In der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt gedeihen seit Jahren einige deutschsprachige Punkbands, die sich inhaltlich, strategisch und musikalisch zwischen EA80 und DACKELBLUT einsortieren lassen. BEN RACKEN zelebrieren seit Jahren D.I.Y. par excellence, fernab in der Elbe-Börde-Heide, unerkannt und unbeachtet von weiten Teilen der Öffentlichkeit. Spätzünder sind sie alle! Tuba (Gitarre/Gesang) kam erst mit 36 Jahren auf die Idee, selber Texte zu schreiben und eine Band zu gründen – mit Nico am Bass und seit 2011 Paule am Schlagzeug. 2008 legten BEN RACKEN dann eine rundum gelungene Debüt-LP „I“ vor: präzise eingespielt, simpel, aber effektiv arrangiert und bereits hier mit dem typischen tiefen Chorgesang. Die Texte pendeln zwischen Erkenntnis, Resignation, Hoffnung und Kampfeslust. Mit den gleichen Stilmitteln überzeugt das Trio dann 2010 auf dem Album „II“ und der im selben Jahr veröffentlichten Split-EP mit ENRICO. Im Internet findet man außergewöhnlich wenig zu dieser Band, die Ende 2013 ihre immerhin dritte LP vorgelegt hat: wenn man das in Relation zur medialen Präsenz so mancher One-Hit-Wonder sieht, kann man nur verständnislos den Kopf schütteln: BEN RACKEN haben mehr verdient! Nun also „III“, aufgenommen unter klimatisch bedenklichen Bedingungen in der „Eishölle von Badel“ und trocken gemastert im klitschnassen Magdeburger Hochwasser-Juni. Gitarrist/Sänger Tuba beantwortete meine Fragen.
Eure erste LP erschien seinerzeit bei Elfenart. Auf der neuen Platte „III“ stehen allerdings keine Hinweise auf Labelbeteiligungen. Wo sind also die Unterschiede zu euren bisherigen Veröffentlichungen?
Der hauptsächliche Unterschied zu unseren bisherigen Veröffentlichungen liegt darin, dass vom Songwriting über den Aufnahmeprozess bis hin zur Veröffentlichung diesmal weitaus mehr Zeit vergangen ist. Das war nicht unbedingt so beabsichtigt, wir hätten gern schneller nachgeschossen, haben aber den einzelnen Songs und uns als Band Zeit zur Reifung gelassen, so dass wir mit dem Endergebnis vollkommen zufrieden sind. Eine direkte klassische Labelbeteiligung gab es vorher auch nicht. Elfenart hatte damals einen kleinen finanziellen Beitrag zur Pressung geleistet, bekam dafür gleich sein Plattenkontingent und außerdem sah der Schriftzug auf der Coverrückseite so schick aus. Interessanterweise war diesmal die Pressung merklich günstiger und wir hatten mehr Taschengeld. Elfenart ist aber weiterhin unser bester Abnehmer, das klappt alles sehr gut und korrekt mit Daniel.
Also ist das jetzt D.I.Y., weil es sonst keiner machen will oder weil ihr niemanden dabeihaben wollt, so wie etwa EA80?
Wir haben niemanden gefragt, uns hat auch keiner gefragt. Diesen Zustand könnte man aussitzen, aber dann hätten wir noch keinen einzigen Tonträger am Start. Prinzipiell bin ich eher faul und täte mir schon ganz gern den Arsch nachtragen lassen, aber das hieße auch, mit Menschen zu reden und Kompromisse eingehen, was nicht immer unsere Stärke ist. Also eher erlerntes D.I.Y., wofür wir uns im Nachhinein, jetzt da alles geschafft ist, auf die Schultern klopfen. Wir hatten aber auch wirklich gute Hilfe von ganz lieben Menschen, bei Dingen, von denen wir keine Ahnung haben.
