernünftig? Ich weiß nicht. Wir werden alle ein bisschen weiser, wenn wir älter werden, aber ich mache immer noch dumme Sachen. Ich meine, es ist mein Beruf und er ist fantastisch. Ich kann es bis heute nicht glauben, dass du auf die Bühne springst und mit deiner lauten Gitarre schrecklichen Lärm machst, und die Leute es mögen und dir Freibier und Geld dafür geben. Was für ein toller Job, den ich da habe!
Im Frühjahr 2023 verkündete Charlie Harper von den UK SUBS, der jetzt 79 Jahre alt ist, dass dies die letzte Tour seiner Band war, Festivals ausgenommen. Du bist Jahrgang 1954, da gehen andere Leute ganz offiziell in Rente. Diskutiert ihr solche Fragen in der Band? Oder ist es einfach so, dass ihr sagt: Hey, lasst uns weitermachen, als gäbe es kein Morgen!
Nein, niemand hat jemals ein Zeitlimit zur Sprache gebracht. Wir machen weiter, solange wir können und eine brauchbare Leistung bringen. Weißt du, es ist so, die Verrücktheit, der absolute Wahnsinn im Zusammenhang mit der Band hat sich einigermaßen gelegt. Du wirst nicht erleben, dass wir auf der Bühne die Verstärker kaputtmachen oder Flaschen durch die Gegend werfen. Wir sind immer noch verdammt gut und machen einfach tollen Krach und ich genieße das Live-Spielen aktuell genauso sehr oder vielleicht sogar noch mehr als früher. Damals begann für mich der Tag mit dem Soundcheck, dann kam der Auftritt, dann ab in eine Bar und die ganze Nacht durchgemacht, dann sind wir zum nächsten Veranstaltungsort gefahren, und wieder Soundcheck, Auftritt, Bar. Heutzutage stehe ich morgens auf und bin einigermaßen frisch. Ich springe in eine Straßenbahn oder was immer das örtliche Verkehrsmittel ist und erkunde die Stadt, gehe in nette Cafés und erfahre vielleicht etwas über die lokale Kultur oder was auch immer. Und wir lernen Leute kennen. Es ist einfach eine schöne Erfahrung zu reisen. Mein Sohn fragte mich mal: „Was soll ich nur mit meinem Leben anfangen?“ Und ich sagte: „Was immer du tust, such dir einen Job, der mit Reisen zu tun hat, denn das macht den Unterschied.“ Mir wird langweilig, wenn ich ein paar Wochen lang am selben Ort rumsitze. Ich will weg und etwas unternehmen. Deshalb waren die letzten zwei oder drei Jahre ein bisschen schwierig für mich. Ich konnte die Lockdowns überhaupt nicht genießen.
Liegt es in der Familie, dass du raus in die Welt willst?
Nein, es gab keine Vorgeschichte dazu. Aber es gab Musiker in der Familie und mein Onkel war ein sehr guter Pub-Sänger. Und mein Vater hat auch immer gesungen. Ich nehme an, das hat auf mich abgefärbt. Aber das mit dem Reisen kam einfach so, es hat mir schon immer gefallen. Seit ich mal ein Auto gestohlen habe und nach Brighton gefahren bin, um einen Sommer lang am Strand zu leben. Ich war in alle möglichen Eskapaden verwickelt, haha. Was man halt so macht, wenn man jung ist. Wenn du jung bist, ist dir ja nie kalt. Im Sommer, am Strand. Heutzutage muss ich einen großen Koffer voller Kleidung für alle Eventualitäten mitnehmen. Aber wenn du ein Teenager bist, ist dir nie kalt, du bist nie hungrig. Nichts scheint wichtig zu sein. Du hast kein Geld, aber kommst irgendwie immer klar. Du lebst nur von deinem Glück. Aber heute habe ich es lieber ein bisschen bequem, hahaha.
Hat man, wenn man als Musiker so lange durchgehalten und überlebt hat wie du, einfach ein gewisses Maß an Unsterblichkeit erreicht? Zig andere, gerade auch in der Punk-Szene, haben sich durch Drogen, Alkohol und anderes dummes Zeug selbst zerstört.
Meine Theorie ist die, dass du ewig das gleiche Alter behältst, in dem du in die Band eingetreten bist. Mental bin ich immer noch Anfang zwanzig, wie damals, als ich in die Band gekommen bin. Und ich fühle mich immer noch genauso. Ich will immer noch dieselben Dinge tun. Leider ist mein Körper genauso alt wie der von jedem anderen in meinem Alter. Also ja, ich bin 69, und mein Körper sagt mir immer wieder, dass ich etwas nicht tun soll, aber mein Gehirn meint dann: Ach, komm schon! Dazu kommt, dass ich nie die gleiche Verantwortung hatte wie die die meisten anderen Menschen. Ich habe die letzten 43 Jahre oder so in einer Rock’n’Roll-Bubble gelebt. Ich denke nicht über die gleichen Dinge nach wie die meisten Leute. Ich schaue kein Fernsehen. Ich habe seit 35 Jahren keinen Fernseher mehr. Die Leute erklären mir, was man heute nicht mehr sagen kann, aber ich habe keine Ahnung, wovon die reden. Was heute modern ist, das geht einfach an mir vorbei. Das meine ich, wenn ich sage, dass ich heute noch das gleiche Alter habe wie damals, als es für mich mit THE DAMNED losging. Und so weiß ich nicht, wer heute all diese Prominenten sind und die so genannten Influencer und so weiter.
