Die Platte, auf die der gemeine, am Untergrund interessierte Rockhörer wohl am sehnlichsten gewartet hatte, ist endlich raus. Es geht um „Antenna“, den neuen, vierten Langspieler der großartigen CAVE IN aus Boston, Massachusetts. Nachdem man nach zwei Alben, etlichen Singles und EPs den Metalcore-Sektor zur Genüge beackert hatte, überraschte das Quartet mit dem wegweisenden „Jupiter“ im Jahre 2001. Die Band hatte sich mit diesen acht Songs ein musikalisch unglaublich dichtes Monument geschaffen, das der Bezeichnung Progrock endlich wieder seinen bitteren Beigeschmack nahm. Klar, dass man damit die Freunde des bis dato technisch durchaus fantastischen Gebolzes verschreckte. Denn auf einmal gab es da herrliche Melodien und Soundlandschaften und vor allem richtigen, bzw. richtig guten Gesang, der ganz ohne Geschrei auskam. Auf dem neuen Album, schimpfen wir es ruhig Meisterwerk, „Antenna“ wird die eingeschlagene Richtung konsequent mit 12 Songs weiterverfolgt – und enttäuscht in keiner Weise.
Ende Januar gaben die Jungs vier Konzerte in Deutschland. Das erste davon im Kölner Underground, wo sie, von Amsterdam kommend, natürlich einige Stunden in Verzug waren. Nachdem der Tourmanager seine Schützlinge aus den Kojen gescheucht hatte, mussten sie sich auch sogleich in den Interview-Marathon stürzen. Im gerammelt vollen Tourbus stellten sich, mit Schlafdreck in den Augen, Bassist Caleb Scofield und Sänger und Gitarrist Stephen Brodsky meinen Fragen.
Mich hat es etwas verwirrt, dass Rich Costey euer neues Album produziert hat. Es gingen doch Gerüchte um, dass sich Dave Grohl um die Produktion eurer Platte reißen würde.
Stephen: Das ist lediglich ein Gerücht, das von der Presse gestreut wurde. Er hat uns nicht einmal persönlich gesagt, dass er irgendetwas von uns produzieren wollte.
Aber er mag euch, sonst hätte er CAVE IN ja nicht als Support der FOO FIGHTERS auf deren Englandtour ausgewählt, oder?
Stephen: Ich denke schon, dass er uns mag. Allerdings teilen wir uns auch den gleichen A&R-Typen, was natürlich ein wichtiger Punkt war, weshalb wir deren Shows eröffnen sollten. Es ist eben praktisch, wenn beide Bands mit den gleichen Leuten zusammenarbeiten.
Okay, ich verstehe. Doch dann erklärt mir bitte, warum ihr nach der jahrelangen Zusammenarbeit mit Produzent Brian McTernan für die „Tides Of Tomorrow“-EP zu Andrew Schneider – und nun letztendlich zu Rich Costey gewechselt seid?
Caleb: Der Grund, warum wir nicht mit Brian an der EP arbeiteten, war ganz einfach der, weil er zu dieser Zeit einfach das Studio voll hatte und sich unmöglich auch noch Zeit für uns nehmen konnte. Mit Andrew wollten wir außerdem schon immer mal aufnehmen, was sich nur bisher nie realisieren ließ. Das Praktische ist, dass er auch in Boston ansässig ist. Wir mussten also nicht extra nach Washington DC reisen, wie es immer bei Brian der Fall gewesen ist.
Was hat Andrew denn bisher gemacht?
Caleb: Er hat ganz unterschiedliche Sachen gemacht, z.B. die SCISSORFIGHT-Platten, aber auch Sachen für BLUE MAN GROUP, die man aus den Intel-Spots kennt und haufenweise Aufnahmen mit Bands aus Boston.
Wie wichtig war Brians Rolle, was euren neuen, prog-rockigen Sound angeht?
Stephen: Er war sehr hilfreich. Als wir 4-Spur-Demos von den Songs aufnahmen, die wir für ‚Jupiter’ geschrieben hatten, schickten wir ihm die Tapes. Nachdem er sie gehört hatte, war er total begeistert und wollte sie unbedingt produzieren. Brian war eigentlich immer, solange ich denken kann, sehr enthusiastisch, was unsere Arbeiten angeht.