Ihr seid eine der ganz, ganz wenigen Punkbands, deren Beziehungs- beziehungsweise Liebeslieder ich herausragend finde. Da befinden sich auf der neuen Platte einige Ohrwürmer, allen voran „Dieses Schiff“, das vor Pathos strotzt, oder aber auch „Sie“ und „+“.
Also das erste Lied, das wir für die Platte überhaupt fertig hatten, war „Sie“ und das ist eigentlich von mir für Nico. Ich lag mit Lendenwirbelblockade auf der Couch und konnte mich nicht rühren, da kam Nico mit seinen goldenen Händen und Geräten und hat mich wieder auf die Beine gebracht. In der ersten Euphorie hab ich dann die erste Strophe geschrieben. Später im Reifungsprozess des Liedes wurde daraus eine Hymne auf die Liebe, denn was kann uns einzig und allein auf dieser beschissenen Welt retten? Die Liebe. Wer auch nur einen einzigen Menschen in den Arm nehmen kann und das innige Gefühl der Vereinigung auskosten darf, sollte auf ewig in Dankbarkeit niederknien und sein Glück preisen. „Dieses Schiff“ ist eigentlich nur mein Blick auf den Zustand der Menschheit, so kurz vor dem Abgrund, ich glaube, da ist nicht mehr viel zu retten, und das ist auch gut so. Selber eingebrockt, den Schlamassel, und nicht in der Lage, das Ruder rumzureißen und wenn wir ehrlich sind, hängen wir alle mit drin. Scheitern als Chance, wenn man so will. Textlich hat mich der MODEST MOUSE-Titel „We were dead before the ship even sank“ inspiriert. Der Blick auf das Maritime bietet ohnehin wunderbar viele Vergleiche und Bezüge, ein bisschen was davon spüren wir hier an der Elbe, das ganze Wasser läuft schließlich irgendwann in Hamburg ein. Das Lied mit dem „+“ handelt davon, dass das Leben nicht immer sinnvoll und gerecht erscheint, wenn Menschen geliebte Menschen verlieren und lernen müssen loszulassen. In den letzten Jahren haben zwei enge Freunde unserer Band ihre Liebsten an eine beschissene Krankheit verloren und bis zum Tod begleitet. Als Nico diesen Text schrieb, war das Thema leider wieder ganz nah bei uns. Das Lied soll neben der Trauer auch den großen Respekt vor unseren Freunden ausdrücken, die über eine lange Zeit Schweres getragen haben, aber trotzdem nicht zerbrochen sind.
Du hast angedeutet, dass sich die Aufnahmen lange hingezogen haben. Wie nehmt ihr überhaupt auf? Und welche Unterschiede gibt es zu den ersten beiden Platten?
Unterschied Nummer eins: Wir haben mit Paule einen neuen Schlagzeuger. Unser alter Schlagzeuger Daniel war ein hochprofessioneller Musiker, was uns damals gefallen hat, aber ein bisschen zu steril rüberkam. Paule verlässt sich da mehr auf sein Gefühl und das ist gut so. Wenn ein Song mittendrin etwas mehr Power braucht, dann kriegt er den auch und wenn es nötig ist, wird das Tempo eben gedrosselt, scheiß auf die Korrektheit, wir wollen unsere Musik leben. Unterschied Nummer zwei: Unsere ersten beiden Alben haben wir in Magdeburg unter ziemlich professionellen Bedingungen bei Heartdisco aufgenommen. Da es das Studio nicht mehr gibt, haben wir uns nach anderen Möglichkeiten umgesehen und sind in den einsamen Weiten der Altmark auf einen alten Musikerkollegen von Nicos Vater gestoßen. Der hat sich in einer ehemaligen Dorfschule im Keller liebevoll ein Behelfsstudio mit zum Teil sehr altem Equipment aufgebaut, fünfzig Jahre alte DDR-Mikrofone und so Kram. Da haben wir uns klassischerweise im Halbkreis hingestellt und jeweils zwei bis zwanzig Versuche gebraucht, bis die Songs brauchbar eingespielt waren. Dann noch eine oder zwei Gitarren dazu und am Ende der Gesang. Leider war die alte Schule bis auf unseren mitgebrachten Gasbrenner völlig unbeheizt, da konnten wir uns im März entweder den Arsch abfrieren oder der Gasbrenner hat irgendwo Schaden angerichtet, zum Beispiel Kabel durchgeschmort, wenn der in die falsche Richtung gestrahlt hat. Aber die sehr harmonische und komplett stressfreie Atmosphäre hat uns letztendlich überzeugt.
