BLACK ANGELS

Foto© by Pooneh Ghana

Zyklische Erkundungen

Album Nummer sechs bringt Änderungen, aber auch mit Multi-Instrumentalist Ramiro Verdooren als neuem Bandmitglied macht das nach einem VELVET UNDERGROUND-Song benannte texanische Quintett BLACK ANGELS weiterhin, was es seit seiner Gründung 2004 am besten kann: Mit reichlich Fuzz ganz tief in psychedelische Weiten abtauchen. Was die Band dabei umtreibt, berichten Drummerin Stephanie Bailey und Sänger/Gitarrist Alex Maas.

Nach langer Pause geht es jetzt endlich wieder auf Tour.

Stephanie: Ja, echt verrückt. Touren hat für mich eigentlich immer eher zu den härteren Seiten des Musikerdaseins gezählt. Weil du dich in einem Umfeld bewegst, das ziemlich chaotisch sein kann, nicht zu Hause bist, du die ganze Zeit flexibel sein musst und ständig umherziehst. Aber nach zwei Jahren Verzicht geht es da jetzt mit Volldampf rein, ich freue mich echt total drauf. Darauf will ich erst mal nicht mehr so schnell verzichten. Wir starten in Nordamerika und kommen dann Januar/Februar 2023 nach Europa.

Anfang 2022 habt ihr quasi als kleinen Vorgeschmack auch schon eine KEXP-Studiosession eingespielt, eure erste hat euch 2006 ja einen mächtigen Bekanntheitsschub gegeben. Wie kam es dazu?
Alex: Als wir vor etwa 15 Jahren angefangen haben zu touren, hast du eine Tour in der Regel oben in Kanada, Vancouver angefangen, bist dann weiter nach Seattle gezogen und konntest dann an der Westküste entlang oder direkt in die Mitte der USA weiterfahren. Und eine der ersten Rückmeldungen, die wir als Band erhalten haben, kam aus Seattle. Wir hatten uns eine kleine Fangemeinde auf MySpace aufgebaut und jemand kontaktierte uns und sagte: „Hey, da gibt es diesen Radiosender in Seattle und die spielen eure Musik.“ Wir waren total geflasht und dachten nur so: Waaas, wie ist das denn passiert, wie haben die überhaupt von uns erfahren? Es stellte sich heraus, dass ein paar KEXP-DJs auf einer unserer Shows in Seattle waren und jemand ihnen wohl eine CD von uns in die Hand gedrückt hat. Die Cover hatten wir damals noch in unserer Garage per Siebdruck hergestellt. So hatten sie von uns erfahren und so hat auch alles ursprünglich erst richtig Fahrt aufgenommen, haha.
Stephanie: Cheryl Waters und John Richards waren daran maßgeblich beteiligt.
Alex: Möglich, ich weiß nicht mehr genau, wer das war. Außerdem hatten wir unsere ersten beiden Alben auf Light In The Attic Records rausgebracht, die sitzen auch in Seattle. Vielleicht haben die KEXP auch einfach eine Menge Geld bezahlt, damit sie uns die ganze Zeit spielen, haha. Ein Scherz.
Stephanie: Das war schon ein entscheidender Wendepunkt für uns. Die Fangemeinde, die sich da auch dank KEXP in Seattle aufbaute.
Alex: Schon, ja. Sie sind nach wie vor eine der Top-Radiostationen weltweit, die Leute schalten von überall ein. Es war schon sehr cool, Rückenwind zu bekommen, das hätten wir wirklich nicht erwartet. Wir haben damals einen Kuhschädel aus Texas mit in das Studio gebracht, den wir alle unterschrieben hatten, und haben ihn dann da im Studio aufgehängt. Vielleicht haben sie uns ja auch deswegen noch mal dorthin eingeladen, haha.

Mit Ramiro habt ihr auch ein neues Mitglied gewonnen. Was hat das in der Band bewirkt?
Alex: Das hat auf jeden Fall etwas verändert. Ramiro hat soundtechnisch einen ähnlichen Hintergrund wie wir. Er ist ein großartiger Musiker. Er hat außerdem ein Studio daheim und liebt es, alles Mögliche zu lernen. In den letzten beiden Jahren hat er sich zum Beispiel angeeignet, wie man alte Orgeln repariert. Er lernt einfach wirklich jedes Instrument, das du ihm in die Hand drückst. Er ist jung und hungrig. Wir kennen ihn schon seit einer Weile von seiner Band ROTTEN MANGOS. Das erste Mal hatten wir ihn für das Primavera 2017 eingeladen als Ersatz für Kyle Hunt, der Keyboard, Percussion, Bass, Gitarre spielte.
Stephanie: Er musste dann mal eben aus dem Stand vor mehreren 10.000 Zuschauern spielen. Selbst ich war überrascht, wie viele das waren. Er war da gerade Anfang zwanzig.
Alex: Und mehr als hundert Leute sind schon viel, haha. Das war unser erstes Mal zusammen auf der Bühne. Das Set hat er mehr oder weniger im Flugzeug gelernt. Er ist einfach der geborene Musiker, das hätte ich nicht hinbekommen. Gut, jemanden in der Band zu haben, der wirklich Musik machen kann, haha.