Und wie geht es dir im Umgang mit Menschen deines Jahrgangs, die im Kopf weniger jung geblieben sind?
Das ist sehr seltsam. Andererseits gehe ich auch gerne in den Park wie andere meines Alters und füttere die Enten. So wie alle anderen alten Menschen auch. Und ich gehe gerne mit dem Hund spazieren.
Bei THE DAMNED ist es so, dass du und Dave Vanian schon seit vielen Jahren die kreativen Köpfe sind, die personelle Konstante. Was hält euch beide zusammen?
Es gibt da eine gewisse Dynamik. Lass es mich so ausdrücken: Wir treten uns nicht gegenseitig auf die Füße, weil wir so unterschiedlich sind. Dave ist sehr sophisticated, sehr anspruchsvoll. Seine Kleidung ist immer tadellos. Dave ist der Fürst der Finsternis. Er ist poetisch und kann sehr gut mit Texten und Wörtern umgehen. Ich bin das Gegenteil von ihm. Ich bin eher nachlässig und schlampig. Ich mag Bier. Ich gehe gerne zum Fußball. Bei mir dreht sich alles um den Sound. Er denkt in Bildern. Er hätte auch was mit Filmen machen können. Ich glaube, er hat seine Berufung verfehlt, denn er verschlingt alles, was mit Film zu tun hat. Er kennt jeden Film, der jemals gedreht wurde. Er kennt die Biografien der Schauspieler und vor allem Genres wie Horror, B-Movies und Science-Fiction. Filme wie „Plan 9 from Outer Space“ und so weiter. Für mich dreht sich alles um den Sound. Ich kann mir dieselbe Platte immer wieder anhören, auch mal zwei oder drei Stunden lang. Das macht meine Freundin verrückt! Sie fragt, warum tust du dir das immer wieder an? Nun, ich höre mir jede Nuance, jedes kleine Detail der Produktion an und achte auf Hall, Echo, die Effekte. Meine Ohren lieben es, Musik zu analysieren, und deshalb macht mich ein Ausflug in den Supermarkt verrückt, weil sie da natürlich überall Musik haben und ich mag moderne Pop-Produktionen überhaupt nicht. Ich kann AutoTune nicht ausstehen. Ich hasse es. Wenn wir in einem Geschäft sind und sie etwas mit AutoTune spielen, muss ich zu meiner Freundin sagen: „Kauf du weiter ein. Ich warte draußen auf dich.“ Weil ich keinen Fernseher habe, leide ich sonst nicht darunter, weil ich diese Musik sonst nirgendwo ertragen muss.
Es gibt Leute, die ein absolutes Gehör haben, die Musik oder Geräusche auf eine besondere Art und Weise wahrnehmen und analysieren können. Hast du das oder wie würdest du das beschreiben?
Ich glaube, das ist eher ein Fluch. Viele Musiker können ihre Ohren nie abstellen. Sie sind immer eingeschaltet. Alles, was du hörst, jedes Geräusch, das du hörst, wird analysiert. Ich kann Flugzeuge hören, die über das Haus fliegen. Niemand sonst hört es, aber die Frequenz ist da. Ich höre es schon ganz in der Ferne. Und ich habe genug technische Fähigkeiten, um die Flightradar24-App zu öffnen und nachzuschauen, was da fliegt. Und ich schaue nach oben und weiß, ah, die Maschine geht nach Gran Canaria. Ich höre alles, das ist der Fluch eines Musikers. Du kannst deine Ohren nicht abstellen. Ich habe sogar Schallplatten mit den Geräuschen alter Dampflokomotiven. Ich höre mir gerne alte Zuggeräusche an, ich bin, wie du vielleicht weißt, ein Eisenbahnfan.
Aber wie hast du dir dein Gehör bewahrt? Viele Musikerinnen und Musiker leiden unter schlimmem Hörverlust, weil sie ihr Gehör durch zu viel laute Musik zerstört haben.
