BLUENECK

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Sie sind wohl noch ein Geheimtip: BLUENECK aus England. Sie gründeten sich zwar bereits im Jahr 2000, als noch kein Mensch ahnte, dass (weitgehend) instrumentaler Post-Rock sich zu einem erstaunliche Beliebtheit erreichenden Phänomen entwickeln würde. 2006, als das Debütalbum „Scars Of The Midwest“ erschien, war das schon etwas anders, doch erst mit „The Fallen Host“, 2009 auf Denovali erschienen, werden BLUENECK die Aufmerksamkeit bekommen, die ihnen zusteht. Erneut produziert von Corin Dingley von ALPHA, erfindet der mit CULT OF LUNA befreundete Vierer zwar wie andere Bands aus dieser Ecke das Wechselspiel aus orchestral anmutenden Gitarrenwänden einerseits und leisen, vorsichtigen Passagen andererseits nicht neu, doch es ist die Dynamik, die Fähigkeit zum Aufbau von Spannung und Druck, verbunden mit einer Liebe zum Detail, die „The Fallen Host“ zu einem so angenehmen Score machen.

Als „blueneck“ bezeichnet man in den USA die Bewohner der so genannten „Blue States“ wie Kalifornien, New York oder Massachusetts, denen man nachsagt, sie tendierten dazu, eher konservative Ansichten zu vertreten. Sind das Eigenschaften, die auch auf euch zutreffen? Oder was verbindet ihr mit diesem Namen?

Rich: Ich denke, wenn man zu viel über uns als Personen weiß, besonders wenn man unsere politische Haltung kennt, begegnet man unserer Musik voreingenommen. Wir sind eben nicht THE CLASH oder RAGE AGAINST THE MACHINE. Was konservativ in Bezug auf unseren Musikstil angeht – steht nicht jeder ab und zu auf ein wenig Phil Collins ...?

Dunk: Der Bandname hat absolut gar nichts mit unserer politischen Überzeugung zu tun. Wir sind ganz sicher nicht eine jener Band, die den Fans eine Meinung eintrichtern will, wenn sie einfach nur der Musik zuhören möchten. Unsere Ansichten werden dem Zuhörer aber durch die Musik nicht besonders deutlich gemacht.

Gegründet habt ihr euch im Jahre 2000. Dennoch hat es gut sechs Jahre gedauert, bis ihr euer Debütalbum „Scars Of The Midwest“ veröffentlicht habt.

Ben G: In den ersten Jahren mussten wir erstmal Fuß fassen ... Wir haben fünf Jahre gebraucht, bis wir da waren, wo wir musikalisch hin wollten. Und von da an lief es einfach.

Immer wieder versieht man eure Musik mit dem Stempel „Postrock“. Was haltet ihr von diesem überstrapazierten Begriff?

Rich: Ich kann verstehen, warum Bands schnell kategorisiert werden. Es ist eine einfach übliche Art, über Bands zu diskutieren – wenn auch eine ziemlich langweilige. Wir haben kein Problem damit, wenn unsere Musik als Postrock bezeichnet wird. Viele unserer Lieblingsbands werden auch in den gleichen Topf gesteckt. Manche Bands drehen aber regelrecht durch, wenn sie so bezeichnet werden.

Ben G: Aber uns hat das im Endeffekt geholfen, weil uns so viele Leute gehört haben – nur weil wir in diese Schublade gesteckt wurden.

Dunk: Ja, ich glaube, es gibt den Bands eine Starthilfe.

Habt ihr keine Angst, so nur eine Band unter vielen zu sein?

Rich: Angriff ist die beste Verteidigung! Aber ernsthaft, obwohl es diese Klischees gibt, machen wir einfach das, worauf wir Bock haben. Es hat auch geholfen, dass wir uns im Studio eingesperrt haben und so unser Ding durchziehen konnten.