Wie kam es zu dem hübschen Coverartwork? Macht ihr den Layoutkram selber?
Von Layout haben wir selber so gar keine Ahnung. Das hat die Veröffentlichung auch noch mal verzögert. Schließlich hat sich Frau Habicht bereiterklärt, das für uns zu übernehmen. Sie war früher mal Sängerin bei THE HAPPY CADAVRES, einer in Magdeburg ehemals recht bekannten Band, die es, ich glaube 1993, mal bis ins Zillo geschafft hat. Jetzt ist sie Grafikdesignerin und sie hatte ihren Hund bei Nico in Behandlung. Unter den Fotos, die Frau Habicht uns als Ausgangsbasis angeboten hat, fanden wir die Möwe am Schönsten, auch wieder wegen Meer und Wind und Untergang.
Seit jeher prägen shantyartige Chorgesänge den typischen BEN RACKEN-Sound. Wie kamt ihr auf die Idee, den Gesang so zu benutzen, und singen alle Musiker?
Unsere Musik ist eher einfach gestrickt, wir sind kompositorisch nahezu stockkonservativ. Das heißt es läuft fast zwangsläufig immer auf ein Strophe-Refrain-Schema hinaus. Dazu haben wir drei in unserem langen Leben einfach zu viel AC/DC, THE ROLLING STONES oder OASIS gehört. Und der Refrain kann dann ruhig ein bisschen aufgepimpt werden, dafür gab’s im Studio immer genug Zeit und Ideen. Bei den ersten beiden Platten habe ich so gut wie alles gesungen, immer mehrere Gesangsspuren neben- und übereinander. Bei der neuen Platte hat Nico wesentlich mehr Gesangsanteil, live klingt es allerdings nicht halb so grandios, da ist es eher einstimmig und heiser.
Gutes Stichwort: Wie stehen meine Chancen, euch dieses Jahr mal live zu sehen?
Kommt drauf an, wie weit du reisen möchtest, haha ... Wir versuchen zwei bis drei Mal im Monat live zu spielen, das ist jedes Mal aufregend und schön. Unsere Familien, andere Hobbys und Berufe sind uns aber auch sehr wichtig, so dass die Band nicht immer höchste Priorität besitzt. In den letzten Jahren waren wir größtenteils im Osten unterwegs, da gab es die meisten Kontakte. Wir hatten das Glück, sehr geniale und idealistische Menschen kennen zu lernen, fantastische Bands zu erleben und interessante Veranstaltungsorte zu sehen. Wenn jemand anfragt, überlegen wir eigentlich immer ernsthaft, ob wir’s hinkriegen, wir versuchen auch hin und wieder, uns selbst anzupreisen, aber das ist in der Regel recht mühselig. Am besten ist es, sich mit anderen Bands zusammenzutun, und sich gegenseitig gemeinsame Konzerte zu organisieren. Das hat bei uns zum Beispiel mit pADDELNoHNEkANU sehr gut geklappt. Die Jungs waren zweimal für ein verlängertes Wochenende bei uns in Magdeburg und wir werden höchstwahrscheinlich Anfang Oktober in Baden-Württemberg sein. Ich kann das unbekannteren Bands so nur empfehlen, dass man die Kontakte, die man hat, mit anderen teilt und gegenseitig voneinander profitiert. Wenn sich daraus noch eine Freundschaft entwickelt, umso besser!
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