Ich hatte früh großes Glück. Ich hatte in den späten Siebziger Jahren eine zweiwöchige Tour in Großbritannien mit THE DAMNED absolviert. Ich spielte sehr laut und sagte dann zu meinem Manager, dass ich das Klingeln in meinen Ohren einfach nicht loswerde, es ging auch zwei Tage lang nach der letzten Show nicht weg. Es war einfach ein Alptraum. Er schickte mich zu einem Rock’n’Roll-Arzt in der Harley Street. Das ist eine berühmte Straße in London, in der alle angesagten Ärzte sitzen. Und dieser Rock’n’Roll-Doc hatte eine Menge Musiker als Patienten. Der fragte mich: „Was benutzt du auf der Bühne? Double 200 Watt Marshall Stack?“ Ich sagte: „Ja, lustig, genau das.“ Und er sagte, anstatt mir ein Rezept für irgendwas auszustellen, ich solle mir einen One-Twelve-Combo besorgen und die Lautstärke auf die Hälfte herunterdrehen. „Dann wirst du noch mit sechzig Jahren spielen können.“ Ich dachte mir, wow, das wird wohl nichts, aber ich nahm seinen Rat trotzdem an. Tatsächlich habe ich mir dann einen Mesa Boogie Mark II besorgt, ein sehr schöner Verstärker, und damit nahm ich das „Machine Gun Etiquette“-Album auf. Dieser kleinere Verstärker hat also mein Gehör gerettet, das verdanke ich dem Arzt. Ich benutze jetzt nur noch einen 20 Watt-Verstärker, und das schon seit zwanzig Jahren. Es hört sich genauso an, warum braucht man einen, der stärker und lauter ist? Ich sollte ja nicht die Illusionen der Leute zerstören, aber viele Heavy-Metal-Bands haben ja diese Wand aus Lautsprechern auf der Bühne stehen, und das sieht wirklich beeindruckend aus. Aber wenn du mal von hinten schaust, sind die meisten gar nicht angeschlossen. Das ist reines Rock’n’Roll-Theater.
Bei eurem 2018er Album „Evil Spirits“ wie beim neuen 2023er Werk „Darkadelic“ sehe ich im Gesamtkontext eher eine Verwandtschaft zum düsteren „Phantasmagoria“ von 1985 als zu den drei Punk-Klassikern aus den Siebzigern. Wie siehst du das?
Wir haben uns seit den Anfängen auf musikalische Abenteuer eingelassen und es hat sich seitdem alles weiterentwickelt. Wir blicken nicht zurück, es geht immer voran. Und jedes Album unterscheidet sich ein wenig von dem, das ihm vorausgeht. Der Punkrock ist immer noch da, aber wir haben hier und da andere Elemente hinzugefügt. Da ist die Goth-Seite, es gibt die psychedelische Seite und wir mögen Rock. Was auch immer wir irgendwo gehört haben, findet seinen Weg in die Musik. Wohin die Reise musikalisch gehen soll, über so was reden wir nie, so wie wir nie darüber reden, ob und wann die Band in Rente geht. Wir schreiben einfach, was wir wollen und was uns gefällt. Unsere eigenen Ohren sind der einzige Maßstab. Tatsächlich haben wir damit im Laufe der Jahre einige Plattenfirmen verärgert, denn wenn sie dich in ein Studio stecken, haben sie meist eine Vorstellung davon, was für ein Album sie bekommen wollen, und wir sind ziemlich gut darin, ihnen das Album zu liefern, das wir wollen, aber sie vielleicht nicht. Wir tun einfach, was wir wollen. Wir sind da wirklich verdammt hartnäckig. Damit sind wir sehr ehrlich uns selbst gegenüber, und wir hoffen einfach, dass es außer uns noch jemandem gefällt.
Praktischerweise habt ihr im Frühjahr ein paar Konzerte in Deutschland gespielt – bevor das Album Ende April erschienen ist. Wie hast du diese Shows erlebt?
Ja, es ist entweder sehr mutig oder sehr dumm, Shows zu einem Album zu spielen, bevor es überhaupt rausgekommen ist. Dave meinte aber, wenn THE DAMNED so was nicht bringen können, wer dann? Eigentlich ist es uns einfach nur egal. Die erste Hälfte des Sets bestand aus dem neuen Album und die zweite Hälfte aus alten, lauten Klassikern. Mir jedenfalls haben die Konzerte richtig Spaß gemacht. Sowieso genieße ich am allermeisten unsere Touren durch Europa. Jede Stadt ist da wie ein neues Land. Es ist fantastisch. Europa ist so toll, weil sich die Kultur da alle 400 oder 500 Kilometer ändert. Und das Essen! Diesmal habe ich Langosch entdeckt, aus Ungarn. Das ist so was wie eine frittierte Pizza. Das hatte ich noch nie gegessen. Es macht einfach richtig Spaß. Als Nächstes werden wir in Großbritannien touren, und ehrlich gesagt ... wenn ich das mit Europa vergleiche ... macht mir das nicht ganz so viel Spaß. Und in diesen Kulturzentren überall in Europa, in denen wir auftreten, da haben die einen Koch. Die haben uns gefüttert und sich um uns gekümmert. So etwas gibt es in Großbritannien nicht. Du machst deinen Soundcheck und dann suchst du draußen nach Fastfood, Kentucky Fried Chicken, Hamburger, Pommes, Subway, all die amerikanischen Restaurantketten. Darauf kann ich mich also freuen, wenn wir in UK unterwegs sein werden.
2022 habt ihr Konzerte mit euren alten Bandkollegen Brian James und Rat Scabies gespielt. Wie hat sich das angefühlt und warum war es nur eine vorübergehende Sache?