Dunk: Ich denke, es hilft auch, wenn man immer neue Musik für sich entdeckt und sich die verschiedenen Arten des Musikmachens anschaut. Es ist wichtig, eine große Fülle an Anregungen zu haben, ansonsten bleibst du auf der Stelle stehen und kannst dich nicht weiterentwickeln.

Im Zusammenhang mit eurem Sound fällt sehr oft der Vergleich mit Filmmusik. Genauer gesagt: Clint Mansell, dessen Scores für Filme wie „Requiem For A Dream“ oder „The Wrestler“ stark an eure Songs erinnern sollen.

Rich: Mansell ist grandios. Wir lieben auch seinen Soundtrack für „Moon“. David Julyan ist auch ein großartiger britischer Filmmusik-Komponist. Beide schaffen herrliche Stimmungen. Ich denke, jede Band, die auch solche Stimmungen erschaffen kann, hat uns inspiriert.

Dunk: Wir sind generell große Fans von Filmmusik. Es gibt wunderschöne Soundtracks und sie sind alle sehr anregend. Aber als Band sind wir auch von unserer Umgebung beeinflusst, daher gehen wir gerne campen. Es ist wunderbar, wenn nichts um dich herum ist und du dich nur auf den Moment konzentrieren kannst.

Johannes Petersson von CULT OF LUNA verwendete Auszüge eures Debütalbums zur Untermalung von Kurzfilmen. Könntet ihr euch vorstellen, noch mehr in dieser Richtung zu machen?

Dunk: Wir haben in der Vergangenheit ein paar Shows mit CULT OF LUNA gespielt, sie sind eine wahnsinnig gute Band, sowohl live als auch im Studio. Ich hoffe, wir können bald mit ihnen gleichziehen. Seit den Shows stand ich mit Johannes in Kontakt und fühlte mich geehrt, als er schließlich fragte, ob er unsere Musik in einigen von seinen Kurzfilmen benutzen darf. Die Filme sind großartig, besonders „The Guest“, der wiederum einen Song auf unserem neuen Album beeinflusst hat. Zudem haben wir jetzt noch mit Timo von Denovali ein Projekt am Start, bei dem wir für seinen Film die Musik schreiben werden. Das ist auch die Richtung, mit der wir uns auch in der Zukunft beschäftigen wollen.

Welche Rolle spielt euer Produzent Corin Dingley bei der Entstehung eurer Platten? Dunk: Er ist der Produzent beider Alben und ab und zu organisiert er auch einige Shows für uns. Aber die Produktion von „The Fallen Host“ war ein wenig schwierig, da Corin jetzt in Frankreich lebt, aber es hat dann doch alles geklappt ... es hat nur ein wenig länger gedauert.

Ben G: Corin war immer da, um alle Puzzleteile zusammenzufügen. Wir alle mögen den ALPHA-Sound, es hat alles so geklappt, wie wir es uns vorgestellt haben. Manchmal hat er uns mit Sachen geholfen, an die wir gar nicht gedacht haben, oder er hat uns dabei unterstützt, unsere Ideen umzusetzen.

Dingley hat den Ruf eines Musikvisionärs inne, der konsequent ein bestimmtes Ziel verfolgt. Übt das bei der Arbeit mit ihm einen gewissen Druck auf euch aus?

Ben G: Nein, nicht wirklich. Wir arbeiten schon so lange mit ihm zusammen – es ist ganz normale Arbeit. Wenn überhaupt, dann machen wir ihm Druck!

Dunk: Ich glaube nicht, dass wir jemals Druck durch Corin hatten. Er ist eher wie ein Extramitglied von BLUENECK, der die Musik in eine bestimmte Richtung führt. Wir als Band haben zwar das Sagen, wenn es um den Sound geht, aber oft genug kommt es vor, dass Corin dem Ganzen das Sahnehäubchen aufsetzt. Er hat einen anderen musikalischen Hintergrund, und ich glaube, genau das macht den BLUENECK-Sound so einzigartig.