Wie haben die Leute auf euch und auf die neuen Songs reagiert, als ihr die Shows für die FOO FIGHTERS in England eröffnet habt?
Caleb: Im Allgemeinen hatten wir sehr positive Reaktionen auf die neuen Songs. Besonders, was Leute angeht, die uns vorher noch nicht kannten, die reagierten zumeist positiv, schließlich langweilten wir sie nicht, weil sie keine alten Songs erwarteten.
Wo würdet ihr denn sagen, liegen die Hauptunterschiede zwischen dem Material von „Jupiter“ und „Antenna“?
Stephen: Die neuen Songs, bzw. deren Arrangements sind ausformulierter und etwas kompakter, nicht mehr ganz so ausschweifend wie auf ‚Jupiter’. Vielleicht könnte man sogar sagen, dass die Songs etwas pop-orientierter ausgefallen sind. Aber im Grunde ist vieles beim Alten geblieben, der Sound hat sich nicht verändert, schließlich benutzen wir immer noch die gleichen Effektgeräte. Allerdings haben wir ganz unterschiedlich lange an den beiden Alben gearbeitet. Die Basic-Tracks auf ‚Jupiter’ haben wir innerhalb von vier Tagen eingespielt. Danach bin ich dann für sechs Tage nach DC geflogen, um mit Brian den Gesang aufzunehmen. Er hat das Ganze dann in vier Tagen abgemischt, also haben wir summa summarum gerade mal 14 Tage für ‚Jupiter’ benötigt. Die gleiche Zeit haben wir bei ‚Antenna’ nur für die Pre-Production verwendet, danach haben wir uns über zwei Monate im Studio verkrochen. Dann sind wir auf Tour gegangen, und nach einem Monat haben wir dann den fertigen Mix bekommen. Also allein von der Arbeitszeit her, gab es bei den beiden Alben schon immense Unterschiede.
Was hat denn dazu geführt, dass ihr nun etwas poppiger rüberkommt bzw. rüberkommen wollt?
Stephen: Das Angebot von RCA, haha.
Ich denke, dass ihr auf Hydra Head alle Freiheit der Welt hattet, was ist also der Unterschied zum Major-Label?
Stephen: Der wichtigste Unterschied ist ganz offensichtlich die finanzielle Grenze eines solch kleinen Labels. Beim Major muss man angenehmerweise nicht immer auf den Cent achten. Als wir nur bei Hydra Head waren, müssten wir fast pausenlos touren, um etwas Geld zu verdienen. Nun, auf dem Major können wir etwas mehr Zeit in Proben und wie schon gesagt in die Aufnahmen investieren, ohne gleich am Hungertuch zu nagen.
Der aktuelle Sound ist aber nicht durch etwaige momentane Hörgewohnheiten geformt worden?
Caleb: Ich würde nicht sagen, dass es etwas damit zu tun hat, was wir in letzter Zeit gehört haben. Es ist einfach so, dass wir uns nun in eine ganz andere Richtung bewegen als damals, als wir anfingen, Musik zu machen. Die Songs, die wir momentan schreiben, so etwas in dieser Art gab es für uns vorher nicht. Wir sind mittlerweile sehr frei, was unsere Musik angeht. Wir konnten nach Herzenslust experimentieren und die am besten passenden Effekte einbauen. Und nun, wo die Platte vorliegt, müssen wir wirklich zugeben, dass sie tatsächlich pop-orientierter ausgefallen ist, besonders, was die Struktur und die Melodien der Songs angeht. Auf ‚Jupiter’ wollten wir die Songs noch so ‚weird’ wie möglich gestalten. Die neuen Songs sollten aber gleichzeitig aufs Wesentliche beschränkt, trotzdem aber interessant zu hören sein.
Wie lässt sich die „Tides Of Tomorrow“-EP einordnen, die ja zwischen den beiden Alben entstanden ist?
Stephen: Die EP haben wir im April letzten Jahres aufgenommen, im Sommer haben wir dann an ‚Antenna’ gearbeitet.
Ich muss gestehen, dass mir die sechs Songs der EP bisher am besten gefallen, gerade das Titelstück ist unglaublich.