Wir dachten zuerst, es würde schwierig werden oder es könnte Streit geben. Als wir zum ersten Mal wieder zusammen auf der Bühne standen und die Tournee ankündigten, da dachte ich: Keine Ahnung, was hier passieren wird ... Wir könnten alle im Krankenhaus landen, denn wir haben uns früher wirklich gehasst. Es war phasenweise ziemlich bitter und unangenehm. Ich weiß nicht mal mehr, worüber wir uns damals gestritten haben, das ist schon sehr, sehr lange her. Aber bei den den Proben für die Tour hat es Klick gemacht, es war die gleiche, zufällige, chaotische Energie wie damals. Und jedes Mal, wenn Rat und Brian einen alten Song wie „New rose“ spielen, machen sie es ein bisschen anders. Das ist für einen Bassisten ziemlich aufregend. Da wird nie etwas zur Routine. An diesem Punkt dachte ich: Wow, das ist fantastisch. Und wir haben uns auch gut verstanden. Der Fehler, den wir gemacht haben, war, nur fünf Shows anzusetzen. Wir hätten mehr machen sollen. Am letzten Tag haben wir haben alle gesagt, wir müssen das noch mal wiederholen. „Bitte versucht, am Leben zu bleiben!“
Aber es war keine Option, mit diesem Line-up auch ins Studio zu gehen?
Wir haben immer einen genauen Zeitplan, und nach dieser Tour stand auf unserer Liste der Studiotermin für dieses neue Album, „Darkadelic“. Aber ich würde auf jeden Fall gerne wieder mit Brian und Rat zusammenarbeiten.
Unlängst habe ich Moby interviewt zu „Punk Rock Vegan Movie“, seinem Film über Punkrock, Veganismus und Vegetarismus. Wie bist du da reingekommen und was war deine erste Verbindung zu dem Thema?
Das Ganze ging für mich los mit CRASS, der britischen Anarchopunk-Band. Ich sah Leute, die sowohl den CRASS- als auch den THE DAMNED-Schriftzug auf ihrer Jacke trugen, und dachte: Ich sollte mir die Band wohl mal anschauen, um zu sehen, worum es bei ihnen geht. Ich lernte sie kennen und mochte sie. Sie luden mich in ihr besetztes Haus ein und wir diskutierten bei einem vegetarischen Abendessen. Ich engagierte mich damals schon für Tierrechte und gegen Tierversuchslabore. Und die CRASS-Leute fragten, ob ich denn wisse, was in der Massentierhaltung und in den Schlachthöfen los sei. Und ich sagte: „Nein, das weiß ich nicht.“ Also haben wir darüber gesprochen – und nach ein paar Tagen mit CRASS habe ich nie wieder Fleisch gegessen! Also muss ich ihnen dafür danken und für viele andere Dinge, denn sie haben aus einem ziemlich roughen Fußball-Hooligan – genau das war ich – einen etwas reflektierteren Menschen gemacht. Die haben mein Gehirn irgendwie umgepolt. Seitdem denke ich viel mehr über die Dinge nach. Das habe ich CRASS zu verdanken.
Bist du Vegetarier oder Veganer?
Vegetarier. Wenn es Käse gibt, esse ich Käse.
Für welche Werte steht Punk deiner Meinung nach? Welche anderen positiven Aspekte hat Punk in dein Leben gebracht?
Ich bin ein Kind der Sechziger. Ich wuchs auf mit dem ganzen groovigen Sechziger-Jahre-Merseybeat aus Liverpool, mit den ROLLING STONES, THE BEATLES, GERRY AND THE PACEMAKERS und so weiter. Mit all diesen wunderbaren Bands, THE KINKS, THE WHO, THE MOVE, THE TROGGS ... Ich wollte ein Teil dieser Szene sein, aber ich war ja noch ein Schuljunge. Aber ich habe aus den Sechzigern mitgenommen, dass sich damals so viel verändert hat. Es war eine Revolution, wenn man so will. Die Fünfziger waren so ... wie soll ich es beschreiben? Altmodisch. Obwohl: Heutzutage bin ich altmodisch, das trifft es also nicht. In den Fünfziger Jahren waren alle sehr fromm und sehr spießig. Wenn man nicht verheiratet war, war es eine schreckliche Sünde, wenn man als Paar zusammenlebte, und all so was. Und dann kamen die Sixties und brachten in vielerlei Hinsicht eine Revolution. Etwa was die Bürgerrechte betrifft oder die Rechte von Schwarzen oder für die Gay-Community. Es war einfach unglaublich, was da passierte. Und für mich war der Punkrock der Siebziger eine Erweiterung davon. Ich hatte schon immer einen kritischen Geist, war immer schon jemand, der Situationen analysiert. Wenn mir jemand etwas erzählt, dann denke ich darüber nach. Wenn ich Zeitungsschlagzeilen lese, überlege ich erst, ob ich das glauben kann. Ich mache mir meine eigenen Gedanken, stelle alles infrage – das ist für mich ein Teil von Punk. Hinterfrage absolut alles und bilde dir deine eigene Meinung. Wenn der Premierminister etwas sagt, solltest du das glauben? Warum? Sind diese Leute dafür bekannt schon mal zu lügen? Ja. Würden sie wieder lügen? Ja. Tony Blair hat mir jedes Vertrauen in die Politik genommen. Ich hatte damals für diesen Mistkerl gestimmt. Und statt die britische Eisenbahn wieder zu verstaatlichen, hat Großbritannien heute die schlechteste Bahngesellschaft Europas.
