DAMNED

Anything

Es gibt ja Menschen, die vermitteln einem den Eindruck, jede legendäre Band seit der ersten Single oder mindestens seit dem ersten Album zu kennen. Nun sind solche Menschen in den seltensten Fällen absolute Frühchecker, oft aber spätgeborene Blender, weshalb ich nicht den Eindruck erwecken will, zu Letzteren zu gehören.

Mögen THE DAMNED auch 1976 eine der erste englische Punkbands überhaupt gewesen sein, ich lernte sie erst 1985/86 kennen, als das damalige staatliche BRD-Monopol-Musikfernsehen namens „Formel Eins" den Videoclip zu „Eloise" ausstrahlte, einer bombastischen Goth-Coverversion der Barry Ryan-Schnulze von 1968.

In Berichten über die Band war zwar immer wieder die Rede davon, dass das eine Punkband sei, doch Sänger Dave Vanian und Band setzten damals alles daran, als „Waver" durchzugehen, also das, das man heute gerne als „Goth-Rocker" bezeichnet, und auch das düstere Artwork zielte auf dieses Publikum ab.

Abgesehen davon war „Eloise" eine Schmachtschnulze par excellence, ein Charthit und damit Mainstream, aber auf keinen Fall Punk. Mit dieser uncoolen Single lernte ich also THE DAMNED kennen - und erst später interessierte ich mich für ihr Frühwerk.

„Phantasmagoria" war das Album zur „Eloise"-Single, zumindest in Deutschland, denn im Original, damals wie jetzt bei der Wiederveröffentlichung, war die Hitsingle nicht enthalten. Meine Vinylpressung, 1986 für 14,90 bei Yorck Records erstanden, enthält „Eloise" jedenfalls, eingebettet in solch weichgespülte, aber dennoch dramatische Nummern wie „Is it a dream", „Street of dreams", „Shadow of love" und das großartige „Grimly fiendish", der eigentliche Hit des Albums.

Die „Expanded Edition" enthält sowohl auf der ersten wie der zweiten CD vor allem diverse 12"-Versionen, über deren Nährwert man streiten kann, sowie Single-B-Seiten wie „Wiped out" und „Would you" sowie drei Radio One-Sessions von 1985.

Im Booklet finden sich ausführliche Linernotes sowie Coverabbildungen. Ein Jahr später meldeten sich THE DAMNED mit „Anything" zurück, und das grellbunte Cover könnte kein größerer Gegensatz zum düsteren Artwork von „Phantasmagoria" sein - die Gruftie-Phase war vorbei, Vanian und Band versuchten hier eher auf harte Rocker zu machen, bewegten sich in einem Umfeld, in dem sich auch THE MISSION, FIELDS OF THE NEPHILIM und THE CULT tummelten, die ebenfalls auf dem besten Wege waren, die düstere Vergangenheit in Bikerstiefeln gen Hardrock zu verlassen (gruselig auch die Langhaarfrisuren aller Beteiligten) - siehe der Titelsong „Anything".

Nach „Phantasmagoria" war der Stilwechsel aber wohl alten wie neuen Fans zu hart, „commercial failure" lautet rückblickend das harte Urteil, und wie man es dreht und wendet, keine der Nummern, auch nicht „In dulce decorum", das auch auf „Phantasmagoria" hätte sein können, ist zwingend, und so war der Flop dieser Platte der Grund für das Label, den Vertrag mit THE DAMNED zu beenden, die erst zehn Jahre später wieder eine neue Platte machten.

Auch diese „Expanded Version" enthält diverse 12"-Versionen, darunter auch zwei furchtbare von „Eloise", acht beziehungsweise neun Minuten laufend. Ja, die Achtziger waren grausam ... Auch hier gibt's Linernotes und Coverabbildungen, doch während „Phantasmagoria" das Zeug zum Klassiker hat, ist und bleibt „Anything" redundant.