Stephen: Tatsächlich? Nun, das müsstest du eigentlich Adam, unserem Gitarristen erzählen, ihn würde das sicher glücklich machen, da das Stück aus seiner Feder stammt.
Warum hat sich die Veröffentlichung von „Antenna“ verschoben? Die Platte war ja eigentlich für Januar angekündigt, erscheint aber nun doch erst Ende April.
Caleb: Oh, uns hat man erzählt, dass sie im März erscheint. Da wir auf dem Majorlabel nun einen anderen Status haben, ist es schwieriger, Dinge haargenau zu planen. Dies mussten wir zumindest bisher feststellen. Wenn uns dann jemand erzählt, dass irgendwas im Januar veröffentlicht werden soll, kann man persönlich also besser den März oder April einplanen. Warum das alles so abläuft, kann ich leider auch nicht erklären, ich weiß nur, dass so etwas schrecklich ungeduldig macht. Das Artwork ist fertig, die Songs sind alle gemastert, es ist alles bereit – und trotzdem passiert nichts.
Wird Aaron Turner von ISIS wieder für das Artwork verantwortlich sein?
Stephen: Wir sind schon sehr gespannt, da es sicher großartig aussehen wird!
Das Artwork von „Tides Of Tomorrow“ habt ihr einem alten Buch entliehen.
Stephen: Ich habe ein altes Buch über Kriegsschiffe aus der Time-Edition in einem Second-Hand-Shop gefunden. Da es mir so gut gefiel, gab ich es an Aaron weiter, der davon ganz entzückt war.
Warum habt ihr „Stained Silver“ und „Bigger Riff“, das auf „Antenna“ ja nun „Rubber And Glue“ heißt, schon viel früher als Demo-Versionen veröffentlicht?
Stephen: Diese beiden Songs sind Versionen, die aus den Albumvorbereitungen mit Brian McTernan stammen. Wir hatten damals eigentlich keinen genaueren Verwendungszweck vor Augen, bis das Street-Team unseres Labels auf die Idee kam, die beiden Songs als exklusives Give-Away zu veröffentlichen. Doch wenn du mich fragst, ist das herausgeschmissenes Geld.
Ihr habt zwischenzeitlich auch eine Single mit den Songs „Lift Off“ und „Lost In The Air“ veröffentlicht. Letzterer hat es dann in einer frischeren Version auf das Album geschafft – doch warum nicht „Lift Off“?
Caleb: Nun ja, ‚Lift Off’ hat es einfach nicht geschafft, wie auch einige andere Songs, die nun als B-Seiten herhalten werden.
Stephen: An der neuen Version von ‚Lost In The Air’ haben wir lange gefeilt. Die Single-Version klang wie ein Stück Kuchen mit Sahne – die neue wie ein Stück Kuchen mit Sahne und einer Kirsche obendrauf.
Stephen, hast du eigentlich je Gesangsunterricht oder so was genommen, schließlich klingt deine Stimme zuweilen wirklich episch und sehr dicht und kräftig?
Stephen: Das kommt eigentlich nur durch Übung und die Tatsache, dass ich schon immer ein Perfektionist war.
Ich habe mal gehört, dass dir der Schreigesang geradezu körperliche Schmerzen bereitete.
Stephen: Ja, das stimmt irgendwie schon. Es ist eben nicht nur sehr anstrengend für die Stimmbänder, wenn man sich Abend für Abend auf jeder Show die Seele aus dem Leib schreit und das dann in möglichst perfekter Form auch noch im Studio muss.
Für eure erste Single „Anchor“ habt ihr zum ersten Mal ein Video gedreht. Wie war das?
Stephen: Eigentlich machte das Spaß, sich vor der Kamera mal zum Affen zu machen. Schön ist, dass wir einen Gaststar im Video haben, der Typ, der den Parkwächter im Film ‚Ferris macht blau’ spielt. Das ist Richard Edson, der erste Schlagzeuger von SONIC YOUTH.
Caleb: Es war schon ziemlich aufregend, zumal wir einen Bad-Ass-Director hatten, der auch schon Videos für QUEENS OF THE STONEAGE und MARYLIN MANSON gedreht hatte.
Vielen Dank Jungs, ich wünsche euch viel Erfolg mit „Antenna“.
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