Bist du sicher? Bist du schon mal in Deutschland mit dem Zug gefahren? Es gibt hier Leute, die sind fest davon überzeugt, dass Deutschland das schlechteste Bahnsystem in ganz Europa hat.
Wirklich? Immerhin kannst du mit dem Zug von Hamburg nach Berlin fahren, das dauert eine Stunde. Versuch mal, von London nach Edinburgh zu fahren ... Teile des Netzes in Großbritannien sind nicht einmal elektrifiziert, da fahren immer noch stinkende alte Dieselzüge. Tony Blair hatte damals versprochen, die Eisenbahn zu verstaatlichen und sie so effektiv zu machen wie in Japan oder Frankreich. Und stattdessen hat er uns in den Krieg geführt [Er meint den zweiten Golfkrieg ab 2003. Der Autor]. Und das hat mir die Lust an der Politik genommen. Ich vertraue niemandem. Und ich glaube auch niemandem. Ich bilde mir meine eigene Meinung. Das ist für mich Punkrock. Niemand sagt mir, was ich zu tun habe. Wenn unser Manager mich anrufen würde, ich solle doch bitte da und dahin fahren und dies oder jenes tun, und ich hätte keine Lust dazu, würde ich ihm sagen, er soll sich verpissen. Hahahaha!
Woher kommt bei dir diese Faszination für alles, was mit Zügen und Eisenbahnen. zu tun hat?
Als Kind schon habe immer ich den Zügen zu gewunken. Ich mochte die Dampflokomotiven. Wenn ich winkte, winkte der Lokführer zurück und ich dachte, das würde mir gefallen, ich will Lokführer werden. Ich habe dann tatsächlich bei British Railways anfangen, als ich mit der Schule fertig war. Ich musste da eine Aufnahmeprüfung machen, und sie haben mich dann in ein Büro gesteckt, nicht in eine Lokomotive, diese Mistkerle. Dabei sagte ich immer wieder: Ich will nicht ins Büro, ich will Lokführer werden!
Mit 67 bis du ja nun leider zu alt, aber bis vor ein paar Jahren hättest du in Deutschland sicher eine Chance auf eine späte Erfüllung deines Wunsches gehabt, denn die suchen hier verzweifelt Lokführer. Aber ... wenn man schon nicht selbst als Lokführer durch die Gegend fahren kann, gibt es heute ja zumindest die Möglichkeit, mit dem Fahrrad auf alten Bahntrassen zu radeln. Interessierst du dich für so was?
Ja. Ich habe gerade eine Fahrradtour in Portugal gemacht von Santa Comba Dão nach Tondela. Es ist wunderschön da. Es sind ungefähr 45 km und du schaffst die Strecke an einem Tag. Es war eine tolle Erfahrung.
E-Bike oder rein mit Muskelkraft?
Kein E-Bike, ich brauche das Training.
Machst du sonst was, um auf der Bühne weiter ein, zwei Stunden lang Gas geben zu können?
Ach, nicht viel. Ich bewege mich ja auch nicht sehr auf der Bühne, ich bewege ja nur die Finger. Ich bin ein fauler Bastard. Ich stehe am Verstärker und nudel einfach vor mich hin.
Gutes Stichwort. Jemand kommentierte mir gegenüber das neue Album so, dass es ihm eigentlich gefalle, aber es würde hier und da zu viel „genoodlet“.
Hahahaha! Das letzte Album wurde ja von Tony Visconti produziert, und aus irgendeinem Grund wollte er keine Gitarrensoli. Also hat er sich auf den Song beschränkt und viele Passagen mit ausführlicher Instrumentierung herausgeschnitten. Also mit Soli. Das ist jetzt meine Rache auf dem neuen Album. Ich dachte mir, na ja, ich schreibe mal ein paar Soli in diese Songs. Weißt du, ich habe einen wirklich schönen Verstärker und ich mag den Klang, den er erzeugt. Ich glaube nicht, dass das zu weit geht auf dem neuen Album, für mich hat es eine gute Balance zwischen der Melodie und der Atmosphäre des Liedes und dem Solo. Ich meine, niemand hat zu Miles Davis gesagt: Du spielst zu viele Soli, Miles, wir wollen mehr vom Sänger hören!
Ist das ein Klischee, dass im frühen Punkrock Gitarrensoli überhaupt nicht akzeptiert wurden, weil das als zu Rockstar-mäßig galt?
Na ja, so war das schon, und so kam es zu diesem ironischen Gitarrensolo in „Boredom“ von den BUZZCOCKS. Dieses Zwei-Noten-Gitarrensolo ist legendär geworden. Als ich 1974/75 Gitarre spielen lernte, wollte ich in einer Band sein, die Gitarrensoli hat. Ich stand auf SWEET und SLADE und die GROUNDHOGS, diese ganzen tollen Gitarren-Glam-Bands. Als dann Punk aufkam, hieß es: Keine Gitarrensoli! Ich dachte, scheiß drauf. Und heute ist mir sowieso alles egal, ich mache, worauf ich Bock habe.
THE DAMNED haben für so viele Jahre der Aktivität erstaunlich wenige Alben veröffentlicht, und zwischen dem letzten und diesem liegen auch schon wieder fünf Jahre. Wie geht es weiter?