Wie entstehen eure Stücke? Improvisiert ihr und schaut, wohin sich die Songs entwickeln, oder gibt es tatsächlich einen „normalen“ Songwriting-Prozess?

Ben G: Es kommt drauf an – die meisten Songideen kommen von Dunk, die er uns dann mitbringt, und wir dann einfach bei bei den Proben oder im Studio herumexperimentieren. Manche Songs sind einfach Unfälle ...

Dunk: Ja, manchmal arbeite ich zu Hause an den Songs, und die anderen bringen ihre Ideen mit ein. Oder wir bauen zusammen das Grundgerüst, das ich dann zu Hause ausarbeite und dann wieder den anderen zeige, um dann noch weitere Feinheiten einzubauen.

Im Vergleich zu vielen ähnlich gearteten Bands gibt es bei euch Gesang. Wie wichtig sind im Gesamtergebnis die Texte zu euren Songs?

Dunk: Ich denke, wir benutzen den Gesang nur, wenn er den Song bereichert. Wir nehmen uns nicht vor, dem Song zuliebe Vocals einzubauen. Entweder es hört sich gut an, oder nicht. Es gibt genug Songs, bei denen wir intuitiv Vocals eingebaut haben, und erst nach der Aufnahme gemerkt haben, dass der Song sich als Instrumentalversion besser anhört. Die Songtexte sind nur wichtig, wenn wir auf ein spezielles Thema hinweisen wollen, oder um die Bedeutung des Songs zu verdeutlichen.

In England erscheint „The Fallen Host“ via EMI, in Deutschland seid ihr auf einem kleinen Indielabel – ein ziemlicher Widerspruch, oder?

Dunk: Wir veröffentlichen das Album selbst über Perfect Storm, aber wir vertreiben es über EMI. Wir arbeiten dort mit einem großartigen Team zusammen, das vollkommen für die Musik einsteht – was natürlich auch der Fall bei Denovali ist. Wir kennen diese Leute nun schon länger, und mögen ihre Ansichten und Einstellung. Es ist sehr schwer, ein Label zu finden, bei dem das Wohlbefinden der Band an allererster Stelle steht, und alles andere erst danach kommt. Ich war sehr glücklich, dass wir mit ihnen arbeiten durften, und ich hoffe, wir können das auch in Zukunft tun.

Ben G: Ja, Denovali haben schon immer gesagt, wie sehr sie „Scars Of The Midwest“ mögen, somit wollten wir mit ihnen am europäischen Release arbeiten. Für uns ist es wichtig, dass das Label uns in unserem Tun unterstützt – und genau tut Denovali.

Denovali bietet die Musik von vielen der Labelbands als kostenlosen Download an. Wie denkt ihr darüber?

Dunk: Eigentlich gibt es unsere Musik nicht kostenlos. Es war eine Option, die Denovali all ihren Bands anbietet, aber wir haben uns dagegen entschieden. Es ist wichtig, dass die Fans die Musik kaufen, ansonsten können die Künstler nichts mehr produzieren. Der Plattenverkauf unterstützt ja auch andere Dinge, wie zum Beispiel eine Tour – also: Wenn nichts verkauft wird, kommt alles zum Stillstand. Um also jemanden dazu zu bringen, sein hart verdientes Geld für ein Album auszugeben, muss man ihm die Musik näher bringen, in der Hoffnung, dass er die Musik mag und dich unterstützt. Es ist ein Geben und ein Nehmen. Daher sind die Free Streams und der zeitweise exklusive kostenlose Download Möglichkeiten, die wir gerne nutzen.

Ben G: Ich denke nicht, dass Filesharing irgendwann weniger wird, aber es ist ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite verlieren wir Geld, das uns als Band generell immer hilft, aber auf der anderen Seite werden wir von immer mehr Leuten gehört. Wir akzeptieren, dass es nun ein Teil der Industrie ist. Es ist nicht ideal, aber wir haben gerade deswegen einen größeren Fan-Kreis erreicht.



Übersetzung: Peter Nitsche