Sicherlich hat sich das auch auf „Wilderness Of Mirrors“ bemerkbar gemacht.
Alex: Definitiv hört man das. Allgemein hatten wir allerdings ein wenig mit Lieferkettenproblemen zu kämpfen. Dieses Album hätte eigentlich schon vor fast zwei Jahren herauskommen sollen, spätestens letzten Herbst hätte es veröffentlicht werden können.
Stephanie: Wir hatten es 2021 fertig. Dann gab es da diesen Vinylproduktionsstau, außerdem konnten wir nicht Touren und das gehört eigentlich meiner Meinung nach zwingend dazu. Wegen Corona mussten wir anderthalb Touren canceln. Das war schon hart. Wenn du ein Album fertig hast, ist das wie dein kleines Baby, das du gemeinsam mit anderen genießen und teilen willst. Du fasst in monatelanger Kleinstarbeit viele einzelne Momente zu einer Einheit zusammen und willst diese Erfahrung teilen, da ist es super schwer, das nicht tun zu dürfen. Und auch nicht zu wissen, wann du das endlich tun darfst. Jetzt wissen wir es zum Glück. Endlich.
Alex: Wir sind nicht die Einzigen, die darunter leiden. Stell dir einfach mal vor, einen Großteil, vielleicht an die 75% deines Einkommens nimmst du über Touren ein. Das war schon extrem hart. Wir haben uns dann einfach hingesetzt und uns auf die Musik konzentriert. Für viele Menschen war die Verlangsamung der ganzen Welt ein Segen, man hatte auf einen Schlag eine ganze Menge Zeit zur freien Verfügung. Für uns war der Anruf, dass das South by Southwest-Festival in Austin gecancelt wird, im Februar 2020 der Startschuss für ein ganzes Jahr im Studio. Normalerweise haben wir etwa zwei Wochen oder einen Monat dafür zur Verfügung. Und es ist mittlerweile ja auch noch so viel mehr passiert als Corona, das muss ich dir ja nicht erzählen.

Ja, dass es wieder Krieg in Europa gibt, war und ist schon ein Schock.
Alex: Russland ist einfach unberechenbar. Und es ist ja kein kleines Land wie Nordkorea, was die Sache irgendwie ein wenig eindämmbarer macht. Ich hatte irgendwie schon immer Angst davor, dass etwas in dieser Art irgendwann mal passieren würde. Es ist verrückt, dass das jetzt wahr geworden ist. Und sich dann auch noch mit einer Pandemie überschneidet. Ein Unglück kommt selten allein.

Du hast tatsächlich in deinen Texten schon immer über das Thema Krieg und bewaffnete Konflikte geschrieben. Auch auf dem aktuellen Album mit „Empires are falling“ zum Beispiel. Das hat auch nicht zwingend etwas mit den aktuellen Ereignissen zu tun, oder?
Alex: Ja, das ist eine Art universelle Wahrheit. Imperien und große Nationen werden immer irgendwann untergehen. Natürlich ist es beängstigend, wenn so etwas passiert. Mit unseren leicht paranoiden Texten sind wir vermutlich auf alle erdenklichen Eventualitäten vorbereitet. Es überrascht mich dann nicht so sehr, wenn so etwas passiert, weil ich das potenzielle Problem schon vorher auf dem Schirm hatte. Sogar eine Pandemie war ja als Risiko immer vorhanden, so überraschend war das eigentlich gar nicht. Was die Sache nicht weniger scary macht.
Stephanie: Der Kontext, in dem ein Lied verstanden wird, ändert sich ja ständig. Es ist historisch gesehen unvermeidlich, dass Imperien untergehen. Man kann es wahlweise auf zurückliegende, kommende oder aktuelle Fälle übertragen, reine Auslegungssache.