Qualität geht für uns vor Quantität. Wir hätten mehr Platten machen können, aber die zwölf, die es gibt, sind alle irgendwie gut. Die enthalten kein Füllmaterial. Ich könnte jetzt wirklich perfektionistisch sein und sagen, vielleicht hätte man bei diesem oder jenem Track irgendwas besser machen können, aber es gibt nicht viele, bei denen das so ist. Und wieder fünf Jahre warten bis zum nächsten Album? Nein, nein, nein. Und wir werden auf jeden Fall noch eins machen.
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Timeline
1976 1976 gründeten Brian James (gt), Dave Vanian (voc), Captain Sensible (bs) und Rat Scabies (dr) in London, England die Band. Bei ihrer ersten Show treten sie als Support für die SEX PISTOLS im 100 Club auf. Mit „New Rose“ bringen sie die erste britische Punk-7“ raus.
1977 THE DAMNED veröffentlichen im Februar ihr Debütalbum „Damned Damned Damned“ bei Stiff Records. Es wird bekannt als erstes Punkrock-Album Großbritanniens. Lu Edmonds kommt als zweiter Gitarrist dazu. Schon im Herbst folgt „Music For Pleasure“ und floppt, was zur Trennung von Brian James führt. Später verlässt auch Drummer Scabies die Band und wird von Jon Moss (später bei CULTURE CLUB) ersetzt.
1978 Nach dem Misserfolg der zweiten LP kommt es zur Trennung von Stiff Records, woraufhin sich die Band im Februar auflöst.
1979 Die Band findet wieder zusammen und tritt erst unter dem Namen THE DOOMED auf. Captain Sensible wechselt vom Bass zu Gitarre und Keyboard. Der Bass wird zeitweise von Lemmy (MOTÖRHEAD) übernommen, später von Agly Ward (zuvor bei THE SAINTS). Das dritte Album „Machine Gun Etiquette“ wird veröffentlicht, es gilt heute als Klassiker des Punkrock-Genres. Die Single „Smash It Up“ erreicht Platz 35 in den britischen Charts.
1980 Paul Gray (ehemals bei EDDIE & THE HOT RODS) ersetzt Ward am Bass. Das vierte Album „The Black Album“ ist eine Doppel-LP mit Einflüssen aus verschiedenen Musikrichtungen wie Rock, Pop und Psychedelic, die die Band weitgehend selbst produziert hat.
1982 Das fünfte Album „Strawberries“ wird veröffentlicht und enthält unter anderem den Song „Grimly fiendish“, der Platz 21 in den britischen Charts erreicht. Die Band wird durch Roman Jugg am Keyboard ergänzt.
1984 Paul Gray wird durch Bryn Merrick ersetzt. Captain Sensible verlässt die Band, um sich seiner Solokarriere zu widmen. Mit „Wot“ hat er einen Hit in Deutschland.
1985 Das sechste Album „Phantasmagoria“ erscheint. Es ist ein Konzeptalbum, mit Einflüssen aus Gothic Rock und New Wave. Die Single „Eloise“ (ein Cover von Barry Ryan) erreicht Platz 3 in den britischen Charts.
1986 Das siebte Album „Anything“ wird veröffentlicht und ist von Synthie-Pop und New Wave beeinflusst. Die Band besteht jetzt aus Dave Vanian, Rat Scabies, Roman Jugg und Bryn Merrick.
1988/89 Brian James und Captain Sensible kehren für einige Live-Konzerte zurück.
1993 Die Band kommt in der Besetzung Scabies (dr), Vanian (voc), Kris Dollimore (gt), Alan Lee Shaw(gt) und Moose Harris (bs) wieder zusammen.
1995 Das achte Album „Not Of This Earth“ erscheint und ist durch Garage-Rock und Rockabilly beeinflusst. Captain Sensible kehrt zurück. Auch Paul Gray kommt kurzzeitig zurück, wird aber später durch Patricia Morrison (ex-THE SISTERS OF MERCY, THE GUN CLUB) am Bass ersetzt.
1999 Anfang 1999 besteht die Band aus Vanian (voc), Sensible (gt), Morrison (bs), Spike T. Smith (dr) und Monty Oxymoron (key). Andy (Pinch) Pinching ersetzt später Spike, da dieser zur Live-Band von Morrissey wechselt.
2001 THE DAMNED veröffentlichen ihr neuntes Album „Grave Disorder“, das ein Comeback für die Band markiert. Das Album wird von Fans und Kritik gleichermaßen positiv aufgenommen.
2002 Zusammen mit Captain Sensible spielen THE DAMNED eine Support-Tour für Rob Zombie, doch brechen diese bald ab aufgrund ausbleibender Resonanz der Metal-Crowd.
2004 Bassistin Morrison bekommt mit Vain eine Tochter, woraufhin Stu West den Bass übernimmt.
2008 Mit „So, Who’s Paranoid?“ erscheint Album Nummer 10. Die Band besteht nun aus Dave Vanian (voc), Captain Sensible (gt), Monty Oxymoron (key), Stu West (bs) und Pinch (dr).
2017 Bassist Stu West verlässt die Band.
2018 Paul Gray kommt als Bassist zurück und THE DAMNED veröffentlichen mit „Evil Spirits“ nach acht Jahren ein neues Album.
2019 Drummer Pinch verlässt die Band nach zwanzig Jahren.
2022 Will Taylor wird neuer Schlagzeuger. Reunion-Tour mit den beiden Gründungsmitgliedern Brian James und Rat Scabies – eine Besetzung, die aber nur für diesen Anlass Bestand hat.
2023 Die Band veröffentlicht im April ihr neues Album „Darkadelic“.
Machine Gun Etiquette
(LP, Chiswick, 1979)
THE DAMNED gelten als die erste britische Punkband, die eine Platte veröffentlicht hat. Die Rede ist von ihrer Single „New Rose“ aus dem Jahr 1976, nicht nur aus historischer Sicht relevant, sondern auch als Song prägend. Der Track war selbstredend auf dem ersten Album „Damned Damned Damned“ (1977) enthalten. Nach dieser krachigen Scheibe folgte noch im gleichen Jahr die LP „Music For Pleasure“, die bei uns (den Dorfpunks) völlig unterging. Kurz danach löste sich die Band auf, ohne dass uns das wirklich bewusst gewesen wäre, es gab schließlich genügend anderen Kram zu entdecken. Irgendwie waren THE DAMNED zudem schwer greifbar im Punk-Kosmos, es fehlte so etwas wie eine Haltung, mit der ich etwas anfangen konnte. Dann allerdings, 1979, kam die Band mit einem Knall zurück: „Love Song“! Die zweite Single „Smash It Up“ zündete ebenfalls sofort. Beide Songs waren Eckpfeiler des dritten Albums „Machine Gun Etiquette“, das am 2. November 1979 veröffentlicht wurde. Brian James hatte die Band verlassen, so dass Captain Sensible an die Gitarre wechselte und Algy Ward (später bei der Metalband TANK) den Bass übernahm. Rat Scabies (dr) und Dave Vanian (voc) waren als Konstanten natürlich dabei. Diese Platte lief rauf und runter, vereinte sie doch melodische, schnelle Songs (die beiden genannten sowie „Melody Lee“) und harten, straighten Punk. Dafür stehen „Anti-Pope“, „Noise, noise, noise“ und „Liar“. Selbst die wavigen und mit Synths unterlegten „I just can’t be happy today“ und „Plan 9 Channel 7“ bestachen mit sowohl guten Melodien und Singalongs als auch beeindruckenden Gitarren. Okay, „Plan 9 Channel 7“ ist Minimum zwei Minuten zu lang, dieses wurde aber, ebenso wie der Ausfall „These hands“, einfach ausgeblendet. Stichwort Gitarrenarbeit: Die Melodie- und Rhythmusgitarren von Captain Sensible sind aus meiner Sicht absolut prägend, machen den speziellen Charme von „Machine Gun Etiquette“ aus. Und auch der Anteil von Algy Ward (nur auf dieser Platte dabei), das Bass-Intro von „Love song“, der mächtige Einstieg bei „Anti-Pope“, der Bass-Sound an sich, wow! Dazu noch der Look des „Capt“ im pinkfarbenen Bärenkostüm ... Ob man das Cover nun „ikonisch“ nennen sollte, sei mal dahingestellt, dennoch hat es sich, ebenso wie „Love song“, „Smash it up“ oder „Melody Lee“ für alle Zeiten eingebrannt. Und auch das kurze Outro der A-Seite, bei dem Stöckelschuhe zu hören sind, dann ein erschrockener Ausruf einer Frau und ein bedrohliches Lachen eines Mannes, ist jetzt, gut vierzig Jahre später, immer noch voll präsent. Krass. Nach „Machine Gun Etiquette“ war es für mich wieder vorbei mit THE DAMNED, aber was zählt, ist das, was bleibt.