Alex, du hast während der Corona-Zeit auch dein erstes Soloalbum veröffentlicht. Hat sich das auf „Wilderness Of Mirrors“ ausgewirkt?
Alex: Das war quasi unvermeidbar. Ich habe mein Soloalbum in demselben Studio aufgenommen, in dem wir auch mit BLACK ANGELS waren. Das in Austin an demselben Ort tun zu können, gab der Sache schon einen ganz speziellen Vibe. Dazu gab es auch ein paar wichtige Ereignisse in meinem Leben, ich bin Vater von einem kleinen Jungen geworden. Ich habe klanglich und textlich dadurch einiges anders gemacht. Alles ist ein bisschen weniger düster geworden als sonst, die schönen Seiten des Lebens haben mehr Raum bekommen. Ich habe ein Stück weit auch versucht, eine Welt zu erzeugen, in der ich meine Kinder aufwachsen sehen will. Sie dabei aber gleichzeitig auf das Schlimmste vorzubereiten, ihnen klar zu sagen, dass die Dinge hart werden. Wenn du dir die Platte genauer anhörst, erkennst du einen Vater, der zu seinem Kind spricht. Ihm erzählt, wie abgefuckt die Welt sein kann, aber gleichzeitig auch, wie schön. Niemand will seine Kinder verderben, aber wir werden es alle auf die eine oder andere Weise tun. Ein paar Klangspielereien wie Mellotron und Streicher sind auch auf das BLACK ANGELS-Album durchgerieselt. Ich wusste schon, was da funktionieren kann, und konnte das recht einfach übertragen. Aber gleichzeitig wäre es ohne die anderen Bandmitglieder nicht der BLACK ANGELS-Sound. Gemeinsam haben wir neue Klänge an neuen Orten ausprobiert.
Stephanie: Immer wieder Neues zu erkunden, ist enorm wichtig.
Wie sah das dieses Mal konkret aus?
Alex: Violinen, Bratschen, Gastsänger. Ramiro hat zu Hause schräge Tapeloops aufgenommen. Ich würde vermutlich nicht mal alle Instrumente aufzählen können, es waren wirklich eine Menge.
Stephanie: Ich habe auf diversen Alltagsgegenständen aus Metall rumgehauen und wir haben dann einfach eine dicke Ladung Reverb darüber gelegt. Manche Dinge, die wir benutzt haben, waren eigentlich nicht mal Instrumente, wir haben sie einfach dazu gemacht.
Alex: Stimmt. Die BEATLES oder Buddy Holly sind gute Beispiele dafür, wie so etwas funktioniert. Buddy Holly hat hier und da einfach auf einer Pappschachtel rumgetrommelt. Woher dein Sound kommt, ist eigentlich gar nicht so wichtig, Hauptsache, er gefällt dir am Ende. Darum haben wir lange herumprobiert, bis wir da angekommen waren, wo wir hin wollten. Dafür hatten wir ja auch eine ganze Menge Zeit im Studio zur Verfügung.

Und es spricht eine große Zahl von Menschen an. Gibt es vielleicht eine Art Psychedelic-Revival, das euch gerade ein Stück weit in die Hände spielen könnte? So viele Batikshirts wie im letzten Jahr habe ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen.
Alex: Alles verläuft ja irgendwie zyklisch. Auch Artrock hatte sein Comeback, haha. Und psychedelische Musik gibt es ja eigentlich schon seit Anbeginn der Zivilisation. Ein Revival psychedelischer Rockmusik war auf lange Sicht eigentlich unausweichlich. Auch das Wort hat sich gewandelt, ich selbst versuche es möglichst zu vermeiden. Aber um eine Sache zu kategorisieren, ist das Label Psychedelic schon ganz hilfreich. Und ja, es gibt dieses Revival gerade und wir werden sehen, was daraus wird, wenn wir das Album veröffentlicht haben. Im besten Falle führt das tatsächlich dazu, dass mehr Leute darauf aufmerksam werden. Im schlimmsten Fall schreckt es eher ab. Aber es gibt sie auf dem Album auf jeden Fall, diese Psychedelia-Momente.

Das von euch mit organisierte Levitation Festival hat dieses Jahr dagegen eine rechte punkige Kante: OFF!, HUNX AND HIS PUNX, L7 und PROTOMARTYR sind zum Beispiel dabei. Hat das etwas mit euren musikalischen Vorlieben zu tun?
Alex: Oft buchen wir einfach die, die gerade können, haha. Und manchmal sind da auch ein paar unserer Lieblingsbands dabei. Als wir den Namen von Austin Psych Fest in Levitation geändert haben, haben wir die damit verbundenen neuen Freiheiten schnell zu schätzen gelernt. Wenn wir das Geld hätten, könnten wir jetzt auch Missy Elliott oder den WU-TANG CLAN buchen, haha. Aber Scherz beiseite, wir wollen mit dem Festival tatsächlich möglichst viele Leute ansprechen. Es gibt da auch immer ein paar Legacy-Acts, in der Vergangenheit waren das zum Beispiel 13TH FLOOR ELEVATORS oder Brian Wilson, dieses Jahr sind es THE JESUS AND MARY CHAIN. Es ist schließlich die Möglichkeit für uns, unsere Lieblingsbands in Austin spielen zu lassen, das muss man ausnutzen. Ansonsten ist das Gesamtbild von Jahr zu Jahr sehr unterschiedlich. Manchmal wird es eher doomig, manchmal gelingt es uns mit etwas Glück, auch musikalisch exotischere Bands aus Nordafrika oder anderen für unsere Ohren noch nicht so gut erschlossenen Orten zu buchen. Ein Festival zusammenzustellen, ist schon eine extrem schwierige Angelegenheit, Rob Fitzpatrick erledigt das in erster Linie. Es gibt dieses Jahr zwar einige Punkbands, meiner Meinung nach ist es insgesamt aber ein recht breit aufgestelltes Line-up.