Stephan Zahni Müller
The Black Album
(2LP, Chiswick, 1980)
Wenn man der Legende glauben mag, die Alkohol- und sonstigen Exzesse während der Aufnahme von „The Black Album“ betreffend, dann grenzt es an ein Wunder, dass dieses Album jemals fertig gestellt und veröffentlicht werden konnte. Aber THE DAMNED schafften es. Ein knappes Jahr nachdem THE CLASH ihr epochales Meisterwerk „London Calling“ als Doppelalbum unters Volk brachten, machten es Dave Vanian, Captain Sensible, Rat Scabies und Paul Gray ihnen nach – und veröffentlichten ebenfalls ihr viertes Studioalbum als Doppel-LP. Und es war überragend, anders natürlich, aber mindestens genauso gut. Viele behaupten, dass „The Black Album“ die Geburtsstunde von Goth-Punk als Genre einläutete, und vielleicht ist es auch so, aber ist das wirklich wichtig? Ich finde eher, dass es der Sound von einer Band war, die versuchte, sich des engen Punk-Korsetts der Siebziger zu entledigen, die einfach machten, worauf sie Lust hatten und was ihnen gerade einfiel. Die Horror-Einflüsse waren auch vorher da, durch die Affinität von Dave Vanian zur klassischen Horrorfilmen frühere Jahrzehnte. Tatsache ist, dass ihnen hier ein absolut zeitloses Album gelang, das zu hören auch 43 Jahre nach seiner Veröffentlichung immer noch unendlich viel Spaß macht – weil die Songs so verdammt gut sind. „Wait for the blackout“, „The history of the world“ („überproduziert“ von einem gewissen Herrn Hans Zimmer) oder „13th floor vendetta“, jeder von ihnen ist ein kompositorisches Meisterwerk für sich, textlich wie musikalisch. „Dr. Jekyll and Mr. Hyde“ habe ich früher immer aufgelegt, als mein Sohn noch ein Baby war. Wenn der kleine Mann unzufrieden war mit der Gesamtsituation, wurde er schlagartig ruhig, sobald Dave Vanian und ich im Bariton-Duett davon sangen, Menschen mit unseren Klauen ihrer Kleider zu entledigen, um sie anschließend abzuschlachten. Und dann natürlich das Meisterwerk „Curtain call“, womöglich die erste Mini-Oper in Sachen Punkrock. Immer wenn ich keine Lust hatte auf meine damalige Radioshow, legte ich den Song auf, dann hatte ich erst mal für 17 Minuten und 13 Sekunden Ruhe und konnte die Füße hochlegen. Auf dem 2022er Live-Album „A Night Of A Thousand Vampires (Live In London)“ haben THE DAMNED einiges von „The Black Album“ zum Besten gegeben, unter anderem auch „Curtain call“ in einer herausragenden Version – der Song klingt heute fast noch besser als damals. Absolut fantastisch und kein Wunder, dass er 1980 die ganze Seite C in Beschlag nahm, alles anderes wäre auch eine Sünde gewesen. Dem gegenüber empfand ich immer die Live-Versionen von früheren Songs auf der D-Seite als überflüssig. Klar, Value for Money, gerade damals. Aber konsequenter wäre es gewesen, die D-Seite einfach unbespielt zu lassen.
Kent Nielsen
Strawberries
(LP, Bronze, 1982)
1982 regierte UK82 in der Punker-Welt. Jede Band, die was auf sich hielt, trug die entsprechende Uniform: Springerstiefel, Bondage-Hosen oder chlorgebleichte Jeans, Lederjacken schwer wie Blei von den ganzen Nieten und wahlweise Spikes oder Iro. Man ließ sich mittels Schwarzweißfoto ablichten, bevorzugt grimmig guckend vor einer x-beliebigen Häuserwand. Klatschte das Foto als Cover auf die erste Single und verkaufte aus dem Stand heraus tausende von Exemplaren. Was aber machten THE DAMNED, immerhin Protagonisten der ersten Stunde? Erste Punk-Single, erste englische Punkband auf US-Tour, usw., usf. Die Antwort liegt auf der Hand, man machte sich daran, das perfekte Pop Album zu schreiben. „Als würde man Erdbeeren an Schweine verfüttern“ – bei dem Spruch mag es stimmen, dass die Band dabei eher an die einheimische Musikpresse dachte, er passte (und passt) aber auch auf jede Menge ihrer ursprünglichen Fans. Als Gag roch das Album tatsächlich nach Erdbeere, zumindest die skandinavische Pressung, die ich mir sofort nach Erscheinen holte. Sehr synthetisch, wie das, was man am nächsten Morgen rauskotzt, wenn man am Vorabend zu viel billigen Erdbeerwein getrunken hat. Jeder Song ist ein Volltreffer, hat etwas, das ihn einmalig macht, was zur Folge hat, dass man ihn beim zweiten Hören sofort wiedererkennt. Es ist das Album, von dem alle Musiker träumen, die Platte, die man mindestens einmal in seiner Laufbahn hinkriegen möchte. Klar, der Opener „Ignite“, Paul Grays perfektes „Generals“ (an ungeraden Wochentagen mein Lieblingslied von THE DAMNED) oder „Bad time for Bonzo“ gehen noch als Punk durch, zumindest wenn sie live gespielt werden. Wobei ich „Generals“ noch nie live gehört habe, und ich weiß auch nicht, ob das passieren wird, solange der Krieg in der Ukraine weiter tobt. Zu groß das Risiko, dass die Fraktion, die immer alles falsch verstehen will, auch hier mit einem kollektiven Tobsuchtsanfall reagieren könnte. Aber ich schweife ab. Besonders hervorheben muss ich die beiden längsten Songs. „Stranger on the town“ (5:14), der mit melodischem Spannungsbogen und brillantem Text fast ein Vorbote ist für die beiden Alben, die als Nächstes folgen werden. Bombast pur, aber in cool! Und „Under the floor again“ (5:20) mit seinen Gitarren-Einsprengseln, genialer Brücke/C-Part und augenzwinkernd-lakonischem Text über einen verscharrten gelangweilten Untoten (oder lebt er vielleicht doch noch?), Was soll ich sagen, ich möchte, dass dieser Song läuft, wenn meine Urne wo auch immer hingetragen wird, damit die Asche ausgekippt werden kann. A n h ö r e n ! Alle Sinne auf Empfang, offen sein für Neues. Auf „Strawberries“ gibt es eine ganze Welt zu entdecken!
Kent Nielsen
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